VerfGH München, Entscheidung v. 10.12.2019 – Vf. 20-VI-19
Titel:

Unzulässigkeit einer Verfassungsbeschwerde gegen die Verwerfung einer Vorschaltbeschwerde

Normenketten:
StPO § 152 Abs. 2, § 172
StGB § 339
VfGHG Art. 27 Abs. 1 S. 2, Art. 51 Abs. 2 S. 1
Leitsätze:
Unzulässige Verfassungsbeschwerde gegen eine strafgerichtliche Entscheidung, mit der ein Antrag des Beschwerdeführers gemäß § 172 StPO als unzulässig verworfen wurde. (Rn. 9)
1. Der Grundsatz der Subsidiarität einer Verfassungsbeschwerde verlangt, dass der Beschwerdeführer den fachgerichtlichen Rechtsweg formal durchlaufen und alle zumutbaren Möglichkeiten zur Abhilfe seiner grundrechtlichen Beschwer unternommen hat.  (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Erhebung einer Vorschaltbeschwerde zur Generalstaatsanwaltschaft ist grundsätzlich nicht entbehrlich. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Unzulässige Verfassungsbeschwerde, Vorschaltbeschwerde, Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde, Verweigerung von Ermittlungen
Vorinstanz:
OLG München, Beschluss vom 24.01.2019 – 2 Ws 33/19
Fundstelle:
BeckRS 2019, 32667

Tenor

1. Die Verfassungsbeschwerde wird abgewiesen.
2. Dem Beschwerdeführer wird eine Gebühr von 1.500 € auferlegt.

Entscheidungsgründe

I.
1
Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts München vom 24. Januar 2019 Az. 2 Ws 33/19 KL, mit dem der Antrag des Beschwerdeführers auf Verpflichtung der Staatsanwaltschaft zur förmlichen Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gegen den Vorsitzenden Richter am Landgericht Dr. T. wegen Rechtsbeugung als unzulässig verworfen wurde.
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1. Am 6. Dezember 2018 erstattete der Beschwerdeführer bei der Staatsanwaltschaft München I Strafanzeige gegen den Vorsitzenden Richter am Landgericht Dr. T. „in Hinblick auf sein Urteil vom 25.6.2014, Az. […], wegen Rechtsbeugung (§ 339 StGB)“. Am 7. Dezember 2018 forderte der Beschwerdeführer die Staatsanwaltschaft auf, ihm „unverzüglich die förmliche Einleitung des Ermittlungsverfahrens“ zu bestätigen. Mit Schreiben vom 20. Dezember 2018 teilte die Staatsanwaltschaft dem Beschwerdeführer mit, dass der Strafanzeige gemäß § 152 Abs. 2 StPO keine Folge gegeben werde.
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2. Am 7. Januar 2019 stellte der Beschwerdeführer „Antrag im Verfahren gem. §§ 172 ff StPO“ beim Oberlandesgericht München mit dem Begehren, die Staatsanwaltschaft München I zur förmlichen Einleitung eines Ermittlungsverfahrens zu verpflichten. Mit dem angegriffenen Beschluss vom 24. Januar 2019 verwarf das Oberlandesgericht den Antrag als unzulässig. Es fehle an einer Vorschaltbeschwerde gemäß § 172 Abs. 1 StPO an den Generalstaatsanwalt in München und demzufolge an einem ablehnenden Bescheid des Generalstaatsanwalts.
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3. Gegen den Beschluss erhob der Beschwerdeführer am 30. Januar 2019 Anhö rungsrüge mit der Begründung, der Beschluss sei „einzig und allein darauf gestützt, es sei eine sog. Vorschaltbeschwerde erforderlich gewesen, was aber in Wahrheit offensichtlich nicht der Fall ist“. Das Oberlandesgericht verwarf die Anhörungsrüge mit Beschluss vom 4. Februar 2019, dem Beschwerdeführer bekannt gegeben am 7. Februar 2019, als unzulässig, weil der Beschwerdeführer lediglich eine abweichende Rechtsauffassung geltend gemacht habe.
II.
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1. Mit seiner Verfassungsbeschwerde vom 7. Februar 2019 rügt der Beschwerdeführer einen „Verstoß gegen das Verbot der objektiven Willkür durch Missachtung der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum Vorverfahren“, erhebt die „[m]ateriellrechtliche Rüge der Verletzung [s]eines verfassungsrechtlichen Anspruchs auf effektive Strafverfolgung“ und beanstandet Verletzungen seines Rechts auf rechtliches Gehör. Zudem beantragt er den Erlass einer einstweiligen Anordnung. Am 17. Juli 2019 erfolgten weitere Ausführungen des Beschwerdeführers.
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2. Das Bayerische Staatsministerium der Justiz hält die Verfassungsbeschwerde für unzulässig, jedenfalls aber für unbegründet.
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3. Anträge des Beschwerdeführers vom 25. und 28. März 2019 auf Ablehnung des Präsidenten des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs Küspert und der Richterin des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs Müller hat der Verfassungsgerichtshof am 7. November 2019 als unzulässig verworfen.
III.
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1. Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig, weil sie dem Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde nicht gerecht wird (Art. 51 Abs. 2 Satz 1 VfGHG).
9
a) Aus dem Erfordernis der Erschöpfung des Rechtswegs folgt nach ständiger Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs und auch des Bundesverfassungsgerichts, dass die Verfassungsbeschwerde wegen ihres subsidiären Charakters über Art. 51 Abs. 2 Satz 1 VfGHG hinaus nur dann zulässig ist, wenn alle prozessualen und faktischen Möglichkeiten ausgeschöpft sind, um dem als verfassungswidrig beanstandeten Hoheitsakt entgegenzutreten. Die Verfassungsbeschwerde ist ein letzter, außerordentlicher Rechtsbehelf, der nur dann zum Zug kommt, wenn alle anderen Möglichkeiten erschöpft sind, um eine verfassungswidrige Maßnahme zu beseitigen. Versäumt ein Beschwerdeführer eine prozessuale oder tatsächliche Möglichkeit, um eine Verletzung verfassungsmäßiger Rechte auszuräumen, so begibt er sich dieser Rechte (vgl. VerfGH vom 8.6.1984 VerfGHE 37, 79/83; vom 8.11.1991 VerfGHE 44, 136/138 f.; vom 22.10.2018 BayVBl 2019, 465 Rn. 19; Müller in Meder/Brechmann, Die Verfassung des Freistaates Bayern, 5. Aufl. 2014, Art. 120 Rn. 25 m. w. N.; Wolff in Lindner/Möstl/ Wolff, Verfassung des Freistaates Bayern, 2. Aufl. 2017, Art. 120 Rn. 68 f. m. w. N.). Der Grundsatz der Subsidiarität verlangt, dass ein Beschwerdeführer im fachgerichtlichen Verfahren sowohl den Rechtsweg formal durchlaufen als auch alle zumutbaren prozessualen Möglichkeiten ausgeschöpft hat, um die geltend gemachte Verletzung von Verfassungsrecht zu verhindern oder zu beseitigen (VerfGH BayVBl 2019, 465 Rn. 19; BVerfG vom 10.3.2016 - 2 BvR 408/16 - juris Rn. 3 m. w. N.).
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b) Das ist vorliegend nicht geschehen. Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung verlangt nach § 172 Abs. 1 und 2 StPO, dass zuvor auf Beschwerde des Antragstellers ein ablehnender Bescheid der Generalstaatsanwaltschaft ergangen ist. Der Verfassungsgerichtshof hat bereits entschieden, dass der Beschwerdeführer - selbst bei einer etwaigen Untätigkeit der Staatsanwaltschaft - versuchen muss, durch Beschwerde bei der Generalstaatsanwaltschaft eine Entscheidung über die begehrten Ermittlungen zu erreichen (VerfGH vom 17.11.2015 - Vf. 32-VI-15 - juris Rn. 12; BayVBl 2019, 465 Rn. 20). Eine solche Vorschaltbeschwerde hat der Beschwerdeführer nicht erhoben.
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c) Die Auffassung des Beschwerdeführers, dass die Vorschaltbeschwerde entbehrlich gewesen sei, greift nicht durch (vgl. dazu auch bereits VerfGH BayVBl 2019, 465 Rn. 18 ff.).
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aa) Soweit der Beschwerdeführer in der Verfassungsbeschwerde die Auffassung vertritt, dass es ihm - auch wegen drohender Verjährung - nicht zuzumuten gewesen sei, den Erlass eines Bescheids der Generalstaatsanwaltschaft abzuwarten, teilt der Verfassungsgerichtshof diese Auffassung nicht. Grundsätzlich ist die Geltendmachung eines inhaltsgleichen Begehrens wie gegenüber dem Oberlandesgericht zunächst gegenüber der Generalstaatsanwaltschaft ohne Weiteres zumutbar (VerfGH BayVBl 2019, 465 Rn. 22). Dies gilt auch im vorliegenden Fall. Insbesondere ist nicht ersichtlich, warum es dem Beschwerdeführer - selbst wenn er Verjährung befürchtete, die nach seinem eigenen Vortrag allerdings erst mehrere Monate nach seinem Antrag vom 7. Januar 2019 beim Oberlandesgericht eingetreten wäre - unzumutbar gewesen sein sollte, zumindest nachdrücklich auf einen Bescheid der Generalstaatsanwaltschaft hinzuwirken. Die vom Beschwerdeführer zum wiederholten Mal angeführte Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 22. Mai 2017 Az. 2 BvR 1453/16 (NJW 2017, 3141) besagt nichts anderes (vgl. dazu bereits VerfGH BayVBl 2019, 465 Rn. 23).
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bb) Dass der Beschwerdeführer eine Vorschaltbeschwerde für entbehrlich hält, entbindet ihn nicht von der Obliegenheit der Einlegung; ebenso wenig, dass er davon ausgeht, die Generalstaatsanwaltschaft zeige „nach aller Erfahrung ersichtlich keinerlei Neigung, strafrechtliche Ermittlungen gegen einen Münchner Richter zu forcieren“ (S. 4 der Verfassungsbeschwerde), denn dass ein Beschwerdeführer allgemein erwartet, ein Rechtsbehelf werde erfolglos bleiben, führt grundsätzlich und auch im vorliegenden Fall nicht dazu, dass er auf dessen Einlegung im Vorfeld einer Verfassungsbeschwerde verzichten kann (VerfGH vom 28.2.2011 BayVBl 2011, 530/531; vom 15.9.2011 - Vf. 137-VI-10 - juris Rn. 16). Lediglich ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass der Beschwerdeführer zwar im gleichen Zusammenhang bereits eine Vielzahl von Strafanzeigen u. a. gegen Staatsanwälte und Richter erstattet hat, denen sämtlich keine Folge gegeben wurde. Durch dieses offensichtlich rechtsmissbräuchliche Verhalten (vgl. dazu im Einzelnen den Beschluss vom 20. März 2019 im Verfahren Vf. 47-VI-18) kann der Beschwerdeführer jedoch nicht die Entbehrlichkeit der Vorschaltbeschwerde in anderen Fällen herbeiführen.
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cc) Auch der Einwand des Beschwerdeführers, dass es „keinen Unterschied [mache], zu welchem Zeitpunkt die Widerspruchsbehörde, die Münchner GenStA, Gelegenheit zu ihrem Handeln hatte“, ob sie also „schon auf eine Vorschaltbeschwerde hin tätig wird oder erst, wenn sie vom Gericht […] dazu aufgefordert wird“ (S. 4 der Verfassungsbeschwerde), ändert an dem Subsidiaritätsverstoß nichts. Dies gilt selbst dann, wenn man davon ausgeht, dass die Generalstaatsanwaltschaft die Möglichkeit hat, im Rahmen ihrer Beteiligung durch das Gericht Ausführungen zur etwaigen Begründetheit des inhaltlichen Anliegens des Beschwerdeführers zu machen.
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Denn zum einen ist es dem Oberlandesgericht nicht verwehrt, einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung bei unterbliebener Vorschaltbeschwerde selbst dann als unzulässig zu verwerfen, wenn sich die Generalstaatsanwaltschaft im Rahmen ihrer Anhörung mit der Begründetheit des Anliegens befasst hat (Kölbel in Münchener Kommentar zur StPO, 2016, § 172 Rn. 49). Demnach kann der Beschwerdeführer, der eine notwendige Vorschaltbeschwerde nicht erhebt, nicht davon ausgehen, dass das Gericht zwingend etwaige Ausführungen der Generalstaatsanwaltschaft zur Begründetheit des Anliegens zum Anlass nimmt, von einer Verwerfung des Antrags als unzulässig abzusehen.
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Zum anderen hat der Beschwerdeführer auch nicht substanziiert dargelegt, dass die Generalstaatsanwaltschaft im vorliegenden konkreten Fall Ausführungen zur Begründetheit seines Anliegens gemacht hätte, die das Gericht dazu hätten veranlassen müssen, seinem Antrag stattzugeben. Der Beschwerdeführer erwähnt zwar in seinem Schriftsatz vom 17. Juli 2019 (S. 7) zwei „abschließende[…] Vorlageschreiben der GenStA vom 3. Mai 2019 und vom 6. Mai 2019“ (ohne Angabe eines Aktenzeichens o. ä.). Diese Vorlageschreiben wurden aber weder vorgelegt noch ihr wesentlicher Inhalt mitgeteilt. Angesichts der Datumsangaben ist es auch fernliegend, dass diese Schreiben vor der angegriffenen Entscheidung des Oberlandesgerichts vom 24. Januar 2019 ergangen sein und damit im Vorfeld des Erlasses eine Entscheidung über die unterlassene Vorschaltbeschwerde hätten entbehrlich machen können. Auf das einschlägige Vorlageschreiben der Generalstaatsanwaltschaft vom 17. Januar 2019 im konkreten Verfahren (das sich im Übrigen nur mit der Unzulässigkeit des Antrags befasst) geht der Beschwerdeführer in keiner Weise ein.
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dd) Auch im Übrigen greifen die Ausführungen des Beschwerdeführers zur Entbehrlichkeit der Vorschaltbeschwerde nicht durch. Es steht ihm entgegen seiner Rechtsauffassung nicht „frei, welche prozessualen Mittel er zur Durchsetzung“ seines Begehrens wählt (S. 5 der Verfassungsbeschwerde).
2. Außerdem ist die Verfassungsbeschwerde rechtsmissbräuchlich. Zur Begründung wird Bezug genommen auf die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs vom 13. November 2019 im Verfahren Vf. 76-VI-19. IV.
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Selbst wenn die Verfassungsbeschwerde zulässig wäre, wäre sie offensichtlich unbegründet.
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Dabei kann dahinstehen, ob eine Verfassungsbeschwerde gemäß Art. 120 BV zum Bayerischen Verfassungsgerichtshof auf eine Verletzung des Justizgewährungsanspruchs - den der Beschwerdeführer vereinzelt erwähnt (z. B. auf S. 95 ff. der Verfassungsbeschwerde) - überhaupt gestützt werden kann (vom Verfassungsgerichtshof bisher offengelassen; vgl. VerfGH vom 24.5.2019 - Vf. 23-VI-17 - juris Rn. 37). Ein diesbezüglicher Verstoß sowie eine Verletzung des Rechts auf rechtliches Gehör (Art. 91 Abs. 1 BV) kämen allenfalls in Betracht, wenn das Oberlandesgericht das Prozessrecht in einer Weise ausgelegt und gehandhabt hätte, die unter Berücksichtigung der genannten Rechte unvertretbar wäre (VerfGH vom 2.3.2017 - Vf. 1-VI-16 - juris Rn. 19; vom 13.3.2018 - Vf. 31-VI-16 - juris Rn. 39). Das ist im Hinblick auf den angegriffenen Beschluss vom 24. Januar 2019 völlig fernliegend. Nichts anderes gilt im Hinblick auf die „[m]ateriellrechtliche Rüge der Verletzung [des] verfassungsrechtlichen Anspruchs auf effektive Strafverfolgung“, denn ist die angefochtene Entscheidung - wie hier - unter Anwendung von Bundesrecht ergangen, das wegen seines höheren Rangs nicht am Maßstab der Bayerischen Verfassung überprüft werden kann, beschränkt sich die Prüfung darauf, ob das Gericht willkürlich gehandelt hat (Art. 118 Abs. 1 BV) (ständige Rechtsprechung; vgl. VerfGH vom 8.2.2019 - Vf. 67-VI-17 - juris Rn. 17); ein entscheidungserheblicher Willkürverstoß (Art. 118 Abs. 1 BV) des Oberlandesgerichts ist im vorliegenden Fall offensichtlich nicht gegeben.
V.
20
Durch die Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde hat sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung erledigt.
VI.
21
Es ist angemessen, dem Beschwerdeführer eine Gebühr von gen (Art. 27 Abs. 1 Satz 2 VfGHG) 1.500 € aufzuerlegen.