Inhalt

OLG München, Beschluss v. 12.11.2019 – 31 Wx 183/19
Titel:

Auslegung eines gemeinschaftlichen Testaments im Hinblick auf den ersten Erbfall

Normenkette:
BGB § 125 S. 1, § 133, § 2084
Leitsätze:
1. Bedenken die Ehegatten in einem gemeinschaftlichen Testament die gemeinsamen Kinder als Schlusserben und fehlt eine Erbeinsetzung des überlebenden Ehegatten für den ersten Erbfall, bildet die Verwendung der Begriffe „nach unserem Tod“ und „wir“ keine hinreichende Andeutung für einen entsprechenden Willen der Ehegatten für eine Erbeinsetzung des überlebenden Ehegatten (Anschluss an BGHZ 80, 242; OLG München FG Prax 2013, 72). (Rn. 17 – 18)
2. Das Nachlassgericht kann einen entsprechenden Willen der Ehegatten bei der Errichtung der Verfügung unterstellen, ohne diesen zuvor im Wege der Beweisaufnahme zu ermitteln, wenn es für den unterstellten Willen im Testament keine hinreichende Andeutung zu erkennen vermag (Anschluss an BGH NJW 2019, 2317 (2319). (Rn. 15)
Auch wenn Ehegatten sich in einem gemeinschaftlichen Testament üblicherweise gegenseitig selbst bedenken, stellt diese Tatsache keinen ausreichenden Anhalt für eine gegenseitige Erbeinsetzung dar (Rn. 13). (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Testament, Erbeinsetzung, Auslegung, gemeinschaftliches Testament, Ehegatten, Andeutung, Andeutungstheorie, erster Erbfall, Nacherbe, Vorerbe
Vorinstanz:
AG Augsburg, Beschluss vom 28.01.2019 – 8 VI 4861/18
Fundstellen:
FGPrax 2019, 280
RÜ 2020, 92
ErbR 2020, 111
FamRZ 2020, 460
BWNotZ 2019, 260
ErbStB 2020, 218
BeckRS 2019, 27683
LSK 2019, 27683
ZEV 2020, 47
MittBayNot 2020, 473

Tenor

1. Die Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Amtsgerichts Augsburg - Nachlassgericht - vom 28.01.2019 wird zurückgewiesen.
2. Der Beschwerdeführer trägt die gerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens, außergerichtliche Kosten für das Beschwerdeverfahren werden nicht erstattet.
3. Der Geschäftswert des Beschwerdeverfahrens wird auch bis zu 420.000 € festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die verheiratete Erblasserin ist am 22.8.2018 verstorben. Sie hinterlässt ihren Ehemann (Beteiligter zu 1) und die beiden gemeinsamen Kinder (Beteiligte zu 2 und 3).
2
Die Ehegatten errichteten am 10.08.2002 ein von ihnen eigenhändig ge- und unterschriebenes Testament, in dem es auszugsweise heißt:
„Wir (Ehemann) geb. am (…) und (Ehefrau) geb. am (…) wollen dass nach unserem Tod das Haus unser Sohn (Beteiligter zu 2) … bekommt.
Er muss aber unserer Tochter 35% ausbezahlen. Wenn noch Geld vorhanden ist, bekommt jedes die Hälfte.
(Beteiligter zu 2) bekommt die Münzen und Vaters Sachen.
(Beteiligte zu 3) bekommt Schmuck, Puppen, Handarbeiten, Kaffee- und Speiseservice, Silber-Besteck.
(Unterschriften)"
3
Auf der Grundlage dieses Testaments beantragte der Ehemann beim Nachlassgericht einen Alleinerbschein.
4
Das Nachlassgericht lehnt die Erteilung eines entsprechenden Erbscheins ab. Es ist der Ansicht, dass das fragliche Testament keine Regelung für den ersten Erbfall enthalte.
5
Dagegen richtet sich die Beschwerde.
II.
6
Die zulässige Beschwerde bleibt im Ergebnis ohne Erfolg.
7
Zutreffend ist das Nachlassgericht zu dem Ergebnis gelangt, dass der Beschwerdeführer die Erblasserin nicht aufgrund Testaments vom 10.8.2002 allein beerbt hat.
8
Die dagegen vom Beschwerdeführer vorgebrachten Einwände greifen nicht durch.
9
1. Das Testament vom 10.8.2002 enthält - was auch vom Beschwerdeführer nicht angezweifelt wird - keine ausdrückliche Erbeinsetzung des Beschwerdeführers für den ersten Erbfall.
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2. Soweit der Beschwerdeführer meint, eine Erbeinsetzung des überlebenden Ehegatten für den ersten Erbfall ergebe sich durch Auslegung der Verfügung, trifft dies nicht zu.
11
a) Bei einer Testamentsauslegung gemäß § 133 BGB kommt es auf den wirklichen Willen des Erblassers an, ohne am buchstäblichen Sinne des Ausdrucks zu haften (BGH ZEV 1997, 376; FamRZ 2012, 26; Leipold in: MüKo/BGB, 7. Auflage <2017> § 2084 Rn. 1; Czubayko in: Burandt/Rojahn Erbrecht, 3. Auflage <2019> § 2084 Rn. 9; Krätzschel in: Firsching/Graf Nachlassrecht, 11. Auflage <2019> § 9 Rn. 11; Fleindl in: NK-Erbrecht 5. Auflage <2018> § 2084 Rn. 3).
12
Eine Erbeinsetzung, die in dem Testament nicht enthalten und nicht einmal angedeutet ist, kann den aufgeführten Formzwecken nicht gerecht werden. Sie ermangelt der gesetzlich vorgeschriebenen Form und ist daher gemäß § 125 S. 1 BGB nichtig (BGH NJW 1981, 1737; OLG München FGPrax 2013, 72).
13
Auch wenn Ehegatten sich üblicherweise gegenseitig selbst bedenken, stellt diese Tatsache keinen ausreichenden Anhalt für eine gegenseitige Erbeinsetzung dar. Die gegenseitige Erbeinsetzung kann daher nicht allein aufgrund der Errichtung eines gemeinschaftlichen Testamentes angenommen werden (BGH a.a.O. S. 1738; Horn in: Horn/Kroiß Testamentsauslegung, 2. Auflage <2019> § 24 Rn. 62; Krätzschel in: Firsching/Graf, Nachlassrecht, 11. Auflage <2019> § 9 Rn. 17 „Fehlende Alleinerbeneinsetzung“).
14
b) Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze teilt der Senat die Ansicht des Nachlassgerichts, wonach das verfahrensgegenständliche Testament für den ersten Erbfall keine Erbeinsetzung des Beschwerdeführers enthält.
15
aa) Dabei bedurfte es auch nicht zunächst einer Beweisaufnahme durch das Nachlassgericht zur Klärung der Frage klärt, ob die Ehegatten den überlebenden als Alleinerben einsetzen wollten oder nicht. Das Nachlassgericht durfte einen entsprechenden Willen unterstellen und zugleich im Wege der Testamentsauslegung ermitteln, ob ein entsprechender Wille im Testament angedeutet ist oder nicht (BGH NJW 2019, 2317/2319).
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bb) Auch nach Auffassung des Senats findet sich für eine Erbeinsetzung des überlebenden Ehegatten keine hinreichende Andeutung in der Verfügung.
17
Soweit der Beschwerdeführer vorträgt, eine solche Auslegung ergebe sich aus dem Wortlaut, da die Ehegatten von „unserem Tod“ gesprochen haben, trägt dieser Einwand nicht. Die Formulierung kann ebenso gut zur Begründung dafür herangezogen werden, dass die Eheleute (gerade nur) den Tod des Letztversterbenden regeln wollten, denn dann wäre die Formulierung „nach unserem Tod“ im Sinne von „wenn wir beide tot sind…“ passend für die Formulierung eines entsprechenden Willen.
18
Gleiches gilt für den Umstand, dass die Ehegatten von „unserem Haus“ sprechen. Die Formulierung selbst ist für sich genommen wenig aussagekräftig, da es durchaus naheliegend ist, dass die Eheleute zu Lebzeiten das gemeinsam erwirtschafte Vermögen als Einheit betrachtet haben. Dass nach dem Tode des Letztversterbenden das Pronomen „unser“ unzutreffend wäre, weil dann der überlebende Ehepartner Alleineigentümer geworden wäre, reicht nach Ansicht des Senats jedenfalls nicht aus, um darin die Erbeinsetzung des überlebenden Ehegatten für den ersten Erbfall zu sehen.
19
Soweit die Beschwerde schließlich vorträgt, der überlebende Ehegatte habe das gemeinsame Haus bis zum Tode des Längerlebenden bewohnen sollen, findet sich dafür im Testament ebenfalls keine Stütze, so dass nicht entschieden werden muss, ob dies ein ausreichender Anhaltspunkt für eine entsprechende Auslegung wäre.
20
Dass die Abwicklung des ersten Erbfalls dadurch schwierig ist, rechtfertigt ebenfalls keine andere Entscheidung. Es ist weder die Aufgabe der Nachlassgerichte, noch der diesen nachfolgenden Beschwerdegerichte, im Wege der Auslegung unterbliebene Verfügungen zu kreieren, um eine praktisch erscheinende Abwicklung von Erbfällen zu ermöglichen.
III.
21
Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 FamFG.
22
Die Festsetzung des Geschäftswertes für das Beschwerdeverfahren beruht auf dem wirtschaftlichen Interesse des Beschwerdeführers, einen Erbschein als Alleinerbe zu erhalten und dem zum Todestag festgestellten Nachlasswert aufgrund des vorgelegten Nachlassverzeichnisses vom 4.1.2019 (§§ 61, 36, 40 GNotKG).
IV.
23
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde liegen nicht vor.
Erlass des Beschlusses (§ 38 Abs. 3 Satz 3 FamFG)