Inhalt

VG Augsburg, Urteil v. 13.11.2019 – Au 3 K 19.50619
Titel:

Rechtmäßige Abschiebungsanordnung - inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis ohne Auswirkung

Normenketten:
AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 1 lit. a
AsylG § 34a Abs. 1 S. 1, S. 4
Leitsätze:
1. Inlandsbezogene Vollstreckungshindernisse wirken sich grundsätzlich weder auf die Rechtmäßigkeit einer Abschiebungsandrohung noch auf die Rechtmäßigkeit einer Abschiebungsanordnung aus. (Rn. 14 – 15)
2. Im Sinn von § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG steht fest, dass die Abschiebung durchgeführt werden kann, wenn sie voraussichtlich alsbald nach Bescheidserlass durchgeführt werden kann. (Rn. 15)
Schlagworte:
unzulässiger Asylantrag, Abschiebungsandrohung nach Italien, Asylbewerber, nigerianischer Staatsangehöriger, Abschiebungsandrohung, Reiseunfähigkeit, inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis
Fundstelle:
BeckRS 2019, 29721

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Tatbestand

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Die Klägerin, nach eigenen Angaben nigerianische Staatsangehörige, stellte am x.x.2019 in * einen Asylantrag. Nachdem eine EURODAC-Abfrage ergeben hatte, dass sie bereits früher in Italien einen Asylantrag gestellt hatte, richtete das Bundesamt am 2. April 2019 ein Übernahmeersuchen an Italien, das die dort für den Vollzug der Dublin III-VO zuständige Behörde am 9. April 2019 akzeptierte.
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Am x.x.2019 wurde die Klägerin Mutter einer Tochter.
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Mit Bescheid vom 22. Juli 2019 lehnte das Bundesamt den Asylantrag als unzulässig ab, verneinte das Vorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG und drohte die Abschiebung nach Italien an, falls die Klägerin die gesetzte Ausreisefrist nicht einhalte. Zudem wurde das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf 15 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet. Da die Klägerin am 14. Juni 2019 ein Kind zur Welt gebracht habe, liege ein temporäres Abschiebungsverbot vor. Aufgrund der Anwendung des Mutterschutzgesetzes sei bis zum 9. August 2019 davon auszugehen, dass die Reisefähigkeit der Klägerin erheblich beeinträchtigt sei. In Bezug auf die vorgetragene Ehe habe sie keine Unterlagen vorlegen können. Aus Verlöbnissen oder sonstigen Partnerschaften, die nicht staatlich registriert und anerkannt seien, könnten ausländerrechtlich keine Ansprüche abgeleitet werden. Nach Aktenlage bestehe keine zivilrechtlich wirksame Ehe, so dass der Lebensgefährte der Klägerin kein Mitglied der Kernfamilie sei.
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Am 31. Juli 2019 erhob die Klägerin Klage und beantragte,
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den Bescheid des Bundesamts vom 22. Juli 2019 aufzuheben und festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG für sie vorliegen, sowie das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf Null zu befristen.
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Die Klägerin habe aufgrund politischer Verfolgung ihr Heimatland Nigeria verlassen und Zuflucht in der Bundesrepublik Deutschland gesucht. Sie habe gegenüber der Beklagten einen Rechtsanspruch auf die Durchführung des Asylverfahrens in eigener Zuständigkeit. Denn ihr drohten in den italienischen Aufnahmeeinrichtungen Zustände mit systemischen Schwachstellen, die die Gefahr einer unmenschlichen und entwürdigenden Behandlung mit sich brächten. Eine Sicherstellung von Unterkunft, Ernährung und medizinischer Versorgung sei allenfalls für die ersten sechs Monate des Asylverfahrens sichergestellt, dann würden die Ausländer der Obdachlosigkeit anheimfallen. Die große Mehrheit der Asylsuchenden sei dann ungeschützt ohne Obdach, Integrationshilfe und gesicherten Zugang zu Nahrung. Die Betroffenen übernachteten in Parks, in leerstehenden Häusern und überlebten dank der Hilfe von caritativen Organisationen. Aufgrund dieser Situation in Italien sei von ihrer Rückführung nach Italien abzusehen und das Asylverfahren in der Bundesrepublik Deutschland durchzuführen.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Akteninhalt verwiesen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage ist unbegründet.
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1. Das Bundesamt hat zu Recht den Asylantrag der Klägerin gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a AsylG als unzulässig abgelehnt, weil Italien für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Da Italien das Übernahmeersuchen des Bundesamts akzeptiert hat, ist es verpflichtet, die Klägerin wieder aufzunehmen und angemessene Vorkehrungen für ihre Ankunft zu treffen (vgl. Art. 25 Abs. 2 Dublin III-VO).
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Systemische Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen, die für Asylbewerber die Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinn des Art. 4 EU-Grundrechte-Charta mit sich bringen würden, gibt es in Italien nicht (vgl. BVerwG, B.v. 6.6.2014 - 10 B 35.14 - juris Rn. 5 f.; OVG NRW, U.v. 7.3.2014 - 1 A 21/12.A - juris Rn. 65 ff. m.w.N.; U.v. 22.9.2016 - 13 A 2448/15.A - juris Rn. 72 ff.; NdsOVG, U.v. 4.4.2018 - 10 LB 96/17 - juris; BayVGH, B.v. 9.1.2019 - 10 CE 19.67 - juris). Daran hat auch der Regierungswechsel im Juni 2018 nichts geändert. Zwar ist seitdem die Ausländer- und Asylpolitik Italiens wesentlich restriktiver geworden, es liegen aber keine durchgreifenden Anhaltspunkte dafür vor, dass dies zu systemischen Mängeln des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen geführt hätte. Da die Zahl der über das Mittelmeer nach Italien kommenden Flüchtlinge und Migranten im letzten Jahr stark zurückgegangen ist, dürften sich die dortigen Aufnahmebedingungen im Vergleich zum Vorjahr sogar verbessert haben. Die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung hält daher ganz überwiegend daran fest, dass Rückführungen nach Italien rechtlich zulässig sind. Ergänzend wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die zutreffende Begründung des angefochtenen Bescheids Bezug genommen, mit der die Lage von Asylbewerbern in Italien ausführlich dargestellt wird (§ 77 Abs. 2 AsylG).
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Etwas anderes ergibt sich auch nicht im Hinblick darauf, dass die Klägerin Mutter eines erst wenige Monate alten Kindes ist. Nach den Erkenntnissen des Gerichts ist in Italien eine besondere Rücksichtnahme auf Frauen mit Kleinkindern gewährleistet, so dass auch insoweit keine systemischen Mängel bestehen. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die Begründung des angefochtenen Bescheids Bezug genommen (§ 77 Abs. 2 AsylG). Mittlerweile ist das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 4. November 2014 im Verfahren Tarakhel ./. Schweiz (Az. 29217/12) überholt. Damals hat der EGMR - bezogen auf den Sachstand im Jahr 2014 - entschieden, dass die Schweizer Behörden die Abschiebung einer Familie nach Italien nicht vornehmen dürfen, ohne vorher individuelle Zusicherungen der italienischen Behörden erhalten zu haben, dass die Familie in Italien in einer dem Alter der Kinder entsprechenden Weise aufgenommen und die Familieneinheit gewahrt wird. Italien hat auf diese Rechtsprechung reagiert und insbesondere die Betreuungsplätze für Familien ausgebaut. Vor diesem Hintergrund hat der EGMR mit Urteil vom 4. Oktober 2016 (Az. 30474/14) entschieden, dass die allgemeinen Zusicherungen Italiens zum Schutz vulnerabler Personen als Garantien im Sinn der Tarakhel-Rechtsprechung zu akzeptieren sind und ausreichen. Dies gilt auch zum gegenwärtigen Zeitpunkt (vgl. VG Ansbach, B.v. 15.4.2019 - AN 14 S 19.50278 - juris). Denn Italien hat mit Schreiben vom 8. Januar 2019 - und damit nach Inkrafttreten des sogenannten Salvini-Dekrets - eine allgemeine Zusicherung der adäquaten Unterbringung für alle Personen, die im Rahmen des Dublin-Verfahrens nach Italien überstellt werden, erteilt. Diese schließt Familien mit Kindern unter drei Jahren ein (vgl. Antwort der Bundesregierung zu Frage 8 auf die Anfrage BT-Drs. 19/8340 vom 13.3.2019).
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Die Zuständigkeit der Bundesrepublik Deutschland ergibt sich auch nicht aus den Bestimmungen für Familienangehörige (siehe Art. 9, 10 und 11 Dublin III-VO). Die Klägerin hat keine Belege vorgelegt, dass sie mit ihrem Lebensgefährten, der auch Vater ihrer Tochter sei, eine nach deutschem Recht gültige Ehe geschlossen hat. Vielmehr hat sie in der mündlichen Verhandlung eingeräumt, dass sie den Vater ihres Kindes erst im Jahr 2015 in * kennengelernt hat. Ihr Vorbringen beim Bundesamt, sie habe ihren Mann in * (Nigeria) kennengelernt und dieser habe am 15. Februar 2011 in * den Brautpreis bezahlt, entspricht daher offenkundig nicht den Tatsachen. Der bloße Lebensgefährte ist kein Familienangehöriger im Sinn von Art. 2 Buchst. g Spiegelstrich 1 Dublin III-VO. Abgesehen davon ist der Lebensgefährte der Klägerin in Italien als schutzberechtigt anerkannt worden, so dass Italien die Flüchtlingsverantwortung für seine gesamte Familie trägt (vgl. VGH BW, B.v. 14.3.2018 - A 4 S 544/18 - juris).
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2. Demnach liegen auch Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich Italiens nicht vor. Auch insoweit wird auf die Begründung des angefochtenen Bescheids Bezug genommen (§ 77 Abs. 2 AsylG).
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3. Die streitgegenständliche, vom Bundesamt zu Unrecht auf § 34a Abs. 1 Satz 4 AsylG gestützte Abschiebungsandrohung ist zwar rechtswidrig, verletzt die Klägerin aber nicht in ihren Rechten. Zutreffenderweise hätte das Bundesamt gemäß § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG eine Abschiebungsanordnung erlassen müssen. § 34a Abs. 1 Satz 4 AsylG findet daher keine Anwendung.
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Bei der Reiseunfähigkeit, die das Bundesamt zum Zeitpunkt des Bescheidserlasses wegen der erst am 14. Juni 2019 erfolgten Entbindung angenommen hat, handelt es sich nicht um ein „temporäres Abschiebungsverbot“, sondern um ein inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis (vgl. Bergmann in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 12. Aufl. 2018, § 29 AsylG Rn. 35). Im Gegensatz zu den zielstaatsbezogenen Abschiebungsverboten wirken sich inlandsbezogene Vollstreckungshindernisse nicht auf die Rechtmäßigkeit einer Abschiebungsandrohung aus, sondern begründen gegebenenfalls einen Anspruch auf Aussetzung der Abschiebung bzw. Duldung (vgl. VGH BW, B.v. 14.3.2018 - A 4 S 544/18 - juris Rn. 13). Dementsprechend lassen inlandsbezogene Vollstreckungshindernisse auch die Rechtmäßigkeit einer Abschiebungsanordnung unberührt. Der Umstand, dass in sogenannten Dublin-Verfahren nicht die Ausländerbehörde, sondern das Bundesamt für die Prüfung inlandsbezogener Vollstreckungshindernisse zuständig ist (vgl. Bergmann in Bergmann/Dienelt a.a.O.), vermag an der materiellen Rechtslage nichts zu ändern. Etwas anderes folgt auch nicht daraus, dass eine Abschiebungsanordnung nach § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG erst ergehen darf, wenn feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Dabei wird nicht vorausgesetzt, dass die Abschiebung noch am Tag des Bescheidserlasses durchgeführt werden kann. Andernfalls könnte eine Abschiebung praktisch nie angeordnet werden, weil sie stets eine gewisse Vorbereitungszeit erfordert. Es genügt, dass die Abschiebung voraussichtlich alsbald nach Bescheidserlass durchgeführt werden kann. Dies war hier klar zu bejahen. Zwischen dem Bescheidserlass und dem Ende der Mutterschutzfrist lagen nur ca. zweieinhalb Wochen. Das Bundesamt hätte daher die Abschiebung der Klägerin nach Italien anordnen und gleichzeitig deren Abschiebung bis zum 9. August 2019 aussetzen müssen.
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4. Die Entscheidung des Bundesamts, das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot auf 15 Monate ab dem Tag der Abschiebung zu befristen, ist nicht zu beanstanden. Die Klägerin hat keine Gründe vorgetragen, die eine kürzere Frist erfordern würden.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).