Inhalt

VGH München, Beschluss v. 09.07.2019 – 10 C 18.1082
Titel:

Gewährung von Prozesskostenhilfe soweit sich die Klage auf die Erlaubnis einer Erwerbstätigkeit richtet

Normenketten:
AufenthG § 4 Abs. 2 S. 3, § 60a Abs. 2 S. 1, Abs. 6 S. 1 Nr. 2
BeschV § 1 Abs. 1 S. 2 Nr. 3, § 32
Leitsätze:
1. Das gesetzliche Verbot des § 60a Abs. 6 S. 1 Nr. 2 AufenthG greift nur ein, wenn das gegenwärtig an den Tag gelegte schuldhafte Mitwirkungsversäumnis auch kausal für das Abschiebungshindernis ist. Ist eine Abschiebung schon aus anderen, nicht im Verantwortungsbereich des Ausländers liegenden Gründen nicht möglich, etwa mangels entsprechender Flugverbindungen, ist diese Vorschrift nicht anwendbar. (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)
2. Es ist zulässig, dass die Behörde mittels Festsetzung der Duldungslaufzeit auch den Fortgang und die Ergebnisse von Abschiebungsbemühungen kontrolliert (VGH München BeckRS 2015, 43078). (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Ausländerrecht, Prozesskostenhilfe, Duldung, Geltungsdauer der Duldung, Erlaubnis der Erwerbstätigkeit für Duldungsinhaber, Mitwirkung bei der Passbeschaffung, Möglichkeit der Abschiebung in den Irak, Geltungsdauer, Erwerbstätigkeit, Passbeschaffung
Vorinstanz:
VG Augsburg, Entscheidung vom 14.05.2018 – Au 1 K 17.1559
Fundstelle:
BeckRS 2019, 15914

Tenor

I. Unter Abänderung der Beschlüsse des Bayerischen Verwaltungsgerichts Augsburg vom 23. April 2018 und vom 14. Mai 2018 wird dem Kläger Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt W* … M* … M* …, A* …, auch insoweit gewährt, als sich die Klage auf die Erlaubnis einer Erwerbstätigkeit richtet.
Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
II. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens tragen der Kläger und der Beklagte jeweils zur Hälfte.

Gründe

1
Mit seiner Beschwerde verfolgt der Kläger seinen in erster Instanz teilweise erfolglosen Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe weiter.
2
Der Kläger, ein irakischer Staatsangehöriger, der eine Duldung besitzt, wendet sich mit seiner beim Bayerischen Verwaltungsgericht Augsburg anhängigen Klage gegen räumliche und zeitliche Beschränkungen seiner Duldung und begehrt die Erlaubnis einer Erwerbstätigkeit sowie die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis. Das Verwaltungsgericht lehnte den gleichzeitig gestellten Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe und Anwaltsbeiordnung mit Beschluss vom 23. April 2018 gemäß § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 118 Abs. 2 Satz 1 und 4 ZPO ab, weil der Kläger innerhalb der vom Gericht gesetzten Frist Angaben über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nicht glaubhaft gemacht hatte. Mit Schriftsatz vom 7. Mai 2018 erhob der Kläger gegen diesen Beschluss Beschwerde und legte gleichzeitig die erforderlichen Unterlagen über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse vor. Das Verwaltungsgericht half der Beschwerde mit Beschluss vom 14. Mai 2018 teilweise ab, indem es dem Kläger Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seines Bevollmächtigten bewilligte, soweit sich die Klage gegen die räumliche Beschränkung seiner Duldung richtet.
3
Auf eine entsprechende Anfrage des Senats erklärte der Kläger mit Schreiben vom 28. Juni 2018, die Beschwerde verfolge das Ziel, die Gewährung von Prozesskostenhilfe auch auf die in der Klage weiter angegriffenen Punkte der zeitlichen Beschränkung der Duldung auf drei Monate und auf das „Verbot“ der Erwerbstätigkeit zu erstrecken.
4
Nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO erhält ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht aufbringen kann, Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Erfolgsaussichten ist der Zeitpunkt der Bewilligungsreife, der gegeben ist, sobald die vollständigen Prozesskostenhilfeunterlagen vorliegen und die Gegenseite mit angemessener Frist zur Stellungnahme angehört worden ist. Im vorliegenden Fall ist der maßgebliche Zeitpunkt der 11. Mai 2018, an dem die vollständigen Unterlagen beim Verwaltungsgericht eingegangen sind; der Beklagte hatte sich zur Klage bereits geäußert.
5
a) Bezüglich der begehrten Erlaubnis zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit (§ 4 Abs. 2 Satz 3 AufenthG i.V.m. § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 und § 32 BeschV) ist die Beschwerde erfolgreich. Insoweit sind die Erfolgsaussichten einer Verpflichtungsklage als offen anzusehen, so dass dafür Prozesskostenhilfe zu gewähren ist.
6
Das Verwaltungsgericht hat angenommen, dass das gesetzliche Verbot des § 60a Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 AufenthG eingreife, weil beim Kläger derzeit aufenthaltsbeendende Maßnahmen aus Gründen, die er selbst zu vertreten habe, nicht vollzogen werden könnten. Er habe sich seit Jahren trotz entsprechender Belehrungen und Aufforderung nicht oder jedenfalls nicht ausreichend bemüht, einen irakischen Pass zu erhalten.
7
Es dürfte nach Aktenlage zwar zutreffen, dass der Kläger aus eigenem Verschulden (siehe hierzu BayVGH, B.v. 7.5.2018 - 10 CE 18.464 - juris Rn. 10-11) keinen Pass besitzt, da er noch am 18. September 2017 ausdrücklich erklärt hat, er habe noch nie einen Reisepass beantragt (siehe Bl. 761 der Behördenakte).
8
Das gesetzliche Verbot des § 60a Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 AufenthG greift allerdings nur ein, wenn das gegenwärtig an den Tag gelegte schuldhafte Mitwirkungsversäumnis auch kausal für das Abschiebungshindernis ist. Ist eine Abschiebung schon aus anderen, nicht im Verantwortungsbereich des Ausländers liegenden Gründen nicht möglich, etwa mangels entsprechender Flugverbindungen, ist diese Vorschrift nicht anwendbar (Kluth/Breidenbach in Kluth/Heusch, BeckOK AuslR, Stand 1.11.2018, AufenthG § 60a Rn. 54-56).
9
Ob der Umstand, dass der Kläger keinen irakischen Pass besitzt, (alleiniger) Grund dafür war, dass er nicht abgeschoben werden kann, war zum Zeitpunkt der Entscheidungsreife jedenfalls zweifelhaft. Nach aktueller innenministerieller Weisungslage (siehe Nr. C 3.3 BayVVAuslR) sind Abschiebungen von vollziehbar ausreisepflichtigen irakischen Staatsangehörigen in das autonome Kurdengebiet im Nordirak unter der Voraussetzung möglich, dass sie im Bundesgebiet rechtskräftig wegen einer Straftat zu mindestens 90 Tagessätzen bzw. drei Monaten Freiheitsstrafe verurteilt wurden und aus dem autonomen Kurdengebiet im Nordirak stammen. Soweit kein gültiger irakischer Pass vorhanden ist und die Autonomiebehörden im Nordirak der Rückübernahme zugestimmt haben, kann für die Durchführung der Abschiebung auch ein EU-Laissez-Passer ausgestellt werden. Der Kläger stammt nach seinen Angaben jedoch aus Kirkuk, das nicht zum autonomen Kurdengebiet gehört, und kann somit gemäß dieser Weisungslage nicht abgeschoben werden. Ob sich aus dem innenministeriellen Schreiben (IMS) vom 10. Juli 2017 (IA2-2084-1-24) etwas anderes ergab, ist zweifelhaft und gegebenenfalls im Klageverfahren weiter aufzuklären. Die Weisung in dem IMS vom 22. Oktober 2018 (2084-1-24-32), wonach Abschiebungen „grundsätzlich“ auch in den Zentralirak möglich sind, erging erst nach dem hier maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidungsreife.
10
Greift das gesetzliche Verbot des § 60a Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 AufenthG nicht ein, steht die Erlaubnis zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit nach § 4 Abs. 2 Satz 3 AufenthG i.V.m. § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 und § 32 BeschV im Ermessen der Ausländerbehörde. Diese hat sich hierzu noch nicht geäußert, so dass nicht geprüft werden kann, ob tragfähige Gründe für die Verweigerung der Erlaubnis vorliegen. Eine Ermessensreduzierung auf Null zugunsten des Klägers, so dass ihm wie zuvor eine Beschäftigung uneingeschränkt zu erlauben wäre, ist allerdings trotz des langjährigen Aufenthalts im Bundesgebiet angesichts seiner mangelnden Mitwirkungsbereitschaft an einer Passbeschaffung derzeit nicht erkennbar.
11
b) Hinsichtlich einer längeren Geltungsdauer der dem Kläger erteilten Duldung als die festgelegten drei Monate ist die Beschwerde hingegen zurückzuweisen.
12
Insoweit lagen die Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidungsreife nicht vor, weil die Klage im Hinblick auf diesen Streitgegenstand keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hatte.
13
Das Verwaltungsgericht hat zutreffend ausgeführt, dass die Ermessensentscheidung über die Befristung der Geltungsdauer der Duldung an deren Zweck auszurichten ist. Demnach ist die Dauer der vorübergehenden Aussetzung der Abschiebung zum einen danach zu bemessen, wie lange ein Abschiebungshindernis der Vollstreckung der vollziehbaren Ausreisepflicht voraussichtlich entgegenstehen wird. Neben diese materiell-rechtliche Regelung tritt das verfahrensrechtliche Erfordernis, die Vollstreckung der vollziehbaren Ausreisepflicht zu ermöglichen. Deshalb darf die Ausländerbehörde die Laufzeit der Duldung auch danach bemessen, dass die Voraussetzungen für eine Abschiebung nicht erschwert werden, falls eine Änderung der bisherigen Situation eintritt. Es ist zulässig, dass die Behörde mittels Festsetzung der Duldungslaufzeit auch den Fortgang und die Ergebnisse von Abschiebungsbemühungen kontrolliert (BayVGH, B.v. 18.2.2015 - 10 C 14.1117, 10 C 14.1341 - juris Rn. 20).
14
Grund für die Bestimmung einer Geltungsdauer von drei Monaten (und ebenso für die auflösende Bedingung, dass die Duldung mit der Bekanntgabe des Abschiebungstermins erlischt) war ausweislich der Begründung des Bescheids des Beklagten vom 18. September 2017, dass dem Duldungsinhaber verdeutlicht werden solle, dass die Duldung nur erteilt worden sei, weil der Abschiebung derzeit noch Hindernisse entgegenstünden. Dies solle gewährleisten, dass die Abschiebung unmittelbar nach Wegfall des Abschiebungshindernisses ohne einen sonst noch erforderlichen Widerruf der Duldung und einen damit verbundenen zeitlichen Aufschub vollzogen werden könne. Zudem werde dem Duldungsinhaber hierdurch verdeutlicht, dass mit einer Duldung kein dauerhaftes Bleiberecht verbunden sei. Die Befristung der Geltungsdauer diene ebenfalls dem Zweck, sicherzustellen, dass die Aussetzung der Abschiebung bei sich ändernden Umständen nicht länger bescheinigt werde als erforderlich.
15
Das Verwaltungsgericht ist daher zu Recht davon ausgegangen, dass die Bestimmung der Geltungsdauer der dem Kläger erteilten Duldung mit drei Monaten aller Voraussicht nach nicht ermessensfehlerhaft ist.
16
Wenn der Kläger in der Beschwerdebegründung meint, nur eine Geltungsdauer von mindestens sechs Monaten sei ermessensgerecht, weil er sich sehr wohl um die Beschaffung eines Reisepasses oder eines Ersatzdokuments bemühe und dies gegenüber der Beklagten auch nachgewiesen habe, ändert dies nichts an dieser Einschätzung. Für derartige Bemühungen findet sich in den Akten gerade kein Nachweis. Wie das Verwaltungsgericht ebenfalls zutreffend ausführt, wurde der Kläger seit 2012 wiederholt und ausführlich aufgefordert und belehrt, einen Pass vorzulegen bzw. an der Passbeschaffung mitzuwirken, ohne dass er substantiiert darlegen konnte, woran seine Bemühungen scheitern. Im Gegenteil hat er zuletzt bei einer Vorsprache bei der Ausländerbehörde am 18. September 2017 ausdrücklich erklärt, er habe noch nie einen Reisepass beantragt (siehe Bl. 761 der Behördenakte).
17
Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
18
Einer Streitwertfestsetzung bedarf es nicht, weil die nach Nr. 5502 des Kostenverzeichnisses zum Gerichtskostengesetz (Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG) anfallende Gebühr streitwertunabhängig ist.
19
Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).