Inhalt

FG München, Urteil v. 19.09.2019 – 14 K 1843/16
Titel:

Zollaussetzung von eingeführten Vorderradgabeln

Normenketten:
FGO § 115 Abs. 2 Nr. 1
VO (EWG) Nr. 2658/87 Art. 2
Schlagworte:
Abweichung, Aluminium, Anwendung, Auslegung, Aussetzung, Einspruchsentscheidung, Erstattung, Kombinierte Nomenklatur, Umsetzung, Verbrauchsteuer, Ware, Zollaussetzung, Zolltarif
Weiterführende Hinweise:
Revision zugelassen
Fundstelle:
BeckRS 2019, 31256

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

I.
1
Streitig ist, ob für die von der Klägerin eingeführten Vorderradgabeln eine Zollaussetzung bestand.
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Das Hauptzollamt (HZA) .., Zollamt (ZA) …, fertigte am 19. Januar 2015, am 22. Januar 2015 und am 10. Februar 2015 mehrere Einfuhrsendungen der Klägerin mit insgesamt … Stück Vorderradgabeln aus den USA und aus Taiwan, angemeldet mit der Codenummer 8714 9130 33 0 und der Warenbezeichnung „Teile f. Fahrräder, Gabel, Alu, lackiert, gefedert“ bzw. „Federgabeln (aus Alu, lackiert)“, zum zollrechtlich freien Verkehr ab. Das ZA erhob für die eingeführten Waren unter Zugrundelegung eines Zollsatzes von 4,7% (neben der Einfuhrumsatzsteuer) auch Zoll in Höhe von insgesamt … €.
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Die eingeführten Fahrradgabeln bestehen aus einem sog. Standrohr und einem sog. Tauchrohr, die sich beim Einfedern ineinanderschieben. Das Tauchrohr wird aus einer Magnesiumlegierung hergestellt; im Übrigen bestehen die Fahrradgabeln aus Aluminium.
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Mit drei Anträgen vom 19. Oktober 2015 beantragte die Klägerin die Erstattung des Zolls, weil im maßgebenden Zeitraum eine Zollaussetzung einschlägig gewesen sei. Diesen Antrag lehnte das beklagte HZA mit den drei Bescheiden vom 29. März 2016 ab, da die Waren aus einer Mischung (Aluminium und Magnesium) bestünden und die Zollaussetzung nur für Fahrradgabeln aus Aluminium zu gewähren sei. Die Allgemeine Vorschrift (AV) 3b), die bei der Auslegung der achtstelligen Nomenklatur des Zolltarifs zu berücksichtigen sei, könne keine Anwendung für den TARIC (Integrierter Zolltarif der Europäischen Union) finden.
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Die hiergegen eingelegten Einsprüche blieben erfolglos (vgl. Einspruchsentscheidungen vom 6. Juni 2016).
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Mit ihrer Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren, die eingeführten Waren unter Zollaussetzung einführen zu können, weiter. Der TARIC basiere auf dem Harmonisierten System (HS), der Kombinierten Nomenklatur (KN) und auch auf den dazu ergangenen „Einführenden Vorschriften“. Unstreitig seien die eingeführten Vorderradgabeln der Unterposition 8714 9130 der KN zuzuweisen. Nach der AV 3b) für die Auslegung der KN, die auch beim TARIC zu berücksichtigen sei, würden Waren, die aus verschiedenen Stoffen oder Bestandteilen bestünden und die nach der AV 3a) nicht eingereiht werden könnten, nach dem Stoff oder Bestandteil eingereiht, der ihnen den wesentlichen Charakter verleihe, wenn dieser Stoff oder Bestandteil ermittelt werden könne. Im Gegensatz zu einer Starrgabel seien die betroffenen Federgabeln zur Verbesserung des Bodenkontakts und des Komforts mit Stoßdämpfern ausgerüstet. Die Federung bestehe aus einem sog. Stand- und einem Tauchrohr (Gleitrohr), die sich beim Einfedern ineinanderschieben würden. Vorliegend bestehe das Tauchrohr aus einer Magnesiumlegierung mit einem Gewichtsanteil von rund 500 Gramm. Die eigentliche Gabel, bestehend aus einem Gabelschaftrohr, einer Gabelkrone, einem Standrohr (Schenkel), einem Luftdruckventil und der Steckachse, sei aus Aluminium gefertigt, was den wesentlichen Charakter der Vorderradgabeln ausmache. Nach dem Sinn und Zweck der betroffenen Zollaussetzung für „Vorderradgabeln aus Aluminium, zur Verwendung bei der Herstellung von Fahrrädern“ fielen darunter auch solche Vorderradgabeln, denen das Aluminium ihren wesentlichen Charakter im Sinne der AV 3b) verleihe.
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Die Klägerin beantragt,
unter Aufhebung der ablehnenden drei Bescheide vom 29. März 2016 und der Einspruchsentscheidungen vom 6. Juni 2016 das HZA zu verpflichten, ihr … € Zoll zu erstatten.
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Das HZA beantragt,
die Klage abzuweisen.
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Die Regelung in Art. 2 der Verordnung (EWG) Nr. 2658/87 des Rates vom 23. Juli 1987 über die zolltarifliche und statistische Nomenklatur sowie den Gemeinsamen Zolltarif (nachfolgend: Verordnung Nr. 2658/87, ABl. Nr. L 256, 1) besage nicht, dass die AV, welche Teil der KN seien, auch grundsätzlich auf die Unterpositionen des TARIC anwendbar seien. Vorrangig sei die Warenbeschreibung in der konkreten Zollaussetzung. Der Wortlaut einer Maßnahme, der nur für eine bestimmte Ware die Aussetzung der Zölle vorsehe, werde über den TARIC-Code mit der KN verknüpft. Würde man nun, wie im vorliegenden Fall, für die Einreihung in die TARIC-Position die AV 3b) anwenden, hätte dies eine Ausweitung des konkreten, in der Aussetzungsverordnung niedergelegten Warenbegriffs zur Folge. Für die Einreihung in den zehnstelligen TARIC-Code müssten die Waren dem genauen Wortlaut der diesbezüglichen TARIC-Codierung entsprechen. Dies habe auch die EU-Kommission in ihrer Mitteilung an das Bundesministerium der Finanzen (BMF) vom 18. Februar 2016 bestätigt.
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Es sei allenfalls zu prüfen, ob eine festgestellte Abweichung Einfluss auf die Funktion der Ware habe, die Gegenstand einer besonderen Vergünstigung im Hinblick auf die Gemeinschaftsproduktion sein solle. Die hier eingeführten Vorderradgabeln kämen für eine Einreihung in den TARIC-Code 8714 9130 330 nicht in Betracht, weil diese zusätzlich auch aus Magnesium bestünden.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Vortrags der Beteiligten wird auf die Schriftsätze der Beteiligten, die HZA-Akten und auf das Protokoll über die mündliche Verhandlung vom 19. September 2019 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

II.
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Die Klage ist unbegründet.
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Das HZA hat zu Recht die Anträge auf Erstattung des Zolls in Höhe von … € mit den Bescheiden vom 29. März 2016 und den hierzu ergangenen Einspruchsentscheidungen abgelehnt, weil für die eingeführten Waren keine Zollaussetzung bestand.
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1. Nach Art. 2 der Verordnung Nr. 2658/87, geändert durch die Verordnung (EG) Nr. 254/2000 des Rates vom 31. Januar 2000 (ABl. Nr. L 28/16), ist die Kommission ermächtigt worden, auf der Grundlage der Kombinierten Nomenklatur (KN) einen TARIC zur erstellen. Der TARIC baut auf dem sogenannten HS und der KN auf und verschlüsselt in der neunten und zehnten Stelle der Codenummer unionsrechtliche Maßnahmen, wie zum Beispiel Antidumpingregelungen, Zollaussetzungen oder Zollkontingente. Der TARIC hat verwaltungstechnischen Charakter mit dem Ziel, die in selbständigen Rechtsnormen (Verordnungen des Rates) getroffenen Regelungen für die praktische Anwendung im Unionsgebiet aufzubereiten und darzustellen; er selbst ist keine Rechtsnorm.
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2. Maßgebend für den Streitfall ist Artikel 1 der Verordnung (EU) Nr. 1387/2013 des Rates vom 17. Dezember 2013 (ABl. Nr. L 354/201) zur Aussetzung der autonomen Zollsätze des Gemeinsamen Zolltarifs für bestimmte landwirtschaftliche und gewerbliche Produkte, geändert durch Verordnung (EU) Nr. 722/2014 des Rates vom 24. Juni 2014 (ABl. Nr. L 192/9; nachfolgend: VO 1387/2013) und nochmals geändert durch Verordnung (EU) Nr. 1341/2014 des Rates vom 15. Dezember 2014 (ABl. Nr. L 363/10, nachfolgend: VO 1341/2014), die in Anhang I für „Vorderradgabeln, aus Aluminium, zur Verwendung bei der Herstellung von Fahrrädern“ des KN Codes ex 8714 9130 mit der TARIC-Codierung 23, 33 und 70 eine autonome Zollaussetzung vorsah.
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Die von der Klägerin eingeführten Vorderradgabel sind nicht von dieser Zollaussetzung erfasst.
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Eine Aussetzung der autonomen Zollsätze des Gemeinsamen Zolltarifs bezweckt, für einen begrenzten Zeitraum dem Bedarf der verarbeitenden Industrien der Europäischen Union Rechnung zu tragen. In diesem Zusammenhang ist bei der Anwendung und Umsetzung von Aussetzungen auch die Rechtssicherheit zu beachten sowie die Schwierigkeiten zu berücksichtigen, denen die einzelstaatlichen Zollverwaltungen bei der Bewältigung der umfangreichen und vielschichtigen Aufgaben auf dem Zollsektor gegenüberstehen. Daraus folgt, dass die Bezeichnung von Waren, für die eine Zollaussetzung gewährt worden ist, anhand objektiver Kriterien, die sich aus ihrer Formulierung ergeben, auszulegen sind und dass sie nicht entgegen ihrem Wortlaut auf andere Erzeugnisse angewandt werden können, selbst wenn diese Erzeugnisse sich in ihren Eigenschaften und ihrer Verwendung nicht von denjenigen unterscheiden, die unter die Aussetzungsregelung fallen, weil dies der Grundsatz der Rechtssicherheit und die praktische Umsetzung so erfordern (vgl. Urteile des Gerichtshofs der Europäischen Union - EuGH - vom 18. März 1986, 58/85, Slg. 1986, 1131, und vom 17. Februar 2011 C-11/10, Zeitschrift für Zölle und Verbrauchsteuern - ZfZ - 2011, 78).
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Auch nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs - BFH - (Urteile vom 31. Mai 2016 VII R 47/14, BFH/NV 2016, 1759, und vom 23. Mai 2019 VII R 33/17, ZfZ 2019, 278) sind Zollaussetzungsnormen entsprechend ihrem Wortlaut eng auszulegen, so dass sie nicht über ihren Wortlaut hinaus auf Erzeugnisse angewandt werden können, die in ihnen nicht genannt sind.
19
Die einleitenden Erwägungen der jeweiligen Änderungsverordnungen der VO 1387/2013, wie etwa die Nachfolge-Verordnung (EU) 2015/2449 des Rates vom 14. Dezember 2015 zur Änderung der hier maßgebenden VO 1341/2014 (ABl. L 354/11), zeigen gleichfalls, dass die Anforderungen der Industrie eine ständige Anpassung der Zollaussetzungen und ggf. Änderungen der Warenbezeichnungen erforderlich machen (vgl. dritter Erwägungsgrund). So ist es auch auf die Eingaben der Industrie zurückzuführen, dass sich die hier einschlägige Zollaussetzung erst ab der in 2016 gültigen Verordnung erweiternd auf „Vorderradgabeln mit Schenkeln aus Aluminium…“ bezieht, wobei offenbleiben kann, ob hierunter auch eine Ware wie die streitgegenständliche fällt, die nicht nur aus Vorderradgabeln mit Schenkeln aus Aluminium besteht, sondern darüber hinaus auch noch über ein Tauchrohr aus Magnesium verfügt. Der Senat teilt folglich nicht die Auffassung der Klägerin, dass die spätere Wortlautänderung bei der fraglichen Zollaussetzung eine bloße Klarstellung zur Reichweite der Vorschrift darstellt.
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Für eine enge Auslegung spricht auch, dass die Ware, für die die Zollaussetzung (hier in der Anlage I als „ex 8714 9130 mit TARIC 23, 33, 70, Vorderradgabeln, aus Aluminium, zur Verwendung bei der Herstellung von Fahrädern“ bezeichnet) gelten soll, sehr detailliert beschrieben ist und mit der Verweisung „ex“ die Begünstigung für eine bestimmte Ware ausspricht, die in der Spalte 2 „Warenbezeichnung“ der jeweiligen Zollaussetzung aufgeführt ist (vgl. EuGH-Urteil vom 28. März 1996 C-99/94, Slg 1996, I-1791).
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Aufgrund der engen Auslegung des Wortlauts der Zollaussetzungen besteht kein Raum für eine Anwendung der AV 3b) auf TARIC-Ebene, weil dies den Kreis der von einer Zollaussetzung erfassten Waren ebenso erweitern würde wie bei einer Ausdehnung einer Zollaussetzung durch Hereinnahme von vergleichbaren Waren (vgl. Nationale Entscheidungen und Hinweise zur AV 3 Randnr. 177.0; ebenso: FG Düsseldorf, Urteil 12. Juni 2019 4 K 754/18 Z, nv). Im Übrigen würde allenfalls eine analoge Anwendung der AV 3b) auf TARIC-Ebene in Betracht kommen, weil die AV 1 bis 5 nur für die Position, also die ersten vier Ziffern der Codierung, Gültigkeit besitzt und die AV 6 ihren originären Bezug auf die sechsstellige Unterposition des HS bzw. auf die Gesamtheit der Unterpositionen der KN hat.
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Das Ergebnis entspricht auch der vom HZA vorgetragenen Sichtweise der EU-Kommission, die dem BMF im Februar 2016 erläutert hat, dass für die Einreihung in den zehnstelligen TARIC-Code die Ware dem genauen Wortlaut des diesbezüglichen TARIC-Codes entsprechen müsse (vgl. Bl. 128 FG-Akte).
23
Die Einreihung der französischen Zollbehörden (vZTA: FR-RTC-2015-008298) führt gleichfalls zu keinem anderen Ergebnis. Die Auskunft ist erst im Jahr 2016 zu vergleichbaren Vorderradgabeln erteilt worden und fußt daher bereits auf einer in der Warenbeschreibung geänderten Nachfolge-Verordnung zur Zollaussetzung der fraglichen Waren, die erst ab 1. Januar 2016 gültig war und nicht rückwirkend für den hier maßgebenden Zeitraum gilt (vgl. BFH-Urteil in ZfZ 2019, 278).
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Die Revision wird gem. § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zugelassen, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat.