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OLG München, Hinweisbeschluss v. 16.01.2019 – 25 U 3650/18
Titel:

Zur Übernahme von Aufräumungskosten sturmgeschädigter Bäume in der Wohngebäudeversicherung

Normenkette:
ZPO § 287 Abs. 2, § 529 Abs. 1
Leitsatz:
Übernimmt der Versicherer die notwendigen Aufräumungskosten der auf dem Versicherungsgrundstück gepflanzten Bäume, die durch Sturm abgestorben oder umgestürzt sind, darf der zur Auslegung berufene, durchschnittliche, verständige Versicherungsnehmer bei aufmerksamer Durchsicht der Klausel – einschließlich der Regelung der erstattungsfähigen Kosten – davon ausgehen, dass sich bei einer Abspaltung eines Baumteils, das umgestürzt und anschließend abgestorben ist, die erstattungsfähigen Aufräumungskosten auf den Baum insgesamt beziehen, wenn infolge des Absterbens oder Umstürzens der noch stehend im Boden verbliebene Teil ebenfalls beseitigt werden muss.  (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Baum, Gutachterkosten, Auslegung, VGB 2008, Aufräumungskosten, Sturmschäden, Wohngebäudeversicherung
Fundstellen:
r+s 2019, 270
BeckRS 2019, 1398
LSK 2019, 1398

Tenor

I. Gemäß der im Versicherungsschein (Anlage K1) ausdrücklich vereinbarten Klausel 0003 zu den VGB 2008 - BVV/BLBV (Anlage K2, Seite 14) übernimmt der Versicherer die notwendigen Aufräumungskosten der auf dem Versicherungsgrundstück gepflanzten Bäume, die durch Sturm abgestorben oder umgestürzt sind.
Nach dem - streitigen - Sachvortrag der Klagepartei soll die Buche im Garten des Klägers an einer Stammgabelung aus zwei Trieben (einem sog. Zwiesel) durch den Sturm vom 09.07.2017 so gespalten worden sein, dass es zu einem Abbruch und einer Zerstörung von ca. 60% des Baumes gekommen sei und die stehengebliebenen 40% des Baumes nicht überlebensfähig gewesen seien, so dass die Buche insgesamt als abgestorben anzusehen gewesen sei. Das Erstgericht hat die Klage - mit Ausnahme eines Teils der Gutachterkosten - abgewiesen, weil es den „Restbaum“ schon nach dem Vortrag der Klagepartei, der auch das Privatgutachten des Försters R. umfasste, nicht als abgestorben angesehen hat. Der Privatgutachter unterscheide zwischen dem Gefährdungspotential des nicht mehr standsicheren Restbaumes, aufgrund dessen er die Fällung empfohlen habe, und der Überlebensfähigkeit des Restbaumes, die er nicht in Frage gestellt habe. Dass die Situation mit einem Totalverlust oder Absterben des Baumes vergleichbar sei, sei eine persönliche Schlussfolgerung des Sachverständigen ohne Berücksichtigung der Versicherungsbedingungen. Mit ihrer Berufung rügt die Klagepartei unter anderem die unterlassene Beweiserhebung durch das Erstgericht.
Der Senat hat erhebliche Zweifel, ob die maßgebliche Klausel 0003 zu den VGB 2008 -BVV/BLBV so auszulegen ist, dass zwischen abgetrenntem „Teilbaum“ und nicht mehr standsicherem „Restbaum“ zu unterscheiden ist. Grundsätzlich ist - wie das Landgericht zutreffend ausführt - der Maßstab der Auslegung von Versicherungsbedingungen, wie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse die jeweilige Klausel bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und Berücksichtigung des erkennbaren Zusammenhangs verstehen muss (st. Rspr., vgl. z.B. BGH, Urteil vom 23.06.1993 - IVZR 135/92, BGHZ 123, 83, 85; BGH, Urteil vom 19. 5. 2004 - IVZR 29/03, VersR 2004, 1035; BGH, Urteil vom 16.7.2014 - IV ZR 88/13, VersR 2014, 1118).
Legt man diesen Maßstab an die streitgegenständliche Klausel 0003 an, so ist aus Sicht eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers darauf abzuheben, ob infolge des Sturmes ein Baum abgestorben oder umgestürzt ist und deshalb beseitigt werden muss. Der durchschnittliche Versicherungsnehmer wird keine gedankliche Aufspaltung der Klausel in „Teilbäume“ und „Restbäume“ vornehmen, sondern sich fragen, ob Aufräumungskosten für einen Baum entstehen, der sturmbedingt abgestorben oder umgestürzt ist, wobei es in der Natur der Sache liegt, dass beim Umstürzen je nach der Höhe oder Lage der Knick- oder Bruchstelle Teile des Baumes stehend im Boden verbleiben. Dass auch die Beseitigungskosten für solche Teile des Baumes erstattungsfähig sind, die wie der Wurzelstock nicht ohne weiteres auf dem Grundstück verbleiben können, wird der durchschnittliche Versicherungsnehmer dem zweiten Satz der Klausel entnehmen („Die erstattungsfähigen Kosten umfassen den Abtransport und die Entsorgung umgestürzter Bäume auf dem Versicherungsgrundstück einschließlich der Entfernung des Wurzelstocks, soweit eine natürliche Regeneration nicht zu erwarten ist sowie der Einebnung des Erdreichs am ehemaligen Standpunkt des Baumes. (…)“). Folglich wird der zur Auslegung berufene durchschnittliche, verständige Versicherungsnehmer bei aufmerksamer Durchsicht der Klausel zu dem Ergebnis gelangen, dass sich bei einer Abspaltung eines Baumteils, das umgestürzt und anschließend abgestorben ist, die erstattungsfähigen Aufräumungskosten auf den Baum insgesamt beziehen, wenn infolge des Absterbens oder Umstürzens der noch stehend im Boden verbliebene Teil ebenfalls beseitigt werden muss. Dass hierbei - gerade sturmbedingte - Probleme der Standsicherheit eine Rolle spielen können, liegt ebenfalls in der Natur der Sache und wird von der Klausel bei verständiger Würdigung keineswegs ausgeschlossen. Bei einem um mehrere Tage zeitversetzten Umkippen eines Baumes, der seine Standsicherheit durch einen Sturm verloren hatte, hat die Rechtsprechung dementsprechend auch Versicherungsschutz in der Gebäudeversicherung bejaht, wenn 25 u 3650/18 - Seite 3 zwischen Kausalereignis und Erfolg keine weitere Ursache tritt und der Sturm die zeitlich letzte Ursache ist (vgl. olg Hamm, Urteil vom 25.09.2017 - 6 u 191/15, r+s 2018, 18). Ebenfalls hat die Rechtsprechung im Rahmen der „Aufräumungskosten für Bäume“ eine weite Auslegung gewählt und auch Folgekosten bei Grundstücksschäden durch schweres Gerät für ersatzfähig gehalten (LG München I, Urteil vom 11.08.2017 - 26 O 8529/16, r+s 2017, 640). Aufgrund des Begriffs der „natürlichen Regeneration“ im zweiten Satz der Klausel sind nach Auffassung des Senats auch keine Teilbetrachtungen dazu veranlasst, ob der „Restbaum“ allein überlebensfähig gewesen wäre, wenn wie hier die Beseitigung - nach Behauptung des Klägers - aus Gründen der sturmbedingten Standunsicherheit veranlasst war. Eine natürliche Regeneration des gesamten Baums, wie sie die Klausel meint, war nach dem Abspalten des Zwieselteils von vermeintlich 60% nämlich in jedem Fall ausgeschlossen.
II. Im Hinblick auf die vom Landgericht nach § 287 Abs. 2 ZPO geschätzten Kosten für ein Privatgutachten einer Baumschule sieht der Senat keine Anhaltspunkte, dass ausnahmsweise die Bindung an die erstinstanzlichen Feststellungen nach § 529 Abs. 1 ZPO entfallen würde. Die Annahme, dass eine solche Begutachtung mit geringeren Kosten verbunden sein dürfte als diejenige durch einen diplomierten Forstwirt, lässt keinen Verstoß gegen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze erkennen.
Es besteht weiter Gelegenheit zur Stellungnahme zu den Hinweisen binnen 3 Wochen.