Inhalt

LArbG München, Beschluss v. 22.07.2019 – 3 TaBV 37/19
Titel:

Gerichtliche Zustimmungsersetzung bei Umgruppierungen

Normenketten:
BetrVG § 99 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 Nr. 1, Abs. 3 S. 1 u. Abs. 4, § 99
GG Art. 3 Abs. 1, Art. 9 Abs. 3
Leitsatz:
Das Merkmal "Ergotherapie bei Patientinnen und Patienten mit Demenz" der Entgeltgruppe 9b TVöD-K/VKA, Anlage 1, Teil B, XI. Ziff. 6 setzt eine Ergotherapie bei Patientinnen und Patienten mit entsprechender ärztlicher Diagnose voraus. Diese Anforderung wird nicht durch Ergotherapie bei Patientinnen und Patienten erfüllt, die lediglich Symptome der Demenz zeigen.
Schlagworte:
Eingruppierung, Ergotherapeutinnen/Ergotherapeuten, Ergotherapie bei Patientinnen und Patienten mit Demenz, ambulante Behandlung, Betriebsrat, Demenz, Entgeltgruppe, Zustimmung, Tarifvertragsparteien, Gestaltungsspielraum
Vorinstanz:
ArbG München, Beschluss vom 06.02.2019 – 38 BV 102/18
Fundstelle:
BeckRS 2019, 20786

Tenor

1. Die Beschwerde des Beteiligten zu 2. gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts München vom 06.02.2019 - 38 BV 102/18 - wird zurückgewiesen.
2. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe

I.
1
Die Beteiligten streiten über die gerichtliche Zustimmungsersetzung bei Umgruppierungen.
2
Die antragstellende Arbeitgeberin betreibt in A-Stadt vier Kliniken, u.a. das Klinikum Z. mit einer Abteilung für Ergotherapie. Diese Abteilung behandelt Patienten der Stationen Neurologische Frührehabilitation Phase W und Geriatrische Akutbehandlung/Geriatrische Früh-Rehabilitation, der Klinik für Neurologie, Stroke Unit und der neurokognitiven Tagklinik. Des Weiteren erfolgt die Komplexbehandlung von Patienten mit Parkinson und Epilepsie sowie die ambulante Behandlung von Schmerz- und Handpatienten durch die Ergotherapie. Der Beteiligte zu 2) ist der für die Klinik Z. zuständige Betriebsrat.
3
Im Betrieb der Arbeitgeberin findet kraft arbeitsvertraglicher Verweisungsklausel die neue Entgeltordnung TVöD-K/VKA Anwendung. Gemäß § 12 Abs. 1 TVöD-K/VKA richtet sich die Eingruppierung der Beschäftigten nach den Tätigkeitsmerkmalen der Anlage 1 der Entgeltordnung des VKA. Nach § 12 Abs. 2 TVöD-K/VKA ist der Beschäftigte in die Entgeltgruppe eingruppiert, deren Tätigkeitsmerkmale der gesamten, von ihm nicht nur vorübergehend auszuübenden Tätigkeit entspricht. Die Entgeltordnung VKA zum TVöD sieht für Ergotherapeutinnen und Ergotherapeuten im Teil B, Besonderer Teil, XI. Beschäftigte in Gesundheitsberufen Ziffer 6 die Entgeltgruppen 5 bis 9b vor. Die Regelungen zu den streitgegenständlichen Entgeltgruppen 9a und 9b lauten wie folgt (vgl. Bl. 43 d. A.):
„Entgeltgruppe 9a
Beschäftigte der Entgeltgruppe 7, die schwierige Aufgaben erfüllen
(Hierzu Protokollerklärung)
Entgeltgruppe 9b
Beschäftigte der Entgeltgruppe 7, die mindestens zur Hälfte folgende Aufgaben erfüllen:
Ergotherapie bei Patientinnen oder Patienten mit Demenz.
Protokollerklärung:
Schwierige Aufgaben sind z.B. Ergotherapie bei Querschnittslähmungen, in Kinderlähmungsfällen, bei Schlaganfällen, mit spastisch Gelähmten, in Fällen von Dysmelien, in der Psychiatrie oder Geriatrie oder bei Kleinkindern bis sechs Jahren. ...“
4
Die bei der Arbeitgeberin beschäftigten Ergotherapeuten sind in der Entgeltgruppe 9a eingruppiert.
5
Die Arbeitgeberin hat mit Schreiben vom 28.02.2018 u.a. die Umgruppierung der Mitarbeiterinnen K., W. und R. in die neue Entgeltgruppe 9a TVöD-K/VKA beantragt. In der Begründung dieser Entgeltgruppe erklärte sie, dass eine Eingruppierung in die Entgeltgruppe 9b TVöD-K/VKA nicht in Betracht käme. Die Entgeltgruppe 9b sei nur dann die richtige Eingruppierung, wenn die betreffende Mitarbeiterin zu 50% ihres Tätigkeitsumfangs die dort beschriebene Aufgabe wahrnehmen würde. Dies sei bei den genannten Ergotherapeutinnen nicht der Fall. Sie erbrächten höchstens 21% der Tätigkeiten mit demenzerkrankten Patienten, selbst wenn man davon ausginge, dass alle Patienten mit diagnostizierter Demenz auch eine Ergotherapie erhielten.
6
Der Betriebsrat hat der Umgruppierung widersprochen. Es läge ein Verstoß gegen § 99 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG vor. Die tarifgerechte Eingruppierung der betreffenden Ergotherapeutinnen sei die Entgeltgruppe 9b TVöD-K/VKA. Die Auslegung der Entgeltordnung des Tarifvertrags sei nicht korrekt. Die Tätigkeit einer Ergotherapeutin, die eine Patientin bzw. einen Patienten mit Demenz behandele, sei identisch mit der Tätigkeit einer Ergotherapeutin, die neurologische Frührehabilitationspatienten der Phase B mit schweren neurokognitiven Störungen und Einschränkungen oder Patienten mit wesentlichen erworbenen Hirnleistungsstörungen therapiere.
7
Die Arbeitgeberin hat erstinstanzlich die gerichtliche Zustimmungsersetzung zur Umgruppierung der namentlich benannten Arbeitnehmerinnen in die Entgeltgruppe 9a Stufe 3 bzw. Stufe 1 TVöD-K/VKA begehrt. Der Begriff der Demenz i.S.d. Tarifnorm sei nach dem Willen der Tarifvertragsparteien, sich an den tatsächlichen betrieblichen Gegebenheiten zu orientieren, im Sinn einer ärztlichen Diagnose von Demenz zu verstehen. Hierin liege kein Verstoß gegen das Gleichheitsgebot. Die Tarifvertragsparteien hätten bestimmte Krankheitssymptomatiken als Erschwernis der ergotherapeutischen Behandlung angesehen, nämlich bei der Entgeltgruppe 9a TVöD-K/VKA und nochmals bei der Entgeltgruppe 9b TVöD-K/VKA, in dem sie dort die Demenz als besonderes Merkmal aufgegriffen hätten. Da die Erkrankung tatsächlich die Tätigkeit für Ergotherapeutinnen erschwere, hätten die Tarifvertragsparteien dies als sachliches Differenzierungskriterium herangezogen. Die Tätigkeiten in der geriatrischen Frührehabilitation seien dem - einheitlichen - Begriff „Geriatrie“ in der Entgeltgruppe 9a TVöD-K/VKA zuzuordnen. Der Anteil der Patienten mit Haupt- und Nebendiagnose Demenz liege im Klinikum Z. bei 3,56% der Patienten. In den Abteilungen, in denen 98,16% der ergotherapeutischen Leistungen erbracht würden, würden 52,19% der Patienten mit Demenz behandelt. Es würde deshalb ein Zeitanteil von durchschnittlich 27,02% vorliegen, nicht jedoch die von der Entgeltgruppe 9b TVöD-K/VKA geforderten 50%. Es fehle an entsprechenden Patienten. Die Tätigkeit der drei Ergotherapeutinnen verteile sich gleichmäßig auf alle genannten Stationen, Kliniken und Bereiche.
8
Der Betriebsrat hat seinen Zurückweisungsantrag vom 04.06.2018 zunächst damit begründet, dass es für eine gerichtliche Zustimmungsersetzung an einem hinreichend begründeten Antrag der Arbeitgeberin fehle. Der Begriff der Demenz i. S. d. Tarifnorm sei nach der Definition des Dudens als erworbene, auf organische Hirnschädigungen beruhende geistige Behinderung zu bestimmen. Es dürfe nicht ins Belieben der Ärzte gestellt werden, was sie unter Demenz verstünden. Dementsprechend hätten die betreffenden Therapeutinnen, die mehr als die Hälfte ihrer Arbeitszeit auf der Station 28 - Frührehabilitation von Patienten der Phase B - arbeiteten, Anspruch auf die Entgeltgruppe 9b TVöD-K/VKA. Die Charakteristika dieser Patienten umfassten nach den Empfehlungen der Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation (BAR) kognitive Einschränkungen wie Störungen des Gedächtnisses, des Denkens, der Orientierung, der Auffassung, des Rechnens, des Sprachverstehens, des Sprechens, der Lernfähigkeit und des Urteilsvermögens. Dies entspreche auch den internationalen Definitionsversuchen einer Demenz (ICD), die über die ICD GM im Abrechnungssystem seinen Niederschlag gefunden habe. Die Durchführung und Techniken der Ergotherapie bei diesen Patienten unterscheide sich nicht von der bei Patienten mit Demenz. Die Tarifvertragsparteien dürften trotz ihres Gestaltungsspielraums die gleiche Erschwernis nicht anders behandeln.
9
Das Arbeitsgericht München hat durch Beschluss vom 06.02.2019 - 38 BV 102/18 - die Zustimmung des Betriebsrats zur Eingruppierung der Therapeutin Frau K. in die Entgeltgruppe 9a Stufe 3 TVöD-K/VKA und die Zustimmung des Betriebsrats zur Eingruppierung der Therapeutinnen Frau W. und Frau R. jeweils in die Entgeltgruppe 9a Stufe 1 TVöD-K/VKA ersetzt. Seine Entscheidung begründete es mit der Auslegung des TVöD-K/VKA. Nach dem Wortlaut setze die Eingruppierung in die Entgeltgruppe 9b TVöD-K/VKA voraus, dass die Ergotherapeutinnen „Ergotherapie bei Patientinnen oder Patienten mit Demenz“ und nicht bei „Patientinnen oder Patienten mit Demenz oder mit vergleichbaren Erkrankungen“ erbrächten. Die Tarifvertragsparteien hätten die Demenz nicht mit vergleichbaren Erkrankungen oder ähnlich schwierigen Behandlungen gleichsetzen müssen. Charakteristisch für die Demenz sei, dass sie nicht heilbar sei und sich der Zustand der Patienten bzgl. der Demenz immer weiter verschlechtere. Somit liege keine unabdingbare Vergleichbarkeit zu den Patienten der Frührehabilitation vor, die dazu führen würde, dass zwingend gleichbehandelt werden müsste. Denn einer Rehabilitation sei immanent, dass Ziel einer Behandlung die Verbesserung des Zustandes der Patienten sei. Es fände sich im Tarifvertrag kein Hinweis auf ein anderes Verständnis des Begriffs Demenz. Die Worte „Patientinnen oder Patienten“ ließen darauf schließen, dass es sich um Patientinnen oder Patienten handele und deren Diagnose „Demenz“ durch die Ärzte getroffen werde. Die Tarifvertragsparteien hätten damit ihre Einschätzungsprärogative nicht überschritten.
10
Gegen diesen, seinem Verfahrensbevollmächtigten am 20.03.2019 zugestellten Beschluss hat der Betriebsrat am 08.04.2019 Beschwerde beim Landesarbeitsgericht München eingelegt und diese am 20.05.2019 begründet.
11
Das Arbeitsgericht habe nicht festgestellt, ob die Anträge auf Zustimmung zur Umgruppierung hinreichend vollständig gewesen seien. Der Antrag hätte zumindest eine Angabe über die entsprechenden Zeitanteile der jeweiligen Mitarbeiterin erfordert. Das Arbeitsgericht habe nicht zwischen der Definition von „Demenz“ und der Subsumtion unter diese Definition unterschieden. Jedenfalls dürfe die Definitions- und Anwendungshoheit des Begriffs „Demenz“ nicht der unbestimmten Allgemeinheit der Ärzte überlassen werden. Auch sei die Auslegung rechtskonform vorzunehmen und müsse berücksichtigen, dass die Tarifvertragsparteien gleiche Erschwernisse nicht ungleich behandeln wollten. Die Entgeltgruppe 9b TVöD-K/VKA wolle ergotherapeutische Behandlungen an Patienten mit Symptomen, wie sie typischerweise bei Demenz vorkämen, gleich vergüten. Diese Symptome, die die Tätigkeit der Ergotherapeutinnen erschwerten, seien auch z.B. bei Patienten der Station 28 und im Bereich der geriatrischen Frührehabilitation vorhanden. Daher stehe der Begriff „Demenz“ für eine bestimmte Erschwernis aufgrund der Verfassung der behandelten Patienten.
12
Der Betriebsrat beantragt,
1.
Auf die Beschwerde vom 08.04.2019 hin wir der Beschluss des Arbeitsgerichts München vom 06.02.2019 - 38 BV 102/18 - abgeändert.
2.
Die Anträge werden abgewiesen.
13
Die Arbeitgeberin beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
14
Die Zustimmungsersetzungsanträge seien zulässig. Der Betriebsrat führe nicht aus, dass und inwieweit die Anträge nicht hinreichend vollständig seien.
15
Es käme für die Frage, ob „Ergotherapie bei Patientinnen oder Patienten mit Demenz“ vorliege, allein auf die tatsächliche ärztliche Diagnose- und Behandlungsentscheidung bei den konkret therapierten Patienten an. Die Ärzte würden dabei keine eigene Definition des Begriffs Demenz zugrunde legen, sondern einen medizinischen Fachbegriff, der als Oberbegriff für verschiedene Ätiologien und Manifestationen fachlich klar umrissen und klassifiziert sei (ICD-10 GM 2019, F00-F03). Hieran anzuknüpfen sei zulässig. Die „besondere Erschwernis“ der Behandlung von Patientinnen und Patienten mit Demenz und der entsprechende fachliche Anforderungsgrad an den Behandelnden ergebe sich nur für diese Patientengruppe. Der Tarif stelle hier auf eine Gruppe von Patientinnen und Patienten ab, die an Beschäftigte im Gesundheitswesen syndromspezifische und nicht ohne Weiteres mit anderen Krankheitsbildern vergleichbare Kompetenzanforderungen stellte (vgl. z. B. die Empfehlungen Bayerischen Krankenhausplanausschusses an Krankenhausträger für die Betreuung demenzkranker Menschen im Allgemeinkrankenhaus vom 16.05.2011).
16
Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die Schriftsätze des Betriebsrats vom 20.05.2019 (Bl. 267 - 274 d. A.) und vom 18.07.2019 (Bl. 201 - 205 d. A.), den Schriftsatz der Arbeitgeberin vom 12.07.2019 (Bl. 190 - 195 d. A.) sowie auf das Protokoll der mündlichen Anhörung vom 22.07.2019 (Bl. 206 - 209 d. A.).
II.
17
Die Beschwerde ist zulässig, aber unbegründet.
18
1. Die nach § 87 Abs. 1 ArbGG statthafte Beschwerde ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, §§ 87 Abs. 2, 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG, 519, 520 ZPO, und damit zulässig.
19
2. Die Beschwerde ist jedoch unbegründet. Das Arbeitsgericht hat zu Recht und mit zutreffenden Erwägungen die Zustimmung des Betriebsrats zur Umgruppierung der namentlich genannten Therapeutinnen in die Entgeltgruppe 9a Stufe 1 bzw. 3 TVöD-K/VKA ersetzt.
20
a) Die Zustimmungsanträge sind zulässig. Es besteht das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis. Im Unternehmen der Arbeitgeberin sind in der Regel mehr als 20 Arbeitnehmer beschäftigt. Anlass für eine nach § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG mitbestimmungspflichtige Umgruppierung kann auch die Änderung der bisherigen Einreihung bei unveränderter Tätigkeit des Arbeitnehmers sein, die auf einer Modifikation des bislang geltenden Vergütungsschemas beruht (vgl. BAG, Beschluss vom 05.05.2010 - 7 ABR 70/08 - Rn. 21). Weil der Betriebsrat seine Zustimmung zur Umgruppierung verweigert, kann die Arbeitgeberin diese gerichtlich ersetzen lassen, § 99 Abs. 4 BetrVG.
21
b) Die Anträge sind auch begründet. Der Betriebsrat hat seine Zustimmung zu den Umgruppierungen zu Unrecht verweigert. Seine Zustimmung zu den Umgruppierungen der in den Anträgen genannten Arbeitnehmerinnen in der Entgeltgruppe 9a Stufe 1 bzw. Stufe 3 TVöD-K/VKA ist daher zu ersetzen, § 99 Abs. 4 BetrVG.
22
aa) Die Arbeitgeberin hat die verfahrensgegenständlichen Zustimmungsverfahren wirksam eingeleitet.
23
(1) Voraussetzung für eine gerichtliche Zustimmungsersetzung nach § 99 Abs. 4 BetrVG ist zunächst eine ordnungsgemäße Unterrichtung des Betriebsrats durch die Arbeitgeberin im Sinne von § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG. Die Arbeitgeberin hat den Betriebsrat dazu über die beabsichtigte personelle Einzelmaßnahme unter Vorlage der erforderlichen Unterlagen zu informieren (vgl. BAG, Beschluss vom 21.03.2018 - 7 ABR 38/16 - Rn. 17 m.w.N.). Bei Umgruppierungen gehört zu einer vollständigen Unterrichtung im Sinne von § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG die Angabe der bisherigen und der vorgesehenen Vergütungsgruppe sowie die Erläuterung der Gründe, weshalb der Arbeitnehmer anders als bisher einzureihen sei. Grundsätzlich hat die Arbeitgeberin auch über alle ihr bekannten Umstände zu informieren, die die Vergütungsordnung betreffen. Die Frist des § 99 Abs. 3 Satz 1 BetrVG wird grundsätzlich auch dann nicht in Lauf gesetzt, wenn der Betriebsrat es unterlässt, den Arbeitgeber auf die offenkundige Unvollständigkeit der Unterrichtung hinzuweisen. Durfte der Arbeitgeber dagegen davon ausgehen, den Betriebsrat vollständig unterrichtet zu haben, kann es Sache des Betriebsrats sein, innerhalb der Frist um Vervollständigung der Auskünfte zu bitten (vgl. BAG, Beschluss vom 29.06.2011 - 7 ABR 24/10 - Rn. 22 und 23 m.w.N.). Unterlässt er dies innerhalb der Frist des § 99 Abs. 3 Satz 1 BetrVG, kann sich der Betriebsrat nicht auf die fehlende Begründung berufen (vgl. BAG, Beschluss vom 29.06.2011 - 7 ABR 24/10 - Rn. 27; Fitting, BetrVG, 29. Aufl. 2018, § 99 BetrVG Rn. 269).
24
(2) Die Unterrichtung der Arbeitgeberin über die beabsichtigten Umgruppierungen war ausreichend.
25
Die Arbeitgeberin hat im Antrag vom 27.02.2018 genau bezeichnet, für welche Arbeitnehmerinnen sie die Zustimmung des Betriebsrats zur Umgruppierung in welche Vergütungsgruppe welcher Vergütungsordnung beantragt und dargelegt, aus welchen Rechtsgründen die Eingruppierung in die Entgeltgruppe 9a Stufe 1 bzw. Stufe 3 TVöD-K/VKA zutreffend sei. Nach Auffassung der Arbeitgeberin verteilt sich die Tätigkeit der drei Ergotherapeutinnen gleichmäßig auf alle genannten Stationen, Kliniken und Bereiche, so dass für sie unter der Annahme, dass alle Patientinnen und Patienten mit einer diagnostizierten Demenz auch eine Ergotherapie erhielten, höchstens 21% der Tätigkeit der Ergotherapeutinnen mit demenzerkrankten Patienten stattfinden würde. Diesen Anteil hat sie erstinstanzlich auf 27% erhöht. Jedoch hat der Betriebsrat bis zuletzt nicht behauptet, der Anteil ergotherapeutischer Tätigkeit bei Patientinnen oder Patienten mit ärztlich diagnostizierter Demenz würde diese Werte übersteigen. Zwischen den Beteiligten war und ist allein streitig, wie der Begriff der Demenz auszulegen ist und ob bei einer Ergotherapie von Patienten mit demenzähnlicher Symptomatik eine Eingruppierung in die Entgeltgruppe 9b TVöD-K/VKA zu erfolgen habe. Es ist nicht ersichtlich, welche weiteren Angaben der Betriebsrat zur Ausübung seines Mitbeurteilungsrechts aus § 99 BetrVG noch bedurft hätte. Dementsprechend hat er im Widerspruch vom 07.03.2019 und auch erstinstanzlich keine weiteren Informationen bzw. keine weiteren konkreten Informationen erbeten.
26
Jedenfalls ist die Rüge des Betriebsrats unbeachtlich, weil sie außerhalb der Frist des § 99 Abs. 3 Satz 1 BetrVG erfolgt ist. Im Anschluss an die vorstehenden Ausführungen durfte die Arbeitgeberin davon ausgehen, den Betriebsrat ausreichend unterrichtet zu haben. Der Betriebsrat hätte deshalb binnen der Wochenfrist des § 99 Abs. 3 Satz 1 BetrVG weitere Informationen erfragen müssen. Dies hat er erstmals mit Schriftsatz vom 18.07.2019 und damit weit nach Ablauf der Wochenfrist getan.
27
bb) Die Zustimmungsersetzungsanträge sind auch begründet. Die Zustimmung des Betriebsrats zu den beabsichtigten Umgruppierungen der in den Anträgen genannten Arbeitnehmerinnen ist nach § 99 Abs. 4 BetrVG zu ersetzen. Der Betriebsrat durfte seine Zustimmung nicht gemäß § 99 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG wegen Verstoßes gegen eine tarifliche Bestimmung verweigern. Die namentlich genannten Therapeutinnen sind in die Entgeltgruppe 9a Stufe 1 bzw. 3 TVöD-K/VKA einzugruppieren. Sie unterfallen nicht der Entgeltgruppe 9b TVöD-K/VKA. Dies ergibt die Auslegung des Tarifvertrages.
28
(1) Nach ständiger Rechtsprechung des BAG folgt die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrags den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Danach ist zunächst vom Tarifwortlaut auszugehen, wobei der maßgebliche Sinn der Erklärung zu erforschen ist, ohne am Buchstaben zu haften. Über den reinen Wortlaut hinaus ist der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien und der damit von ihnen beabsichtigte Sinn und Zweck der Tarifnorm zu berücksichtigen, sofern und soweit er in den tariflichen Regelungen und ihrem systematischen Zusammenhang Niederschlag gefunden hat. Abzustellen ist stets auf den tariflichen Gesamtzusammenhang, weil dieser Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien liefert und nur so Sinn und Zweck der Tarifnorm zutreffend ermittelt werden kann. Im Zweifel gebührt derjenigen Auslegung der Vorzug, die zu einem sachgerechten, zweckorientierten, praktisch brauchbaren und gesetzeskonformen Verständnis der Regelung führt (vgl. BAG, Beschluss vom 19.06.2018 - 9 AZR 564/17 - Rn. 17 m.w.N.).
29
Bei der Wortlautauslegung ist, wenn die Tarifvertragsparteien einen Begriff nicht eigenständig definieren, erläutern oder einen feststehenden Rechtsbegriff verwenden, vom allgemeinen Sprachgebrauch auszugehen. Wird ein Fachbegriff verwendet, der in allgemeinen oder in fachlichen Kreisen eine bestimmte Bedeutung hat, ist davon auszugehen, dass die Tarifvertragsparteien mit diesem Begriff den allgemein üblichen Sinn verbinden wollten, wenn nicht sichere Anhaltspunkte für eine abweichende Auslegung gegeben sind, die aus dem Tarifwortlaut oder anderen aus dem Tarifvertrag selbst ersichtlichen Gründen erkennbar sein müssen. Wird ein Begriff mehrfach in einem Tarifvertrag verwendet, ist im Zweifel weiter davon auszugehen, dass die Tarifvertragsparteien den Begriff im Geltungsbereich dieses Tarifvertrags stets die gleiche Bedeutung beimessen wollen (vgl. BAG, Urteil vom 26.04.2017 - 10 AZR 589/15 - Rn. 15).
30
(2) Danach setzt die Eingruppierung in die Entgeltgruppe 9b TVöD-K/VKA voraus, dass die Beschäftigten (der Entgeltgruppe 7 TVöD-K/VKA) mindestens zur Hälfte Ergotherapie bei Patientinnen oder Patienten mit ärztlich diagnostizierter Demenz anwenden.
31
Die Tarifvertragsparteien haben den Begriff „Demenz“ nicht definiert oder erläutert. Seine Verwendung im Kontext der Vergütung einer Beschäftigung im Krankenhaus legt nahe, dass die Tarifvertragsparteien ihn im medizinischen Sinn verstanden haben, d.h. dass eine Patientin oder ein Patient mit Demenz eine solche oder ein solcher ist, bei der bzw. bei dem die Demenz ärztlich diagnostiziert worden ist. Hierfür spricht auch die Regelung in der Protokollerklärung zur Entgeltgruppe 9a TVöD-K/VKA, die mit der Heraushebung von Ergotherapie bei „Querschnittslähmungen, in Kinderlähmungsfällen, bei Schlaganfällen, mit spastisch Gelähmten, in Fällen von Dysmelien, in der Psychiatrie oder Geriatrie oder bei Kleinkindern von sechs Jahren“ ebenfalls an medizinische Fachbegriffe bzw. Diagnosen und klinische Bereiche anknüpft. Diesem Verständnis steht nicht entgegen, dass Unsicherheiten bestehen mögen, ob eine Patientin oder ein Patient an Demenz erkrankt ist. Es gibt Definitionen und Leitlinien für eine entsprechende ärztliche Diagnose und Behandlung. Hiermit übereinstimmend hat der Betriebsrat, dem auch Ärzte angehören, in seinem Widerspruch zwar die Auslegung des Tarifvertrages beanstandet, nicht aber die Auffassung vertreten, dass ein neurologischer Frührehabilitationspatient der Phase B aus ärztlicher Sicht „dement“ sei. Der Betriebsrat begehrte vielmehr, dass „die Behandlung neurologischer Frührehabilitationspatienten der Phase B vom Aufwand und der Arbeitsleistung analog zu der Behandlung an Demenz erkrankten Patientinnen und Patienten zu sehen“ sei.
32
Dieses Auslegungsergebnis ist auch praktikabel, weil andernfalls neben der ärztlichen Diagnose der Demenz in der Krankenakte der Patientinnen und Patienten eine Demenz beispielsweise im Sinne des Dudens u.a. zu dokumentieren wäre. Dies kann nicht Wille der Tarifvertragsparteien gewesen sein.
33
(3) Das Auslegungsergebnis verstößt nicht gegen den Gleichheitssatz.
34
(a) Tarifvertragsparteien sind bei der tariflichen Normsetzung nicht unmittelbar grundrechtsgebunden. Die Schutzfunktion der Grundrechte verpflichtet die Arbeitsgerichte jedoch, Tarifregelungen die Durchsetzung zu verweigern, die zu gleichheits- und sachwidrigen Differenzierungen führen und deshalb Art. 3 Abs. 1 GG verletzen. Aus Art. 3 Abs. 1 GG folgt das Gebot, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln. Dabei ist es grundsätzlich dem Normgeber überlassen, die Merkmale zu bestimmen, nach denen Sachverhalte als hinreichend gleich anzusehen sind, um sie gleich zu regeln. Den Tarifvertragsparteien kommt als selbständigen Grundrechtsträgern aufgrund der durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Tarifautonomie bei der Ausgestaltung tariflicher Regelungen ein weiter Gestaltungsspielraum zu. Wie weit dieser reicht, hängt von den im Einzelfall vorliegenden Differenzierungsmerkmalen und dem Zweck der Leistung ab. Dabei steht den Tarifvertragsparteien in Bezug auf die tatsächlichen Gegebenheiten und den betroffenen Interessen eine Einschätzungsprärogative zu. Nach der Konzeption des Grundgesetzes ist die Festlegung der Höhe des Entgelts wie auch der weiteren, den tarifgebundenen Arbeitnehmern zufließenden Leistungen grundsätzlich Sache der Tarifvertragsparteien, weil dies nach Überzeugung des Gesetzgebers zu sachgerechteren Ergebnissen führt, als eine staatlich beeinflusste Entgelt- und Leistungsfindung. Das schließt auch die Befugnis zur Vereinbarung von Regelungen ein, die die Betroffenen ungerecht und Außenstehenden nicht zwingend sachgerecht erscheinen mögen. Die Tarifvertragsparteien sind nicht dazu verpflichtet, die jeweils zweckmäßigste, vernünftigste oder gar gerechteste Lösung zu wählen. Es genügt, wenn für die getroffenen differenzierenden Regelungen ein sachlich vertretbarer Grund vorliegt (vgl. BAG, Beschluss vom 22.03.2017 - 4 ABR 54/14 - Rn. 25 und 26 m.w.N.).
35
(b) Mit der Behauptung, die Ergotherapie bei neurologischen Frührehabilitationspatienten der Phase B sei genauso fordernd, anspruchsvoll und schwer wie die Ergotherapie bei Patientinnen oder Patienten mit ärztlich diagnostizierter Demenz, setzt der Betriebsrat seine Würdigung der Umstände einer ergotherapeutischen Behandlung bei den verschiedenen Patientengruppen an die Stelle derjenigen der Tarifvertragsparteien. Er macht jedoch nicht hinreichend deutlich, dass die Tarifvertragsparteien dabei die Grenzen ihres Einschätzungsermessens überschritten hätten. Während die Tarifvertragsparteien in den Entgeltgruppen 9a und 9b TVöD-K/VKA an bestimmte Patientengruppen anknüpfen, bei denen sie typisierend besondere Anforderungen der Behandlung unterstellen, möchte der Betriebsrat stattdessen „ergotherapeutische Behandlungen an Patienten mit Symptomen, wie sie typischerweise bei Demenz vorkommen“ mit der Entgeltgruppe 9b TVöD-K/VKA vergüten. Hiermit durchbricht der Betriebsrat die Systematik der Entgeltgruppe 9a und 9b TVöD-K/VKA, die an bestimmte Patientengruppen anknüpft und macht nicht oder nur schwer abgrenzbare Tätigkeiten zur Grundlage der Eingruppierung. Gerade die Unbestimmtheit der „Patienten mit Symptomen, wie sie typischerweise bei Demenz vorkommen“ spricht dagegen, ihre Behandlung als Voraussetzung für die Entgeltgruppe 9b TVöD-K/VKA zu bestimmen. Es stellt aber einen sachlich vertretbaren Grund dar, für die Praktikabilität einer Vergütungsregelung auf klar umrissene Tatbestände der vergütungspflichtigen Tätigkeit abzustellen.
36
3. Es bestand kein Grund, die Rechtsbeschwerde zuzulassen, § 92 Abs. 1 Satz 2 ArbGG i.V.m. § 72 Abs. 2 ArbGG.