Inhalt

VG Augsburg, Beschluss v. 16.10.2019 – Au 7 S 19.1429
Titel:

Entziehung der Fahrerlaubnis nach dem Fahreignungs-Bewertungssystem

Normenketten:
StVG § 4 Abs. 5, Abs. 6
FeV § 47 Abs. 1 S. 2
Leitsatz:
Dass eine zur Entziehung führende Tat bereits vor der Ermahnung bzw. Verwarnung begangen war, aufgrund erst späterer Rechtskraft und darauffolgender Mitteilung an die Fahrerlaubnisbehörde aber erst zeitlich nach der Ermahnung bzw. Verwarnung berücksichtigt wurde, führt nicht zu einer Punktereduzierung gemäß § 4 Abs. 6 Sätze 3 und 2 StVG. (Rn. 38) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Sofortvollzug, Entziehung der Fahrerlaubnis nach dem Fahreignungs-Bewertungssystem wegen Erreichens von acht Punkten, maßgebliche Zeitpunkte: Tattagprinzip für Punkteberechnung, Behördenkenntnis für Maßnahmenergreifung, Abkehr vom reinen Erziehungsgedanken im Stufensystem des neuen Fahreignungs-Bewertungssystems (spätestens seit Dezember 2014), Fahrerlaubnis, Entziehung der Fahrerlaubnis, Berechnung, Antragsteller, Anordnung der aufschiebenden Wirkung, Wohnung, Entziehung, Punkte, Tattagprinzip, Zwangsgeld, Punkteberechnung, Behördenkenntnis, Maßnahmenergreifung
Fundstelle:
BeckRS 2019, 26534

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 2.500,- EUR festgesetzt.

Gründe

I.
1
Der Antragsteller wendet sich gegen die sofortige Vollziehbarkeit der Entziehung seiner Fahrerlaubnis.
2
1. Der im Jahr 1991 geborene Antragsteller war seit der Neuerteilung im März 2017 nach vorangegangener Entziehung wieder im Besitz einer Fahrerlaubnis der Klassen AM, B, L, A (79.03, 79.04) und A1 (79.04).
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Unter dem 28. Februar 2019 teilte das Kraftfahrtbundesamt der Fahrerlaubnisbehörde mit, dass für den Antragsteller vier Punkte im Fahreignungsregister eingetragen seien. Diese ermahnte daher mit Schreiben vom 12. März 2019, dem Antragsteller laut Postzustellungsurkunde am 14. März 2019 durch Einlegung in den zur Wohnung gehörenden Briefkasten zugestellt, aufgrund eines Punktestandes von vier Punkten unter gleichzeitigem Hinweis auf die Möglichkeit einer freiwilligen Teilnahme an einem Fahreignungsseminar mit der Folge eines Punkteabzuges. Ferner wurde er darauf hingewiesen, dass beim Erreichen von acht oder mehr Punkten die Fahrerlaubnis entzogen werde.
4
Unter dem 5. April 2019 teilte das Kraftfahrtbundesamt der Fahrerlaubnisbehörde mit, dass für den Antragsteller sechs Punkte im Fahreignungsregister eingetragen seien. Mit Schreiben vom 16. April 2019, dem Antragsteller laut Postzustellungsurkunde am 18. April 2019 durch Einlegung in den zur Wohnung gehörenden Briefkasten zugestellt, verwarnte die Fahrerlaubnisbehörde den Antragsteller deswegen. Der Antragsteller wurde nochmalig darauf hingewiesen, dass beim Erreichen von acht oder mehr Punkten die Fahrerlaubnis entzogen werde. Er wurde auch auf die Möglichkeit einer freiwilligen Teilnahme an einem Fahreignungsseminar und auch darauf, dass für die Teilnahme kein Punkteabzug mehr gewährt werde, hingewiesen.
5
Unter dem 25. Juni 2019 teilte das Kraftfahrtbundesamt der Fahrerlaubnisbehörde mit, dass für den Antragsteller acht Punkte im Fahreignungsregister eingetragen seien. Mit Anhörungsschreiben vom 4. Juli 2019 hörte die Fahrerlaubnisbehörde den Antragsteller zur beabsichtigten Fahrerlaubnisentziehung an und gab ihm Gelegenheit sich bis zum 22. Juli 2019 zu äußern. Zugestellt wurde das Anhörungsschreiben am 5. Juli 2019. Der zwischenzeitlich Bevollmächtigte des Antragstellers brachte vor, dass er die Ermahnung vom 12. März 2019 nicht erhalten habe, da er zu dieser Zeit im Urlaub gewesen sei und seine Ehefrau ihm diese nicht ausgehändigt habe, was diese durch eine eidesstattliche Versicherung bestätigte. In einem weiteren Schreiben brachte er diesen Vorgang auch hinsichtlich der Verwarnung vom 16. April 2019 vor. Da die Stufen der Ermahnung und Verwarnung folglich nicht wirksam durchlaufen seien, dürfe von der nächsthöheren Stufe kein Gebrauch gemacht werden, sondern es müsse vielmehr eine Punktereduzierung nach § 4 Abs. 6 Satz 3 StVG durchgeführt werden. Ferner sei es unzulässig, die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn zwischen Ermahnung und Fahrerlaubnisentziehung keine weitere Ordnungswidrigkeit hinzugekommen sei.
6
2. Mit dem streitgegenständlichen Bescheid vom 26. August 2019, dem Bevollmächtigten des Antragstellers laut Postzustellungsurkunde am 27. August 2019 zugestellt, entzog die Fahrerlaubnisbehörde dem Antragsteller nach Anhörung die Fahrerlaubnis in vollem Umfang (Nr. 1 des Bescheids). Der unter der Führerschein-Nummer * ausgestellte Führerschein wurde eingezogen und war innerhalb von drei Werktagen nach Zustellung dieses Bescheides bei der Fahrerlaubnisbehörde abzugeben (Nr. 2 des Bescheids). Für den Fall, dass der Führerschein nicht fristgerecht abgeliefert würde, wurde ein Zwangsgeld in Höhe von 500,- EUR angedroht (Nr. 3 des Bescheids). Der sofortige Vollzug der Nr. 1, 2 und 3 dieses Bescheides wurde angeordnet (Nr. 4 des Bescheids).
7
Die Entziehung der Fahrerlaubnis wurde damit begründet, dass der Antragsteller nach der Mitteilung des Kraftfahrtbundesamtes vom 25. Juni 2019 acht Punkte im Fahreignungsregister erreicht habe.
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Der Berechnung wurden folgende Eintragungen zugrunde gelegt:
9

Tattag

Rechtskraft der Entscheidung

Speicherung im FAER

Tatbestand:

Punkte

10.01.2018

17.04.2018

03.05.2018

Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit

2

29.10.2018

20.12.2018

04.01.2019

Vorschriftswidrige Benutzung eines Mobiltelefons

1

04.12.2018

12.02.2019

27.02.2019

Vorschriftswidrige Benutzung eines Mobiltelefons

1

20.12.2018

19.02.2019

06.03.2019

Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit

1

09.12.2018

02.03.2019

12.03.2019

Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit

1

18.02.2019

06.04.2019

24.04.2019

Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit

1

07.02.2019

24.04.2019

18.06.2019

Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit

1

10
Die vorgeschriebenen vorherigen Stufen der Ermahnung und Verwarnung seien eingehalten worden, da beide im Wege der Ersatzzustellung durch Einlegen in den zur Wohnung gehörenden Briefkasten gemäß Art. 3 VwZVG i.V.m. § 180 ZPO zugestellt worden seien. Dass die Ehefrau des Antragstellers die Schreiben laut ihrer eidesstattlichen Versicherung nicht weitergegeben habe, ändert hieran nichts. Die geforderte Punktereduzierung könne daher nicht durchgeführt werden. Ferner würden bei der Berechnung des Punktestandeszuwiderhandlungen unabhängig davon berücksichtigt, ob nach deren Begehung bereits Maßnahmen ergriffen worden seien. Zum Zeitpunkt der Punkteberechnung am 4. Juli 2019 sei es daher unerheblich gewesen, ob die Ordnungswidrigkeiten vor der ersten Maßnahme (Ermahnung) begangen worden seien oder nicht. Der sofortige Vollzug des Bescheides sei anzuordnen, da das besondere öffentliche Interesse überwiege, da der Antragsteller in kürzester Zeit mehrfach gegen verkehrsrechtliche Vorschriften verstoßen habe. Zum Ausschluss des vom Führerschein ausgehenden Rechtsscheins sei auch die Anordnung der unverzüglichen Ablieferung des Führerscheins nötig. Gleiches gelte für die hierauf bezogene Androhung von Zwangsgeld.
11
Die Abgabe des Führerscheins erfolgte durch den Antragsteller am 30. August 2019.
12
3. Mit Schriftsatz vom 16. September 2019, eingegangen am selben Tag, hat der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers gegen den Bescheid Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht Augsburg erhoben. Diese wird unter dem Az. Au 7 K 19.1424 geführt.
13
Unter demselben Datum stellte der Prozessbevollmächtigte einen Eilantrag gerichtet auf Erlass einer einstweiligen Anordnung und beantragte,
14
1. Der sofortige Vollzug des Bescheides wird aufgehoben.
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2. Die aufschiebende Wirkung der gegen den Bescheid eingereichten Klage wird angeordnet.
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Zur Begründung kann auf diejenige im Verwaltungsverfahren verwiesen werden.
17
4. Mit Schriftsatz vom 8. Oktober 2019, eingegangen am 11. Oktober 2019, beantragte die Antragsgegnerin
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die Abweisung des Eilantrags.
19
Sowohl die Ermahnung als auch die Verwarnung seien zugestellt und daher ordnungsgemäß ergriffen worden. Die Fahrerlaubnisbehörde habe auf den Zeitpunkt abzustellen, der sich zum Zeitpunkt der Begehung der letzten zur Ergreifung der Maßnahme führenden Tat ergeben habe (§ 4 Abs. 5 Satz 5 StVG). Die beantragte Teilnahme an einem Punkteabbauseminar mit der Folge des Abbaus von einem Punkt komme beim Punktestand des Antragstellers nicht mehr in Betracht (§ 4 Abs. 7 Satz 1 StVG).
20
5. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Behördenakten Bezug genommen.
II.
21
Der Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO ist zulässig, führt aber in der Sache nicht zum Erfolg.
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1. Der Antrag ist nach entsprechender Auslegung zulässig.
23
a) Er ist gemäß § 122 Abs. 1, § 88 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) entsprechend dem Begehren des Antragstellers auszulegen. Die vom Bevollmächtigten des Antragstellers wörtlich beantragte einstweilige Anordnung (§ 123 Abs. 1 VwGO) ist wegen des in § 123 Abs. 5 VwGO normierten Vorrangs des § 80 Abs. 5 VwGO bei der vorliegenden Anfechtungssituation in der Hauptsache nicht statthaft. Sein in den Anträgen geäußertes Begehren geht vielmehr dahin, dass gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die gemäß § 4 Abs. 9 des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) kraft Gesetzes sofort vollziehbare Entziehung der Fahrerlaubnis in Nr. 1 des Bescheids, sowie gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 2 VwGO die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Pflicht zur Ablieferung des Führerscheins in Nr. 2 des Bescheids, deren sofortige Vollziehbarkeit die Antragsgegnerin in Nr. 4 des Bescheids angeordnet hat, beantragt werden sollen. Die behördliche Anordnung des Sofortvollzugs auch hinsichtlich der Entziehung der Fahrerlaubnis in Nr. 1 des Bescheides war wegen des gesetzlich angeordneten Sofortvollzugs des § 4 Abs. 9 StVG zwar nicht erforderlich, gleichwohl unschädlich.
24
b) Der Antrag soll sich hingegen wohl nicht gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO gegen die Androhung des - kraft gesetzlicher Anordnung in Art. 21a Bayerisches Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetz (VwZVG) sofort vollziehbaren - Zwangsgeldes richten. Da der Antragsteller den Führerschein gemäß Aktenvermerk bereits am 30. August 2019 bei der Fahrerlaubnisbehörde abgeliefert hat, würde es sich hierbei um einen unzulässigen Antrag handeln. Das angedrohte Zwangsgeld kann aufgrund der Ablieferung nicht mehr fällig werden. Die Zwangsgeldandrohung hat sich damit erledigt. Ein Rechtsschutzbedürfnis zur Überprüfung ihrer Rechtmäßigkeit bestünde damit nicht (vgl. VG München, B.v. 4.12.2015 - M 1 S 15.4366 - Rn. 18, juris). Nicht erledigt hingegen hat sich durch die Ablieferung des Führerscheins die Verpflichtung zur Abgabe desselben in Nr. 2 des Bescheids, denn diese stellt den Rechtsgrund für das vorläufige Behaltendürfen dieses Dokuments für die Fahrerlaubnisbehörde dar (BayVGH, B.v. 12.2.2014 - 11 CS 13.2281 - juris).
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2. Der Antrag ist aber unbegründet.
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a) Die Anordnung des Sofortvollzugs in der Nr. 4 hinsichtlich der Abgabeverpflichtung der Nr. 2 des Bescheids ist formell rechtmäßig.
27
Die Regelung unter Nr. 1 des angefochtenen Bescheids (Entziehung der Fahrerlaubnis) ist bereits kraft Gesetzes sofort vollziehbar (§ 4 Abs. 9 StVG), sodass es für diese nicht auf die von der Fahrerlaubnisbehörde hierzu abgegebene Begründung ankommt. Im Hinblick auf die Nr. 2 des Bescheids hat das Landratsamt die sofortige Vollziehung in Nr. 4 des Bescheids im Einklang mit der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (s. B.v. 22.9.2015 - 11 CS 15.1447 - juris Rn. 23), der dieses Gericht folgt, angeordnet. Die hierzu im streitgegenständlichen Bescheid abgegebene Begründung (siehe S. 6 des Bescheids) genügt den formellen Anforderungen des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4, Abs. 3 Satz 1 VwGO, denn die Behörde hat ausreichend einzelfallbezogen dargelegt, warum sie abweichend vom Regelfall der aufschiebenden Wirkung von Widerspruch oder Klage die sofortige Vollziehbarkeit der Verpflichtung, den Führerschein abzuliefern, angeordnet hat. Im Bereich des Sicherheitsrechts, zu dem auch das Fahrerlaubnisrecht gehört, kann sich die Behörde zur Rechtfertigung der sofortigen Vollziehung darauf beschränken, die für diese Fallgruppe typische Interessenlage aufzuzeigen und deutlich zu machen, dass sie auch im konkreten Fall vorliegt (s. z.B. BayVGH, B.v. 24.8.2010 - 11 CS 10.1139 - juris). Hier sollte ausweislich der Begründung der von einem Führerschein typischerweise ausgehende Rechtsschein der Berechtigung zum Führen eines Kraftfahrzeugs ausgeschossen werden, da sich der Antragsteller nach Würdigung seiner Gesamtpersönlichkeit als hierzu ungeeignet erwiesen hat. Im gerichtlichen Verfahren erfolgt keine materielle Überprüfung dieser Begründung der Behörde.
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b) Vielmehr wird eine eigenständige gerichtliche Interessenabwägung durchgeführt (BayVGH, B.v. 16.12.2015 - 11 CS 15.2377 - juris; B.v. 8.9.2015 - 11 CS 15.1634 - juris Rn. 6 m.w.N.). Das Gericht hat bei der Entscheidung über den Antrag, die aufschiebende Wirkung der Klage wiederherzustellen bzw. anzuordnen, eine eigene Ermessensentscheidung zu treffen. Im Rahmen dieser Entscheidung ist das Interesse des Antragstellers, zumindest vorläufig weiter von seiner Fahrerlaubnis Gebrauch machen zu können, gegen das Interesse der Allgemeinheit daran, dass dies unverzüglich unterbunden wird, abzuwägen. Ausschlaggebend im Rahmen dieser Abwägungsentscheidung sind grundsätzlich in erster Linie die Erfolgsaussichten des Rechtsmittels, dessen aufschiebende Wirkung angeordnet oder wiederhergestellt werden soll. Lässt sich schon bei summarischer Prüfung eindeutig feststellen, dass der angefochtene Verwaltungsakt offensichtlich rechtswidrig ist und den Betroffenen in seinen Rechten verletzt, sodass die Klage mit Sicherheit Erfolg haben wird (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO), kann kein öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts bestehen. Andererseits ist für eine Interessenabwägung, die zugunsten des Antragstellers ausgeht, im Regelfall kein Raum, wenn keine Erfolgsaussichten in der Hauptsache bestehen.
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Nach diesen Grundsätzen kommt die Kammer im Rahmen ihrer eigenen originären Ermessensentscheidung zu dem Ergebnis, dass nach summarischer Prüfung keine Erfolgsaussichten in der Hauptsache bestehen (aa) und auch im Übrigen das Vollzugsinteresse der Allgemeinheit das Aussetzungsinteresse des Antragstellers hier überwiegt (bb).
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aa) Die Klage gegen den Bescheid vom 26. August 2019 wird erfolglos bleiben.
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(1) Bedenken gegen die formelle Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids bestehen nicht und wurden auch nicht vorgetragen.
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(2) Die in Nr. 1 des Bescheids getroffene Entziehungsentscheidung ist auch materiell rechtmäßig und verletzt den Antragsteller nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Die Fahrerlaubnisbehörde ging beim Erlass des Bescheids zutreffend von einem Stand von 8 Punkten im Fahreignungsregister (FAER) aus.
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Im Rahmen der gerichtlichen Prüfung fahrerlaubnisrechtlicher Entziehungsverfügungen ist nach ständiger Rechtsprechung auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der abschließenden Entscheidung der handelnden Verwaltungsbehörde abzustellen (vgl. BVerwG, U.v. 27.9.1995 - 11 C 34.94 - BVerwGE 99, 249 = juris, Rn. 9, und B.v. 22.1. 2001 - 3 B 144.00 - juris, Rn. 2). Da ein Widerspruchsverfahren hier nicht durchgeführt wurde, ist dies der Zeitpunkt des Erlasses des streitgegenständlichen Entziehungsbescheids vom 26. August 2019, d.h. der Tag der Bekanntgabe am 27. August 2019.
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Maßgebliche Rechtsgrundlage für die Entziehung der Fahrerlaubnis ist § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 StVG. Danach gilt der Inhaber einer Fahrerlaubnis als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen und die Fahrerlaubnis ist ihm zu entziehen, wenn sich acht oder mehr Punkte im FAER ergeben. Nach § 4 Abs. 2 Satz 3 StVG ergeben sich Punkte mit der Begehung der Straftat oder Ordnungswidrigkeit, sofern sie rechtskräftig geahndet wird. Nach § 4 Abs. 5 Satz 5 StVG ist für das Ergreifen der Maßnahmen auf den Punktestand abzustellen, der sich zum Zeitpunkt der Begehung der letzten zur Ergreifung der Maßnahme führenden Straftat oder Ordnungswidrigkeit ergeben hat. Damit hat der Gesetzgeber das in der Rechtsprechung entwickelte sog. Tattagprinzip normiert. Es kommt hier also auf den Punktestand am 7. Februar 2019 an. Durch die am 7. Februar 2019 begangene Ordnungswidrigkeit, die seit 24. April 2019 rechtskräftig geahndet ist und mit einem Punkt bewertet wurde, hat der Antragsteller am 7. Februar 2019 acht Punkte im FAER erreicht. Hierzu wird auf die Übersicht oben unter I.2. Bezug genommen. Eine spätere Veränderung des Punktestands wäre für die Fahrerlaubnisentziehung im Übrigen unerheblich, da spätere Verringerungen des Punktestands aufgrund von Tilgungen unberücksichtigt bleiben (§ 4 Abs. 5 Satz 7 StVG). Zum maßgeblichen Zeitpunkt waren indes ohnehin sämtliche Ordnungswidrigkeiten noch nicht tilgungsreif.
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Der Antragsteller hat hierbei das Stufensystem des § 4 Abs. 5 Satz 1 StVG ordnungsgemäß durchlaufen und daher keinen Anspruch auf eine Punktereduzierung nach § 4 Abs. 6 Satz 3 StVG, sodass ihm die Fahrerlaubnis gemäß § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 StVG (zwingend) zu entziehen war.
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So wurde dem Antragsteller beim Stand von vier Punkten im FAER mit Schreiben der Fahrerlaubnisbehörde vom 12. März 2019 eine Ermahnung als erste Maßnahmenstufe (§ 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 StVG) erteilt. Die Möglichkeit zur Punktereduzierung durch ein Fahreignungsseminar hat der Antragsteller nicht wahrgenommen. Beim Stand von sechs Punkten im FAER wurde sodann mit Schreiben vom 16. April 2019 die Verwarnung als zweite Stufe (§ 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 StVG) ergriffen.
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(a) Beide Schreiben wurden dem Antragsteller entgegen seiner Ansicht ordnungsgemäß im Wege der Ersatzzustellung gemäß Art. 3 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 VwZVG i.V.m. § 180 Zivilprozessordnung (ZPO) bereits durch das - mit Postzustellungsurkunde nachgewiesene - Einlegen in den zur Wohnung gehörenden Briefkasten zugestellt, sodass es auf die strittige Tatsache, ob die Ehefrau die beiden Schreiben an den Antragsteller weitergegeben habe, nicht ankommt. Mit der Einlegung gilt das Schriftstück als zugestellt (§ 180 S. 2 ZPO). Im Übrigen wird hier auf die Begründung der Antragsgegnerin vom 8. Oktober 2019 Bezug genommen.
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(b) Die Fahrerlaubnisbehörde ging ferner zum Zeitpunkt der Ermahnung am 12. März 2019 zu Recht von vier Punkten und zum Zeitpunkt der Verwarnung am 16. April 2019 zu Recht von sechs Punkten aus, da ihr die übrigen Taten jeweils erst später, d.h. nach Ermahnung bzw. Verwarnung bekannt wurden. Dass die zur Entziehung führende Tat vom 7. Februar 2019 somit bereits vor der Ermahnung bzw. Verwarnung begangen war, aufgrund erst späterer Rechtskraft und darauffolgender Mitteilung an die Fahrerlaubnisbehörde aber erst zeitlich nach der Ermahnung bzw. Verwarnung berücksichtigt wurde, führt nicht zu einer Punktereduzierung gemäß § 4 Abs. 6 Sätze 3 und 2 StVG, vgl. § 4 Abs. 5 Satz 6 Nr. 1 StVG.
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Spätestens seit der zum 5. Dezember 2014 in Kraft getretenen erneuten Gesetzesänderung bezüglich des StVG ist für das Ergreifen von Maßnahmen nach rechtskräftiger Ahndung der Zuwiderhandlung nicht mehr ausschließlich auf den sich für den betreffenden Tattag ergebenden Punktestand abzustellen. Maßgebend für die Rechtmäßigkeit einer Maßnahme nach § 4 Abs. 5 Satz 1 StVG und eine Verringerung des Punktestandes nach § 4 Abs. 6 Sätze 3 und 2 StVG sind die im Fahrerlaubnisregister eingetragenen und der Fahrerlaubnisbehörde im Zeitpunkt des Ergreifens der Maßnahme nach § 4 Abs. 8 StVG übermittelten Zuwiderhandlungen. Nach neuer Rechtslage sollen im Rahmen des Fahreignungs-Bewertungssystems bei Fahrerlaubnisinhabern, die sich durch eine Anhäufung von innerhalb kurzer Zeit begangenen Verkehrsverstößen als ungeeignet erwiesen haben, die Verkehrssicherheit und das Ziel, die Allgemeinheit vor ungeeigneten Fahrern zu schützen, Vorrang vor dem Erziehungsgedanken haben. Für das Fahreignungs-Bewertungssystem des § 4 StVG soll es nicht mehr darauf ankommen, dass eine Maßnahme den Betroffenen vor der Begehung weiterer Verstöße erreicht und ihm die Möglichkeit der Verhaltensänderung einräumt, bevor es zu weiteren Maßnahmen kommen darf. Die Erziehungswirkung liegt - laut dem Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur zur Begründung der vorgeschlagenen und im Gesetzgebungsverfahren angenommenen Änderungen des Regierungsentwurfs - dem Gesamtsystem als solchem zu Grunde, während die Stufen in erster Linie der Information des Betroffenen dienen. Die Maßnahmen stellen somit lediglich eine Information über den Stand im System dar. Die Prüfung der Behörde, ob die Maßnahme der vorangehenden Stufe bereits ergriffen worden ist, ist vom Kenntnisstand der Behörde bei der Bearbeitung zu beurteilen und beeinflusst das Entstehen von Punkten nicht (BT-Drs. 18/2775 S. 9 f.). Umgesetzt wird dieser vom Gesetzgeber gewollte Systemwechsel insbesondere durch § 4 Abs. 5 Satz 6 Nr. 1 und § 4 Abs. 6 Satz 4 StVG (vgl. zum Ganzen BVerwG, U.v. 26.01.2017 - 3 C 21/15 - juris Rn. 22 ff.). Streng nach dem Tattagsprinzip wären zum Zeitpunkt der Ergreifung der Maßnahme der Ermahnung nach der insgesamt letzten Tat vom 18. Februar 2019 zwar bereits acht Punkte verwirklicht gewesen, sodass grundsätzlich bereits der Punktestand für eine Entziehung erfüllt gewesen wäre. Allerdings hatte die Fahrerlaubnisbehörde zu diesem Zeitpunkt noch keine Kenntnis von den übrigen Taten, sodass die ausgesprochene Ermahnung die korrekte Maßnahme darstellte. Die Einbeziehung dieser Tat in die Berechnung des für die Maßnahme der Entziehung maßgeblichen Punktestandes wird hierdurch ausdrücklich nicht gehindert gemäß § 4 Abs. 5 Satz 6 Nr. 1 StVG. Da somit beide vorhergehenden Maßnahmen-Stufen ordnungsgemäß durchlaufen worden sind, kommt es nicht zu einer Punktereduzierung wegen Nichtergreifens einer vorhergehenden Maßnahme nach § 4 Abs. 6 Sätze 3 und 2 StVG (vgl. zum Ganzen VG Augsburg, B.v. 8.7.2019 - Au 7 S 19.751, bestätigt vom BayVGH, B.v. 23.9.2019 - 11 CS 19.1542).
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(c) Nach der Ermahnung vom 12. März 2019 bzw. der Verwarnung vom 16. April 2019 kam der Antragsteller zu keinem Zeitpunkt mehr auf einen Punktestand der niedrigeren Stufe, sodass eine erneute Maßnahmendurchführung wegen Zurückfallens auf einen geringeren Punktestand nicht zu erfolgen hatte. Vielmehr beging er alle sieben Ordnungswidrigkeiten innerhalb von nur ca. einem Jahr.
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(3) Folglich ist auch die auf die Entziehung gestützte - sofort vollziehbare - Anordnung zur Ablieferung des Führerscheins nach § 3 Abs. 2 Satz 3 StVG, § 47 Abs. 1 Satz 2 FeV rechtmäßig und verletzt den Antragsteller nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
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bb) Erweist sich somit der angefochtene Bescheid als mit hoher Wahrscheinlichkeit rechtmäßig, so besteht auch kein Anlass, von dem durch § 4 Abs. 9 StVG gesetzlich statuierten Sofortvollzug durch eine gerichtliche Entscheidung abzugehen. Im Sinne der allgemeinen Verkehrssicherheit ist es nicht verantwortbar, den Antragsteller angesichts der dokumentierten nachhaltigen und innerhalb von nur ca. einem Jahr begangenen wiederholten und punktebewerteten Verkehrsverstöße bis zur eventuellen Bestandskraft der Fahrerlaubnisentziehung am Straßenverkehr teilnehmen zu lassen. Es besteht ein erhebliches Interesse der Allgemeinheit, vor Kraftfahrern geschützt zu werden, die ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen sind. Da sich die angeordnete Maßnahme nach dem oben Gesagten bei summarischer Prüfung als rechtmäßig erweisen dürfte, besteht kein Raum, entgegen der vom Gesetzgeber in § 4 Abs. 9 StVG vorgenommenen Bewertung die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen bzw. wiederherzustellen. Auch seine Erfahrungen aus der jüngeren Vergangenheit, in der dem Antragsteller bereits einmal die Fahrerlaubnis entzogen worden war, haben ihn davon abhalten können, erneut Verkehrsordnungswidrigkeiten gehäuft innerhalb kürzester Zeit zu begehen, die der Verordnungsgeber als verkehrssicherheitsgefährdend einstuft. Die mit der sofort vollziehbaren Entziehung seiner Fahrerlaubnis für den Antragsteller verbundenen Nachteile müssen von ihm im Hinblick auf den hohen Rang der durch die Verkehrsteilnahme eines ungeeigneten Kraftfahrers gefährdeten Rechtsgüter wie Leben und Gesundheit und das entsprechende Interesse der Verkehrssicherheit daher hingenommen werden (vgl. SächsOVG, B.v. 19.5.2016 - 3 B 37/16 - juris Rn. 7; VGH BW, B.v. 4.11.2013 - 10 S 1933/13 - NJW 2014, 487 ff.). Solche negativen Auswirkungen auf den Betroffenen sind typisch und waren dem Gesetzgeber bei Schaffung der Vorschrift bekannt. Maßgeblich ist, dass das vom Antragsteller ausgehende Gefährdungspotential erheblich über dem des Durchschnitts anderer Fahrzeugführer liegt. Dies zeigen insbesondere die für ihn im FAER eingetragenen Zuwiderhandlungen. Der Antragsteller hat mehrfach Geschwindigkeitsbegrenzungen erheblich überschritten und beim Führen des Fahrzeugs ein Mobiltelefon benutzt. Diese Kumulation aus den immer gleich strukturierten Tatvorgängen zeigt, dass die Eintragungen im FAER keine Anhäufung von unglücklichen Umständen, sondern Produkt eines uneinsichtigen, vom durchschnittlichen Fahrzeugführer deutlich abweichenden Fahrverhaltens sind.
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Auch im Hinblick auf die von der Behörde angeordnete sofortige Vollziehung der Ablieferung des Führerscheins (§ 3 Abs. 2 Satz 3 StVG, § 47 Abs. 1 Satz 2 FeV) kommt bei dieser Sachlage eine Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage nicht in Betracht.
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c) Es ist darauf hinzuweisen, dass die Entziehung der Fahrerlaubnis ab einem Stand von acht Punkten zwingend ist und der Fahrerlaubnisbehörde insoweit keinerlei Ermessensspielraum bleibt. Nicht gefolgt werden kann daher der Ansicht der Antragsgegnerin, dass ihr für die Entziehung der Fahrerlaubnis zwar kein Entschließungs-, aber ein Auswahlermessen zustehe (s. S. 7 des Bescheides). Der Gesetzeswortlaut des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 StVG ist ebenso wie der des allgemeinen Art. 3 Abs. 1 Satz 1 StVG insoweit eindeutig. Die Ausführungen zu den Möglichkeiten von Beschränkungen und Auflagen gehen daher von vornherein fehl. Der Antragsteller wird seine Fahrerlaubnis auf jeden Fall erst wieder erhalten, wenn er eine Frist von sechs Monaten nach Ablieferung des Führerscheins abgewartet (§ 4 Abs. 10 Sätze 1 und 3 StVG) und in der Regel ein positives Gutachten einer Begutachtungsstelle für Fahreignung beigebracht hat (§ 4 Abs. 10 Satz 4 StVG).
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3. Der Antrag war nach allem mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.
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4. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2 und § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. den Empfehlungen Nr. 1.5 Satz 1 und 46.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (abgedruckt in Kopp/Schenke, VwGO, 23. Aufl. 2017, Anh. § 164 Rn. 14). Danach ist für die Fahrerlaubnis Klasse B ein Streitwert von 5000,- EUR zu berücksichtigen, der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes zu halbieren ist. Die in der Klasse B enthaltenen Klassen (§ 6 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 FeV) sind nicht gesondert zu berücksichtigen. Die Fahrerlaubnisklasse A wirkt sich nicht streitwerterhöhend aus, weil sie nach der Anlage 3 zur FeV mit den Schlüsselzahlen 79.03 und 79.04 der Anlage 9 (Nrn. 53 und 54: Begrenzung auf dreirädrige Fahrzeuge und Fahrzeugkombinationen) eingeschränkt ist (vgl. BayVGH, B.v. 30.1.2014 - 11 CS 13.2324 - juris Rn. 21 ff.). Gleiches gilt für die Klasse A 1 mit dem Zusatz 79.04.