Inhalt

FG München, Urteil v. 25.06.2019 – 6 K 173/19
Titel:

Anerkennung der Gemeinnützigkeit - Steuervergünstigungen

Normenketten:
AO § 60a Abs. 1, § 63
AEAO § 52 Nr. 6
KStG § 5 Abs. 1 Nr. 9 S. 1
Schlagwort:
Gemeinnützigkeit
Weiterführende Hinweise:
Revision zugelassen
Fundstellen:
StEd 2019, 560
EFG 2019, 1421
BeckRS 2019, 17397
LSK 2019, 17397

Tenor

1. Dem Beklagten wird aufgegeben, die bisherige Feststellung im Feststellungsbescheid vom … zu ergänzen. Aus der ergänzenden Feststellung hat hervorzugehen, dass die Satzung als Zweck des Vereins auch das IPSC-Schießen umfasst und auch für die Erweiterung die satzungsmäßigen Voraussetzungen nach den §§ 51, 59, 60 und 61 Abgabenordnung erfüllt sind.
2. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Das Urteil ist im Kostenpunkt für den Kläger vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu erstattenden Kosten des Klägers die Vollstreckung abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.
3. Die Revision wird zugelassen.

Entscheidungsgründe

I.
1
Der Kläger ist ein eingetragener Verein, dessen Gründungsmitglieder anlässlich der Vereinsgründung eine Satzung beschlossen, auf die verwiesen wird. § 2 der Satzung hat auszugsweise folgenden Wortlaut:
„1. Zweck des Vereins ist die Förderung des Sports.
Der Satzungszweck wird insbesondere verwirklicht durch
a. die Pflege und Förderung des Schießsports nach den Regeln des Bundes deutscher Schützen (BDS),
b. die Förderung der sportlichen und allgemeinen Jugendarbeit,
c. die Ausrichtung von Vereinsmeisterschaften und Teilnahme an weitergehenden Meisterschaften,
d. die Wahrnehmung weiterer Aufgaben, sofern dem Satzungszweck entsprechend.
2. Der Verein ist politisch, weltanschaulich und konfessionell neutral.
3. Seine Ziele verwirklicht der Verein durch Pflege des dynamischen Schießsports, Teilnahme an Meisterschaften, Abhalten von Wettbewerben, Pflege des freundschaftlichen Kontakts mit anderen schießsportlichen Vereinen und Organisationen und Teilnahme an deren Wettkämpfen sowie Zusammenarbeit mit den Behörden in schießsportlichen Fragen.
4. Der Verein verfolgt ausschließlich und unmittelbar gemeinnützige Zwecke im Sinne des Abschnitts Steuerbegünstigte Zwecke der Abgabenordnung. …“
2
Am … erfolgte die Eintragung des Klägers in das Vereinsregister. Der Fragebogen zur steuerlichen Erfassung ging am … beim Beklagten, dem Finanzamt (FA), ein. Mit dem Fragebogen beantragte der Kläger, eine Bescheinigung zur Gemeinnützigkeit zu erteilen. Mit Schreiben vom … 2014 teilte das FA dem Kläger mit, dass sogenanntes IPSC-Schießen (= International Practical Shooting Confederation) nicht gemeinnützig sei. Zur rechtlichen Begründung verwies das FA auf den Anwendungserlass zur Abgabenordnung (AEAO) zu § 52 Nr. 6 (ab 31.1.2019: Nr. 7). Zur Auslegung der Satzung stellte das FA darauf ab, dass
- der Kläger den Schießsport „nach den Regeln des BDS“ pflegt und fördert,
- der BDS Mitglied der internationalen Vereinigung „IPSC“ ist
- und nach der Internetseite das IPSC-Schießen ausdrücklich zum Sportprogramm des BDS gehört.
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Mit Schreiben vom … schlug das FA eine Änderung des § 2 der Satzung dahin vor, dass der Zusatz „… mit Ausnahme des IPSC“ aufgenommen wird. Diese Satzungsänderung lehnte der Kläger ab.
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Am … erließ das FA sodann einen Feststellungsbescheid gemäß § 60a Abs. 1 Abgabenordnung (AO). In dem Bescheid stellte das FA fest, dass die Satzung des Klägers nicht den §§ 51, 59, 60 und 61 AO entspricht.
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Den Einspruch vom … begründete der Kläger mit anwaltlichem Schreiben vom … und vertrat die Ansicht, IPSC-Schießen sei Sport im Sinne der Vorschriften zur Gemeinnützigkeit. Der Anwendungserlass zur Abgabenordnung sei kein Gesetz und reiche als Begründung für den Ablehnungsbescheid nicht aus.
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Nach Telefonaten mit dem Vorstand des Klägers erließ das FA am … einen Feststellungsbescheid mit folgendem Inhalt:
„A. Feststellung
Die Satzung … in der Fassung vom … erfüllt die satzungsmäßigen Voraussetzungen nach den §§ 51, 59, 60 und 61 AO.
Damit erledigt sich ihr Einspruch.
Laut telefonischer Auskunft des Vorstands hat der Verein keine Örtlichkeiten, um IPSC-Veranstaltungen durchzuführen. Wenn sich jedoch im Rahmen der Überprüfung der tatsächlichen Geschäftsführung herausstellt, dass Vereinssportler an IPSC-Veranstaltungen teilnehmen, müsste dem Verein die Gemeinnützigkeit wieder aberkannt werden. An die entsprechende Regelung im Anwendungserlass zur Abgabenordnung (AEAO) ist das Finanzamt gebunden.
Für den in der Satzung genannten BDS e.V. gilt als Bestandskörperschaft für die Anerkennung seiner Gemeinnützigkeit eine Übergangsfrist bis 31.12.2015, um in der Satzung die Förderung des IPSC-Schießens zu streichen. Wenn der BDS von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch macht, muss der BDS ab 1.1.2016 wieder mit der Aberkennung der Gemeinnützigkeit rechnen.
B. Hinweise zur Feststellung
Eine Anerkennung, dass die tatsächliche Geschäftsführung (§ 63 AO) den für die Anerkennung der Steuerbegünstigung notwendigen Erfordernissen entspricht, ist mit dieser Feststellung nicht verbunden. Diese Feststellung bindet das Finanzamt hinsichtlich der Besteuerung der Körperschaft und der Steuerpflichtigen, die Zuwendungen in Form von Spenden und Mitgliedsbeiträgen an die Körperschaft erbringen. … Bitte beachten Sie, dass die Inanspruchnahme der Steuervergünstigungen auch von der tatsächlichen Geschäftsführung abhängt, die der Nachprüfung durch das Finanzamt - ggf. im Rahmen einer Außenprüfung - unterliegt. Die tatsächliche Geschäftsführung muss auf die ausschließliche und unmittelbare Erfüllung der satzungsmäßigen Zwecke gerichtet sein und Bestimmungen der Satzung entsprechen. …“
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Am … erließ das FA einen Freistellungsbescheid zur Körperschaftsteuer und Gewerbesteuer für das Jahr 2014 und am … für die Jahre 2015 bis 2017.
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Gegen den Feststellungsbescheid vom … legte der Kläger erneut Einspruch ein und führte aus, es handele sich nicht um einen Abhilfebescheid. Denn die Feststellung sei an die Bedingung geknüpft, dass Vereinssportler nicht an IPSC-Veranstaltungen teilnehmen und der BDS die Förderung des IPSC-Schießens aus seiner Satzung streicht. Zudem sei § 52 Nr. 6 AEAO falsch. Das Einspruchsverfahren sei daher fortzuführen.
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Mit der Einspruchsentscheidung wies das FA den Einspruch als unzulässig zurück. Der Kläger sei durch die angefochtene Feststellung nicht beschwert, da die Gemeinnützigkeit der Satzung festgestellt worden sei. Die Einschränkungen bezögen sich lediglich auf die tatsächliche Geschäftsführung im Sinne des § 63 AO.
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Hiergegen richtet sich die Klage. Der Kläger führt im Wesentlichen aus, dass es sportliches Ziel sei, den Mitgliedern das IPSC-Schießen zu ermöglichen. Die Satzung sehe auch das IPSC-Schießen vor, denn sie sehe die Pflege und Förderung des Schießsports nach den Regeln des BDS vor. In dessen Regeln aber sei das IPSC-Schießen ausdrücklich erwähnt. Auch benötige der Kläger kein eigenes Gelände, denn er könne Schießanlagen anderer Vereine benutzen. Damit verhindere der angefochtene Feststellungsbescheid die geplanten Vereinsaktivitäten. Hieraus ergebe sich die Beschwer.
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Das FA trägt vor, mit einer Veröffentlichung des Urteils des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 27. September 2018 V R 48/16, BFH/NV 2019, 144 im Bundessteuerblatt Teil II sei derzeit nicht zu rechnen. Daher sei es zu einer Abhilfe nicht berechtigt. Im Übrigen halte es an seiner Ansicht, dass der Kläger nicht beschwert sei, fest. Eine den Kläger belastende Auswirkung ergebe sich erst in der Zukunft. Erst wenn das FA im Rahmen der zu erlassenden Körperschaftsteuerbescheide für Zeiträume, in denen IPSC-Schießen stattfand, zuungunsten des Klägers veranlage, sei eine Beschwer gegeben. Gegen diese Beschwer müsse der Kläger im Wege der Anfechtung der Körperschaftsteuerbescheide vorgehen.
II.
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Die Klage ist begründet.
13
1. Die Klage ist zulässig. Eine Beschwer des Klägers liegt vor.
14
a) Nach § 119 AO muss ein Verwaltungsakt inhaltlich hinreichend bestimmt sein. Einem Verwaltungsakt muss sein Regelungsinhalt eindeutig zu entnehmen sein. Ob diese Voraussetzungen erfüllt sind, ist im Wege der Auslegung unter Berücksichtigung der Auslegungsregeln der §§ 133, 157 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) zu ermitteln. Entscheidend sind der erklärte Wille der Behörde und der sich daraus ergebende objektive Erklärungsinhalt der Regelung, wie ihn der Empfänger nach den ihm bekannten Umständen unter Berücksichtigung von Treu und Glauben verstehen konnte (ständige Rechtsprechung; vgl. BFH-Urteil vom 21. Juni 2017 V R 3/17, BStBl II 2018, 372).
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Nach diesen Grundsätzen ist die Feststellung des FA so zu verstehen, dass die Satzung des Klägers den Gemeinnützigkeitsvorschriften der AO entspricht, da sie das IPSC-Schießen nicht vorsieht. So hat der Kläger den Feststellungsbescheid verstanden und so war die Feststellung - wie aus den Stellungnahmen des FA im Rechtsstreit hervorgeht - vom FA auch gemeint.
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b) Gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 9 Satz 1 Körperschaftsteuergesetz (KStG) sind von der Körperschaftsteuer befreit Körperschaften, Personenvereinigungen und Vermögensmassen, die nach ihrer Satzung oder ihrer sonstigen Verfassung und nach ihrer tatsächlichen Geschäftsführung ausschließlich und unmittelbar gemeinnützigen, mildtätigen oder kirchlichen Zwecken dienen.
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Gemäß §§ 51, 59 AO wird die Steuervergünstigung nur gewährt, wenn sich aus der Satzung ergibt,
- welchen Zweck die Körperschaft verfolgt,
- dass dieser Zweck den Anforderungen der §§ 52 bis 55 AO entspricht und
- dass er ausschließlich und unmittelbar verfolgt wird.
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Dazu müssen die Satzungszwecke und die Art ihrer Verwirklichung so genau bestimmt sein, dass auf Grund der Satzung geprüft werden kann, ob die satzungsmäßigen Voraussetzungen für die Steuervergünstigung gegeben sind (§ 60 Abs. 1 AO; sogenannte formelle Satzungsmäßigkeit; vgl. Urteil des BFH vom 15. November 2017 I R 39/15, BFH/NV 2018, 611, Rz. 23). Gemäß § 63 Abs. 1 AO (vgl. auch § 59 AO letzter Halbsatz) muss die tatsächliche Geschäftsführung der Körperschaft auf die ausschließliche und unmittelbare Erfüllung der steuerbegünstigten Zwecke gerichtet sein und den Bestimmungen entsprechen, die die Satzung über die Voraussetzungen für Steuervergünstigungen enthält.
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c) Das FA versteht den erlassenen Feststellungsbescheid letztlich dahin, dass
- der Verweis der Satzung auf die Regeln des BDS kein Verweis auf IPSC-Schießen ist,
- der Satzungszweck „dynamisches Schießen“ gemeinnützig ist,
- das IPSC-Schießen kein dynamisches Schießen ist
- und diese Fragen trotz des offenen Dissenses mit dem Kläger nicht in diesem Verfahren geklärt werden können.
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Hieraus ergibt sich die Beschwer des Klägers. Der Senat ist der Ansicht, dass die Streitfrage, wie die Satzung zu verstehen ist, bei einem offenen Dissens zwischen einem FA und einem Verein im Feststellungsverfahren nach § 60a AO zu klären ist. Denn die Feststellung gemäß § 60a AO ist nicht nur für die Verwaltung sondern auch für den Kläger bindend (§ 60a Abs. 1 Satz 2 AO; Klein/Gersch § 60a AO Rz. 3). Nach Bestandskraft bindet der Feststellungsbescheid auch die Finanzgerichte.
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Würde der Feststellungsbescheid also mit dem Inhalt bindend, dass die Satzung des Klägers IPSC-Schießen nicht vorsieht, wäre verbindlich entschieden, dass die Ausübung dieser Art des Schießens nicht der Satzung entspricht. Das FA wäre damit - falls der Kläger IPSC-Schießen ausübt - verpflichtet, die sich aus der Nichteinhaltung der Satzung ergebenden für den Kläger nachteiligen Rechtsfolgen zu ziehen (vgl. hierzu Klein/Gersch § 63 AO Rz. 2). Aufgrund der Bindungswirkung einer bestandskräftigen Feststellung, die auch für das Finanzgericht gilt, könnte der Kläger hiergegen nichts mehr einwenden. Auf die Streitfrage der Gemeinnützigkeit des IPSC-Schießen käme es nicht mehr an, da der Kläger nur diejenigen gemeinnützigen Zwecke steuerbegünstigt verfolgen darf, die aus seiner Satzung hervorgehen (vgl. BFH-Urteil vom 25. Juni 2014 I R 41/12, BFH/NV 2015, 235).
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Könnte das FA dagegen offen zu Tage liegende Streitfragen - hier, ob IPSC-Schießen dynamisches Schießen im Sinne der Satzung ist und ob der Verweis der Satzung auf die Regeln des BDS das ISPC-Schießen zum Satzungszweck macht - bei der Feststellung offen lassen, würde der Feststellungsbescheid seinen Zweck, Klarheit für die Verwaltung und die Vereine zu schaffen, nicht erfüllen.
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2. Die Satzung der Klägers sieht als Zweck des Vereins auch das IPSC-Schießen vor.
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Zivilrechtlich ist eine Satzung im Ergebnis allein aus sich heraus nach objektiven Kriterien auszulegen. Maßgeblich sind der Vereinszweck und die wohlverstandenen Interessen der Mitglieder. Die Entstehungsgeschichte und der subjektive Wille der Gründer sind unerheblich, eine ständige Übung im Verein kann dagegen als Auslegungshilfe herangezogen werden (vgl. Ott in Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdinger § 25 BGB, jurisPK-BGB Band 1). Damit die formelle Satzungsmäßigkeit überprüft werden kann, muss der Satzungszweck und die Art seiner Verwirklichung in der Satzung soweit wie möglich konkretisiert werden. Nach ständiger Rechtsprechung genügt es, dass die satzungsmäßigen Voraussetzungen auf Grund einer Auslegung der (gesamten) Satzungsbestimmungen als gegeben angesehen werden können (Urteil des BFH vom 15. November 2017 I R 39/15, BFH/NV 2018, 611, Rz. 23 m.w.N.).
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Im Streitfall sieht die Satzung des Klägers als Zweck auch das IPSC-Schießen vor. Dies ergibt sich aus ihrem Wortlaut. Zum einen verweist die Satzung auf die Regeln des Bundes Deutscher Schützen, die zum Zeitpunkt der Erstellung der Satzung das IPSC-Schießen vorsahen. Zum anderen sieht die Satzung ausdrücklich vor, dass der Kläger seine Ziele durch die Pflege des dynamischen Schießsports verwirklicht. IPSC-Schießen ist eine typische Form des dynamischen Schießens, bei dem sich der Schütze während des Schießens fortbewegt. Dies war auch für das FA ohne weiteres erkennbar, wie der ursprüngliche Ablehnungsbescheid vom … und die vorhergehenden Schreiben des Sachbearbeiters zeigen.
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3. Der BFH hat mit Urteil vom 27. September 2018 V R 48/16, BFH/NV 2019, 144 entschieden, dass IPSC-Schießen als Sport gemeinnützig ist. Der Senat schließt sich dieser Rechtsauffassung an. Das FA hat weder tatsächliche noch rechtliche Gesichtspunkte vorgetragen, die im Streitfall zu einem anderen Ergebnis führen könnten.
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4. Der Streitfall ist durch die Besonderheit geprägt, dass das FA die formelle Satzungsmäßigkeit nicht vollständig abgelehnt hat. Stattdessen hat das FA die formelle Satzungsmäßigkeit mit einem anderen Inhalt als vom Kläger gefordert festgestellt. Die Vorgehensweise des FA führt im Streitfall im Ergebnis zu einer Art Teilabhilfebescheid. Denn sie ermöglicht es dem Kläger, alle anderen Arten des Schießsports mit den Vorteilen der Gemeinnützigkeit auszuüben. Verzichtet der Kläger - bis zu einer gerichtlichen Klärung der Streitfrage - auf das IPSC-Schießen, kann er die Vorteile der Gemeinnützigkeit mithin mit Sicherheit in Anspruch nehmen. Aufgrund des Verböserungsverbots im finanzgerichtlichen Verfahren hält der Senat es bei dieser Sachlage für sachgerecht, die teilweise begünstigende Feststellung nicht aufzuheben, sondern den Feststellungsinhalt zu ergänzen.
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5. Die Revision ist wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen.