Inhalt

VG München, Beschluss v. 30.07.2019 – M 25 S 19.2490
Titel:

Erfolgloses Eilverfahren gegen die Ablehnung der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis

Normenketten:
VwGO § 80 Abs. 2 Nr. 3, Abs. 5
AufenthG § 7 Abs. 1 S. 3, § 27, § 84 Abs. 1 Nr. 1
Leitsätze:
1. Die gesetzliche Bestimmung, wonach eine Aufenthaltserlaubnis auch für einen im AufenthG nicht vorgesehenen Aufenthaltszweck erteilt werden kann, ist  keine allgemeine Generalklausel sondern erfordert, dass die Aufenthaltserlaubnis für einen bestimmten Zweck begehrt wird, der im Aufenthaltsgesetz überhaupt nicht vorgesehen ist (BayVGH BeckRS 2008, 27547). (Rn. 30) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der Aufenthaltszweck Nichterwerbstätiger, von ihrem Vermögen leben zu wollen, erfordert, dass der Ausländer über ein so großes Vermögen verfügt, um dauerhaft seinen Lebensunterhalt aus den Erträgen seines Vermögens bestreiten zu können, ohne den Vermögensstock aufzubrauchen, oder über dauerhafte Erträge aus einem fremden Kapitalstock wie bei einer Rente (vgl. VG Stuttgart BeckRS 2010, 51425). (Rn. 31) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Begründeter Fall i.S.d. § 7 Abs. 1 S. 3 AufenthG, Familiäre Lebensgemeinschaft, einstweiliger Rechtsschutz, summarische Prüfung, Interessenabwägung, Aufenthaltserlaubnis, Verlängerung, Aufenthaltszweck, Vermögenserträge
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 08.11.2019 – 10 CS 19.1798
Fundstelle:
BeckRS 2019, 16511

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 2.500 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Antragstellerin begehrt mit ihrem Antrag, die aufschiebende Wirkung ihrer Klage gegen die Ablehnung der Verlängerung ihrer Aufenthaltserlaubnis anzuordnen.
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Die Antragstellerin ist russische Staatsangehörige und reiste erstmals am 15. März 2013 mit einem gültigen Visum in das Bundesgebiet ein, um ihre Tochter bei deren Krankenbehandlung zu begleiten und zu unterstützen.
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In der Folgezeit pendelte die Antragstellerin zwischen ihrer Heimat und der Bundesrepublik. Sie erhielt Aufenthaltserlaubnisse aus humanitären Gründen auf Grund der Erkrankung ihrer Tochter vom 10. Juli 2013 bis 16. Januar 2014, vom 16. Juli 2015 bis 16. Juli 2016, vom 11. August 2016 bis 31. Oktober 2016 und vom 28. März 2017 bis 6. Mai 2017.
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Zuletzt erhielt die Antragstellerin auf ihren Antrag vom 20. April 2017 hin eine Aufenthaltserlaubnis nach § 7 Abs. 1 S. 3 AufenthG gültig vom 24. Oktober 2017 bis 26. Juli 2018, um die Tochter bis zur vollständigen Genesung noch unterstützen zu können.
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Am 23. Juli 2018 beantragte die Antragstellerin die Verlängerung ihrer Aufenthaltserlaubnis nach § 7 Abs. 1 S. 3 AufenthG. Sie wolle sich für die nächsten zwei Jahre in Deutschland niederlassen, um hier zu leben. Sie beabsichtige weder einer Erwerbstätigkeit nachzugehen noch Gesellschaften mit Sitz in Deutschland zu gründen noch Gesellschaftsanteile zu erwerben.
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In der Folgezeit verfügte die Antragstellerin über eine Fiktionsbescheinigung nach § 81 Abs. 4 AufenthG.
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Nach Anhörung der Antragstellerin lehnte die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 8. Mai 2019 den Antrag ab (Ziffer 1). Die Antragstellerin wurde aufgefordert, bis zum 30. Juni 2019 das Bundesgebiet zu verlassen. Für den Fall der nicht fristgerechten Ausreise wurde der Antragstellerin die Abschiebung nach Russland oder einem anderen Staat, in den die Antragstellerin einreisen darf oder der zu ihrer Rücknahme verpflichtet ist, angedroht (Ziffer 2).
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Die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 7 Abs. 1 S. 3 AufenthG lägen nicht vor. Es läge kein begründeter Ausnahmefall im Sinne der Vorschrift vor. Bei der Fallgruppe der „vermögenden“ Ausländer sei der Gesetzgeber davon ausgegangen, dass nicht jedes Vermögen, aufgrund dessen der Ausländer derzeit Einkünfte erzielen könne, die über seinem Bedarf lägen, eine Aufenthaltserlaubnis erhalten könne. Das Vermögen müsse so groß sein, dass der Ausländer dauerhaft aus seinen Erträgen leben könne. Ein solches Vermögen liege bei der Antragstellerin nicht vor. Ebenso wenig sei der Besitz einer Eigentumswohnung im Bundesgebiet ein „begründeter Fall“ i.S.d. § 7 Abs. 1 S. 3 AufenthG.
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Zudem bestehe der Verdacht eines versteckten Familiennachzugs, da die Antragstellerin und ihre Tochter unter derselben Adresse, nämlich der der Eigentumswohnung, gemeldet seien. Daher sei davon auszugehen, dass eine familiäre Lebensgemeinschaft bestehe. Die Voraussetzungen für den Familiennachzug seien jedoch nicht gegeben. Die Erteilung sonstiger Aufenthaltserlaubnisse komme ebenfalls nicht in Betracht.
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Am 22. Mai 2019 erhob der Bevollmächtigte der Antragstellerin Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht München (M 25 K 19.2489) und beantragte gleichzeitig,
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die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
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Im Fall der Antragstellerin sei von einem „begründeten Fall“ i.S.d. § 7 Abs. 1 S. 3 AufenthG auszugehen. Die Antragstellerin habe in ihrem Antrag angegeben, dass sie für die nächsten beiden Jahre in Deutschland leben möchte. Sie habe nicht als Aufenthaltszweck die Begleitung ihrer Tochter aus medizinischen Gründen angegeben. Da die Antragsgegnerin stets auf eine Begleitung der Tochter abgestellt habe, sei es ihr ausschließlich darum gegangen, den Antrag auf jeden Fall abzulehnen.
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Außerdem sei nicht nachvollziehbar, wie die Antragsgegnerin zu dem Schluss gekommen sei, dass die finanziellen Verhältnisse der Antragstellerin nicht ausreichen könnten, um den Lebensunterhalt zu sichern. Ausweislich der vorgelegten Nachweise stünden der Antragstellerin rund 4.100 EUR monatlich zur Verfügung.
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Es handle sich auch nicht um einen verdeckten Familiennachzug, denn die Tochter habe im Zeitpunkt der Antragstellung nicht über eine Aufenthaltserlaubnis zu Ausbildungszwecken verfügt.
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Mit Schreiben vom 18. Juni 2019 beantragte die Antragsgegnerin,
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16 den Antrag abzulehnen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes wird auf die Gerichtsakte in diesem Verfahren und im Verfahren M 25 K 19.2489 sowie die beigezogene Behördenakte Bezug genommen.
II.
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1. Der Antrag ist zulässig.
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Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist hinsichtlich der Ablehnung der Aufenthaltserlaubnis (Ziffer 1) statthaft, da auf Grund der Ablehnung die Klage von Gesetzes wegen gem. § 84 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG keine aufschiebende Wirkung hat. Obwohl in der Hauptsache die Verpflichtungsklage auf Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis die richtige Klageart wäre und damit im einstweiligen Rechtsschutzverfahren ein Antrag nach § 123 VwGO zu stellen wäre, ist trotz der Regelung des § 113 Abs. 5 VwGO ein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO statthaft. Die Versagung der Aufenthaltserlaubnis führt zum Erlöschen der Fiktionswirkung des Verlängerungsantrags. Die Antragstellerin ist auf Grund der Versagung der Aufenthaltserlaubnis vollziehbar ausreisepflichtig nach § 58 Abs. 2 S. 2 AufenthG. Die Ablehnung stellt damit für die Antragstellerin eine belastende Regelung dar.
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Hinsichtlich der Abschiebungsandrohung (Ziffer 2) ist der Antrag ebenfalls statthaft, weil dies eine Maßnahme der Verwaltungsvollstreckung ist und die Klage daher keine aufschiebende Wirkung entfaltet, Art. 21a BayVwZVG.
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2. Der Antrag ist unbegründet.
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Nach § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung der Klage gegen einen Verwaltungsakt anordnen, wenn eine Interessenabwägung ergibt, dass das private Interesse des Betroffenen, von Vollziehungsmaßnahmen zunächst verschont zu bleiben, gegenüber dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Durchsetzung der getroffenen Maßnahme überwiegt. Bei dieser Interessensabwägung ist auch die aufgrund einer summarischen Prüfung zu beurteilende Rechtmäßigkeit des zu vollziehenden Verwaltungsakts zu berücksichtigen. Wird der in der Hauptsache erhobene Rechtsbehelf bei der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren nur möglichen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung voraussichtlich erfolgreich sein, weil er zulässig und begründet ist, so wird im Regelfall nur die Anordnung der aufschiebenden Wirkung in Betracht kommen.
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Danach erweist sich die Klage gegen die Ablehnung der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis aller Voraussicht nach als unbegründet. Die Antragstellerin hat keinen Anspruch auf Neuverbescheidung. Die Antragsgegnerin ist zu Recht davon ausgegangen, dass die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nicht vorliegen.
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Eine Aufenthaltserlaubnis wird nur auf einen Antrag des Ausländers hin verlängert, § 8 Abs. 1, § 81 Abs. 1 AufenthG. Dabei hat der Ausländer auch die näheren Umstände zu dem von ihm angestrebten Aufenthaltszweck anzugeben.
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Die Antragstellerin hat als Aufenthaltszweck angegeben, von ihrem Vermögen in einer Eigentumswohnung der Familie in Deutschland für die Dauer von 2 Jahren leben zu wollen.
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Im Falle der Antragstellerin dürfte es sich jedoch entgegen ihrer Angabe um einen „Aufenthalt aus familiären Gründen“ nach den §§ 27 ff. AufenthG handeln. Dabei ist grundsätzlich von einer familiären Lebensgemeinschaft immer dann auszugehen, wenn die Familienmitglieder in häuslicher Gemeinschaft zusammenleben; sie also einen gemeinsamen Lebensmittelpunkt haben (vgl. Kluth/Heusch in BeckOK Ausländerrecht, 22. Edition, Stand: 1.5.2019, § 27, Rdn. 34; HessVGH B.v. 16.1.2007 - 7 TG 2879/06 - beckonline).
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Die Antragstellerin bewohnt seit Beginn ihres Aufenthalts in der Bundesrepublik die Eigentumswohnung zusammen mit ihrer Tochter. Für die Annahme einer familiären Lebensgemeinschaft spricht auch, dass die Antragstellerin bis vor kurzem ihre Tochter wegen deren Erkrankung bei der Bewältigung ihres Alltags unterstützt hat, so dass von einer Beistandsgemeinschaft im Sinne eines „Füreinander-Daseins“ auszugehen ist.
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Damit kann eine Aufenthaltserlaubnis nur nach den speziellen Vorschriften zum Familiennachzug nach den §§ 27 ff. AufenthG erteilt werden. Die dort geregelten Erteilungsvoraussetzungen liegen jedoch nicht vor. Insbesondere ist für die Annahme einer außergewöhnlichen Härte im allein in Betracht kommenden § 36 Abs. 2 AufenthG nichts ersichtlich, zumal die Tochter der Antragstellerin volljährig ist und nicht auf die Unterstützung durch ihre Mutter angewiesen ist.
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Ein Rückgriff auf den Erteilungstatbestand des § 7 Abs. 1 S. 3 AufenthG kommt nicht in Betracht.
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Nach § 7 Abs. 1 S. 3 AufenthG kann eine Aufenthaltserlaubnis auch für einen von diesem Gesetz nicht vorgesehenen Aufenthaltszweck erteilt werden. Diese Bestimmung ist allerding keine allgemeine Generalklausel, wonach Aufenthaltserlaubnisse auch dann erteilt werden können, wenn sich keine gesetzliche Grundlage im Aufenthaltsgesetz an anderer Stelle findet. Vielmehr ist erforderlich, dass die Aufenthaltserlaubnis für einen bestimmten Zweck begehrt wird, der im Aufenthaltsgesetz überhaupt nicht vorgesehen ist (BayVGH BayVGH B.v. 13.2.2008 - 10 Cs 07.2733 - beckonline, BeckRS 2008, 27547). Dass die Antragstellerin nicht die Tatbestandsvoraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke des Familiennachzugs erfüllt, rechtfertigt eben nicht die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 7 Abs. 1 S. 3 AufenthG.
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Aber selbst wenn man keine familiäre Lebensgemeinschaft zwischen der Antragstellerin und deren Tochter annehmen würde und die §§ 27 ff. AufenthG nicht anwendbar wären, liegt aller Voraussicht nach kein „begründeter Fall“ i.S.d. § 7 Abs. 1 S. 3 AufenthG vor. Zwar ist der Aufenthaltszweck von Nichterwerbstätigen, die hier von ihrem Vermögen leben wollen, nicht im Aufenthaltsgesetz geregelt. Aus der Systematik des Gesetzes insbesondere aus § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG ergibt sich aber, dass es für eine Erteilung nach § 7 Abs. 1 S. 3 AufenthG nicht ausreicht, dass der Lebensunterhalt gesichert, selbst wenn er überdurchschnittlich gesichert ist. Denn diese Voraussetzung wird bereits in § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG geregelt. Vielmehr dürfte, um einen besonderen Einzelfall annehmen zu können, zu fordern sein, dass der Ausländer über ein so großes Vermögen verfügt, dass dieser seinen Lebensunterhalt dauerhaft aus den Erträgen seines Vermögens bestreiten kann, ohne den Vermögensstock aufzubrauchen, oder über dauerhafte Erträge aus einem fremden Kapitalstock wie bei einer Rente verfügt (vgl. VG Stuttgart B.v. 10.6.2010 - 2 K 1260/10 - beckonline, BeckRS 2010, 51425).
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Diese Voraussetzung ist vorliegend nicht erfüllt. Die Antragstellerin hat Unterlagen über ein Bankguthaben über rund 60.000 EUR vorgelegt und angegeben, diesen Betrag zur Bestreitung ihres Lebensunterhalts verwenden zu wollen. Die Antragstellerin lebt daher nicht aus den Erträgen ihres Vermögens, sondern verbraucht das Vermögen selbst.
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Keinen Bedenken begegnet die Ausreisefrist, die länger bemessen ist als die maximale Ausreisefrist des § 59 Abs. 1 S. 1 AufenthG nämlich bis zum 31. Juli 2019. Auch im Übrigen begegnet die Abschiebeandrohung keinen Bedenken.
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3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
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4. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 1.5 und 8.1 des Streitwertkatalogs.