Inhalt

OLG Nürnberg, Endurteil v. 12.11.2019 – 3 U 592/19
Titel:

Nur mitbewerberbezogene Tatbestände anwendbar auf bloßes Behinderungswettbewerbsverhältnis

Normenketten:
UWG § 2 Abs. 1 Nr. 3, § 3, § 3a, § 4, § 5, § 8 Abs. 3 Nr. 1
BGB §§ 307, § 823 Abs. 1, § 1004
Leitsätze:
Ein konkretes Wettbewerbsverhältnis i.S.d. § 2 Abs. 1 Nr. 3 UWG kann sowohl bei Substitutionswettbewerb als auch bei Behinderungswettbewerb vorliegen. Besteht das konkrete Wettbewerbsverhältnis lediglich aufgrund von Behinderungswettbewerb, können nur die sogenannten mitbewerberbezogenen Tatbestände geltend gemacht werden. (Rn. 15 und 39 – 47)
Zwischen einem Versicherungsunternehmen, das Kapitallebensversicherungsverträge anbietet, und einem gewerblichen Ankäufer von Forderungen und Rechten aus Versicherungsverträgen, welcher auf dem Zweitmarkt derartige Versicherungen ankauft und verwertet, besteht kein Substitutionswettbewerb. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Behinderung, Behinderungswettbewerb, Forderungskauf, Kündigung, Lebensversicherung, Versicherungsnehmer, konkretes Wettbewerbsverhältnis, mitbewerberbezogen, Vertragsbruch, Werbung, Substitutionswettbewerb, Unterlassung
Vorinstanz:
LG Nürnberg-Fürth vom 24.01.2019 – 3 HKO 2275/18
Rechtsmittelinstanzen:
BGH Karlsruhe vom -- – I ZR 234/19
BGH Karlsruhe, Urteil vom 05.11.2020 – I ZR 234/19
Weiterführende Hinweise:
Revision zugelassen
Fundstellen:
WRP 2020, 244
MD 2020, 125
BeckRS 2019, 30764
LSK 2019, 30764
GRUR 2020, 198

Tenor

1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 24.01.2019, Az. 3 HK O 2275/18, wird zurückgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das in Ziffer 1. genannte Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung des erstinstanzlichen Urteils und des Berufungsurteils durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagten zuvor Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags leisten.
4. Die Revision gegen dieses Urteil wird zugelassen.
Beschluss
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 50.000,00 € festgesetzt.

Tatbestand

A.
I.
1
Die Klägerin bietet Kapitallebensversicherungsverträge, insbesondere in der Form von Versicherungsanlageprodukten, an.
2
Die Beklagte zu 1) ist als Inkassodienstleister nach dem Rechtsdienstleistungsgesetz registriert und unter anderem als gewerblicher Ankäufer von Forderungen und Rechten aus Versicherungsverträgen tätig, wobei sie - unter anderem mit Versicherungsnehmern der Klägerin - als „Kauf- und Abtretungsvertrag von Renten- oder Lebensversicherungen bzw. Bausparverträgen“ bezeichnete Verträge abschließt (Anlagen K 4 - 6).
3
Der von der Beklagten vorformulierte Kauf- und Abtretungsvertrag enthält folgende Klauseln:
§ 1. Vorbemerkung:
4
Der Verkäufer verkauft die unten genannten Verträge und sämtliche Rechte aus den Verträgen, einschließlich etwaigen Beitragskonten bzw. Beitragsdepots an den Käufer. […] Der Verkäufer veräußert und tritt unwiderruflich, mit Wirkung zum Zeitpunkt des Kaufvertragsabschlusses sämtliche Rechte und Ansprüche aus folgenden Verträgen an den Käufer ab. Die Abtretung umfasst auch das Recht auf Anfechtung, Widerruf und Widerspruch, deren Ausübung zugestimmt wird. Der Käufer, die A… AG, nimmt die Abtretungen an. … Der Käufer hat im Falle, dass die Verträge bereits abgetreten oder verpfändet waren oder eine Abtretung aus anderen Gründen nicht möglich ist, das Recht, von diesem Vertrag zurückzutreten. Dem Käufer steht es frei, die Verträge auf eigene Rechnung weiterzuführen oder zu kündigen. […]
§ 2 Kaufpreis und Fälligkeit:
Für jeden der oben genannten Verträge gilt im Einzelnen:
1. Grundlage der Kaufpreisermittlung ist der von der Versicherungsgesellschaft […] ausgewiesene Rückkaufswert. Dieser ermittelt sich aus: 1) Auszahlungsbetrag inklusive evtl. Überschussbeteiligung evtl. vorhandener Depotguthaben zuzüglich
2) der durch den Vertragseintritt des Käufers entstehenden, vom Versicherungsunternehmen abzuführenden Kapitalertragssteuer und Solidaritätszuschlag […]
2. Von dem nach Abs. 1 ermittelten Kaufpreis werden folgende Beträge abgezogen:
Eine Servicegebühr […] von 3,9% des ermittelten Kaufpreises. Der Mindestabzug für die Servicegebühr beträgt jedoch 175,00 €. Da der Kaufvertrag aufgrund eines Vermittlers zustande kommt, wird zusätzlich […] eine Vermittlerprovision von 1% vom Kaufpreis abgezogen.
1) Der Kaufpreis wird innerhalb 3 Werktagen fällig, nachdem der Käufer die Abtretungsbestätigung und Wertemitteilung […] erhalten hat. […]
2) Bei Versicherungsverträgen mit einer Laufzeit unter 12 Jahren zahlt der Käufer den Teil des Kaufpreises bestehend aus Kapitalertragssteuer und des Solidaritätszuschlags erst zum 30.08. des folgenden Kalenderjahres an den Verkäufer aus, da diese dem Käufer erst im Zuge seines Jahresabschlusses von der Finanzverwaltung erstattet wird. […]
5
Die Beklagte zu 1) bewirbt ihre Dienstleistungen u.a. mit folgenden Aussagen (Anlage K 1, 15):
In vielen Fällen ist der Verkauf der Lebensversicherung gegenüber einer eigenen Kündigung (dem „Rückkauf“) vorzuziehen. Zum Beispiel dann, wenn […] die Police noch steuerpflichtig ist […] Auch im gewerblichen Bereich wurden viele Lebensversicherungen geschlossen. Wichtig zu beachten ist, dass Policen, welche vor dem 01.01.2005 abgeschlossen wurden, auch nach Ablauf von 12 Jahren nicht steuerfrei werden. Gerade hier bringt der Verkauf an A… deutliche Mehrerlöse.
Die Versicherungsgesellschaft […] ist gesetzlich gezwungen, im Fall einer Kündigung Kapitalertragssteuer und Solidaritätszuschlag vom Rückkaufswert abzuziehen. A… AG zahlt jedoch die anfallenden Steuern an den Verkäufer der Police aus. Somit kommt es zu einem Mehrerlös […]
6
Der Beklagte zu 2) ist Vorsitzender des Vorstandes, der Beklagte zu 3) ein weiteres Mitglied des Vorstandes der Beklagten zu 1).
II.
7
Das Landgericht hat die Klage mit Endurteil vom 24.01.2019 abgewiesen. Die Parteien seien keine Mitbewerber. Darüber hinaus seien die behaupteten Verstöße gegen §§ 3, 3a UWG iV.m. § 11 FinVermV und § 5 UWG zu verneinen.
8
Wegen des weiteren Inhalts wird auf das landgerichtliche Urteil Bezug genommen.
9
Gegen dieses Urteil wendet sich die Klägerin in ihrer Berufung. Sie beantragt,
I. Das Endurteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 24.01.2019 wird aufgehoben.
II. Die Beklagten werden jeweils verurteilt, es bei Meidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, einer Ordnungshaft oder einer Ordnungshaft von bis zu sechs Monaten (Ordnungsgeld im Einzelfall höchstens 250.000 €, Ordnungshaft insgesamt höchstens 2 Jahre, zu vollziehen an den Vorstandsmitgliedern der Beklagten zu 1 bzw. an den Beklagten zu 2 und 3) zu unterlassen,
1.
mit Versicherungsnehmern der Klägerin, die ihnen von Finanzanlagevermittlern zugeführt wurden, Kauf und Abtretungsvereinbarungen über die Rechte aus Lebensversicherungsverträgen mit monatlicher Kündigungsmöglichkeit abzuschließen, nach denen der Kaufpreis den Rückkaufswert der Lebensversicherung unterschreitet,
2.
beim Abschluss von Kauf- und Abtretungsvereinbarungen mit Verbrauchern über die Rechte aus Lebensversicherungsverträgen folgende (oder inhaltsgleiche) Klauseln in neue Verträge einzubeziehen oder sich auf solche Klauseln zu berufen:
„Der Verkäufer veräußert und tritt unwiderruflich, mit Wirkung zum Zeitpunkt des Kaufvertragsabschlusses sämtliche Rechte und Ansprüche aus folgenden Verträgen an den Käufer ab.“
und
„Der Kaufpreis wird innerhalb drei Werktagen fällig, nachdem der Käufer die Abtretungsbestätigung und Werteermittlung … durch die Versicherungsgesellschaft … erhalten hat… Bei Versicherungsverträgen mit einer Laufzeit unter 12 Jahren zahlt der Käufer den Teil des Kaufpreises bestehend aus Kapitalertragssteuer und Solidaritätszuschlag erst zum 30.08. des folgenden Kalenderjahres an den Verkäufer aus, ….“
3. für den Ankauf von Rechten aus Lebensversicherungsverträgen zu werben mit der Behauptung bei „steuerpflichtigen“ Verträgen, d.h. solchen, bei deren Rückkauf vom Versicherungsnehmer der Versicherer Kapitalertragssteuer abzuführen hätte, bringe der Verkauf an die Beklagte zu 1 Mehrerlöse, insbesondere durch die Angaben
„In vielen Fällen ist der Verkauf der Lebensversicherung gegenüber einer eigenen Kündigung (dem 'Rückkauf') vorzuziehen. Zum Beispiel dann, wenn … die Police noch steuerpflichtig ist.“
und/oder
„Auch im gewerblichen Bereich wurden viele Lebensversicherungen geschlossen. Wichtig zu beachten ist, dass Policen, welche vor dem 01.01.2005 abgeschlossen wurden, auch nach Ablauf von 12 Jahren nicht steuerfrei werden. Gerade hier bringt der Verkauf an A… deutliche Mehrerlöse.“
und/oder
„Die Versicherungsgesellschaft … ist gesetzlich gezwungen, im Fall einer Kündigung Kapitalertragssteuer und Solidaritätszuschlag vom Rückkaufswert abzuziehen. A… AG zahlt jedoch die anfallenden Steuern an den Verkäufer der Police aus. Somit kommt es zu einem Mehrerlös ….“
4. beim Abschluss von Kauf- und Abtretungsverträgen von Renten- und Lebensversicherungsverträgen bzw. Bausparverträgen mit Verbrauchern folgende oder inhaltsgleiche Klauseln in neue Verträge einzubeziehen oder sich auf solche Klauseln zu berufen:
„Von dem … ermittelten Kaufpreis werden folgende Beträge abgezogen: Eine Servicegebühr für jeden der oben genannten Versicherungsverträge bzw. Bausparverträge gesondert von … % des ermittelten Kaufpreises. Der Mindestabzug für die Servicegebühr beträgt jedoch 175,00 €. Da der Kaufvertrag aufgrund eines Vermittlers zustande kommt, wird zusätzlich für jeden der oben genannten Verträge eine Vermittlerprovision von … % vom Kaufpreis abgezogen“.
III. Die Beklagten werden verurteilt,
1.
der Klägerin oder einem Angehörigen der zur Verschwiegenheit verpflichteten Berufe, der vom Präsidenten des OLG Nürnberg bestimmt wird, in Form einer nach Postleitzahlen, innerhalb dieser nach Straßen, innerhalb dieser nach Hausnummern, innerhalb dieser nach Nachnamen, innerhalb dieser nach Vornamen sortierten Auflistung Auskunft darüber zu erteilen, mit welchen Verkäufern, ausgenommen Versicherungsnehmern der Klägerin, die Beklagte zu 1 formularmäßige Kauf- und Abtretungsverträgen von Renten- und Lebensversicherungsverträgen bzw. Bausparverträgen mit der unter Ziff. I.4. genannten Klauseln geschlossen hat,
2.
gegenüber den aufgelisteten sowie betroffenen Versicherungsnehmern/innen der Klägerin binnen zwei Wochen nach Erteilung der Auskunft gemäß Ziff. III.1. in geeigneter Form klarzustellen, dass die in den Kauf- und Abtretungsverträgen von Renten- und Lebensversicherungsverträgen bzw. Bausparverträgen einbezogene Klausel gemäß Ziff. II.4. unwirksam ist
10
Die Beklagten verteidigen das erstinstanzliche Urteil und beantragen
die Zurückweisung der Berufung.
11
Wegen des Vortrags der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

Entscheidungsgründe

B.
12
Die zulässige Berufung ist unbegründet. Denn die Klägerin ist nur in Bezug auf die mitbewerberbezogenen Ansprüche des § 4 UWG als (klagebefugte und aktivlegitimierte) Mitbewerberin der Beklagten anzusehen (siehe unter I.). Von der darlegungsbelasteten Klägerin sind keine Tatsachen dargetan, nach denen sich die geltend gemachten Ansprüche auf § 4 UWG (Mitbewerberschutz) stützen lassen (siehe unter II.). Die von der Klägerin vorgebrachten Tatsachen rechtfertigen auch als deliktische Ansprüche die Klageanträge nicht (siehe unter III.).
I.
13
Die Klägerin ist nur in Bezug auf die mitbewerberbezogenen Ansprüche des § 4 UWG Mitbewerberin der Beklagten i.S.d. §§ 2 Abs. 1 Nr. 3, 8 Abs. 3 Nr. 1 UWG.
14
1. Die Eigenschaft als Mitbewerber gemäß § 8 Abs. 3 Nr. 1 UWG erfordert ein konkretes Wettbewerbsverhältnis i.S.d. § 2 Abs. 1 Nr. 3 UWG. Das ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gegeben, wenn beide Parteien gleichartige Waren oder Dienstleistungen innerhalb desselben Endverbraucherkreises abzusetzen versuchen und daher das Wettbewerbsverhalten des einen den anderen beeinträchtigen, d.h. im Absatz behindern oder stören kann. Da im Interesse eines wirksamen lauterkeitsrechtlichen Individualschutzes grundsätzlich keine hohen Anforderungen an das Vorliegen eines konkreten Wettbewerbsverhältnisses zu stellen sind, reicht es hierfür aus, dass sich der Verletzer durch seine Verletzungshandlung im konkreten Fall in irgendeiner Weise in Wettbewerb zu dem Betroffenen stellt (BGH, GRUR 2014, 573, Rn. 17 - Werbung für Fremdprodukte). Ein konkretes Wettbewerbsverhältnis ist daher anzunehmen, wenn zwischen den Vorteilen, die die eine Partei durch eine Maßnahme für ihr Unternehmen oder das eines Dritten zu erreichen sucht, und den Nachteilen, die die andere Partei dadurch erleidet, eine Wechselwirkung in dem Sinne besteht, dass der eigene Wettbewerb gefördert und der fremde Wettbewerb beeinträchtigt werden kann. Nicht ausreichend ist es allerdings, wenn die Maßnahme den anderen nur irgendwie in seinem Marktstreben betrifft. Eine bloße Beeinträchtigung reicht zur Begründung eines Wettbewerbsverhältnisses nicht aus, wenn es an jeglichem Konkurrenzmoment im Angebots- oder Nachfragewettbewerb fehlt (BGH, GRUR 2018, 1251, Rn. 17 - Werbeblocker II; BGH, GRUR 2017, 918, Rn. 16 - Wettbewerbsbezug).
15
2. Diese Definition des konkreten Wettbewerbs durch den Bundesgerichtshof impliziert einen dualen Mitbewerberbegriff (vgl. Köhler, in Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 37. Aufl. 2019, § 2 Rn. 107a). Das dafür erforderliche konkrete Wettbewerbsverhältnis besteht einerseits bei Substitutionswettbewerb und andererseits bei Behinderungswettbewerb (vgl. auch Fezer, in Fezer/Büscher/Obergfell, Lauterkeitsrecht, 3. Aufl. 2016, § 2 Abs. 1 Nr. 3 UWG, Rn. 49 f.).
16
a) Einerseits ist ein Wettbewerbsverhältnis beim Vorliegen von sogenanntem Substitutionswettbewerb zu bejahen. Dies setzt voraus, dass die Parteien versuchen, gleichartige Waren oder Dienstleistungen innerhalb desselben Endverbraucherkreises abzusetzen (BGH, GRUR 2014, 1114, Rn. 27 - nickelfrei), also sich die beteiligten Unternehmen auf demselben sachlich, räumlich und zeitlich relevanten Markt betätigen, ohne dass sich der Kundenkreis und das Angebot der Waren oder Dienstleistungen vollständig decken müssen (BGH, GRUR 2014, 573, Rn. 15 - Werbung für Fremdprodukte). Es kommt darauf an, ob aus der Sicht der angesprochenen Verkehrskreise die angebotenen Waren oder Dienstleistungen austauschbar sind.
17
Das ist insbesondere der Fall, wenn Konkurrenzunternehmen oder Konkurrenzangebote (Waren oder Dienstleistungen) einander gegenüberstehen und dem Werbeadressaten dabei Kaufalternativen aufgezeigt werden, die geeignet sind, die Kaufentscheidung des Umworbenen zu beeinflussen. Entscheidend ist, ob ein durchschnittlich informierter, verständiger und aufmerksamer Durchschnittsverbraucher eine Substitution ernsthaft in Betracht zieht (BGH, GRUR 2002, 828, 829 - Lottoschein). Einen derartigen Substitutionswettbewerb bejahte der Bundesgerichtshof beispielsweise zwischen Prostituierten und dem Betreiber einer Bar, in denen Prostituierten und deren Kunden sexuelle Kontakte ermöglicht werden (BGH, GRUR 2006, 1042, Rn. 14 - Kontaktanzeigen). Dagegen verneinte er beispielsweise die Mitbewerbereigenschaft von einer Anwaltskanzlei und einem Versender von Newslettern mit Informationen für Kapitalanleger (BGH, GRUR 2009, 980, Rn 9 - E-Mail-Werbung II).
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b) Andererseits besteht die Mitbewerbereigenschaft auch beim Vorliegen von sogenanntem Behinderungswettbewerb (konkretes Wettbewerbsverhältnis im weiteren Sinne).
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Ein konkretes Wettbewerbsverhältnis kann auch dadurch begründet werden, dass sich der Verletzer durch seine Verletzungshandlung im konkreten Fall in irgendeiner Weise in Wettbewerb zu dem Betroffenen stellt (BGH, a.a.O., Rn. 17 - Werbung für Fremdprodukte). Das dadurch begründete Wettbewerbsverhältnis kann als Behinderungswettbewerb (vgl. Köhler, in Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 37. Aufl. 2019, § 2 Rn. 109; Sosnitza, in Ohly/Sosnitza, UWG, 7. Aufl. 2016, § 2 Rn. 63) oder „Wettbewerbsverhältnis durch Wettbewerbsverstoß“ (Götting, in Götting/Nordemann, UWG, 3. Aufl. 2016, § 2 Rn. 41) bezeichnet werden.
20
Allerdings löst nicht jede nachteilige Auswirkung einer Wettbewerbsmaßnahme auf Dritte bereits ein Wettbewerbsverhältnis aus; für die Mitbewerberstellung genügt nicht, dass die Klägerin durch die angegriffene Wettbewerbshandlung irgendwie in ihrem eigenen Marktstreben betroffen ist oder sich die streitgegenständliche Tätigkeit der Beklagten negativ auf die Geschäftstätigkeit der Klägerin auszuwirken vermag (BGH, a.a.O. Rn. 20 - Wettbewerbsbezug; OLG Köln, WRP 2017, 1007, Rn. 19 - Pannenhilfe). Vielmehr muss eine Wechselwirkung der von der beanstandeten Handlung ausgelösten Vor- und Nachteile bestehen, was nur dann der Fall ist, wenn die von den Parteien angebotenen Waren oder Dienstleistungen einen wettbewerblichen Bezug zueinander aufweisen (BGH, a.a.O. Rn. 19 - Wettbewerbsbezug).
21
Einen derartigen wettbewerblichen Bezug hat der Bundesgerichtshof beispielsweise angenommen zwischen dem Betrieb eines Hotelbewertungsportals, das mit einem Online-Reisebüro verbunden ist, und dem Betrieb eines Hotels, das auf dem Bewertungsportal negativ bewertet worden ist, weil beide Hotelbuchungen absetzen (vgl. BGH, GRUR 2015, 1129, Rn. 19 - Hotelbewertungsportal). Der wettbewerbliche Bezug zwischen dem Angebot angeblich nickelfreier Edelstahlketten und der Vermarktung eines Patents zur Herstellung von nickelfreiem Edelstahl als Werkstoff für Schmuck besteht in der nickelfreien Beschaffenheit des Endprodukts (vgl. BGH, GRUR 2014, 1114 Rn. 35 - nickelfrei). Ein konkretes Wettbewerbsverhältnis kann ferner vorliegen, wenn der Verletzer eine Ware oder Dienstleistung als Substitut der Ware oder Dienstleistung des Betroffenen anbietet (BGH, GRUR 1972, 553 - Statt Blumen ONKO-Kaffee). Auch bei einem Unternehmen, das werbefinanzierte redaktionelle Inhalte anbietet, und einem anderen Unternehmen, das Software zur Unterdrückung von Werbung auf Internetseiten vertreibt, besteht eine wettbewerbliche Wechselwirkung, weil sich beide Parteien mit ihrem Angebot an Nutzer redaktioneller Gratisangebote, die durch begleitende Werbung finanziert werden, wenden (BGH, GRUR 2018, 1251 Rn. 18 - Werbeblocker II).
22
Dagegen ist der wettbewerbliche Bezug zwischen einem Anbieter geschlossener Immobilienfonds und einer auf Kapitalmarktrecht spezialisierten Rechtsanwaltsgesellschaft, die im Internet zum Zwecke der Akquisition anwaltlicher Beratungsmandate Pressemitteilungen zu dem Fondsanbieter veröffentlicht, zu verneinen (BGH, GRUR 2017, 918, Rn. 20 - Wettbewerbsbezug). Auch zwischen einem Sachversicherer, der Kfz-Schutzbriefe anbietet, aus denen er dem Versicherungsnehmer Kosten für Pannenhilfeleistungen ersetzt, und einem Abschleppunternehmen, das sich im Pannenfall von havarierten ADAC-Mitgliedern Ansprüche gegen den Versicherer abtreten lässt, besteht kein konkretes Wettbewerbsverhältnis (OLG Köln, WRP 2017, 1007, Rn. 19 - Pannenhilfe).
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c) Ausreichend ist jeweils die Förderung fremden Wettbewerbs. In diesem Fall muss das konkrete Wettbewerbsverhältnis zwischen dem geförderten Unternehmen und dessen Mitbewerber bestehen. Dieser kann deshalb gegen den Fördernden vorgehen, sofern er durch die Förderung des dritten Unternehmens in eigenen wettbewerbsrechtlich geschützten Interessen berührt ist. Die Begründung der Anspruchsberechtigung findet ihren inneren Grund hier insbesondere darin, dass stets das zu beurteilende Wettbewerbsverhalten den Anknüpfungspunkt für die Beurteilung der Mitbewerbereigenschaft eines Unternehmens bildet. Es geht bei der beanstandeten Wettbewerbshandlung mithin um die Förderung fremden Wettbewerbs (BGH, GRUR 2014, 573, Rn. 19 - Werbung für Fremdprodukte). Dies bedeutet jedoch nicht, dass bezüglich des zunächst festzustellenden Wettbewerbsverhältnisses der sonst erforderliche Bezug zum Absatzmarkt entfällt und es nunmehr ausreicht, dass das klagende Unternehmen allgemein in seiner Wirtschaftlichkeit beeinträchtigt wird (OLG Köln, WRP 2017, 1007, Rn. 20). Der erforderliche objektive Zusammenhang zwischen der in Rede stehenden Handlung und der Drittabsatzförderung ist vielmehr nur gegeben, wenn die Handlung bei objektiver Betrachtung jedenfalls auch darauf gerichtet ist, den fremden Absatz zu fördern (OLG Frankfurt, WRP 2014, 1483, Rn. 7).
24
3. Unter Zugrundelegung dieses rechtlichen Maßstabs kann im vorliegenden Fall die Mitbewerbereigenschaft zwischen den Parteien allenfalls in Bezug auf den sogenannten Behinderungswettbewerb (Wettbewerbsverhältnis im weiteren Sinne) bejaht werden.
25
a) Die Parteien versuchen nicht, gleichartige Dienstleistungen innerhalb desselben Endverbraucherkreises abzusetzen. Sie befinden sich somit - auch wenn ihre Tätigkeit auf demselben sachlich relevanten Markt (Lebensversicherungen) anzusiedeln ist - nicht im Substitutionswettbewerb. Denn die Tätigkeiten betreffen keine auswechselbaren Leistungen, da die Klägerin - ein Versicherungsunternehmen - Kapitallebensversicherungsverträge anbietet, während die Beklagte - als gewerblicher Ankäufer von Forderungen und Rechten aus Versicherungsverträgen - auf dem Zweitmarkt derartige Versicherungen ankauft und verwertet. Durch die Tätigkeit der Beklagten werden allenfalls mittelbar andere Finanzdienstleistungen gefördert, bei denen bisherige Versicherungsnehmer der Beklagten ihr Geld künftig anlegen (so auch OLG Nürnberg, Beschluss vom 25.08.2011 - 3 U 1504/11). Damit ist - wie das Erstgericht zutreffend ausführt - eine Gleichartigkeit und Austauschbarkeit der angebotenen Produkte zu verneinen, weil die Beklagten keine mit einer Lebens- oder Rentenversicherung vergleichbare, auf eine Versorgung in der Zukunft gerichtete Geldanlage, sondern den Versicherungskunden die sofortige Auszahlung des im Rahmen eines Lebens- oder Rentenversicherungsvertrags angesparten Kapitals - also gerade keine Kapitalanlage - anbieten.
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b) Auch eine - die Klagebefugnis und Aktivlegitimation der Klägerin begründende - Förderung fremden Wettbewerbs durch die Beklagte zu 1) ist nicht dargetan.
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Aufgrund des Sachvortrags der Parteien und der vorgelegten Unterlagen steht fest, dass die Beklagte zu 1) die Versicherungsverträge kündigt und dem (ehemaligen) Versicherungsnehmer den wesentlichen Teil des Rückkaufswerts auszahlt, wobei der Versicherungsnehmer berechtigt ist, zu bestimmen, an wen die Kaufpreiszahlung erfolgen soll. Soweit die Klagepartei vorträgt, dass aufgrund dessen das zuvor im Versicherungsvertrag gebundene Kapital in eine provisionspflichtige Neuanlage eines anderen Emittenten fließen könne, führt dies nicht zu einem mittelbaren Wettbewerbsverhältnis zu einem „anderen Emittenten“. Denn es ist völlig unklar, ob die ehemaligen Versicherungsnehmer das wegen der Kündigung gewonnene Kapital überhaupt anlegen. Möglicherweise wurde der Vertrag aus anderen Gründen beendet, beispielsweise, weil der (ehemalige) Versicherungsnehmer Barmittel benötigte. Darüber hinaus ist vollkommen offen, welcher „andere Emittent“ von einer eventuellen Anlageentscheidung profitieren würde. Daher kann auch nicht festgestellt werden, ob es sich bei diesem - möglicherweise geförderten - Anbieter um einen Mitbewerber der Klägerin handelt.
28
Aus dem gleichen Grund kann auch kein mittelbares Wettbewerbsverhältnis unter Berücksichtigung der Einschaltung von Finanzanlagevermittlern angenommen werden. Denn es fehlt jeglicher konkreter Vortrag dazu, dass diese den (ehemaligen) Versicherungsnehmern ein substituierendes Kapitalanlageprodukt vermitteln würden, zumal die Beklagte zu 1) in den Kauf- und Abtretungsverträgen ausdrücklich darauf hinweist, dass sie lediglich mit dem Ankauf befasst sei und gegenüber dem Verkäufer nicht anlageberatend tätig werde. In diesem Zusammenhang ist auch zu berücksichtigen, dass es für die Annahme der Förderung fremden Wettbewerbs nicht ausreicht, dass die Klagepartei allgemein in ihrer Wirtschaftlichkeit beeinträchtigt ist.
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Eine andere Beurteilung ist auch nicht deshalb veranlasst, weil sich den vorgelegten Anlagen (vgl. Anlagen K 5 ff.) entnehmen lässt, dass die Beklagte zu 1) gegenüber der Klägerin die Abtretung des Auszahlungsanspruches an die Bank M… H… S… oHG anzeigte. Denn dabei handelt es sich um eine reine Sicherungszession.
30
c) Dagegen besteht zwischen der Klägerin und den Beklagten ein konkretes Wettbewerbsverhältnis i.S.v. Behinderungswettbewerb (Wettbewerbsverhältnis im weiteren Sinne).
31
aa) Die dafür notwendige Wechselbeziehung zwischen den Vorteilen, die die Beklagte zu 1) durch die streitgegenständlichen Kauf- und Abtretungsvereinbarungen zu erreichen sucht, und den Nachteilen, die die Klägerin dadurch erleidet, ist zu bejahen. Denn durch die - regelmäßig erfolgende - vorzeitige Kündigung der Versicherungsvertragsverhältnisse kann der Wettbewerb der Klägerin beeinträchtigt werden, weil ihr dadurch unmittelbar Erwerbschancen entgehen.
32
Für die Wechselbeziehung ist nicht entscheidend, ob das angegriffene Verhalten der Beklagten erst im Nachgang zu bereits bestehenden Versicherungsverträgen zum Tragen kommt. Dies ergibt sich aus dem Rechtsgedanken des § 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG, wonach es für das Vorliegen einer „geschäftlichen Handlung” - anders als nach altem Recht - keine Rolle spielt, ob diese bei oder nach einem Geschäftsabschluss erfolgt. In diesem Zusammenhang ist auch zu berücksichtigen, dass nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs an das Bestehen eines konkreten Wettbewerbsverhältnisses im Interesse eines wirksamen wettbewerbsrechtlichen Individualschutzes keine hohen Anforderungen zu stellen sind. Auch der Bundesgerichtshof hat beispielsweise bei einem Angebot werbefinanzierter redaktioneller Inhalte im Internet durch die Klagepartei und der Bereitstellung einer Software zur Unterdrückung von Werbung auf Internetseiten durch die Beklagtenpartei bei der Prüfung eines konkreten Wettbewerbsverhältnisses nicht darauf abgestellt, zu welchem Zeitpunkt die angegriffene Handlung der Beklagten die Nachteile bei der Klägerin bewirkt (vgl. BGH, GRUR 2018, 1251 Rn. 18 - Werbeblocker II).
33
bb) Die darüber hinaus für ein Konkurrenzverhältnis erforderliche wettbewerbliche Wechselwirkung ist bei einer Partei wie der Klägerin, die Versicherungsverträge abschließt, und einer Partei wie der Beklagten zu 1), die Kaufverträge über die Ansprüche aus bereits früher abgeschlossenen Versicherungsverträgen vereinbart, nach Maßgabe des weiteren Verständnisses des Bundesgerichtshofs (vgl. BGH, GRUR 2018, 1251 Rn. 18 - Werbeblocker II) gegeben.
34
Zwar sind die Unternehmenszwecke beider Parteien und die von ihnen angesprochenen Kundenkreise unterschiedlich. Die Klägerin wendet sich an Kunden, die an einer Geldanlage durch den Abschluss von Lebens- oder privaten Rentenversicherungen interessiert sind. Dagegen wendet sich die Beklagte zu 1) als Versicherungsaufkäuferin an Kunden, die bereits einen entsprechenden Versicherungsvertrag abgeschlossen haben; ihr Interesse bezieht sich nicht primär auf die Nutzung des Kapitals der Kunden, sondern auf das Verdienen der „Servicegebühr“ aus dem Kauf- und Abtretungsvertrag.
35
Dennoch bietet die Beklagte zu 1) diesen Kunden bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise ein gegenüber dem ursprünglich abgeschlossenen Vertrag insoweit modifiziertes „Austausch-Produkt“ an, als der Versicherungskunde durch ihre Dienstleistung an das bei der Klägerin angesparte Kapital kommt (vgl. OLG Hamm, GRUR-RR 2014, 450, 451 - Zweitmarkt). Das Wirtschaftsgut, um welches beide Parteien ringen, ist somit das Anlagevermögen der Kunden. Die Klägerin möchte daraus weiterhin wirtschaftliche Vorteile ziehen, die Beklagte zu 1) will diesen gegenwärtigen Absatzgewinn der Klägerin beenden und im untechnischen Sinn auf sich „umleiten“. Der Erfolg des Marktauftritts bedingt - wenn der jeweilige Versicherungsnehmer dem Ansinnen der Beklagten folgt - notwendig den Nachteil hinsichtlich der Marktteilhabe des anderen. Beide Parteien sind daher um den wirtschaftlichen Streit um das Kundenvermögen unmittelbar miteinander verbunden (vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 14.11.2013 - 2 U 59/13, Anlage K 19).
36
Zwar steht es nach § 1 des streitgegenständlichen Kauf- und Abtretungsvertrags der Beklagten zu 1) als Aufkäuferin frei, den Versicherungsvertrag auf eigene Rechnung weiterzuführen oder zu kündigen. In der überwiegenden Anzahl der Fälle wird sich die Beklagte zu 1) jedoch für die Kündigung entscheiden. Dies ergibt sich bereits aus dem unstreitigen Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils, gegen das sich die Parteien nicht gewandt haben. Dort heißt es:
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Die Beklagte ist […] als gewerblicher Ankäufer von Forderungen und Rechten aus Versicherungsverträgen tätig, wobei sie […] als „Kauf- und Abtretungsvertrag von Renten- oder Lebensversicherungen bzw. Bausparverträgen“ bezeichnete Verträge abschließt (K 4 - 6), die durch die Kündigung der Versicherungsverträge entstehenden Ansprüche auf Auszahlung des Rückkaufswerts in der Regel an die M… H… S… OHG (HRA 2…, Amtsgericht Hamburg) abtritt und von dieser im Streitfall zur gerichtlichen und außergerichtlichen Geltendmachung ermächtigt wird.
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Dies ist für die Annahme von Behinderungswettbewerb ausreichend.
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4. Bei den Voraussetzungen eines konkreten Wettbewerbsverhältnisses ist nach dem Schutzzweck der verletzten Norm zu differenzieren (vgl. dazu Köhler, GRUR 2019, 123 ff.). Besteht das konkrete Wettbewerbsverhältnis lediglich aufgrund von Behinderungswettbewerb, können nur die sogenannten mitbewerberbezogenen Tatbestände geltend gemacht werden. Daher ist im vorliegenden Fall die Klägerin lediglich in Bezug auf derartige Tatbestände als Mitbewerberin der Beklagten anzusehen.
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a) Die Tatbestände der §§ 3 ff. UWG haben unterschiedliche Schutzzwecke. Es gibt zum einen Vorschriften, die nur Verbraucher (wie beispielsweise § 5a Abs. 2 UWG), oder zusätzlich sonstige Markteilnehmer (wie beispielsweise §§ 4a, 5 und 5a Abs. 1 UWG) schützen. Zum anderen gibt es Vorschriften, die darüber hinaus auch den Schutz von Mitbewerbern (wie beispielsweise §§ 3a, 7 UWG) oder nur den Schutz von Mitbewerbern bezwecken (wie beispielsweise § 4 UWG).
41
Für die Differenzierung, wonach ein konkretes Wettbewerbsverhältnis im weiteren Sinne (Behinderungswettbewerb) nur bei sogenannten mitbewerberbezogenen Tatbeständen ausreichend ist, spricht zum einen die Notwendigkeit der richtlinienkonformen Auslegung bei verbraucherschützenden Regelungen und insbesondere des unionsrechtlichen Hintergrunds des Mitbewerberbegriffs in § 6 Abs. 1 und 2 UWG (Erdmann, Pommerening, in Gloy/Loschelder/Danckwerts, Handbuch des Wettbewerbsrechts, 5. Aufl. 2019, § 33 (Mitbewerber) Rn. 38b; vgl. auch Ohly, GRUR 2017, 441, 447). Soweit sich § 8 Abs. 3 Nr. 1 UWG auf Vorschriften bezieht, die verbraucherschützende Regelungen der Richtlinie 2005/29/EG vom 11.05.2005 über unlautere Geschäftspraktiken von Unternehmen gegenüber Verbrauchern im Binnenmarkt (UGP-Richtlinie) umsetzen, ist die Norm richtlinienkonform auszulegen. Denn § 8 Abs. 3 Nr. 1 UWG dient insoweit auch der Umsetzung von Art. 11 Abs. 1 UGP-Richtlinie. Nach dem EuGH beruht die Einstufung von Unternehmen als „Mitbewerber” bei der vergleichenden Werbung definitionsgemäß auf der Substituierbarkeit der Waren oder Dienstleistungen, die sie auf dem Markt anbieten (EuGH, GRUR 2007, 511, Rn. 28 - De Landtsheer/CIVC). Dabei könne von einem gewissen Grad der Substitution ausgegangen werden, wenn die Waren in gewisser Weise gleichen Bedürfnissen dienen können (EuGH, a.a.O., Rn. 30 - De Landtsheer/CIVC). Dieser Auslegung entspricht die Definition eines konkreten Wettbewerbsverhältnisses im engen Sinne (Substitutionswettbewerb). Auch wenn lediglich der Mitbewerberbegriff in § 6 Abs. 1 UWG richtlinienkonform auszulegen ist und die Auslegung im Übrigen nach dem autonomen deutschen Recht zu erfolgen hat, sollte sich die Auslegung in Zweifelsfällen an dem Verständnis der Richtlinienbegriffe orientieren.
42
Für diese Differenzierung spricht zum anderen die Systematik innerhalb des UWG. Denn bei der Verletzung verbraucherschützender Vorschriften können nach § 8 Abs. 3 UWG jeder Mitbewerber sowie Verbände und Kammern Ansprüche geltend machen, bei mitbewerberschützenden Vorschriften kann dies dagegen nur der konkret betroffene Mitbewerber (vgl. BGH, GRUR 2017, 92 Rn. 31 - Fremdcoupon-Einlösung). Die somit bei verbraucherschützenden Vorschriften auch anspruchsberechtigten Verbände müssen nach § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG Waren oder Dienstleistungen gleicher oder verwandter Art auf demselben Markt vertreiben. Es spricht daher die systematische Auslegung von § 8 Abs. 3 UWG dafür, bei verbraucherschützenden Regelungen nur Mitbewerber im Sinne eines Substitutionswettbewerbs als anspruchsberechtigt anzusehen.
43
Schließlich ist der Sinn und Zweck von § 8 Abs. 3 Nr. 1 UWG zu berücksichtigen. Die Vorschrift hat, was die Verletzung verbraucherschützender Vorschriften betrifft, eine Kollektivschutzfunktion: Die Anspruchsberechtigung eines jeden Mitbewerbers des Verletzers rechtfertigt sich daraus, dass die unmittelbar betroffenen Verbraucher keine eigenen lauterkeitsrechtlichen Ansprüche auf Unterlassung und Beseitigung haben. Zum Ausgleich dafür weist § 8 Abs. 3 UWG den Mitbewerbern, Verbänden und Kammern die Aufgabe eines fremdnützigen Schutzes zu. Bei Zuwiderhandlungen gegen mitbewerberschützende Vorschriften hat § 8 Abs. 3 Nr. 1 UWG hingegen eine Individualschutzfunktion, da nur der konkret betroffene Mitbewerber diese Ansprüche geltend machen kann. Dies spricht dafür, bei verbraucherschützenden Vorschriften ein Wettbewerbsverhältnis im weiten Sinne nicht ausreichen zu lassen, weil es bei diesen nur um den Schutz der kollektiven Interessen, nicht aber um Individualschutz geht.
44
b) Auch die Kommentarliteratur unterscheidet überwiegend beim Wettbewerbsverhältnis zwischen mitbewerberbezogenen und verbraucherbezogenen geschäftlichen Handlungen (vgl. Keller, in Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, UWG, 4. Aufl. 2016, § 2 Rn. 134 f.; Köhler, in Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG 37. Aufl. 2019, § 2 Rn. 109c und Rn. 93).
45
c) Eine andere Beurteilung ist auch nicht aufgrund Entscheidungen des Bundesgerichtshofs (BGH, GRUR 2014, 1114, - nickelfrei; BGH, GRUR 2018, 1251 - Werbeblocker II) veranlasst, wenngleich diese Entscheidungen den Senat dazu veranlassen, die Revision zuzulassen.
46
In dem Urteil „Nickelfrei“ bejahte der Bundesgerichtshof ein konkretes Wettbewerbsverhältnis zwischen dem Inhaber eines Nutzungsrechts an einem Patent, der Unterlizenzen an dem Patent erteilte, und einem Händler, zu dessen Sortiment Produkte gehörten, auf die sich das Patent bezog. Gegenstand der Entscheidung war zwar eine nach § 5 UWG irreführende Werbung der dortigen Beklagten mit der Angabe „nickelfrei“. Es fand durch diese Werbung jedoch - wie bei einer unlauteren Produktnachahmung i.S.v. § 4 Nr. 3 UWG - eine direkte Interaktion mit dem Mitbewerber dergestalt statt, dass sich der Werbende an Produktmerkmale eines Mitbewerbers „anhängte“. Denn eine Behinderungsmöglichkeit kann auch bei branchenverschiedenen Waren oder Leistungen vorliegen, wenn die Werbung für eine Ware oder Leistung darauf abzielt, eine zwar ganz andere, aber ähnliche Bedürfnisse befriedigende Ware oder Leistung zu verdrängen.
47
In dem Urteil „Werbeblocker II“ bejahte der Bundesgerichtshof ein konkretes Wettbewerbsverhältnis zwischen einem Unternehmen, das werbefinanzierte redaktionelle Inhalte anbietet, und einem anderen Unternehmen, das Software zur Unterdrückung von Werbung auf Internetseiten vertreibt. Zwar prüfte der Bundesgerichtshof das Klagebegehren der Klägerin sowohl unter dem Gesichtspunkt der Mitbewerberbehinderung (§ 4 Nr. 4 UWG) als auch wegen allgemeiner Marktstörung (§ 3 Abs. 1 UWG) und wegen aggressiver geschäftlicher Handlung (§ 4a UWG). Der Bundesgerichtshof verneinte jedoch bereits die Voraussetzungen dieser Tatbestände, weshalb es im Ergebnis auf eine gesonderte Prüfung und Bejahung der Aktivlegitimation nicht mehr entscheidungserheblich ankam.
48
5. Darüber hinaus ist lediglich in Bezug auf Berufungsantrag Ziffer II.1. unter dem Gesichtspunkt des Ausnutzens eines fremden Vertragsbruchs oder unter dem Gesichtspunkt des Einwirkens auf Kunden in unangemessener Weise - jeweils Tatbestände des Behinderungswettbewerbs - hinreichend dargetan, dass sich die Beklagte durch die - die Wiederholungsgefahr begründende - Verletzungshandlung im konkreten Fall in Wettbewerb zur Klägerin stellte.
49
a) Wie bereits ausgeführt, setzt die Annahme eines konkreten Wettbewerbsverhältnisses im weiten Sinne nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs voraus, dass sich der Verletzer durch seine Verletzungshandlung im konkreten Fall in irgendeiner Weise in Wettbewerb zu dem Betroffenen stellt. Entscheidend ist, ob zwischen den Vorteilen, die die eine Partei durch diese Verletzungshandlung für ihr Unternehmen oder das eines Dritten zu erreichen sucht, und den Nachteilen, die die andere Partei dadurch erleidet, eine Wechselwirkung in dem Sinne besteht, dass der eigene Wettbewerb gefördert und der fremde Wettbewerb beeinträchtigt werden kann (vgl. BGH, GRUR 2018, 1251, Rn. 17 - Werbeblocker II). Dies erfordert, dass das konkret beanstandete Wettbewerbsverhalten des einen Wettbewerbers den anderen beeinträchtigen, d.h. im Absatz behindern oder stören kann. Nicht ausreichend ist es, wenn die Maßnahme den anderen nur irgendwie in seinem Marktstreben betrifft (BGH, GRUR 2014, 1114, Rn. 32 - nickelfrei).
50
b) Diese Voraussetzung ist lediglich in Bezug auf Berufungsantrag Ziffer II.1. unter dem Gesichtspunkt des Ausnutzens eines fremden Vertragsbruchs oder unter dem Gesichtspunkt des Einwirkens auf Kunden in unangemessener Weise, jedoch nicht hinsichtlich der anderen Berufungsklageanträge erfüllt.
51
Es besteht eine Wechselbeziehung zwischen den Vorteilen, die die Beklagten durch Kauf- und Abtretungsvereinbarungen zu erreichen suchen, wenn dadurch ein Verleiten zum Vertragsbruch oder ein Einwirken auf Kunden in unangemessener Weise verbunden ist, und den Nachteilen, die die Klägerin dadurch erleidet. Denn dann - beim Vorliegen dieser Voraussetzungen der gezielten Mitbewerberbehinderung (§ 4 Nr. 4 UWG) - kann das konkret beanstandete Wettbewerbsverhalten die Klägerin beeinträchtigen. Ein konkretes Wettbewerbsverhältnis im weiten Sinne kann daher in Bezug auf Berufungsantrag Ziffer II.1. unter dem Gesichtspunkt des Ausnutzens eines fremden Vertragsbruchs oder unter dem Gesichtspunkt des Einwirkens auf Kunden in unangemessener Weise angenommen werden.
52
Eine andere Beurteilung ist hinsichtlich der Berufungsanträge Ziffern II.2. und II.4. veranlasst, mit denen die Klagepartei das Unterlassen bestimmter AGB-Klauseln in Kauf- und Abtretungsverträgen mit Versicherungsnehmern begehrt. Die Klägerin stützt diese Unterlassungsbegehren auf §§ 305 ff. BGB und begründet sie mit Verbraucherschutzaspekten. Die Verwendung von Klauseln, die nach dem Klägervortrag Versicherungsnehmer unangemessen benachteiligen können, beeinträchtigt jedoch nicht die Klägerin. Denn es ist weder dargetan noch ersichtlich, dass dadurch Verbraucher - zu Lasten eigener Marktchancen der Klägerin - angelockt oder beeinträchtigt werden könnten.
53
Die für die Mitbewerbereigenschaft erforderliche Wechselbeziehung der Parteien untereinander wird auch nicht dadurch geschaffen, dass die Beklagte nach dem Klägervortrag gegenüber Versicherungsnehmern irreführend mit Steuervorteilen wirbt (Berufungsantrag Ziffer II.3.). Denn durch diese Verletzungshandlung im konkreten Fall stellt sich die Beklagte nicht in Wettbewerb zur Klägerin. Zwar hat der Bundesgerichtshof eine Wechselbeziehung bei einem Patent zur Herstellung von nickelfreiem Edelstahl einerseits und dem Vertrieb von irreführend als „nickelfrei“ bezeichneten Edelstahlketten andererseits bejaht (BGH, GRUR 2014, 1114. Rn. 35 - nickelfrei). In diesem vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall bezog sich die Irreführung der Beklagten jedoch unmittelbar auf ein Merkmal des Produktes, welches die Klägerin lizenzierte. Die vorliegend streitgegenständliche Behauptung der Steuerersparnis bezieht sich dagegen nicht unmittelbar auf ein Produkt der Klägerin, sondern auf einen Vergleich zwischen einer Kündigung durch den Versicherungsnehmer und der Beklagten. Dass im weiteren Verlauf aufgrund der Werbung der Beklagten es zu einer Kündigung des Versicherungsvertrags mit der Klägerin kommen kann, die Werbung somit die Klägerin irgendwie in ihrem Marktstreben betrifft, reicht für die Begründung eines konkreten Wettbewerbsverhältnisses nicht aus.
II.
54
Die Klägerin hat keine Tatsachen dargetan, nach denen sich die geltend gemachten Ansprüche auf § 4 UWG (Mitbewerberschutz) stützen lassen.
55
1. Die Klägerin begehrt in Ziffer 1., dass die Beklagten es unterlassen, mit Versicherungsnehmern der Klägerin, die ihnen von Finanzanlagevermittlern zugeführt wurden, Kauf und Abtretungsvereinbarungen über die Rechte aus Lebensversicherungsverträgen mit monatlicher Kündigungsmöglichkeit abzuschließen, nach denen der Kaufpreis den Rückkaufswert der Lebensversicherung unterschreitet. Dieser Klageantrag kann nicht mit einem Anspruch wegen gezielter Mitbewerberbehinderung (§ 4 Nr. 4 UWG) begründet werden.
56
a) In rechtlicher Hinsicht ist von folgenden Grundsätzen auszugehen.
57
aa) Nach der Vorschrift des § 4 Nr. 4 UWG handelt unlauter, wer Mitbewerber gezielt behindert. Eine unlautere Behinderung von Mitbewerbern setzt eine Beeinträchtigung der wettbewerblichen Entfaltungsmöglichkeiten der Mitbewerber voraus, die über die mit jedem Wettbewerb verbundene Beeinträchtigung hinausgeht und bestimmte Unlauterkeitsmerkmale aufweist. Unlauter ist die Beeinträchtigung im Allgemeinen dann, wenn gezielt der Zweck verfolgt wird, Mitbewerber an ihrer Entfaltung zu hindern und sie dadurch zu verdrängen, oder wenn die Behinderung dazu führt, dass die beeinträchtigten Mitbewerber ihre Leistung am Markt durch eigene Anstrengung nicht mehr in angemessener Weise zur Geltung bringen können. Ob diese Voraussetzungen erfüllt sind, lässt sich nur aufgrund einer Gesamtwürdigung der Umstände des Einzelfalls unter Berücksichtigung der Interessen der Mitbewerber, Verbraucher und sonstigen Marktteilnehmer sowie der Allgemeinheit beurteilen (BGH, GRUR 2018, 1251, Rn. 23 -Werbeblocker II).
58
bb) Eine unlautere Mitbewerberbehinderung nach § 4 Nr. 4 UWG kann zum einen unter dem Gesichtspunkt des Ausnutzens eines fremden Vertragsbruchs bestehen.
59
Aus wettbewerbsrechtlicher Sicht besteht grundsätzlich kein Anspruch auf den Fortbestand eines einmal begründeten Vertragsverhältnisses. Der Kundenkreis ist kein geschütztes Rechtsgut. Der Kaufmann muss mit einer Kündigung seiner Kunden und dem Wettbewerb seiner Mitbewerber rechnen. Das Abwerben von Kunden gehört zum Wesen des Wettbewerbs, auch wenn die Kunden noch an den Mitbewerber gebunden sind. Das Bestimmen zu ordnungsgemäßer Vertragsauflösung unter Beachtung der gesetzlichen oder vertraglichen Kündigungsfristen ist daher wettbewerbsrechtlich grundsätzlich nicht zu beanstanden (BGH, GRUR 2002, 548, 549 - Mietwagenkostenersatz). Ebenso ist es wettbewerbskonform, Kündigungshilfe durch Hinweise auf Notwendigkeit, Frist und Form einer Kündigung zu leisten, solange dabei nicht unlautere Mittel eingesetzt werden (BGH, GRUR 2005, 603, 604 - Kündigungshilfe).
60
Ein Wettbewerbsverstoß unter dem Gesichtspunkt einer wettbewerbswidrigen Behinderung liegt auch nicht dann vor, wenn die Kunden gegen vertragliche Bezugsbindungen verstoßen. In diesen Fällen liegt allenfalls ein Ausnutzen fremden Vertragsbruchs vor, das noch keinen Wettbewerbsverstoß darstellt. Vertragliche Verpflichtungen, die ein Abnehmer gegenüber Dritten eingegangen ist, binden den an diesem Vertrag unbeteiligten Anbieter auch nicht in der Weise, dass ihm ein Ausnutzen des fremden Vertragsbruchs als Wettbewerbsverstoß zur Last gelegt werden könnte. Selbst wenn er die vertragliche Bindung eines Kunden kennt, handelt er grundsätzlich nicht wettbewerbswidrig, wenn er eine Bestellung dieses Kunden akzeptiert und ihn beliefert (BGH, GRUR 2006, 879, Rn. 12 - Flüssiggastank). Auch das bloße Sich-Hinwegsetzen über Vertragsbedingungen reicht für die Bewertung einer geschäftlichen Handlung als wettbewerbswidrig regelmäßig nicht aus, weil dies zu einer Verdinglichung schuldrechtlicher Pflichten führt, die mit der Aufgabe des Wettbewerbsrechts nicht im Einklang stünde. Erforderlich ist das Hinzutreten besonderer Umstände, die das Wettbewerbsverhalten als unlauter erscheinen lassen (BGH, GRUR 2014, 785, Rn. 35 - Flugvermittlung im Internet).
61
Dagegen ist das Verleiten zum Vertragsbruch gegenüber einem Mitbewerber grundsätzlich als unlauter anzusehen. Dies liegt vor, wenn gezielt und bewusst darauf hingewirkt wird, dass ein anderer eine ihm obliegende Vertragspflicht verletzt (BGH, GRUR 2009, 173, Rn. 31 - bundesligakarten.de). Voraussetzung dafür ist ein aktives Hinwirken zum Vertragsbruch, wofür ein Bestärken eines schon gefassten Entschlusses zum Vertragsbruch nicht ausreicht (OLG Frankfurt, GRUR-RR 2014, 69, 70).
62
bb) Zum anderen kann eine unlautere gezielte Mitbewerberbehinderung nach § 4 Nr. 4 UWG unter dem Gesichtspunkt des Einwirkens auf Kunden in unangemessener Weise bestehen.
63
Das Eindringen in einen fremden Kundenkreis und das Ausspannen sowie Abfangen von Kunden gehören grundsätzlich zum Wesen des Wettbewerbs. Eine unlautere Behinderung des Mitbewerbers liegt deshalb erst vor, wenn auf Kunden, die bereits dem Wettbewerber zuzurechnen sind, in unangemessener Weise eingewirkt wird, um sie als eigene Kunden zu gewinnen oder zu erhalten. Das ist insbesondere der Fall, wenn sich der Abfangende gewissermaßen zwischen den Mitbewerber und dessen Kunden stellt, um diesem eine Änderung seines Entschlusses aufzudrängen, die Waren oder Dienstleistungen des Mitbewerbers in Anspruch zu nehmen (BGH, GRUR 2017, 92, Rn. 16 - Fremdcoupon-Einlösung).
64
Die Unangemessenheit der Mittel ist unter anderem zu bejahen, wenn die potenziellen Kunden i.S.d. § 7 UWG unzumutbar belästigt werden (OLG Frankfurt, GRUR-RR 2017, 278, Rn. 20) oder wenn die Maßnahmen auf die Verdrängung des Mitbewerbers abzielen oder den Kunden unangemessen unsachlich beeinflussen (BGH, GRUR 2009, 416, Rn. 16 - Küchentiefstpreis-Garantie).
65
b) Unter Berücksichtigung dieses rechtlichen Maßstabs hat die Klagepartei die Anspruchsvoraussetzungen des § 4 Nr. 4 UWG weder unter dem Gesichtspunkt des Ausnutzens eines fremden Vertragsbruchs noch unter dem Gesichtspunkt des Einwirkens auf Kunden in unangemessener Weise dargetan.
66
aa) Die Klägerin begründet ihren Unterlassungsantrag im Wesentlichen damit, dass die Beklagte zu 1) mit Kunden, die durch Finanzanlagevermittler an sie vermittelt wurden, Verträge abschließe und an diese Vermittler 1% des an die Kunden zu zahlenden Kaufpreises ausbezahle, und dass die Finanzanlagevermittler durch die Beratung der Kunden in Richtung einer Liquidation des Rückkaufswerts über die Beklagte und einer Neuanlage des Kaufpreises auf dem „Grauen Kapitalmarkt“ diesen gegenüber vertragsbrüchig würden. Für die Vermittler sei erkennbar, dass das Geschäft mit der Beklagten zu 1) nicht wirtschaftlich sinnvoll sei, weshalb die Vermittler ihre gegenüber den Versicherungsnehmern bestehende Verpflichtung nach § 241 Abs. 2 BGB verletzen würden. Hierauf ziele das Geschäft der Beklagten zu 1) ab.
67
bb) Dieser Vortrag kann den gestellten Klageantrag, nach welchem der Beklagten allgemein untersagt werden soll, dass in Kauf und Abtretungsvereinbarungen der Kaufpreis den Rückkaufswert der Lebensversicherung unterschreitet, nicht auf der Grundlage einer gezielten Mitbewerberbehinderung rechtfertigen:
68
Dabei ist zum einen zu berücksichtigen, dass bei der von der Beklagten gewählten Vertragsgestaltung von einem selbständigen Vertrag i.S.e. Forderungskaufes auszugehen ist (vgl. OLG Nürnberg, Beschluss vom 17.01.2017 - 8 U 1726/16, OLG München, Beschluss vom 23.04.2017 - 25 U 4226/17).
69
Zum anderen schließt sich der Senat folgenden Ausführungen des Oberlandesgerichts München (Beschluss vom 23.04.2018 - 25 U 4226/17) an:
„Daraus ist ersichtlich, dass die Klägerin u.a. Lebensversicherungen aufkauft, und dem jeweiligen Verkäufer den Rückkaufswert abzüglich einer Servicegebühr 2,9%, mindestens 175 €, und abzüglich einer Vermittlungsprovision (1,2%) auszahlt, wobei der Verkäufer berechtigt ist, zu bestimmen, an wen die Kaufpreiszahlung erfolgen soll. Ersichtlich verdient die Klägerin an der Servicegebühr und an der Vermittlungsprovision; der Verkäufer (Versicherungsnehmer) erspart sich eine Auseinandersetzung mit der Beklagten, erhält den Kaufpreis schnell und unbürokratisch und erwirbt auch die Chance auf weitere Zahlungen (wenn Nachforderungen realisiert werden können). Dieses Geschäftsmodell weist keine außergewöhnlichen Umstände auf […]. Dass Kunden von Lebensversicherungsunternehmen sich dafür entscheiden, solche Versicherungen auch nach relativ kurzer Zeit mit Verlusten zu kündigen, beispielsweise um lästige Verträge zu beenden oder weil sie Barmittel benötigen, ist senatsbekannt nicht selten, ebenso, dass sie ihre Rechte verkaufen, um schneller über den Kaufpreis verfügen zu können.“
70
Darüber hinaus führt das Erstgericht zutreffend aus, dass die Klägerin nicht substantiiert vorträgt, dass die Beklagte gezielt und bewusst auf Finanzanlagevermittler einwirken würde, damit diese ihre Treuepflichten gegenüber ihren Auftraggebern verletzen. Auch in der Berufungsbegründung führt die Klägerin lediglich aus, dass die Beklagte Kenntnis von der Verpflichtung der Finanzanlagevermittler zur anlegergerechten Beratung habe und seit mehreren Jahren ihr Geschäftsmodell in zahlreichen Fällen gleichförmig umsetze. Dies ist jedoch bereits mit einem aktiven Hinwirken zum Vertragsbruch nicht gleichzusetzen. Darüber hinaus besteht nicht einmal zwingend eine entsprechende Treuepflicht zwischen den Finanzanlagevermittlern und den Kunden. Solche mögen zwar gegeben sein, wenn das zwischen diesen Personen bestehende Rechtsverhältnis als (Anlage-)beratungsvertrag zu qualifizieren ist; die Pflichten eines Finanzanlagevermittlers sind aber, weil dieser erkennbar im Lager des Kapitalsuchenden steht, weit geringer und erschöpfen sich im Wesentlichen darin, ein zutreffendes Bild zu zeichnen und keine unzutreffenden Erklärungen abzugeben. Dass Finanzanlagevermittler zwingend ihre Pflichten verletzt würden, wenn zugleich die Kündigung einer Lebensversicherung nahegelegt wird, kann daher nicht angenommen werden.
71
Auch ein Vertragsbruch der kündigenden Versicherungsnehmer gegenüber der Klagepartei ist nicht dargetan. Vielmehr machen diese lediglich - über die Beklagte zu 1) - von ihrem Kündigungsrecht Gebrauch.
72
Schließlich ist nicht dargetan, dass die gerügte Vertragsklausel auf die Verdrängung der Klägerin abzielen würde.
73
2. Die sonstigen Anträge, die sich gegen die Verwendung bestimmter (angeblich gegen §§ 307 ff. BGB verstoßender) Vertragsklauseln und (angeblich irreführender) Werbebehauptungen richten, können ebenfalls nicht auf § 4 UWG (Mitbewerberschutz) gestützt werden.
III.
74
Die von der Klägerin vorgebrachten Tatsachen rechtfertigen auch als deliktsrechtliche Ansprüche die Klageanträge nicht.
75
1. Der Klägerin steht kein Unterlassungsanspruch gemäß §§ 823 Abs. 1, 1004 BGB wegen eines rechtswidrigen Eingriffs in ihr Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb gegen die Beklagte zu.
76
a) Ein Anspruch wegen Verletzung des als sonstiges Recht i.S.v. § 823 Abs. 1 BGB geschützten eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs kommt in Betracht, wenn spezielle Schutzvorschriften zu Gunsten eines Unternehmens nicht durchgreifen. Der Schutz des § 823 Abs. 1 BGB wird gegen jede Beeinträchtigung des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb gewährt, wenn die Störung einen unmittelbaren Eingriff in den gewerblichen Tätigkeitskreis darstellt. Durch den dem eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb von der Rechtsprechung gewährten Schutz soll das Unternehmen in seiner wirtschaftlichen Tätigkeit und in seinem Funktionieren vor widerrechtlichen Eingriffen bewahrt bleiben. Die Verletzungshandlung muss sich gerade gegen den Betrieb und seine Organisation oder gegen die unternehmerische Entscheidungsfreiheit richten und über die bloße Belästigung oder eine sozial übliche Behinderung hinausgehen. Unmittelbare Eingriffe in das Recht am bestehenden Gewerbebetrieb, gegen die § 823 Abs. 1 BGB Schutz gewährt, sind nur diejenigen, die gegen den Betrieb als solchen gerichtet, also betriebsbezogen sind und nicht vom Gewerbebetrieb ohne weiteres ablösbare Rechte oder Rechtsgüter betreffen (BGH, GRUR 2014, 904, Rn. 12 - Aufruf zur Kontokündigung).
77
Das Recht am Gewerbebetrieb ist ein offener Tatbestand, dessen Inhalt und Grenzen sich erst aus einer Interessen- und Güterabwägung mit den konkret kollidierenden Interessen anderer ergeben. Die Behinderung der Erwerbstätigkeit ist nur dann rechtswidrig, wenn das Schutzinteresse des Betroffenen die schutzwürdigen Belange der anderen Seite überwiegt (BGH, a.a.O., Rn. 15 - Aufruf zur Kontokündigung).
78
Bei der gebotenen Abwägung der berechtigten Interessen der Beteiligten ist der Grundsatz zu berücksichtigen, dass im Rahmen der marktwirtschaftlichen Ordnung ein Einbrechen in fremde Vertragsbeziehungen erst dann als unzulässig anzusehen ist, wenn besondere, die Unlauterkeit begründende Umstände festzustellen sind (BGH, GRUR 1999, 364, 366/367 - Autovermietung).
79
b) Vor diesem Hintergrund können die streitgegenständlichen Ansprüche nicht mit einem Eingriff in das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb begründet werden. Der in Ziffer 1. geltend gemachte Unterlassungsanspruch beruht nicht auf besonderen, die Unlauterkeit begründenden Umständen (vgl. die obigen Ausführungen unter B.II.). Und die in Ziffern 2. bis 4. geltend gemachten Unterlassungsansprüche, die sich gegen die Verwendung bestimmter (angeblich gegen §§ 307 ff. BGB verstoßender) Vertragsklauseln und (angeblich irreführender) Werbebehauptungen richten, beruhen nicht auf einem unmittelbaren betriebsbezogenen Eingriff zu Lasten der Klagepartei.
80
2. Ansprüche aus § 823 Abs. 2 BGB kommen nicht in Betracht. Denn Schutzgesetze i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB sind nicht die §§ 3 und 7 UWG. Ansprüche und Anspruchsberechtigung wegen eines Verstoßes gegen §§ 3 und 7 UWG sind vielmehr abschließend in den §§ 8-10 UWG geregelt (Köhler, in Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 37. Aufl. 2019, Einl. Rn. 7.5).
81
3. Ein Anspruch aus § 826 BGB, der den Klageantrag Ziffer 1. rechtfertigen könnte, ist nicht dargetan.
82
a) Die Haftung nach § 826 BGB setzt ein sittenwidriges Verhalten des Schädigers voraus. Das Vorgehen muss gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstoßen, was eine besondere Verwerflichkeit erfordert (BGH, GRUR 2009, 871, Rn. 39 - Ohrclips).
83
Die Mitwirkung eines Dritten an dem Vertragsbruch einer Partei begründet für sich genommen nicht den objektiven Tatbestand der Sittenwidrigkeit; es müssen vielmehr besondere Umstände hinzutreten, die sein Verhalten als sittenwidrige Schädigung erscheinen lassen. In dem Eindringen des Dritten in die Vertragsbeziehungen muss ein besonderes Maß an Rücksichtslosigkeit gegenüber dem Geschädigten hervortreten (BGH, NJW 2014, 1380, Rn. 8).
84
Eine sittenwidrige Mitwirkung des Dritten am Vertragsbruch kann in den Zielen seines Vorgehens, insbesondere bei kollusivem Zusammenwirken mit dem Vertragsschuldner gerade zur Vereitelung der Ansprüche des betroffenen Vertragsgläubigers liegen, oder in der Anwendung verwerflicher Mittel zur Umstimmung des Vertragsschuldners, oder geprägt sein durch ein Missverhältnis von Zweck und Mittel, das in der besonderen Situation, in der das Vorgehen des Dritten den Vertragsgläubiger trifft, mit Grundbedürfnissen loyaler Rechtsgesinnung unvereinbar ist. Feststellungen hierzu können nur aufgrund einer Gesamtwürdigung aller Umstände des konkreten Einzelfalls getroffen werden. Dabei darf die Schwelle, von der ab der Einbruch in fremde Vertragsbeziehungen als Verstoß gegen die guten Sitten zu bewerten ist, nicht zu niedrig angesetzt werden. Nur wenn das Gesamtbild des Vorgangs signifikant den Grundanschauungen loyalen Umgangs unter Rechtsgenossen widerspricht, kann das Verhalten des Dritten als von den guten Sitten verboten und deshalb rechtswidrig angesehen werden (BGH, NJW 1981, 2184, 2185).
85
b) Unter Berücksichtigung dieses rechtlichen Maßstabs hat die Klagepartei die Anspruchsvoraussetzungen des § 826 BGB nicht dargelegt. Zum einen ist ein kollusives Zusammenwirken der Beklagten mit Anlagevermittlern nicht dargetan (vgl. die obigen Ausführungen unter B.II.1.b) bb)). Zum anderen würde dieses - unterstellte - kollusive Zusammenwirken nach dem Klagevortrag allenfalls zu Lasten der Versicherungsnehmer (und nicht der Klägerin) wirken. Und schließlich ist es von einer eigenen Entscheidung des Versicherungsnehmers abhängig, ob dieser seine Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag abtritt oder nicht.
IV.
86
Unabhängig davon ist eine Haftung der Beklagten zu 2) und 3) unter Berücksichtigung der Rechtsprechung zur Haftung eines Geschäftsführers für Wettbewerbsverstöße (vgl. BGH, GRUR 2014, 883 - Geschäftsführerhaftung) nicht dargetan.
C.
87
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 97 ZPO.
88
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 709, 711 ZPO.
89
Die Revision ist nach § 543 Abs. 2 Nr. 2 ZPO zur Fortbildung des Rechts - insbesondere in Bezug auf die Frage, ob im Lichte der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH, GRUR 2014, 1114, - nickelfrei; BGH, GRUR 2018, 1251 - Werbeblocker II) ein konkretes Wettbewerbsverhältnis im weiten Sinne (Behinderungswettbewerb) zwischen den Parteien besteht - zuzulassen.
90
Die Festsetzung des Streitwerts erfolgt in Anwendung von §§ 3 ZPO, 47, 48, 51 Abs. 2 GKG.