Inhalt

VG Augsburg, Beschluss v. 18.10.2019 – Au 8 S 19.1737
Titel:

Rechtsschutz gegen versammlungsrechtliche Auflagen

Normenketten:
VwGO § 80 Abs. 5
BayVersG Art. 7 Nr. 1, Art. 15 Abs. 1
GG Art. 8 Abs. 1
Leitsätze:
1. Soweit Versammlungsteilnehmern untersagt wird, Gegenstände mitzuführen, die objektiv als Waffe oder zur Abwehr polizeilicher Maßnahmen geeignet sind, kann dies im Rahmen der summarischen Prüfung gemäß § 80 Abs. 5 VwGO nicht beanstandet werden. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
2. Es stellt eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung dar, die Flagge der Europäischen Union als Fußabtreter zu benutzen. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
vorläufiger Rechtsschutz, Versammlungsfreiheit, Beschränkungen, Meinungsfreiheit, Gewaltbereitschaft, unter freiem Himmel, Waffe, öffentliche Ordnung, Flagge der Europäischen Union, Fußabtreter
Fundstelle:
BeckRS 2019, 25358

Tenor

I. Die aufschiebende Wirkung der Klage vom 18. Oktober 2019 gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 17. Oktober 2019 wird hinsichtlich Ziffer 11 des Bescheids angeordnet. Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
II. Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragsteller zu 2/3, die Antragsgegnerin zu 1/3.
III. Der Streitwert wird auf 2.500,- EUR festgesetzt.

Gründe

I.
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Der Antragsteller wendet sich gegen versammlungsrechtliche Auflagen für eine Versammlung am 19. Oktober 2019 im Stadtgebiet der Antragsgegnerin.
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Der Antragsteller meldete mit E-Mail vom 11. Oktober 2019 eine öffentliche Versammlung unter freiem Himmel für den 19. Oktober 2019 im Zeitraum von 14:00 bis 00:00 Uhr bei der Antragsgegnerin an. Thema dieser Versammlung ist „...“. Veranstalter der Versammlung ist der Gebietsverband ... der Partei „...“. Die Versammlung soll über zentrale Straßen und Plätze in ... führen. Als Teilnehmerzahl wurde die Zahl von ungefähr 40 Teilnehmern genannt.
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Als Kundgebungsmittel wurden verschiedene Gegenstände benannt, darunter unter anderem Fahnenstangen bis 2 m Länge, zivile Parteikleidung (T-Shirts in schwarz und beige, Kapuzenpullover in grün, Zipperjacken in grün sowie Nylonregenjacken in schwarz und grün) und eine große EU-Flagge als Fußabtreter.
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Mit Bescheid vom 17. Oktober 2019 erließ die Antragsgegnerin für die Versammlung unter anderem folgende Auflagen:
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8. Den Versammlungsteilnehmern ist es untersagt, Gegenstände mitzuführen, die objektiv als Waffe oder zur Abwehr polizeilicher Maßnahmen geeignet sind (zum Beispiel spitze Gegenstände, Wurfgegenstände, Glasflaschen, Dosen).
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11. Die geplante „zivile Parteikleidung“ (siehe Beschreibung in der Anzeige) wird abgelehnt, dass sie als Ausdruck einer gemeinsamen politischen Gesinnung getragen wird und dadurch eine einschüchternde Wirkung entsteht (vgl. Art. 7 BayVersG).
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15. Eine EU-Fahne darf nicht als Fußabtreter verwendet werden.
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Zur Begründung hinsichtlich der Auflage Ziffer 8 führte die Antragsgegnerin aus, dass hierdurch gerade auch die Versammlungsteilnehmer selbst geschützt würden. Zudem solle verhindert werden, dass Straftaten aus der Versammlung heraus begangen wurden. Hinsichtlich der Auflage Ziffer 11 führte die Antragsgegnerin aus, dass das Tragen der gleichartigen Kleidung in militärähnlichen Farben an einen militärischen Aufmarsch erinnere, der durch Art. 7 BayVersG verhindert werden solle. Derartige Verhaltensweisen würden eine einschüchternde, uniforme Militanz darstellen, die nicht mehr durch die Versammlungsfreiheit gedeckt seien. Die Mehrheit der Bevölkerung empfinde ein militärisches Auftreten gerade bei rechtsextremistischen Vereinigungen als bewusste Anknüpfung an die NS-Zeit. Man könne sogar eine entsprechende Sozialnorm annehmen, wonach ein entsprechendes Auftreten als unerträglich empfunden werde. Hinsichtlich Ziffer 15 führte die Antragsgegnerin aus, dass es ein Zeichen für die Abwertung der Werte eines Rechtsstaats sei, die EU-Flagge als Fußabtreter zu nutzen. Dies suggeriere Gewaltbereitschaft und stehe nicht mit dem friedlichen Charakter der Versammlung in Einklang.
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Hiergegen ließ der Antragsteller mit Schriftsatz vom 18. Oktober 2019 Klage erheben (Au 8 K 19.1736). Über diese ist noch nicht entschieden.
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Zugleich begehrt er im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes,
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die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage des Antragstellers vom 17. Oktober 2019 gegen die Ziffern 8, 11 und 15 des Beschränkungsbescheids der Antragsgegnerin vom 17. Oktober 2019 wiederherzustellen.
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Zur Begründung wird ausgeführt, dass die erlassenen Beschränkungen den Antragsteller in seinen Grundrechten aus Art. 8 GG verletzen würden. Die Voraussetzungen des Art. 15 Abs. 1, 2 BayVersG würden nicht vorliegen. Es seien keinerlei unmittelbare Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung bei Durchführung der Versammlung ohne die angefochtenen Beschränkungen ersichtlich. Die Beschränkung der Nummer 8 des Bescheides werde dem Bestimmtheitsgebot nicht gerecht. Nahezu jeder körperliche Gegenstand sei objektiv als Waffe oder zur Abwehr polizeilicher Maßnahmen geeignet. Eine Einschränkung der ausufernden Beschränkung werde auch durch die nur beispielhafte Aufzählung nicht erreicht. Die Beschränkung Nr. 11 des Bescheides greife in das Grundrecht der Meinungsfreiheit gemäß Art. 5 GG und der Versammlungsfreiheit gemäß Art. 8 GG ein, ohne gerechtfertigt zu sein. Es sei unzutreffend, dass die zivile Parteikleidung der Partei „...“ Uniformen substituiere. Die zivile Parteikleidung weise keine erkennbaren Bezüge zur Uniformenbekleidung historisch bekannter militanter Gruppierungen auf. Die Antragsgegnerin übersehe zudem die Mannigfaltigkeit der verwendeten Parteikleidung, welche unterschiedliche Kleidungsstücke sowie unterschiedliche Schnitte und Farben umfasse. Auch das Verwenden von Fahnen stelle kein militärisches Gebaren dar. Die Antragsgegnerin übersehe zudem, dass die Versammlung auf öffentliche Kundgabe und Kommunikation ausgelegt sei. Auch die Beschränkung Nr. 15 sei rechtswidrig. Das Verwenden der EU-Flagge als Fußabtreter stelle eine Form der Meinungskundgabe dar. Dies suggeriere weder Gewaltbereitschaft noch werde dadurch ein Zeichen für die Abwertung der Werte eines Rechtsstaats gesetzt. Die Antragsgegnerin habe in jedem Fall das ihr in Art. 15 Abs. 1, 2 BayVersG eingeräumte Ermessen unter Ausblendung der Versammlungsfreiheit des Antragstellers ausgeübt.
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Die Antragsgegnerin beantragt,
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den Antrag abzulehnen.
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Die Auflage in Ziffer 8 des Bescheides scheitere nicht am Bestimmtheitsgebot, sie mache vielmehr deutlich, welchen Regelungsinhalt die Auflage haben soll. Es handele sich um eine Konkretisierung des bereits in Art. 6 BayVersG aufgeführten Waffenverbots. Ziffer 11 sei ebenfalls nicht rechtswidrig, da schon bisherige Demonstrationen der Gruppierung zeigen würden, wie militant gleichartige Kleidung bei solchen Versammlungen wirke. Die EU-Flagge als Fußabtreter zu benutzen, sei geeignet, das Zusammengehörigkeitsgefühl der Bevölkerung massiv zu beeinträchtigen und Ängste zu schüren. Auch die Auflage in Ziffer 15 sei damit rechtmäßig.
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Ergänzend wird auf den Inhalt der Gerichtsakte Bezug genommen.
II.
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Der zulässige Antrag hat nur teilweise Erfolg.
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Bei der hier nach § 80 Abs. 5 VwGO zu treffenden Entscheidung waren die Interessen des Antragstellers und der Antragsgegnerin gegeneinander abzuwägen. Besondere Bedeutung kommt dabei den Erfolgsaussichten in der Hauptsache zu, soweit sie im Rahmen der hier nur gebotenen und möglichen summarischen Prüfung bereits beurteilt werden können. Auch die Bedeutung des verfassungsrechtlichen Schutzes der Versammlungsfreiheit durch Art. 8 Grundgesetz (GG) ist in diesem Rahmen zu berücksichtigen.
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Rechtsgrundlage der hier streitigen Beschränkungen ist Art. 15 Abs. 1 Bayerisches Versammlungsgesetz (BayVersG). Danach kann die zuständige Behörde eine Versammlung beschränken oder verbieten, wenn nach den zum Zeitpunkt des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet ist. Diese Voraussetzungen sind vorliegend nur zum Teil erfüllt.
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1. Soweit in Ziffer 8 des angegriffenen Bescheids den Versammlungsteilnehmern untersagt wird, Gegenstände mitzuführen, die objektiv als Waffe oder zur Abwehr polizeilicher Maßnahmen geeignet sind, kann dies im Rahmen der hier nur möglichen summarischen Prüfung nicht beanstandet werden. Die Beschränkung ist im Lichte des Art. 8 GG auszulegen, dessen Schutzbereich nur eine friedliche Versammlung ohne Waffen gewährleistet. Die landesrechtliche Vorschrift des Art. 6 BayVersG konkretisiert das in Art. 8 Abs. 1 GG bestimmte Bewaffnungsverbot. Mit der von der Antragsgegnerin getroffenen Formulierung wird hinreichend deutlich, dass die Teilnehmer der Versammlung dem Bewaffnungsverbot entsprechend zu verhalten haben. Eine Aufzählung der einzelnen Gegenstände, die dem Bewaffnungsverbot entgegenstünden, ist weder möglich noch erforderlich.
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2. Die aufschiebende Wirkung hinsichtlich Ziffer 11 des Bescheids war anzuordnen. Gemäß Art. 7 Nr. 1 BayVersG ist das Tragen von Uniformteilen oder gleichartige Kleidungsstücken als Ausdruck einer gemeinsamen politischen Gesinnung verboten, sofern dadurch eine einschüchternde Wirkung entsteht. Nach der im Eilverfahren gebotenen und ausreichenden summarischen Prüfung ist nicht hinreichend dargelegt, inwieweit alleine durch das Tragen der von dem Antragsteller aufgeführten zivilen Parteikleidung eine einschüchternde Wirkung entsteht. Die in Ziffern 9 und 10 des Bescheids getroffenen Verbote von Fackeln und Pyrotechnik sowie des Schlagens des Marschtakts mit Trommeln wurden von dem Antragsteller nicht angegriffen. Das bloße Tragen von - wenn auch dunkelfarbigen - T-Shirts, Kapuzenpullovern und Jacken erinnert für sich genommen noch nicht an einen militärischen Aufmarsch.
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3. Die Beschränkung in Ziffer 15 des Bescheids erweist sich nach summarischer Prüfung als rechtmäßig. Entgegen der Auffassung des VG Chemnitz (U.v. 20.3.2019 - 2 K 932/18) stellt es eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung dar, die Flagge der Europäischen Union als Fußabtreter zu benutzen. Unter der öffentlichen Ordnung ist dabei die Gesamtheit der ungeschriebenen Regeln zu verstehen, deren Befolgung nach den jeweils herrschenden sozialen und ethischen Anschauungen als unerlässliche Voraussetzung für ein geordnetes menschliches Zusammenlebens innerhalb eines bestimmten Gebiets gilt (BVerwG, U.v. 26.2.2014 - 6 C 1/13; BVerfG, B.v. 7.4.2001 - 1 BvQ 17/01; BayVGH, B.v. 8.11.2005 - 24 CS 05.2916). Wie die Antragsgegnerin zutreffend ausführt, gründet die Europäische Union unter anderem auf Werte wie die Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit und Rechtsstaatlichkeit. Diese Werte sind nach den in der Bundesrepublik vorherrschenden sozialen und ethischen Anschauungen für ein geordnetes Zusammenleben unerlässlich. Die Nutzung der EU-Flagge als Fußabtreter ist offensichtlich auf eine verachtende und ehrkränkende Ablehnung der Europäische Union und der von ihr vertretenen Werte gerichtet. Diese Art der Meinungskundgabe widerspricht damit grundlegenden Formen der Meinungsauseinandersetzung und stellt somit einen Verstoß gegen die öffentliche Ordnung dar.
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Die Kostenentscheidung basiert auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
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Der Streitwert war nach § 52 Abs. 2, 53 Abs. 3 Nr. 2 GKG zu bestimmen. Das Gericht orientiert sich dabei an den Empfehlungen des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (dort unter Nrn. 45.4 und 1.5).