Inhalt

LG Memmingen, Beschluss v. 18.11.2019 – 2 HK OH 407/17
Titel:

Keine Kürzung der Sachverständigenvergütung trotz Verletzung der Hinweispflicht

Normenkette:
JVEG 8a Abs. 4
Leitsatz:
Keine Kürzung der Sachverständigenvergütung gem. § 8a Abs. 4 JVEG in der Fassung des Zweiten Kostenrechtsmodernisierungsgesetzes vom 15.10.2016 (BGBl. I S. 222), wenn bei verständiger Würdigung aller Umstände unter Anlegung eines objektiven Maßstabs davon auszugehen ist, dass auch bei pflichtgemäßer Anzeige die Tätigkeit des Sachverständigen weder eingeschränkt noch ihre Fortsetzung unterbunden worden wäre. (Rn. 4 – 10)
Schlagworte:
Sachverständigenvergütung, unterbliebene Kostenwarnung, keine Vergütungsherabsetzung, Kostenwarnung, Hinweispflicht, Vergütungsherabsetzung
Fundstelle:
BeckRS 2019, 29047

Tenor

Die Vergütung des Sachverständigen (…) für die Bearbeitung des Gutachtens-Auftrages gemäß Beweisbeschluss des Landgerichts Memmingen vom 12.04.2017 wird festgesetzt auf 47.196,67 €.

Gründe

I.
1
Im Beweisbeschluss wurde der Auslagenvorschuss auf 4.000 € festgesetzt (Bl. 9/11 d.A.). Der Sachverständige wurde bei Erteilung des Gutachtensauftrages durch das Gericht ausdrücklich auf seine Hinweispflicht, wenn die voraussichtlichen Kosten den angeforderten Auslagenvorschuss erheblich übersteigen, sowie auf die Kürzung der Vergütung bei Verletzung dieser Hinweispflicht nach § 8a Abs. 4 JVEG hingewiesen. Nach einer entsprechenden Mitteilung des Sachverständigen wurde der Vorschuss auf 10.000 € erhöht. Mit Schreiben vom 01.03.2019 (Bl. 123 d. A.) teilte der Sachverständige mit, das Gutachten sei weitgehend abgeschlossen und es lasse sich nunmehr absehen, dass die bisher von den Parteien eingezahlten Kostenvorschüsse nicht kostendeckend seien und daher der Auslagenvorschuss auf 20.000,00 erhöht werden müsse. Mit weiterem Schreiben vom 02.03.2019 (Bl. 124 d. A.) korrigierte der Sachverständige seinen Hinweis dahin, dass von den Beteiligten insgesamt eine Summe von 30.000,00 € einzuholen sei. Entsprechend forderte das Gericht von der Antragstellerin einen weiteren Kostenvorschuss in Höhe von 20.000,00 € an, der von der Antragstellerin am 01.04.2019 einbezahlt wurde. Damit war insgesamt ein Auslagenvorschuss in Höhe von 30.000,00 € einbezahlt. Am 03.04.2019 fand ein abschließender Ortstermin des Sachverständigen mit den Beteiligten statt, in dem der Sachverständige seine Beurteilung gegenüber den Beteiligten im Rahmen einer Präsentation erläuterte. Daraufhin erklärte die Antragstellerin mit Schriftsatz vom 20.05.2019 (Bl. 140 d. A.), dass das schriftliche Gutachten nicht fertiggestellt werden solle, weil die Verfahrensbeteiligten Vergleichsgespräche führen würden. Entsprechend hat das Gericht mit Verfügung vom 27.05.2019 (Bl. 141 d. A.) den Sachverständigen angewiesen, wegen laufender Vergleichsgespräche die Arbeit am Gutachten einzustellen und über seine Tätigkeit abzurechnen, sofern bis 15. Juli 2019 keine gegenteilige Mitteilung des Antragstellers eingeht. Eine gegenteilige Mitteilung der Antragstellerin ist nicht eingegangen. Der Sachverständige reichte daher unter dem 18.07.2019 eine Abrechnung ein über einen Betrag von 47.349,67 €.
II.
2
Die Vergütung des Sachverständigen war auf 47.196,67 € festzusetzen, weil die von ihm eingereichte Rechnung vom 18.07.2019 über einen Betrag von 47.349,67 € im Wesentlichen berechtigt und lediglich um 153,00 € zu kürzen ist. Insbesondere war die Vergütung nicht gemäß § 8a Abs. 4 JVEG herabzusetzen auf die Höhe des Auslagenvorschusses von 30.000,00 €.
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1. Grundsätzlich ist die Rechnung des Sachverständigen vom 18.07.2019 in Höhe von 47.196,67 € berechtigt. Der geforderte Stundensatz von 115,00 € war gemäß § 13 Abs. 1 S. 1 JVEG zu vergüten, weil beide Parteien ihr Einverständnis mit diesem Stundensatz erklärten mit Schriftsätzen vom 29.05.2017 (Bl.. 18 d. A. sowie 06.06.2017 - Bl. 20 d. A.). Die Anzahl der abgerechneten Stunden sowie die Fremdkosten wurden im Wesentlichen belegt. Eine Kürzung war vorzunehmen hinsichtlich Taxikosten vom 03.04.2019, die lediglich in Höhe von 37,40 € und nicht in Höhe von 40,40 € belegt wurden. Außerdem sind Fahrtkosten für eine Fahr mit dem PKW am 13.06.2019 ab/bis Heidelberg in Höhe von 150,00 € nicht zu ersetzen, weil diese Fahrt nach der ausdrücklichen Anweisung des Sachverständigen durch das Gericht mit Verfügung vom 27.05.2019 (Bl. 141 d. A.) erfolgte, dass wegen laufender Vergleichsgespräche die Arbeit am Gutachten einzustellen ist bis zu einer gegenteiligen Mitteilung des Gerichts. Eine gegenteilige Mitteilung des Gerichts erfolgte danach nicht. Die Kürzung beläuft sich somit auf einen Betrag in Höhe von insgesamt 153,00 €.
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2. Die Vergütung des Sachverständigen ist nicht gemäß § 8 a Abs. 4 JVEG auf die Höhe des einbezahlten Auslagenvorschusses von 30.000,00 € herabzusetzen. Danach erhält der Sachverständige eine Vergütung nur in Höhe des Auslagenvorschusses, wenn die Vergütung den angeforderten Auslagenvorschuss erheblich übersteigt und der Berechtigte nicht rechtzeitig nach § 407a Abs. 4 S. 2 ZPO auf diesen Umstand hingewiesen hat. Zwar liegt hier ein klarer Verstoß des Berechtigten gegen seine Hinweispflicht gem. § 407a Abs. 4 S. 2 ZPO vor und die beantragte Vergütung übersteigt deutlich die grundsätzlich maßgebliche Erheblichkeitsgrenze von 120% des angeforderten Auslagenvorschusses. Ausnahmsweise ist hier jedoch von einer Kürzung abzusehen, weil feststeht, dass auch nach einem rechtzeitigen Hinweis des Sachverständigen auf die Kostenüberschreitung die weitere Begutachtung fortgesetzt worden wäre.
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a) Der Sachverständige hat gegen seine Hinweispflicht gemäß § 407a Abs. 4 S. 2 ZPO verstoßen. Danach hat der Sachverständige rechtzeitig darauf hinzuweisen, wenn die voraussichtlichen Kosten einen angeforderten Kostenvorschuss erheblich übersteigen. Die Abrechnung des Sachverständigen überstieg die vom Sachverständigen kurz zuvor angegebenen voraussichtlichen Kosten um über 57%. Ganz überwiegend wird grundsätzlich die Erheblichkeitsschwelle gemäß § 8a Abs. 4 JVEG bei einer Abweichung von 20% bejaht.
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b) Hier war jedoch ausnahmsweise von einer Kürzung der Sachverständigenvergütung gemäß § 8a Abs. 4 JVEG abzusehen weil hier feststeht, dass die Begutachtung fortgesetzt worden wäre, wenn der Sachverständige rechtzeitig auf die Kostensteigerung hingewiesen hätte.
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Bis zur Neufassung des § 8a Abs. 4 JVEG durch das Zweite Kostenrechtsmodernisierungsgesetz vom 15.10.2016 (BGBl. I Seite 2222) entsprach ständiger Rechtsprechung und herrschender Meinung in der Literatur, dass eine Kürzung unterbleibt, wenn bei verständiger Würdigung aller Umstände unter Anlegung eines objektiven Maßstabs davon auszugehen ist, dass auch bei pflichtgemäßer Anzeige die Tätigkeit des Sachverständigen weder eingeschränkt noch ihre Fortsetzung unterbunden worden wäre (vgl. BayObLGZ 1997, 353 Tz. 16; Thüringer Oberlandesgericht, Beschluss vom 01.08.2014 - 7 U 405/12 -, Tz. 6 jeweils m. w. Nachw., zitiert nach juris).
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Für die Rechtslage nach dem Inkrafttreten des Zweiten Kostenrechtsmodernisierungsgesetzes wird vertreten, dass diese Auffassung durch die gesetzliche Neuregelung obsolet geworden sei wegen des klaren und eindeutigen Gesetzeswortlauts und aufgrund eines pönalisierenden Charakters der Vorschrift, die auch in den Gesetzesmaterialien zum Ausdruck komme (OLG Düsseldorf, Beschlüsse vom 20.10.2015 - 10 W 137/15 -, Tz. 3 und vom 09.06.2016 - 10 W 87/16 -, Tz. 3; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 28.09.2018 - 15 W 57/18 -, Tz. 13 m. w. Nachw., jeweils zitiert nach juris; Greger, in: Zöller, ZPO, 32 Aufl. § 413 Tz. 8; Binz in: Binz/Dörndofer/Zimmermann, GKG/FamGKG/JVEG, 4. Aufl. 2019, § 8a JVEG Tz. 18).
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Überzeugend ist jedoch die Gegenauffassung, wonach auch nach der Neuregelung eine Kürzung ausnahmsweise unterbleibt, wenn bei verständiger Würdigung aller Umstände anzunehmen ist, dass bei rechtzeitiger Anzeige der Mehrkosten der Gutachtensauftrag nicht eingeschränkt oder beendet worden wäre (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 10.04.2017 - 13 W 25/17 -, Tz. 11 ff., zitiert nach juris). Aus den Gesetzesmaterialien ergibt sich keinerlei Anhaltspunkt dafür, dass der Gesetzgeber der Neuregelung in § 8a Abs. 4 JVEG einen „pönalisierenden Charakter“ geben wollte. Vielmehr wird in der Gesetzesbegründung ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die vorgeschlagenen Regelungen sich an der für die Sachverständigenvergütung ausgewogenen Rechtsprechung orientieren (BT-Drucksache 17/11471 (neu) Seite 259). Der Gesetzgeber knüpft also an die Rechtsprechung zur bisherigen Rechtslage an. Danach war anerkannt, dass bei der Bestimmung dessen, was als „erhebliche“ Überschreitung des von den Parteien erhobenen Kostenvorschusses anzusehen ist, auf den Zweck der Aufklärungspflicht des Sachverständigen abzustellen ist, nämlich der Schutz des Interesses der Prozessparteien, ihr Prozessrisiko gegen das Kostenrisiko abwägen zu dürfen und zu verhindern, dass sie die Begutachtung mehr kostet als ihnen die Sache wert ist (vgl. OLG Dresden, Beschluss vom 26.09.2014 - 3 W 980/14 -, Tz. 12, juris). Nichts weist darauf hin, dass der Gesetzgeber den Sachverständigen unabhängig von diesem Kosteninteresse der Parteien für die Verletzung seiner Anzeigepflicht bestrafen wollte. Der Gesetzeswortlaut ist auch nicht klar und eindeutig. Die geltende Regelung des § 8a Abs. 4 JVEG macht die Kürzung davon abhängig, dass die Vergütung „erheblich“ höher ist als der angeforderte Auslagenvorschuss. Der Begriff der Erheblichkeit ist ein auslegungsfähiger und auslegungsbedürftiger Rechtsbegriff. In der Gesetzesbegründung wird insofern darauf hingewiesen, dass keine generelle Kappungsgrenze für jede Überschreitung des Vorschusses geschaffen werden solle, sondern nur für Fälle des erheblichen Übersteigens, was in der Literatur erst bei einer um 20% übersteigenden Vergütung angenommen werde unter Bezugnahme auf eine einzige Literaturstelle (BT-Drucksache 17/11471 (neu) Seite 260). Allein der beiläufige Verweis auf eine einzige Literaturstelle zur Erheblichkeitsschwelle lässt nicht darauf schließen, dass die Auslegung des Begriffs der Erheblichkeit“ auf diese Grenze beschränkt werden sollte entgegen des Gesetzeszwecks und der bis zur Neuregelung herrschenden Auffassung in Rechtsprechung und Literatur.
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Somit entspricht es dem Gesetzeswortlaut und dem Gesetzeszweck, dass eine Kürzung ausnahmsweise unterbleibt, wenn der Gutachtensauftrag bei einer rechtzeitigen Anzeige des Sachverständigen, dass der angeforderte Vorschuss nicht ausreicht, weder abgebrochen noch eingeschränkt worden wäre. Da grundsätzlich bei einer Abweichung der Vergütung vom geforderten Auslagenvorschuss um mehr als 20% eine Kürzung vorzunehmen ist, trifft das Risiko der Unaufklärbarkeit dieser Voraussetzungen den Sachverständigen (vgl. BayObLGZ 1997, 353 Tz. 16, juris; Zimmermann, in: Münchener Kommentar zur ZPO, 5. Aufl. 2016, § 407a ZPO Tz. 12 m.w.Nachw.). Hier steht jedoch fest, dass der Gutachtensauftrag auch bei rechtzeitiger Anzeige der Kostensteigerung durch den Sachverständigen weder eingeschränkt noch ihre Fortsetzung durch Antragsrücknahme unterbunden worden wäre. Unter Berücksichtigung der Mangel- und Sanierungssachverhalte mit einem Wert von über 2 Mill. €, dem drohenden, langwierigen und kostenträchtigen Gerichtsverfahren mit einer Mehrzahl von potentiell Regresspflichtigen, der Dringlichkeit der Sanierung und der Gefahr eines Verlustes von Beweismitteln erscheint es ausgeschlossen, dass die Beteiligten sich ohne die sachkundige Erläuterung der Ursachen und Sanierungsmöglichkeiten durch den Sachverständigen im Ortstermin am 03.04.2019 geeinigt oder auf eine Klärung durch Fertigstellung des Gutachtens verzichtet hätten. Dies wird auch von keinem der Beteiligten in Frage gestellt. Das Gericht ist daher davon überzeugt, dass auch ein weiterer Kostenvorschuss in Höhe von 17.000,00 € von der Antragstellerin einbezahlt worden wäre, wenn er vor dem Ortstermin am 04.04.2019 angefordert worden wäre. Daher ist hier ausnahmsweise von einer Kürzung abzusehen.