Inhalt

LArbG Nürnberg, Beschluss v. 06.08.2019 – 5 Ta 33/19
Titel:

Einigung und Mehrvergleich

Normenketten:
VV-RVG Nr. 1000, Nr. 1003
Satz 3 § 56 Abs. 2 S. 1, 33 Abs. 3
RVG § 56 Abs. 2 S. 1, 33 Abs. 3 S. 3
Leitsatz:
Beantragt eine Partei die Erstreckung von Prozesskostenhilfe auf nicht gerichtliche Ansprüche (Mehrvergleich) fällt dafür eine Einigungsgebühr nach Nr. 1003 VV RVG (1,0) an.
Schlagworte:
Anwendungsbereich, Akteninhalt, Reduzierung, Mehrvergleich
Vorinstanz:
ArbG Weiden, Beschluss vom 07.02.2019 – 3 Ca 951/18
Fundstelle:
BeckRS 2019, 21480

Tenor

Auf die Beschwerde der Staatskasse wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Weiden - Kammer Schwandorf -, Aktenzeichen: 3 Ca 951/18, wie folgt abgeändert:
Die dem Rechtsanwalt S… aus der Staatskasse zu gewährende Vergütung wird auf 1.360,77 € festgesetzt.

Gründe

I.
1
Der Kläger hat mit Einreichung einer Kündigungsschutzklage am 17.08.2018 Prozesskostenhilfe beantragt. Diese wurde ihm nach Vorlage der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse mit Beschluss vom 31.08.2018 bewilligt. Anlässlich der Gütesitzung am 10.10.2018 hat der Klägervertreter beantragt, die Prozesskostenhilfe auf den Vergleich zu erstrecken. Mit Beschluss vom 10.01.2019 erstreckte das Arbeitsgericht Weiden - Kammer Schwandorf - die Prozesskostenhilfebewilligung auf den Vergleich. Mit weiterem Beschluss vom 10.01.2019 hat das Arbeitsgericht den Wert des Streitgegenstandes für das Verfahren auf 7.350,00 € und für den Vergleich auf 11.629,50 € festgesetzt. Mit Schriftsatz vom 14.01.2019 beantragte der prozessbevollmächtigte Rechtsanwalt die Kostenerstattung innerhalb des Prozesskostenhilfeverfahrens. Hierbei beantragte er unter anderem aus einem Gegenstandswert von 7.350,00 € eine 1,0 Einigungsgebühr gemäß § 49 RVG i.V.m. Nrn. 1003, 1000 VV RVG sowie aus einem Gegenstandswert von 4.279,50 € eine 1,5 Einigungsgebühr nach § 49 RVG i.V.m. Nr. 1000 VV RVG unter Berücksichtigung der Obergrenze des § 15 Abs. 3 RVG aus einem Wert von 11.629,50 €. Der zuständige Urkundsbeamte wies den Antrag teilweise ab und führte aus, dass die Einigungsgebühr gemäß Nr. 1003, Satz 2 VV RVG nur zu 1,0 aus einem Wert von 11.629,50 € gewährt werden könne. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass insoweit bereits die Einleitung eines Prozesskostenhilfebewilligungsverfahrens vorgelegen habe und das Gericht nicht nur als reine Beurkundungsstelle in Anspruch genommen worden sei, sondern im Rahmen einer mündlichen Verhandlung mit allen Regelungstatbeständen des Vergleiches befasst gewesen sei (unter Bezugnahme auf eine Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Nürnberg, Beschluss vom 25.06.2009, 4 Ta 61/09, zitiert nach juris). Mit Schriftsatz vom 18.01.2019 legte der antragstellende Rechtsanwalt Erinnerung gegen den Beschluss vom 16.01.2019 ein und begründet dies mit der neuen Rechtsprechung des BGH (Urteil vom 17.01.2018, Az. XII ZB 248/16). Mit Beschluss vom 07.02.2019 hat der zuständige Urkundsbeamte der Erinnerung des Klägervertreters gegen den Festsetzungsbeschluss nicht abgeholfen und sie dem Kammervorsitzenden zur Entscheidung vorgelegt. Dieser hat mit Beschluss vom 07.02.2019 der Erinnerung des Klägervertreters abgeholfen und die zu zahlende Vergütung aus der Staatskasse auf EUR 1.551,79 festgesetzt. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass die vom Urkundsbeamten herangezogene Rechtsprechung des Landesarbeitsgerichts Nürnberg aus dem Jahr 2009 nach Einschätzung des Erstgerichts inzwischen durch neuere Rechtsprechung insbesondere des Bundesgerichtshofs zur vorliegenden Thematik überholt sei. Die Regelung des VV Nr. 1003 RVG (Herabsetzung auf eine 1,0 Einigungsgebühr) greife im Ergebnis nicht ein, da die Rückausnahme für Verträge gemäß § 48 Abs. 3 RVG mit der Konsequenz einer Beibehaltung der 1,5fachen Einigungsgebühr nach den Vorgaben des BGH (a.a.O.) aus verfassungsrechtlichen Gründen auch auf den vorliegenden Fall angewendet werden müsse. So hätte im Ergebnis auch das Landesarbeitsgericht Hamm vom 03.08.2018, 8 Ta 653/17, und das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg vom 16.04.2018, 17 Ta (Kost) 6133/17, entschieden.
2
Das Erstgericht hat im Hinblick auf die abweichende Entscheidungspraxis des übergeordneten Landesarbeitsgerichts Nürnberg die Beschwerde für die Staatskasse nach § 56 Abs. 2, 33 Abs. 3 Satz 2 RVG zugelassen. Die Zustellung des Beschlusses an den Bezirksrevisor erfolgte am 11.02.2019. Dieser hat mit Schreiben vom 14.02.2019 für die Staatskasse Beschwerde eingelegt und beantragt, den Ausgangsbeschluss vom 16.01.2019 wiederherzustellen. Zur Begründung wurde Bezug genommen auf die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Nürnberg vom 02.11.2018, Az. 5 Ta 104/18, zitiert nach juris. Das Erstgericht hat der Beschwerde der Staatskasse mit Beschluss vom 01.03.2019 nicht abgeholfen und ausgeführt, dass nach Meinung des Erstgerichts auch außerhalb des Anwendungsbereichs des § 48 Abs. 3 RVG bei Mehrvergleichen die RVG-Vergütungsansprüche ebenso behandelt werden müssten wie im Anwendungsbereich des § 78 Abs. 3 RVG aus verfassungsrechtlichen Gründen. Der Bundesgerichtshof habe die aufgeworfenen Fragen im Sinne der Rechtsanwälte und Rechtsanwältinnen entschieden. Dies sei aus Sicht des Arbeitsgerichts zu Recht erfolgt, denn das gesetzgeberische Ziel der Entlastung der Justiz könne besser erreicht werden ohne die hier umstrittene Reduzierung von Gebühren bei Einigungen. Das Arbeitsgericht hat die Entscheidung dem Landesarbeitsgericht zur Entscheidung vorgelegt. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.
II.
3
Die Beschwerde des Bezirksrevisors erweist sich als zulässig und begründet.
4
1. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Weiden - Kammer Schwandorf - Aktenzeichen 3 Ca 951/18 vom 07.02.2019 ist statthaft, da die Beschwerde für die Staatskasse zugelassen wurde (§ 56 Abs. 2, 33 Abs. 3 Satz 2 RVG) und gemäß § 56 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 3 Satz 3 RVG innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung des Beschlusses eingelegt wurde.
5
2. Die Beschwerde erweist sich als begründet. Das Landesarbeitsgericht Nürnberg hält an seiner langjährigen Entscheidungspraxis für vergleichbare Fälle fest (siehe u.a. LAG Nürnberg vom 25.06.2009, 4 Ta 61/09, vom 10.10.2018, 2 Ta 121/18 und vom 02.11.2018, 5 Ta 104/18).
6
Die erkennende Kammer sieht dabei keinen Widerspruch zur Entscheidung des BGH vom 17.01.2018, XII ZB 248/16 (zitiert nach juris). Mit dem Antrag auf Prozesskostenhilfe und einem dazu gehörenden Antrag auf Erstreckung der Prozesskostenhilfe wird geregelt, welchen Umfang eine Beiordnung eines Verfahrensbevollmächtigten in einem bereits rechtsanhängigen Verfahren hat, in dem zulässigerweise materiell-rechtliche Gegenstände geregelt werden, die außerhalb des Prozesses streitig oder ungewiss sind (so auch BGH vom 17.01.2018, a.a.O.). Der Antrag auf Erweiterung einer bereits beantragten oder bewilligten Verfahrenskostenhilfe ist zwar nicht mit der Einleitung eines neuen Verfahrenskostenhilfeverfahrens vergleichbar, in dem die Bewilligung von Prozesskostenhilfe von der hinreichenden Aussicht des Erfolges der Rechtsverfolgung abhängen würde. Der Prozesskostenhilfe-Erstreckungsantrag wird jedoch, wie der Name schon sagt, zwangsläufig Bestandteil des bereits anhängigen Prozesskostenhilfeverfahrens. Unstreitig ist dabei, dass der Anspruch auf Prozesskostenhilfe Ausfluss des verfassungsrechtlichen Gebots einer weitgehenden Angleichung der Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes aus Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatprinzip ist (BVerfG in NJW 2012, 3293).
7
Bei der Entscheidung BGH XII ZB 248/12 handelte es sich um eine Entscheidung im Rahmen des Prozesskostenhilfebewilligungsverfahrens und die zu klärende Frage ob bei nichtanhängigen Gegenständen die Prozesskostenhilfeerstreckung lediglich eine Einigungsgebühr auslöst. Hierzu hat der BGH zutreffend unter Einbeziehung verfassungsrechtlicher Überlegungen erkannt, dass die Prozesskostenhilfe alle mit einem Mehrvergleich ausgelösten Gebühren zu umfassen hat.
8
Im hier zu entscheidenden Fall geht es ausschließlich um die Frage, ob dem beigeordneten Rechtsanwalt eine 1,0 Einigungsgebühr (entsprechend Nr. 1003 Abs. 1 VV RVG) oder eine 1,5 Einigungsgebühr gemäß Nr. 1000 VV RVG zusteht. Diese Antwort ergibt sich nach dem Wortlaut eindeutig aus der gesetzlichen Vorschrift und hat nach Nr. 1003 VV RVG zu erfolgen. Für streitgegenständliche Ansprüche wird bei einer gerichtlichen Einigung soweit ersichtlich unzweifelhaft, sowohl in Literatur, Rechtsprechung und Praxis einheitlich von einer 1,0 Einigungsgebühr (unter Anwendung von Nr. 1003 Abs. 1 VV RVG) ausgegangen. Für den Fall der Prozesskostenhilfeerstreckung kann nichts anderes gelten. Wie oben schon dargelegt, ist der Antrag auf Erweiterung einer bereits beantragten oder bewilligten Prozesskostenhilfe nicht mit der Einleitung eines neuen Prozesskostenhilfeverfahrens vergleichbar. Die Prozesskostenhilfeerstreckung wird vielmehr Bestandteil des bereits anhängigen Prozesskostenhilfeverfahrens. Die Einigungsgebühr ergibt sich dann zwingend aus Nr. 1003 VV RVG. Eine andere Sichtweise würde zu einer Privilegierung der nicht streitgegenständlichen Ansprüche führen, die ausdrücklich nicht dem Willen des Gesetzgebers entspricht. Eine Besserstellung lässt sich auch nicht mit verfassungsrechtlichen Erwägungen begründen und ist insoweit auch im Ansatz verfehlt. Verfassungsrechtlich verboten ist lediglich eine Schlechterstellung des nicht Bemittelten. Auch das Argument der Entlastung der Gerichte kann lediglich als Argument herangezogen werden, den berechtigten Gebühreninteressen des Rechtsanwalts Rechnung zu tragen und diese ergeben sich im Rahmen der Prozesskostenhilfe aus Nr. 1003 VV RVG. Soweit der BGH in seiner Entscheidung vom 17.01.2018 eine Einigungsgebühr gem. Nr. 1000 VV RVG erwähnt, ist dies der familienrechtlichen Besonderheit geschuldet, die ausdrücklich in Nr. 1003 VV RVG zur einer Privilegierung führt.
9
Die Beschwerde des Bezirksrevisors erweist sich als begründet. Der angegriffene Beschluss des Arbeitsgerichts Weiden - Kammer Schwandorf - war daher abzuändern. Die zutreffende festzusetzende Vergütung des beigeordneten Rechtsanwaltes ergibt sich aus dem Beschluss des Arbeitsgerichts Weiden - Kammer Schwandorf - vom 16.01.2019.
III.
10
Die Beschwerde ist kostenfrei (§ 56 Abs. 2 Satz 2 und 3 RVG).