Inhalt

VGH München, Beschluss v. 29.10.2019 – 10 ZB 19.1652
Titel:

Unzulässigkeit wegen fehlender ladungsfähiger Anschrift

Normenkette:
VwGO § 82 Abs. 1 S. 1
Leitsatz:
Versäumt der Kläger die Angabe seiner aktuellen ladungsfähigen Anschrift, fehlt es ihm am Rechtschutzbedürfnis. (Rn. 2 – 5) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Unzulässigkeit wegen fehlender ladungsfähiger Anschrift, Unzumutbarkeit der Nachholung des Visumverfahrens, Rechtsschutzbedürfnis
Vorinstanz:
VG Augsburg vom 06.08.2019 – Au 1 K 19.827
Fundstelle:
BeckRS 2019, 27457

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000 Euro festgesetzt.

Gründe

1
Mit ihrem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt die Klägerin, eine ukrainische Staatsangehörige, ihre in erster Instanz erfolglose Klage auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis weiter.
2
Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist bereits unzulässig.
3
Die Zulässigkeitsvoraussetzungen eines Rechtsmittels sind in jedem Stadium des Verfahrens von Amts wegen zu prüfen. Der Klägerin fehlt für einen Antrag auf Zulassung der Berufung das Rechtsschutzbedürfnis, denn sie hat entgegen § 82 Abs. 1 Satz 1 VwGO nach ihrer am 30. August 2019 erfolgten Ausreise in die Ukraine keine aktuelle ladungsfähige Anschrift angegeben. Selbst wenn also die geltend gemachten Zulassungsgründe vorliegen würden, erwiese sich das Urteil des Verwaltungsgerichts im Ergebnis als richtig, weil die Klage unzulässig geworden ist (BayVGH, B.v. 15.7.2019 - 10 ZB 18.1175 - juris Rn. 3; BayVGH, B.v. 9.5.2016 - 10 ZB 15.677 - juris Rn. 3 ff.; BayVGH, B.v. 3.2.2016 - 10 ZB 15.1413 - juris Rn. 3 ff.).
4
Zur Bezeichnung eines Klägers im Sinne des § 82 Abs. 1 Satz 1 VwGO gehört nach § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 130 Nr. 1 ZPO auch die Angabe seines Wohnortes (Aulehner in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 82 Rn. 8 m.w.N.). Die Angabe einer ladungsfähigen Anschrift, unter der der Kläger tatsächlich zu erreichen ist, ist erforderlich, um ihn zu individualisieren und seine Erreichbarkeit für das Gericht sicherzustellen. Es soll dadurch darüber hinaus auch gewährleistet werden, dass der Kläger nach entscheidungserheblichen Tatsachen befragt werden und sich im Fall des Unterliegens seiner Kostentragungspflicht nicht entziehen kann. Dies gilt auch für ein verwaltungsgerichtliches Verfahren unter Mitwirkung eines Prozessbevollmächtigten (BVerwG, B.v. 14.2.2012 - 9 B 79.11 - juris Rn. 11) oder wenn sich - wie hier - während des Verfahrens die ladungsfähige Anschrift ändert. Die Pflicht zur Angabe der Anschrift entfällt nur, wenn deren Erfüllung ausnahmsweise unmöglich oder unzumutbar ist. Solches wird nur dann angenommen, wenn der Angabe der Anschrift unüberwindliche oder nur schwer zu beseitigende Schwierigkeiten oder ein schutzwürdiges Geheimhaltungsinteresse entgegenstehen (vgl. BayVGH, B.v. 5.12.2007 - 19 ZB 06.2329 - juris Rn. 6).
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Entspricht die Klage oder das Rechtsmittel nicht (mehr) den Anforderungen des § 82 Abs. 1 VwGO, ist dem Kläger gemäß § 82 Abs. 2 VwGO eine Frist zur Ergänzung seiner Angaben zu setzen. Im vorliegenden Fall wurde der Bevollmächtigte der Klägerin mit gerichtlichem Schreiben vom 4. Oktober 2019 aufgefordert, ihre aktuelle ladungsfähige Anschrift mitzuteilen; dies ist bis zum heutigen Tage nicht geschehen, weshalb das Rechtsmittel unzulässig geworden ist.
6
Ohne dass es noch darauf ankommt, wäre der Antrag auf Zulassung der Berufung aber auch unbegründet. Aus dem allein maßgeblichen Vorbringen des Klägers im Zulassungsantrag ergibt sich nicht die geltend gemachte grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO. Hierzu muss der Rechtsmittelführer eine konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage formulieren, ausführen, weshalb diese Frage entscheidungserheblich ist, erläutern, weshalb die vorformulierte Frage klärungsbedürftig ist, und darlegen, weshalb der Frage eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 124a Rn. 72). Diesen Anforderungen wird das Vorbringen in der Begründung des Zulassungsantrags nicht gerecht. Es wird hier lediglich vorgetragen, die Nachholung des Visumverfahrens sei ihr unzumutbar, weil sie an Depressionen leide, die ein Rezidiv ihrer früheren Krebserkrankung herbeiführen könnten; dies wird dann weiter ausgeführt. Eine konkrete verallgemeinerungsfähige Rechtsfrage mit entscheidungserheblicher Bedeutung ist nicht ausdrücklich formuliert und auch sonst nicht erkennbar. Dass eine (schwere) Erkrankung zu den „besonderen Umständen des Einzelfalls“ gehören kann, auf Grund derer gemäß § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG eine Nachholung des Visumverfahrens als nicht zumutbar angesehen werden kann, ist grundsätzlich geklärt (siehe Maor in Kluth/Heusch, BeckOK AuslR, § 5 AufenthG Rn. 36 ff.; Samel in Bergmann/Dienelt, AuslR, 12. Aufl. 2018, § 5 AufenthG Rn. 139 ff.) und bedarf keines Berufungsverfahrens. Ob die im jeweils konkreten Fall vorliegenden besonderen Umständen des Einzelfalls tatsächlich zu einer Unzumutbarkeit der Nachholung des Visumverfahrens führen, entzieht sich schon aufgrund des Wortlauts und des Sinns und Zwecks der Norm als eng begrenzte Härtefallregelung einer weitergehenden „grundsätzlichen“ Klärung.
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Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO.
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Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1, 3, § 52 Abs. 2 GKG.
9
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).