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VG Würzburg, Beschluss v. 26.09.2019 – W 8 S 19.31767
Titel:

Kein einstweiliger Rechtsschutz für algerischen Staatsangehörigen gegen angedrohte Abschiebung

Normenketten:
VwGO § 80 Abs. 5
AsylG § 30
AsylG § 36 Abs. 4 Satz 1
AsylG § 77 Abs. 2
AufenthG § 60 Abs. 7
Schlagworte:
Sofortverfahren, Algerien, offensichtlich unbegründet, Bezugnahme auf Bundesamtsbescheid, Streit mit anderer Familie, tätliche Übergriffe, Schutz vor strafbaren Handlungen in Algerien, inländische Aufenthaltsalternative, Sicherung des Existenzminimums, einstweiliger Rechtsschutz, Abschiebungsandrohung, Ausreiseaufforderung, algerischer Staatsangehöriger, Familienkrieg, wirtschaftliche Situation, zumutbare inländische Fluchtalternative
Fundstelle:
BeckRS 2019, 23923

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.
1
Der Antragsteller ist algerischer Staatsangehöriger. Die Antragsgegnerin lehnte seinen Asylantrag mit Bescheid vom 4. September 2019 (zugestellt am 9.9.2019) als offensichtlich unbegründet ab und drohte ihm die Abschiebung nach Algerien an.
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Der Antragsteller erhob am 20. September 2019 im Verfahren W 8 K 19.31745 Klage gegen den streitgegenständlichen Bescheid und beantragte zu Protokoll der Urkundsbeamtin am 25. September 2019 im vorliegenden Sofortverfahren:
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Die aufschiebende Wirkung der Klage wird angeordnet.
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Zur Antragsbegründung brachte der Antragsteller im Wesentlichen vor: Er habe erhebliche Probleme in Algerien. Es habe einen Familienkrieg zwischen seiner und einer anderen Familie gegeben. Sein Onkel sei von der befeindeten Familie getötet worden, sein Bruder und er selbst seien verletzt worden. Wenn er nach Algerien zurückgehen würde, würde er von der Familie wieder verletzt werden.
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Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte (einschließlich der Akte in der Hauptsache W 8 K 19.31745) und die beigezogenen Behördenakte Bezug genommen.
II.
6
Der Antrag ist bei verständiger Würdigung des Vorbringens des Antragstellers dahingehend auszulegen, dass er der Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen die Abschiebungsandrohung in Nr. 5 des angefochtenen Bescheides begehrt, zumal ein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO betreffend die übrigen Nummern des streitgegenständlichen Bescheides unzulässig wäre (vgl. § 123 Abs. 5 VwGO).
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Der Antrag, die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsandrohung im Bescheid des Bundesamts vom 8. Juli 2019 anzuordnen, hat keinen Erfolg.
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Der Antrag ist zulässig, insbesondere nicht verfristet, obwohl er erst am 25. September 2019 über zwei Wochen nach Zustellung des Bescheides am 9. September 2019 gestellt wurde, weil die Rechtsbehelfsbelehrung:dahingehend, dass die Klage innerhalb von zwei Wochen zu erheben ist, fehlerhaft ist. Denn hier gilt eine Klage- und Antragsfrist von einer Woche über die der Antragsteller zu belehren ist (§ 74 Abs. 1 Hs. 2 i.V.m. § 36 Abs. 3 Satz 1, § 74 Abs. 2 Satz 3 AsylG). Die Rechtsbehelfsbelehrung:ist zum einen Inhaltlich falsch und zum anderen ist sie hinsichtlich der einzuhaltenden Wochenfrist des Sofortantrags vollständig unterblieben, so dass eine Jahresfrist läuft.
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Der Antrag ist aber unbegründet, da insoweit keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides bestehen (§ 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG).
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Das Gericht folgt den Feststellungen und der Begründung im angefochtenen Bescheid und sieht zur Vermeidung von Wiederholungen von einer nochmaligen Darstellung ab (§ 77 Abs. 2 AsylG). Die Ausführungen im Bescheid decken sich mit der bestehenden Erkenntnislage, insbesondere mit dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes (Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Demokratischen Volksrepublik Algerien vom 25.6.2019, Stand: Mai 2019; vgl. ebenso Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Länderreport 3, Algerien, November 2018; BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Algerien vom 12.3.2018).
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Das Vorbringen des Antragstellers rechtfertigt keine andere Beurteilung. Die angesprochene persönliche Situation ist offensichtlich (vgl. § 30 AsylG) nicht asyl-, flüchtlings- oder sonst schutzrelevant, wie die Antragsgegnerin im streitgegenständlichen Bescheid zutreffend ausgeführt hat. Denn nach dem eigenen Sachvortrag des Antragstellers war der wesentliche Ausreisegrund der Streit mit einer anderen Familie („Familienkrieg“) und die tätlichen Übergriffe sowie seine wirtschaftliche Situation.
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Ergänzend ist anzumerken, dass dem Antragsteller bei einer eventuellen Rückkehr nach Algerien keine Verfolgung bzw. ernsthafte Gefahr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit seitens der Privatpersonen (andere befeindete Familie) droht, weil er insoweit zum einen gehalten ist, sich an die staatlichen Stellen zu wenden, um um Schutz nachzusuchen, und weil zum anderen für ihn insoweit eine zumutbare inländische Flucht- bzw. Aufenthaltsalternative besteht (vgl. § 3e AsylG). Abgesehen davon ist schon fraglich, ob seitens der Privatpersonen noch ein Interesse besteht, gegen den Antragsteller tatsächlich gewaltsam vorzugehen, nachdem der Antragsteller zunächst offenbar noch drei Jahre unbehelligt in Algerien gelebt hat und sich mittlerweile ca. zwei Jahre in Europa aufhält. Jedenfalls besteht für den Antragsteller in Algerien eine zumutbare inländische Aufenthaltsalternative, wenn er sich in einen anderen Teil des Landes, insbesondere in einer anderen Großstadt Algeriens niederlässt (vgl. Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Demokratischen Volksrepublik Algerien vom 25.6.2019, Stand: Mai 2019, S. 16 f.). Der Antragsteller muss sich auf interne Schutzmöglichkeiten in seinem Herkunftsland verweisen lassen. Das Auswärtige Amt sieht selbst für den Fall der Bedrohung durch islamistische Terroristen in den größeren Städten Algeriens ein wirksames (wenngleich nicht vollkommenes) Mittel, um einer Verfolgung zu entgehen. Es ist nicht erkennbar, dass die Privatpersonen den Antragsteller ohne weiteres auffinden können sollten, wenn er seinen ursprünglichen Heimatort meidet und in andere Großstädte geht. Angesichts der Größe Algeriens und der Größe der dortigen Städte, hält es das Gericht nicht für beachtlich wahrscheinlich, dass der Antragsteller fürchten müsste, von den Privatpersonen entdeckt und gefährdet zu werden. Es ist schon nicht ersichtlich, dass die Privatpersonen überhaupt mitbekommen müssten, dass sich der Antragsteller wieder in Algerien aufhält. Darüber hinaus ist nicht auszuschließen, dass bei gewalttätigen Übergriffen nicht doch die Polizei schutzbereit und schutzfähig wäre, wenn auch ein absoluter Schutz naturgemäß nicht gewährleistet werden kann (vgl. VG Minden, B.v. 30.8.2019 - 10 L 370/19.A - juris; U.v. 28.3.2017 - 10 K 883/16.A - juris; U.v. 22.8.2016 - 10 K 821/16.A - juris; VG Magdeburg, U.v. 6.12.2018 - 8 A 206/18 - juris; BayVGH, B.v. 29.10.2018 - 15 ZB 18.32711 - juris; VG Köln, B.v. 24.8.2016 - 3 L 1612/16.A - juris; SaarlOVG, B.v. 4.2.2016 - 2 A 48/15 - juris).
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Des Weiteren liegen keine Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 bzw. Abs. 7 Satz 1 AufenthG vor. Auch insofern wird auf die zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Bescheid, die sich das Gericht zu Eigen macht, Bezug genommen und von einer weiteren Darstellung abgesehen (§ 77 Abs. 2 AsylG).
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Das Gericht hat insbesondere keine durchgreifenden Zweifel, dass dem Antragsteller im Anschluss an seiner Rückkehr die Sicherung seiner wirtschaftlichen Existenz möglich sein wird. Dem Antragsteller ist es zuzumuten, sich eine Arbeit zu suchen, bzw. es besteht die Möglichkeit der Unterstützung von noch in Algerien lebenden Familienmitgliedern, so dass er sich jedenfalls sein Existenzminimum sichern kann. Gegenteiliges folgt auch nicht aus der wirtschaftlichen und sozialen Lage Algeriens, wie auch das Bundesamt im streitgegenständlichen Bescheid ausgeführt hat. In Algerien ist die Grundversorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln und auch die medizinische Grundversorgung gewährleistet (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Demokratischen Volksrepublik Algerien vom 25.6.2019, Stand: Mai 2019, S. 8 f., 20 f.; BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Algerien vom 12.3.2018, S. 24 ff.). Der Antragsteller ist jung und erwerbsfähig; ihm ist wie in der Vergangenheit zuzumuten, zur Sicherung seines Existenzminimums den notwendigen Lebensunterhalt durch Erwerbstätigkeit zu verdienen bzw. gegebenenfalls auf die Unterstützung durch Familienangehörige der in Algerien noch lebenden (Groß-)Familie zurückzugreifen. Letztlich ist dem Antragsteller eine (Re-)Integration in die Lebensverhältnisse seines Heimatstaates möglich und zumutbar (im Ergebnis ebenso VG Minden, B.v. 30.8.2019 - 10 L 370/19.A - juris; U.v. 28.3.2017 - 10 K 883/16.A - juris; U.v. 22.8.2016 - 10 K 821/16.A - juris; BVerwG, U.v. 15.4.2019 - 1 C 46/18 - InfAuslR 2019, 309; U.v. 27.3.2018 - 1 A 5/17 - Buchholz 402.242 § 58a AufenthG Nr. 12; VG Stade, U.v. 1.4.2019 - 3 A 32/18 - Milo; VG Magdeburg, U.v. 6.12.2018 - 8 A 206/18 - juris; VG Köln, B.v. 24.8.2016 - 3 L 1612/16.A - juris).
15
Der Antrag war daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).