Inhalt

VG Augsburg, Urteil v. 01.08.2019 – Au 5 K 19.84
Titel:

Baugenehmigung für eine Dachterrasse auf einer Grenzgarage

Normenkette:
BayBO Art. 6 Abs. 6 S. 1, Abs. 9, Art. 57 Abs. 1 Nr. 16, Abs. 6, Art. 59 Abs. 1 Nr. 1, Art. 63 Abs. 1 S. 1
Leitsätze:
1. Dachterrassen sind keine verfahrensfreien Vorhaben iSd Art. 57 Abs. 1 Nr. 16 lit. f BayBO (vgl. VGH München BeckRS 2015, 50396 Rn. 7). (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
2. Grenzgebäude nach Art. 6 Abs. 9 S. 1 Nr. 1 BayBO dürfen keine Aufenthaltsräume enthalten, sodass der Privilegierungstatbestand seinem Zwecke nach nicht auf eine Dachterrasse auf einer Grenzgarage anwendbar ist (vgl. VGH München BeckRS 2015, 50396 Rn. 15). (Rn. 33) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Verpflichtungsklage, Dachterrasse auf einer Grenzgarage, Abweichung von den Abstandsflächenvorschriften, verfahrensfreie Anlagen
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 20.04.2020 – 15 ZB 19.1846
Fundstelle:
BeckRS 2019, 16763

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kosten des Verfahrens hat die Klägerin zu tragen. Der Beigeladene trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1
Die Klägerin begehrt mit der Klage die Verpflichtung der Beklagten auf Erteilung einer Baugenehmigung für eine Dachterrasse über einer Garage auf dem Grundstück Fl.Nr. ... der Gemarkung ....
2
Für das vorbezeichnete Grundstück besteht kein qualifizierter Bebauungsplan. Es befindet sich jedoch innerhalb eines im Zusammenhang bebauten Ortsteiles der Gemarkung ....
3
Die Klägerin ist Eigentümerin des Grundstücks Fl.Nr., welches mit einem selbst genutzten Wohnhaus bebaut ist. Auf der an der östlichen Grundstücksgrenze stehenden Garage wurde vom Voreigentümer eine Dachterrasse errichtet, ohne dass diese baurechtlich genehmigt worden war. Die Klägerin hat daher mit Formblatt vom 23. Dezember 2015 die Erteilung einer nachträglichen Baugenehmigung für die Dachterrasse über der Garage beantragt. Mit Bescheid vom 25. August 2016 (Az. ...) hat die Beklagte diese Baugenehmigung unter Gewährung einer Abweichung von den Abstandsflächenvorschriften zur östlichen Grundstücksgrenze erteilt. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass die Terrasse auf der grenzständigen Garage schon mehr als 10 Jahre bestünde. Der Bauaufsichtsbehörde würden keine Hinweise dafür vorliegen, dass durch diese Dachterrasse der nachbarliche Wohnfrieden gestört werde oder nachbarliche Belange hinsichtlich der Besonnung, Belichtung und Belüftung beeinträchtigt würden.
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Im Jahr 2018 wurde festgestellt, dass das Garagendach schadhaft ist und saniert werden muss. Dafür müssen der Terrassenbelag einschließlich des Unterbaus und das Geländer vorübergehend abgebaut werden. Nach Abschluss der Dachsanierung soll dann die Terrasse in der bisherigen Form wieder aufgesetzt werden, wobei in diesem Zusammenhang an der Dachterrasse selbst Instandsetzungs- und Restaurierungsarbeiten an Unterkonstruktion, Belag und Geländer vorgenommen werden sollen. Die Beklagte teilte der Klägerin mit, dass durch den Rückbau der Dachterrasse der Bestandsschutz erlösche und für die „Neuerrichtung“ eine erneute baurechtliche Genehmigung zu beantragen sei.
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Deshalb beantragte die Klägerin mit Formblatt vom 4. Oktober 2018 die Erteilung einer Baugenehmigung für den Abbruch und den Neubau einer Dachterrasse. Am 6. November 2018 wurde dann ein Antrag auf isolierte Abweichung von den Abstandsflächenvorschriften gestellt. Der Nachbar des östlich angrenzenden Grundstücks mit der Fl.Nr. ... hat die Pläne nicht unterzeichnet.
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Mit Bescheid vom 19. Dezember 2018 (Az. ...) hat die Beklagte die Erteilung der Baugenehmigung für den Abbruch und die Errichtung einer Dachterrasse über einer Garage auf dem Grundstück Fl.Nr. ... der Gemarkung ... abgelehnt. Zur Begründung wird vorgetragen, dass der Abbruch der Terrasse einer kompletten Beseitigung gleiche und nicht mehr als Instandsetzung zu sehen sei. Ein Indiz dafür sei insbesondere, wenn die zur Instandsetzung notwendigen Aufwendungen denen eines Neubaus gleichkämen. Der Bestandsschutz ende in jedem Fall mit Beseitigung der Anlage. Nachdem nunmehr von einem Neubau auszugehen sei, müsse die von der Terrasse ausgehenden Abstandsfläche auf dem eigenen Grundstück eingehalten werden, was als Grenzbebauung nicht möglich sei. Eine dafür notwendige Abweichung könne ermessensfehlerfrei nicht erteilt werden, da die Abweichung unter Würdigung der nachbarlichen Belange nicht mit den öffentlichen Belangen vereinbar sei. Der gravierende Unterschied zu der im Jahr 2016 erteilten Genehmigung sei der, dass die alte Dachterrasse seit über 30 Jahren bestünde und der Nachbar dies hingenommen habe. Bei einem Abbruch derselben entstünde eine neue Situation, die wie bei jedem Neubau auch abstandsflächenrechtlich zu würdigen sei. Im Fall des Neubaus liege ein Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme vor, da die grenzständige Terrasse tiefe Einblicke in den rückwärtigen Bereich des benachbarten Grundstücks Fl.Nr. ... gewähre.
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Mit Schriftsatz vom 18. Januar 2019, eingegangen bei Gericht am 21. Januar 2019, ließ die Klägerin Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht Augsburg erheben und beantragen,
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die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 19. Dezember 2018 (Az.: ...) zu verpflichten, der Klägerin die beantragte Genehmigung auf Abbruch und Neuerrichtung der Dachterrasse auf dem Grundstück Fl.Nr. ... zu erteilen.
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Zur Begründung wird ausgeführt, dass es sich bei den durchzuführenden Maßnahmen nicht um Baumaßnahmen an der Dachterrasse, sondern um eine Reparatur der Garage handle. Dafür müsse das Garagendach inklusive Terrasse vorübergehend entfernt werden. In einem solchen Fall gehe der Rechtsverkehr nicht davon aus, dass der Bestandsschutz für die Dachterrasse sofort entfalle, sondern dass nach der Renovierung des Garagendaches die zuvor vorhandene Nutzung wieder aufgenommen werde. Deswegen hätte es von vornherein keiner Genehmigung bedurft, da die Dachterrasse jedenfalls seit 2016 bestandskräftig genehmigt sei und der vorübergehende Abbau keinen neuen Genehmigungstatbestand auslösen würde. Im Übrigen hätte unter Gewährung der begehrten Abweichung von den Abstandsflächenvorschriften die Genehmigung nicht versagt werden dürfen. Wenn die Beklagte im Jahr 2016 bei der Erteilung der Genehmigung festgestellt habe, dass die Nichteinhaltung der abstandsrechtlichen Bestimmungen durch die Dachterrasse weder den nachbarlichen Wohnfrieden störe, noch sonstige nachbarliche Belange beeinträchtige, dann könne dies schlechterdings auch zwei Jahre später nicht der Fall sein. Gerade die lange Zeit, in der die Dachterrasse existierte, ohne dass es zu nachbarlichen Beeinträchtigungen gekommen sei, bestätige, dass insoweit keine Probleme zu erwarten seien. Hinzu komme, dass die Klägerin theoretisch das Garagendach auch ohne vollständigen Abbau der Dachterrasse instand setzen könnte. Eine schrittweise Instandsetzung wäre jedoch im Verhältnis zu einem vorübergehenden Abbau der Dachterrasse und ihrer anschließenden Errichtung exorbitant teuer, ohne gleichzeitig dieselbe bauliche Sicherheit, insbesondere hinsichtlich der Dichtigkeit, gewährleisten zu können. Deswegen seien die angefragten Fachfirmen nur dann bereit, eine Kompletterneuerung des Garagendaches vorzunehmen, wenn hierfür vorübergehend der Belag zur Gänze entfernt werde.
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Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten und hat mit Schriftsatz vom 19. Februar 2019 beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung wird vorgetragen, dass die Errichtung der Dachterrasse auf der Garage erneut genehmigungspflichtig gewesen sei, da sie durch deren Rückbau bzw. Beseitigung den Bestandsschutz verliere. Bei baulichen Erweiterungen oder auch im Falle eines Ersatzbaus entfalle der Bestandsschutz. Bloße Reparatur- und Instandhaltungsarbeiten seien indessen grundsätzlich im Rahmen des Bestandsschutzes möglich. Bei der vorliegenden, wenn auch kurzfristigen Beseitigung der Anlage handle es sich gerade nicht um eine nur vorübergehende Nutzungsunterbrechung, die den Bestandsschutz häufig noch nicht entfallen lasse. Bei einer vorübergehenden Nutzungsaufgabe müsse die Nutzung nämlich jederzeit, meist ohne besondere Hindernisse, wieder aufgenommen werden können. Eine umstandslos beliebige Wiederaufnahme der Nutzung könne vorliegend nicht erfolgen, da die Dachterrasse komplett wiedererrichtet werden müsse. Hinzu komme, dass hier eine statische Neubetrachtung erforderlich werde. Weiter wird ausgeführt, dass die Dachterrasse nicht nur zum Zwecke der Reparatur der Garage abgebaut werde, sondern ausweislich der Baubeschreibung zum Bauantrag vom 4. Oktober 2018 selbst saniert werden solle. Eine Abweichung von den abstandsflächenrechtlichen Vorschriften könne vorliegend nicht erteilt werden, da das Rücksichtnahmegebot beeinträchtigt sei. Die einzuhaltende Abstandsfläche von 4,22 m liege zu einem weit überwiegenden Teil auf dem Grundstück des östlichen Nachbarn. Dabei müsse im Rahmen der abstandsflächenrechtlichen Betrachtung von einer einheitlichen Anlage, bestehend aus Dachterrasse und Garage ausgegangen werden bzw. von einer Dachterrasse, die selbst Abstandsflächen auslöse. Durch die ca. 3,20 m hohe Dachterrasse, die noch dazu weniger als 1 m Abstand von der östlichen Grundstücksgrenze einhalte, seien Einblicke in fast den kompletten rückwärtigen Gartenbereich des Nachbarn möglich. Ganz ausgeschlossen werden könnten auch nicht weitere Eingriffsmöglichkeiten in die Räume des Nachbarn, die nach Norden ausgerichtet seien.
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Mit Beschluss des Gerichts vom 21. Mai 2019 wurde der östlich angrenzende Eigentümer des Grundstücks Fl.Nr. ... der Gemarkung ... zum Verfahren beigeladen. Der Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.
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Das Gericht hat am 24. Juli 2019 einen nichtöffentlichen Augenscheinstermin durchgeführt. Auf die Niederschrift und die hierbei gefertigten Lichtbilder wird Bezug genommen.
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Am 1. August 2019 fand die mündliche Verhandlung statt. Für den Hergang der Sitzung wird auf die hierüber gefertigte Niederschrift verwiesen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowie auf die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Verpflichtungsklage hat in der Sache keinen Erfolg, da der Klägerin kein Anspruch gem. Art. 68 BayBO auf die Erteilung der von ihr beantragten Baugenehmigung zusteht (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Die Ablehnung des Bauantrags durch die Beklagte war rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.
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Nach Art. 68 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 BayBO ist eine Baugenehmigung zu erteilen, wenn dem Bauvorhaben keine öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegenstehen, die im bauaufsichtlichen Genehmigungsverfahren zu prüfen sind. Da das genehmigungspflichtige Bauvorhaben jedoch nicht genehmigungsfähig ist, besteht ein solcher Anspruch im vorliegenden Fall nicht.
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1. Das Bauvorhaben war erneut genehmigungspflichtig, da mit der geplanten Beseitigung und Neuerrichtung der im Jahr 2016 nachgenehmigten Dachterrasse deren Bestandschutz erlischt und keine Verfahrensfreiheit i.S. des Art. 57 BayBO vorliegt.
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a) Da es sich vorliegend um ein neues Bauvorhaben handelt, stellt sich mithin auch die Genehmigungsfrage der baulichen Anlage neu.
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Zwar gibt es für die bestehende Dachterrasse bereits eine Baugenehmigung vom 25. August 2016 (Az. ...). Diese Baugenehmigung hatte aber die Nachgenehmigung einer bereits bestehenden Dachterrasse über der Garage zum Gegenstand. Nachdem im Jahr 2016 festgestellt worden war, dass die Dachterrasse über der Garage auf dem Grundstück der Klägerin bereits viele Jahre bestand, ohne formal genehmigt worden zu sein, hat die Beklagte durch die nachträgliche Erteilung einer Baugenehmigung die formelle Legalität herbeigeführt. Die Baugenehmigung vom 25. August 2016 vermittelt der errichteten Dachterrasse nur insoweit Bestandsschutz, soweit ihre Feststellungswirkung reicht (Lechner in Simon/Busse, BayBO, Stand 132. EL Dezember 2018, Art. 68 Rn. 70).
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Gegenstand des Bauantrags der Klägerin vom 4. Oktober 2018 ist jedoch ein neues, anderes Bauvorhaben, das nicht identisch ist mit demjenigen aus dem Jahr 2016 und daher nicht von der Feststellungswirkung der Baugenehmigung erfasst ist. Folglich wird die Genehmigungsfrage neu aufgeworfen und muss neu bewertet werden. Die Klägerin hat ausweislich in dem neu gestellten Bauantrag vom 4. Oktober 2018 nämlich den Abbruch und den Neubau der Dachterrasse über der Garage beantragt. Auch wenn sich der Bevollmächtigte der Klägerin darauf beruft, dass der allein zum Zwecke der Renovierung des Garagendachs erforderliche Abbau der Dachterrasse nur vorübergehender Natur sei und keinen neuen Genehmigungstatbestand auslöse, endet der Bestandsschutz einer baulichen Anlage in jedem Fall mit deren Beseitigung (Decker in Simon/Busse, a.a.O. Art. 76 Rn. 129). Der Bestandsschutz rechtfertigt gerade nicht die Errichtung einer neuen Anlage, an der Stelle der bestandsgeschützten alten Anlage, da er allein der Sicherung des geschaffenen baulichen Zustandes dient. Ausweislich des Bauantrags ist gerade der Abbruch und Neubau der Dachterrasse Gegenstand des gestellten Bauantrags, sodass eine vollständige Beseitigung der Dachterrasse zum Zwecke der Neuerrichtung geplant ist. Die Klägerin geht mit der zur Überprüfung gestellten Frage auch selbst davon aus, dass es zu einer Beseitigung der ursprünglichen Dachterrasse kommt. Die im Verlauf des Verfahrens aufgeworfenen anderweitigen Möglichkeiten der Erhaltung der Dachterrasse spielen insofern keine Rolle, da allein auf den Bauantrag abzustellen ist. Durch den geplanten Abbruch und den Neubau kommt es folglich zwangsläufig zu einer Beseitigung der jetzt noch bestehenden Dachterrasse, sodass der Bestandsschutz insgesamt entfällt. Auf das Vorbringen der Klägerin, wonach es sich nur um eine kurzfristige Beseitigung der Anlage handle, kommt es deshalb in diesem Zusammenhang nicht an.
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b) Das Vorhaben war nach Art. 55 BayBO auch erneut genehmigungspflichtig, da es sich um kein verfahrensfreies Vorhaben i.S. des Art. 57 BayBO handelt.
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aa) Art. 57 Abs. 1 Nr. 16 f) BayBO, nach dem unbedeutende bauliche Anlagen wie unter anderem Terrassen verfahrensfrei sind, ist vorliegend nicht einschlägig.
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Unter Terrassen im o.g. Sinne sind Anlagen zu verstehen, die von einem Gebäude ebenerdig oder nur in geringer Höhe ausgehen (vgl. Lechner/Busse in Simon/Busse, a.a.O. Art. 57 Rn. 375). Danach sind Dachterrassen gerade keine verfahrensfreien Vorhaben i.S. des Art. 57 Abs. 1 Nr. 16 f) BayBO (BayVGH, B.v. 10.7.2015 - 15 ZB 13.2671 - juris Rn. 7).
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Die Dachterrasse ist auch keine andere unbedeutende Anlage oder ein unbedeutender Teil einer Anlage i. S. des Art. 57 Abs. 1 Nr. 16 f) BayBO. Dies folgt bereits daraus, dass Terrassen als verfahrensfreie Anlagen in Art. 57 Abs. 1 Nr. 16 f) BayBO selbständig geregelt sind und Dachterrassen - wie oben dargelegt - hiervon nicht erfasst sind. Im Übrigen kann es sich vorliegend auch deshalb nicht um eine unbedeutende Anlage handeln, da durch ihre Neuerrichtung gerade bauordnungsrechtliche Fragen wie die Abstandsflächenproblematik aufgeworfen werden. Was wegen öffentlich-rechtlicher erheblicher Auswirkungen präventiver bauaufsichtlicher Prüfung bedarf, kann daher nicht als „unbedeutend“ i.S. des Art. 57 Abs. 1 Nr. 16 f) BayBO gewertet werden (Lechner/Busse in Simon/Busse, a.a.O. Art. 57 Rn. 374).
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bb) Es liegt auch kein Fall des Art. 57 Abs. 6 BayBO vor. Der Bauantrag für das streitgegenständliche Bauvorhaben lautet auf Abbruch und Neubau einer Dachterrasse und ist nicht auf Instandhaltungsmaßnahmen an derselben gerichtet. Die Instandhaltungsmaßnahmen betreffen allenfalls das Garagendach.
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2. Die Dachterrasse ist nicht genehmigungsfähig.
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Da es sich beim Bauvorhaben um keinen Sonderbau im Sinne des Art. 2 Abs. 4 BayBO handelt, prüft die Bauaufsichtsbehörde nach Art. 59 BayBO im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren die Übereinstimmung mit den Vorschriften über die Zulässigkeit der baulichen Anlagen nach den §§ 29 ff. BauGB, den Vorschriften über die Abstandsflächen nach Art. 6 BayBO und den Regelungen örtlicher Bauvorschriften im Sinne des Art. 81 Abs. 1 BayBO (Art. 59 Satz 1 Nr. 1 BayBO), beantragte Abweichungen im Sinne des Art. 63 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 2 BayBO (Art. 59 Satz 1 Nr. 2 BayBO) sowie andere öffentlich-rechtliche Anforderungen, soweit wegen der Baugenehmigung eine Entscheidung nach anderen öffentlich-rechtlichen Vorschriften entfällt, ersetzt oder eingeschlossen wird (Art. 59 Satz 1 Nr. 3 BayBO).
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Die Dachterrasse über der Grenzgarage ist nicht genehmigungsfähig, da bereits ein Verstoß gegen bauordnungsrechtliche Vorschriften vorliegt. Deshalb kann auch dahingestellt bleiben, ob das Bauvorhaben grundsätzlich bauplanungsrechtlich zulässig wäre.
31
Die Dachterrasse verstößt gegen die Abstandsflächenvorschrift des Art. 6 BayBO und es besteht kein Anspruch auf die beantragte Abweichung gem. Art. 63 BayBO.
32
a) Der beantragte Neubau der Dachterrasse, der abstandsflächenpflichtig ist, hält unstreitig den nach Art. 6 BayBO erforderlichen Abstand zum östlich angrenzenden Grundstück des Beigeladenen nicht ein.
33
Die Dachterrasse kann dabei auch die abstandsflächenrechtliche Privilegierung des Art. 6 Abs. 9 BayBO nicht in Anspruch nehmen. Balkone oder Terrassen sind, auch wenn sie selbst keine Aufenthaltsräume sind, funktional typischerweise der Nutzung von Aufenthaltsräumen zuzurechnen. Sie stellen gleichsam eine der Nutzung von Aufenthaltsräumen gleichstehende, ins Freie verlagerte Nutzung auf Balkonen oder Terrassen dar. Grenzgebäude nach Art. 6 Abs. 9 Satz 1 Nr. 1 BayBO dürfen aber gerade keine Aufenthaltsräume enthalten (vgl. Dhom/Franz/Rauscher in Simon/Busse, BayBO, a.a.O. Art. 6 Rn. 546; BayVGH, B.v. 10.7.2015 - 15 ZB 13.2671 - juris Rn. 15), sodass der Privilegierungstatbestand seinem Zwecke nach nicht auf die vorliegende Dachterrasse auf der Grenzgarage anwendbar ist. Unabhängig davon folgt aus der in Art. 6 Abs. 9 Satz 1 Nr. 1 BayBO festgelegten Höhenbegrenzung auch, dass privilegierte Grenzgebäude eine mittlere Wandhöhe von 3 m nicht überschreiten dürfen. Die Oberkante der errichteten Dachterrassenumwehrung ist als oberer Bezugspunkt der nach Art. 6 Abs. 4 Satz 2 BayBO für die Abstandsflächenberechnung maßgebenden Wandhöhe anzusetzen (BayVGH, B.v. 26.3.2015 - 2 ZB 13.2395 - juris Rn. 2). Unterer Bezugspunkt ist die Geländeoberfläche. Daraus ergibt sich eine Gesamthöhe von 4,22 m fast unmittelbar an der Grundstücksgrenze. Daher ist bereits die zur Privilegierung einzuhaltende Höhe nicht gewahrt.
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Auch ungeachtet der Frage, ob für die Dachterrasse der Privilegierungstatbestand des Art. 6 Abs. 6 Satz 1 BayBO in Anspruch genommen werden kann, wäre vor der Dachterrassenumwehrung jedenfalls der Mindestabstand von 3 m zu der Grundstücksgrenze einzuhalten. Das ist ersichtlich nicht der Fall.
35
Die Dachterrasse verstößt daher, so wie sie errichtet werden soll, gegen die Abstandsflächenvorschriften.
36
b) Die Voraussetzungen, unter denen die Bauaufsichtsbehörde nach Art. 63 Abs. 1 Satz 1 BayBO Abweichungen von den Anforderungen der Bayerischen Bauordnung und damit auch von den Vorschriften über die Abstandsflächen gemäß Art. 6 BayBO zulassen kann, liegen nicht vor.
37
Eine Abweichung kann gem. Art. 63 Abs. 1 BayBO nur dann zugelassen werden, wenn sie unter Berücksichtigung des Zwecks der jeweiligen Anforderungen und unter Würdigung der öffentlich-rechtlich geschützten nachbarlichen Belange mit den öffentlichen Belangen, insbesondere den Anforderungen des Art. 3 Satz 1 vereinbar sind.
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Das bislang von der Rechtsprechung geforderte Vorliegen einer atypischen, von der gesetzlichen Regel nicht zureichend erfassten oder bedachten Fallgestaltung (vgl. BayVGH, B.v. 13.2.2002 - 2 CS 01.1506 - juris Rn. 16; B.v. 15.11.2005 - 2 CS 05.2817 - juris Rn. 2; B.v. 4.8.2011 - 2 CS 11.997 - juris Rn. 23; U.v. 22.12.2011 - 2 B 11.2231 - BayVBl. 2012, 535) ist nach der ausdrücklichen Gesetzesbegründung (LT-Drs. 17/21574) nicht mehr erforderlich. Folglich kommt es streitentscheidend auf die Abwägung der öffentlichen Belange mit den nachbarlichen Belangen an.
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Mit der Verpflichtung zur Würdigung nachbarlicher Interessen verlangt das Gesetz eine Abwägung zwischen den für das Vorhaben sprechenden Gründen und den Belangen des Nachbarn. Die Abweichung dient daher gerade dem Interessensausgleich zwischen den Nachbarbelangen und den sonstigen öffentlichen Belangen, die durch das konkrete Bauvorhaben berührt werden. Den mit der Norm verfolgten Zielen soll dabei so weit wie möglich Rechnung getragen werden (Dhom in Simon/Busse, a.a.O. Art. 63 Rn. 21). Dabei wurde die Erteilung einer Abweichung ebenfalls unter das Gebot der Rücksichtnahme gestellt, wie dies im Rahmen des § 31 Abs. 2 BauGB der Fall ist. Bei der Anwendung des Art. 63 Abs. 1 BayBO sind daher dieselben Grundsätze heranzuziehen, wie bei der Erteilung einer Befreiung von den Festsetzungen eines Bebauungsplanes nach § 31 Abs. 2 BauGB (Dhom in Simon/Busse, a.a.O. Art. 63 Rn. 31 ff.). Wird folglich von Normen abgewichen, die nicht dem Nachbarschutz dienen, so hat der Nachbar nur einen Anspruch darauf, dass seine nachbarlichen Interessen mit dem ihnen zukommenden Gewicht berücksichtigt werden. Bei der Zulassung einer Abweichung von nachbarschützenden Vorschriften, wie den Abstandsflächenvorschriften, kann der Nachbar hingegen nicht nur eine ausreichende Berücksichtigung seiner Interessen beanspruchen. Er ist darüber hinaus auch dann in seinen Rechten verletzt, wenn die Abweichung aus einem anderen Grund, etwa weil sie nicht mit den öffentlichen Belangen zu vereinbaren ist, (objektiv) rechtswidrig ist (vgl. BayVGH, B.v. 16.7.2007 - 1 CS 07.1340 - juris Rn. 17). Bei der Frage, ob eine Abweichung von den Abstandsflächenvorschriften zugelassen werden kann, ist stets auch zu prüfen, ob die Schmälerung nachbarlicher Interessen durch überwiegende Interessen des Bauherrn oder überwiegende öffentliche Belange gerechtfertigt sind (vgl. BayVGH, a.a.O., juris Rn. 22). Gemäß Art. 63 Abs. 1 Satz 1 BayBO ist dabei auch der Zweck der jeweiligen Anforderung‚ in diesem Fall des Abstandsflächenrechts‚ zu berücksichtigen. Der Zweck des Abstandsflächenrechts besteht darin‚ eine ausreichende Belichtung, Besonnung und Belüftung sowie die Sicherung des sozialen Wohnfriedens zu gewährleisten (vgl. BayVGH, U.v. 30.5.2003 - 2 BV 02.689 - juris Rn. 43; BayVGH, U.v. 14.10.1985 - 14 B 85 A.1224 - BayVBl. 1986, 143). Die gesetzlichen Ziele der Abstandsflächenvorschriften gelten für Neubauten und Umbauten gleichermaßen (vgl. BayVGH, B.v. 8.12.2011 - 15 ZB 11.1882 - juris). Auf eine nachprägende Wirkung eines früheren Altbestandes kann sich der Bauherr grundsätzlich nicht berufen, da ein nachwirkender Bestandsschutz nur ausnahmsweise anerkannt werden kann (vgl. BayVGH, B.v. 5.4.2012 - 15 CS 11.2628 - juris Rn. 28). Abstandsflächenwidrige Verhältnisse sollen nach Möglichkeit auch bereinigt werden, wenn - wie im vorliegenden Fall - ein vorhandener baulicher Bestand durch einen Neubau ersetzt wird (vgl. BayVGH, U.v. 22.11.2006 - 25 B 05.1714 - juris Rn. 20).
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Gemessen an diesen Maßstäben kann eine Abweichung von den Abstandsflächenvorschriften in Bezug auf das östliche Grundstück nicht erteilt werden, da die nachbarlichen Belange insoweit überwiegen.
41
Unter Berücksichtigung des Zwecks der Abstandsflächenvorschriften, insbesondere der Sicherung des sozialen Wohnfriedens, beeinträchtigt der geplante Neubau der Dachterrasse die Interessen des Beigeladenen als östlich angrenzenden Nachbarn derart, dass eine Abweichung nicht erteilt werden kann. Die Dachterrasse der Klägerin soll auf exponierter Lage über der Grenzgarage in einer Länge von knapp 8 m und einer Höhe bis zum Geländer von 4,22 m (wieder-)errichtet werden. Eine Dachterrasse dient naturgemäß als eine ins Freie verlagerte Aufenthaltsfläche und nicht nur dem kurzweiligen Verweilen. Es handelt sich mithin um eine an die Grenze gelangende Wohnnutzung. Von dort aus wird nach den Eindrücken aus der Ortseinsicht eine intensive Einsichtsmöglichkeit von oben herab in den gesamten rückwärtigen Gartenbereich des Beigeladenen geschaffen, sodass nicht zuletzt auch dadurch der soziale Wohnfrieden in erheblicher Weise gestört wird. Dabei muss vor allem auch der Zweck der Privilegierungsvorschrift des Art. 6 Abs. 9 BayBO in die Abwägung miteinbezogen werden. Der Gesetzgeber hat ausweislich des Gesetzeswortlauts nur für den Fall, dass es sich um ein Gebäude ohne Aufenthaltsräume handelt, unter bestimmten baulichen Voraussetzungen die Möglichkeit der Grenzbebauung geschaffen. Eine an die Grenze gerückte Wohnbebauung wollte er gerade ausschließen (vgl. Dhom/Franz/Rauscher in Simon/Busse, a.a.O. Art. 6 Rn. 546 m.w.N.), um u.a. den Einsichtsmöglichkeiten auf das nachbarliche Grundstück entgegenzuwirken. Nicht zuletzt deshalb dienen die Abstandsflächenvorschriften dem Nachbarschutz (BayVGH, U.v. 14.10.1985 - 14 B 85 A.1224 - BayVBl. 1986, 143). Dies muss im vorliegenden Fall umso mehr gelten, als der Beigeladene den Einblicken von oben herab ausgesetzt ist. Die auf der Grenzgarage aufgesetzte Dachterrasse „thront“ geradezu entlang der westlichen Grundstücksgrenze des Beigeladenen in einer Länge von knapp 8 m. Selbst die Tatsache, dass die Dachterrasse seit über 30 Jahren besteht und es seither angeblich zu keiner Beeinträchtigung des Wohnfriedens gekommen sei, vermag eine andere Bewertung nicht zu rechtfertigen. Die Beklagte soll gerade bei der Neubewertung einer baulichen Anlage die Möglichkeit bekommen, abstandsflächenwidrige Verhältnisse zu beseitigen und rechtmäßige Zustände zu schaffen. Auch wenn die Klägerin und der Beigeladene momentan ein gutes nachbarschaftliches Verhältnis pflegen, muss die Sicherung des sozialen Wohnfriedens grundstücksbezogen betrachtet werden, da es jederzeit zu einem Eigentümerwechsel kommen kann. Dies wollte der Beigeladene gerade auch dadurch zum Ausdruck bringen, dass er die Pläne nicht unterschrieben hat.
42
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus den vom Bevollmächtigten der Klägerin vorgelegten Lichtbildern in der mündlichen Verhandlung. Daraus lässt sich nicht ableiten, dass die Beklagte im näheren Umgriff des klägerischen Grundstücks eine Vielzahl von Dachterrassen auf Grenzgaragen genehmigt hätte, sodass sich die ablehnende Entscheidung im Fall der Klägerin als willkürlich darstellen würde und ein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 GG vorliegen würde. Allein auf dem Anwesen ... konnte beim Ortstermin eine Dachterrasse auf einer Grenzgarage festgestellt werden. Da es sich dabei um einen Einzelfall handelt, dient er nicht als Bezugsfall für künftige Entscheidungen der Beklagten. Außerdem haben die Vertreter der Beklagten hierzu in der mündlichen Verhandlung ausgeführt, dass es für das Anwesen ... zwar eine Altgenehmigung gebe, in dieser sei die Dachterrasse allerdings nicht explizit erwähnt oder beantragt und demgemäß auch nicht ausdrücklich genehmigt worden. Weitere Bezugsfälle lassen sich auch den vorgelegten Luftbildern nicht entnehmen, da es sich bei den aufgenommenen Anwesen teilweise nicht um vergleichbare Dachterrassen auf Grenzgaragen handelt oder sich die Grundstücke nicht mehr in der näheren Umgebung des klägerischen Grundstücks befinden und deshalb für die Entscheidung nicht maßgeblich sind.
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Zusammenfassend ist daher festzustellen, dass die nachbarlichen Belange die öffentlichen Belange überwiegen und daher eine Erteilung einer Abweichung von den Abstandsflächenvorschriften nicht in Betracht kommt. Das private Nutzungsinteresse der Klägerin an der Dachterrasse muss insofern zurücktreten.
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3. Insgesamt steht der Klägerin daher kein Anspruch auf Erteilung der beantragten Baugenehmigung zu, sodass sie durch den ablehnenden Bescheid der Beklagten vom 19. Dezember 2018 nicht in ihren Rechten verletzt ist. Die Klage war daher abzuweisen.
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4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Als im Verfahren unterlegen hat die Klägerin die Kosten des Verfahrens zu tragen. Da der Beigeladene keinen eigenen Antrag gestellt und sich mithin auch nicht dem Prozessrisiko ausgesetzt hat, trägt er seine außergerichtlichen Kosten selbst (§ 162 Abs. 3 VwGO). Der Ausspruch hinsichtlich der vorläufigen Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 167 Abs. 2 VwGO, 708 Nr. 11, 711 ZPO.