Inhalt

BayObLG, Beschluss v. 24.10.2019 – 1 AR 118/19
Titel:

Zuständigkeitsbestimmung bei Klagen nach UKlaG

Normenketten:
UKlaG § 1, § 4, § 7
GVG § 119a S. 1 Nr. 1
ZPO § 36 Abs. 1 Nr. 6
KWG § 1 Abs. 1 S. 2, Abs. 1a S. 2
EGZPO § 9
Leitsätze:
§ 119a Satz 1 Nr. 1 GVG erfasst Streitigkeiten nicht, die Ansprüche nach dem Unterlassungsklagengesetz wegen der Verwendung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen in Verträgen über Bank- und Finanzgeschäfte betreffen.
§ 36 ZPO gilt nicht nur für die Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit, sondern ist entsprechend auf die Bestimmung der gesetzlich festgelegten funktionellen Zuständigkeit anzuwenden. Dies gilt insbesondere für die Fälle, in denen zwei Spruchkörper eines Gerichts unterschiedlicher Auffassung darüber sind, ob die Voraussetzungen des § 72a GVG oder des § 119a GVG vorliegen  (Rn. 6). (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Allgemeine Geschäftsbedingungen, funktionelle Zuständigkeit, Bank, Geschäftsverteilung
Fundstelle:
BeckRS 2019, 25440

Tenor

Funktionell zuständig ist der nach der Geschäftsverteilung des Oberlandesgerichts Bamberg für Ansprüche nach dem Unterlassungsklagengesetz zuständige Zivilsenat.

Gründe

I.
1
Der klagende Verbraucherschutzverband hat gegen die beklagte Genossenschaftsbank Ansprüche gemäß § 1 UKlaG auf Unterlassung der Verwendung von Preisklauseln in deren Allgemeinen Geschäftsbedingungen sowie gemäß § 7 UKlaG auf Urteilsveröffentlichung geltend gemacht. Mit Urteil vom 9. November 2018 hat das Landgericht Bamberg die Beklagte antragsgemäß verurteilt.
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Deren dagegen eingelegte Berufung hat zunächst der - nach der Geschäftsverteilung 2018 des Oberlandesgerichts Bamberg für Ansprüche nach dem Unterlassungsklagengesetz zuständige - 3. Zivilsenat behandelt. Auf Rüge der Beklagten, dass es sich um eine Streitigkeit aus Bank- und Finanzgeschäften i. S. d. § 119a Satz 1 Nr. 1 GVG handele, hat sich dieser Senat mit den Parteien mitgeteiltem Beschluss vom 19. Juni 2019 für funktionell unzuständig erklärt, weil der Rechtsstreit der gesetzlichen Sonderzuständigkeit des nach der Geschäftsverteilung für Banksachen i. S. d. § 119a Satz 1 Nr. 1 GVG zuständigen 8. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Bamberg unterliege. Dieser hat sich mit den Parteien mitgeteiltem Beschluss vom 13. August 2019, 8 AR 1/19, für unzuständig erklärt und die Übernahme des Berufungsverfahrens abgelehnt. Der 2. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Bamberg, dem der 3. Zivilsenat die Sache zur Bestimmung des zuständigen Zivilsenats vorgelegt hatte, hat mit Beschluss vom 12. September 2019 erklärt, für die Bestimmung nicht zuständig zu sein, und den Rechtsstreit zur Bestimmung der Zuständigkeit an das Bayerische Oberste Landesgericht abgegeben.
II.
3
Auf die zulässige Vorlage des 3. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Bamberg ist die funktionelle Zuständigkeit des nach der Geschäftsverteilung des Oberlandesgerichts Bamberg für Ansprüche nach dem Unterlassungsklagengesetz zuständigen Zivilsenats auszusprechen.
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1. Die Voraussetzungen für eine Zuständigkeitsbestimmung gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 6, Abs. 2 ZPO durch das Bayerische Oberste Landesgericht liegen vor.
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a) Das Bayerische Oberste Landesgericht ist zur Bestimmung des zuständigen Senats berufen. Das folgt ungeachtet der Frage, inwieweit der Beschluss des 2. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Bamberg vom 12. September 2019 Bindungswirkung entfaltet, schon aus den Regelungen des § 36 ZPO.
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Diese gelten nicht nur für die Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit, sondern sind entsprechend auf die Bestimmung der gesetzlich festgelegten funktionellen Zuständigkeit anzuwenden (vgl. BGH, Beschluss vom 16. September 2003, X ARZ 175/03, BGHZ 156, 147 [juris Rn. 10 f.]; Toussaint in BeckOK ZPO, 34. Ed. Stand: 1. September 2019, § 36 Rn. 36, 37.3 u. 38.2; Heinrich in Musielak/Voit, ZPO, 16. Aufl. 2019, § 36 Rn. 3; Schultzky in Zöller, ZPO, 32. Aufl. 2018 § 36 Rn. 4 u. 39; Patzina in Münchener Kommentar zur ZPO, 5. Aufl. 2016, § 36 Rn. 5; Roth in Stein/Jonas, ZPO, 23. Aufl. 2014, § 36 Rn. 4; vgl. auch BGH, Beschluss vom 11. März 2014, X ARZ 664/13, NJW-RR 2014, 573 Rn. 5). Dies gilt insbesondere für die Fälle, in denen zwei Spruchkörper eines Gerichts unterschiedlicher Auffassung darüber sind, ob die Voraussetzungen des § 72a GVG oder des § 119a GVG vorliegen (vgl. BT-Drucks. 18/11437, S. 45 f.; zu § 72a GVG: KG, Beschluss vom 14. März 2019, 2 AR 6/19, juris Rn. 4; Beschluss vom 22. März 2018, 2 AR 11/18, NJW-RR 2018, 639 Rn. 4 f.; OLG München, Beschluss vom 7. Februar 2019, 34 AR 114/18, juris Rn. 9; OLG Hamburg, Beschluss vom 12. Oktober 2018, 6 AR 17/18, juris Rn. 6; OLG Nürnberg, Beschluss vom 18. Juni 2018, 1 AR 990/18, juris Rn. 23; OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 23. April 2018, 13 SV 6/18, juris Rn. 12; Feldmann in BeckOK GVG, 4. Ed. Stand: 1. August 2019, § 72a Rn. 6; Mayer in Kissel/Mayer, GVG, 9. Aufl. 2018, § 72a Rn. 10; Lückemann in Zöller, ZPO, § 72a GVG Rn. 2; zu § 119a GVG: OLG Braunschweig, Beschluss vom 8. Februar 2019, 1 W 1/19, juris Rn. 5; OLG Bamberg, Beschluss vom 31. August 2018, 2 ZIV AR 2/18, NJW-RR 2018, 1386 Rn. 18; OLG Hamburg, Beschluss vom 6. August 2018, 6 AR 10/18, juris Rn. 9).
7
Das für die beteiligten Senate des Oberlandesgerichts Bamberg zunächst höhere gemeinschaftliche Gericht ist der Bundesgerichtshof, so dass gemäß § 36 Abs. 2 ZPO i. V. m. § 9 EGZPO das Bayerische Oberste Landesgericht zur Entscheidung im Zuständigkeitsstreit berufen ist.
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b) Die Voraussetzungen für eine Zuständigkeitsbestimmung in entsprechender Anwendung der Vorschrift des § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO liegen vor.
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Insbesondere haben sich die beteiligten Senate des Oberlandesgerichts Bamberg rechtskräftig für unzuständig erklärt. Ausreichend dafür ist, dass die jeweilige endgültige Leugnung der eigenen Zuständigkeit in den Beschlüssen des 3. Zivilsenats vom 19. Juni 2019 und des 8. Zivilsenats vom 13. August 2019 eindeutig zum Ausdruck kommt (vgl. KG NJW-RR 2018, 639 Rn. 6). Ob auch eine Unzuständigkeitserklärung in Form einer Verfügung ausreichen kann (so OLG Hamburg, Beschluss vom 12. Oktober 2018, 6 AR 17/18, juris Rn. 8 f.), bedarf im Streitfall keiner Entscheidung.
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Auch die Bekanntgaben der Unzuständigkeitserklärungen an die Parteien, die jedenfalls erforderlich sind (vgl. KG, Beschluss vom 14. März 2019, 2 AR 6/19, juris Rn. 6; NJW-RR 2018, 639 Rn. 6; OLG Braunschweig, Beschluss vom 8. Februar 2019, 1 W 1/19, juris Rn. 5; OLG München, Beschluss vom 7. Februar 2019, 34 AR 114/18, juris Rn. 10; OLG Hamburg, Beschluss vom 12. Oktober 2018, 6 AR 17/18, juris Rn. 10; OLG Nürnberg, Beschluss vom 18. Juni 2018, 1 AR 990/18, juris Rn. 26; OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 23. April 2018, 13 SV 6/18, juris Rn. 13), liegen im Streitfall vor.
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2. Funktionell zuständig ist nicht der für Streitigkeiten aus Bank- und Finanzgeschäften gemäß § 119a Satz 1 Nr. 1 GVG zuständige Senat, sondern der allgemeine Senat, der nach der Geschäftsverteilung des Oberlandesgerichts Bamberg für die Geltendmachung von Ansprüchen nach dem Unterlassungsklagengesetz zuständig ist.
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a) § 119a Satz 1 Nr. 1 GVG betrifft Streitigkeiten aus Bank- und Finanzgeschäften. Nach den Gesetzgebungsmaterialien werden davon Streitigkeiten umfasst, an denen eine Bank, eine Sparkasse, ein Kredit- oder ein Finanzinstitut beteiligt ist, sofern Ansprüche aus den in § 1 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 1a Satz 2 KWG genannten Geschäften betroffen sind; für § 119a Satz 1 Nr. 1 GVG soll Entsprechendes gelten (vgl. BT-Drucks. 18/11437 a. a. O.). Ob daneben auch Geschäfte im Rahmen der in § 1 Abs. 3 KWG aufgezählten Tätigkeiten in die Sonderzuständigkeit fallen können (vgl. die Darstellung des Meinungsstands bei OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 20. Juni 2018, 11 SV 25/18, NJW-RR 2018, 1274 Rn. 18 m. w. N.), bedarf im Streitfall keiner Entscheidung.
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Die Einrichtung spezialisierter Spruchkörper soll sicherstellen, dass innerhalb des Gerichts eine häufigere Befassung der entscheidenden Spruchkörper mit der jeweiligen Materie eintritt, da die Verfahrenseingänge jeweils diesen zugewiesen werden (vgl. BT-Drucks. 18/11437 a. a. O.). Erfasst von der Zuweisung sind deshalb alle Streitigkeiten, in denen Ansprüche entscheidungserheblich sind, die unmittelbar aus Rechtsbeziehungen erwachsen, die in die in § 119a Satz 1 GVG angeführten Sachgebiete fallen.
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Dagegen gebietet es der Zweck der Einrichtung spezialisierter Spruchkörper nicht, diesen auch alle Streitigkeiten zuzuweisen, bei denen ein lediglich mittelbarer Bezug zu den jeweiligen Sachgebieten deshalb besteht, weil sie gesetzliche Ansprüche Außenstehender zum Gegenstand haben, die sich aus Anlass entsprechender Geschäfte ergeben. So kommen in sämtlichen in § 119a Satz 1 GVG aufgeführten Bereichen Ansprüche qualifizierter Einrichtungen gemäß § 4 UKlaG wegen der Verwendung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen in Betracht (vgl. für Bankgeschäfte BGH, Urt. v. 5. Juni 2018, XI ZR 790/16, NJW 2018, 2950; für Architektenverträge BGH, Urt. v. 11. Juli 2019, VII ZR 266/17, NJW 2019, 2997; für Heilbehandlungsverträge BGH, Urt. v. 20. Dezember 2007, III ZR 144/07, NJW 2008, 987; für Versicherungsvertragsverhältnisse BGH, Urt. v. 17. Oktober 2012, IV ZR 202/10, NJW-RR 2013, 146). Entsprechendes gilt für lauterkeitsrechtliche Ansprüche von Mitbewerbern oder Verbänden (vgl. für Bank- und Finanzgeschäfte BGH, Urt. v. 25. April 2019, I ZR 93/17 -Prämiensparverträge, GRUR 2019, 754; für Ingenieurleistungen bezüglich eines Bauvorhabens OLG München, Urt. v. 20. Oktober 2005, 6 U 2537/04, juris; für Heilbehandlungen BGH, Urt. v. 21. April 2005, I ZR 190/02 -Optometrische Leistungen III, GRUR 2005, 607; für Versicherungsvertragsverhältnisse BGH, Urt. v. 21. April 2016, I ZR 151/15 -Ansprechpartner, GRUR 2016, 1193), zumal eine unlautere geschäftliche Handlung auch in der Verwendung unwirksamer Allgemeiner Geschäftsbedingungen liegen kann (vgl. BGH, Urt. v. 14. Dezember 2017, I ZR 184/15 - Klauselersetzung, GRUR 2018, 423 m. w. N.). Dass auch derartige, mit den in § 119a Satz 1 GVG aufgezählten Gebieten nur mittelbar in Zusammenhang stehende Streitigkeiten spezialisierten Senaten zugewiesen werden sollten, kann weder dem Wortlaut der Vorschrift noch den Materialien dazu entnommen werden. Letztere verweisen vielmehr darauf, dass sich die Regelungen des § 119a Satz 1 GVG an den in § 348 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 ZPO genannten Sachgebieten und deren Begriffsverständnis orientieren (vgl. BT-Drucks. 18/11437, S. 45 f.); bei der Auslegung der Zuweisungsregelungen in § 348 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Buchst. b), c), e) und h) ZPO ist jedoch bislang - soweit ersichtlich - nicht vertreten worden, dass davon auch Streitigkeiten nach dem Unterlassungsklagengesetz oder dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb mit Bezug zu diesen Bereichen erfasst seien. Entsprechend kann auch den Regelungen des § 119a Satz 1 GVG ein solcher Gehalt nicht beigemessen werden.
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b) Der Kläger macht mit dem vorliegenden Rechtsstreit gegen die beklagte Bank keine Ansprüche geltend, die ihm unmittelbar aus einem konkreten BankundFinanzgeschäft erwachsen wären, sondern gesetzliche Ansprüche nach dem Unterlassungsklagengesetz, die ihm als Verein zur Wahrnehmung von Verbraucherinteressen zustehen sollen. Dieser Rechtsstreit wird nicht von der Zuweisung des § 119a Satz 1 Nr. 1 GVG erfasst, so dass für ihn der allgemeine Zivilsenat zuständig ist, dem die Geschäftsverteilung des Oberlandesgerichts Bamberg die Zuständigkeit für Ansprüche nach dem Unterlassungsklagengesetz zuweist.