Inhalt

VGH München, Beschluss v. 28.06.2019 – 16a DZ 19.255
Titel:

Betroffenheit der Wissenschaftsfreiheit durch hochschulinterne Organisationsmaßnahmen

Normenketten:
BayDG Art. 8
GG Art. 5 Abs. 3 S. 1 Alt. 2
Leitsätze:
1. Ein Hochschullehrer kann sich gegenüber hochschulinternen Organisationsmaßnahmen auf den Grundrechtsschutz aus Art. 5 Abs. 3 S. 1 Alt. 2 GG nur berufen, wenn sie wissenschaftsadäquat sind bzw. die freie wissenschaftliche Betätigung und Aufgabenerfüllung strukturell gefährden (ebenso BVerfG, BeckRS 2014, 53971). (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)
2. Dass ein Hochschullehrer aufgrund interner Verfügungen der Hochschule zum Vollzug der Bayerischen Haushaltsordnung nicht persönlich befugt ist, vertragliche Verpflichtungen mit Dritten einzugehen, die über einer bestimmten Wertgrenze liegen, ist nicht wissenschaftsadäquat und gefährdet die freie wissenschaftliche Betätigung und Aufgabenerfüllung nicht strukturell. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Disziplinarverfahren, Hochschullehrer, Geldbuße (5.000 €), Strukturelle Gefährdung der freien wissenschaftlichen Betätigung und Aufgabenerfüllung (verneint), Haushaltsrecht, Interne Organisationsmaßnahmen der Hochschule zum Vollzug des Haushaltsrechts, Wissenschaftsfreiheit, Sicherstellung der Lehre
Vorinstanz:
VG München, Urteil vom 15.01.2019 – M 13L DB 17.1877
Fundstelle:
BeckRS 2019, 13883

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Antragsverfahrens.

Gründe

1
Der Antrag auf Zulassung der Berufung, der auf die Zulassungsgründe des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO (ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils), des § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO (besondere rechtliche oder tatsächliche Schwierigkeit der Rechtssache), des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO (grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache) und des § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO (Divergenz) - jeweils in Verbindung mit Art. 62 Abs. 2 BayDG - gestützt ist, bleibt ohne Erfolg.
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1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts i.S.v. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO bestehen auf der Grundlage des Zulassungsvorbringens nicht. Solche sind nur zu bejahen, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird und die Zweifel an der Richtigkeit dieser Begründungselemente auf das Ergebnis durchschlagen. Dies ist vorliegend nicht der Fall.
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1.1 Der Kläger weist darauf hin, dass im Urteil auf Seite 2 von der Fachhochschule Ulm statt von der Hochschule Neu-Ulm die Rede ist und er auf Seite 21 als Kanzler statt als Dekan bezeichnet wird. Diese Unrichtigkeiten betreffen jedoch keine erheblichen Tatsachenfeststellungen, sodass insoweit keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts bestehen.
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1.2 Das Verwaltungsgericht ist davon ausgegangen, dass der Kläger einer deutlichen Pflichtenmahnung bedurft habe, weil er sogar nach Einleitung des Disziplinarverfahrens und des Hinweises, dass er haushaltsrechtliche Bestimmungen zu befolgen habe, eigenmächtig Dozentenverträge abgeschlossen habe. Es sei daher nicht zu beanstanden, wenn der Beklagte hierfür eine Geldbuße in Höhe von 5.000 € verhängt habe.
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Der Kläger wendet ein, damit habe das Verwaltungsgericht zur Rechtfertigung seiner Entscheidung auf „neuere Bewertungen“ zurückgegriffen, die aber nicht Grundlage der streitigen disziplinarrechtlichen Verfügung seien und deshalb im verwaltungsgerichtlichen Verfahren nicht hätten überprüft werden können. Ernstliche Zweifel legt der Kläger damit schon deshalb nicht dar, weil das Disziplinarverfahren hinsichtlich des erneuten Verstoßes gegen die Zuständigkeitsregelungen (Vorlage der Rechnungen zum Vorkurs Mathematik und Anordnung der Auszahlung) mit Verfügung vom 5. Januar 2017 ausgedehnt und damit dieser weitere Vorwurf gerade Gegenstand der streitigen Disziplinarverfügung geworden ist.
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1.3 Soweit der Kläger rügt, auf Seite 16 des Urteils sei ausgeführt, die Beschaffung der Datenbank sei über das Zentrale Beschaffungswesen der Universität erfolgt, er arbeite aber weder an einer Universität, noch könne ihm disziplinarrechtlich vorgehalten werden, Bestellungen über die zentrale Beschaffungsstelle vorgenommen zu haben, kann dies die Richtigkeit der Entscheidung ebenfalls nicht in Frage stellen. Zum einen bezieht sich die vom Kläger zitierte Stelle auf das Vorbringen der Landesanwaltschaft im verwaltungsgerichtlichen Verfahren (wobei irrtümlich der Begriff Universität statt Hochschule verwendet wurde) und nicht auf die Entscheidungsgründe, zum anderen ist die über die zentrale Beschaffungsstelle der Fachhochschule erworbene Datenbank von Thomson Reuters LLC, auf die sich die Äußerung bezieht, nicht Gegenstand des Disziplinarverfahrens.
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1.4 Es ist unerheblich, dass im Protokoll nicht ausdrücklich aufgenommen wurde dass die Datenbank nicht „gekauft“ wurde. Das Verwaltungsgericht hat sowohl im Tatbestand (S. 4) als auch in den Entscheidungsgründen (S. 17) deutlich gemacht, dass sich der disziplinarrechtliche Vorwurf auf die für Lieferung und Installation der Arbeitsplatzlizenz entstandenen Kosten bezieht.
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2. Die Berufung ist auch nicht wegen besonderer tatsächlicher oder rechtlicher Schwierigkeiten im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO zuzulassen. Besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten der Rechtssache bestehen dann, wenn die Rechtssache wegen einer erheblich über dem Durchschnitt liegenden Komplexität des Verfahrens oder aufgrund der zugrunde liegenden Rechtsmaterie in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht größere, also das normale Maß nicht unerheblich überschreitende Schwierigkeiten verursacht, mithin signifikant vom Spektrum der in verwaltungsgerichtlichen Verfahren zu entscheidenden Streitsachen abweicht. Im Hinblick auf die Darlegungsanforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO ist es erforderlich, im Einzelnen darzulegen, hinsichtlich welcher Fragen und aus welchen Gründen die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist. Diesen Anforderungen wird das Vorbringen des Klägers zum Vorliegen besonderer tatsächlicher und rechtlicher Schwierigkeiten der Rechtssache nicht gerecht.
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2.1 Der Kläger hält die Abgrenzung „zwischen dem geschützten wissenschaftlichen Bezug einer Verhaltensweise und der organisatorischen Grundlage, in die sich der Dienstherr noch einmischen darf“, für rechtlich besonders schwierig. Eine Begründung hierfür gibt er nicht, sodass er dem Darlegungserfordernis nicht nachkommt.
10
In der Rechtsprechung ist indes geklärt, dass der Kläger als Hochschullehrer außerhalb des Bereichs von Forschung und Lehre nicht von seinen allgemeinen beamtenrechtlichen Pflichten entbunden ist. Ein Hochschullehrer kann sich gegenüber Organisationsnormen bzw. hochschulinternen Organisationsmaßnahmen auf den Grundrechtsschutz aus Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG nur berufen, wenn sie wissenschaftsinadäquat sind [BVerfG, B.v. 24.6.2014 - 1 BvR 3217/07 - juris Rn. 44; vgl. auch May in Schütz/Maiwald, Beamtenrecht - Kommentar, Stand: April 2019, 2. Kunst- und Wissenschaftsfreiheit (Art. 5 Abs. 3 GG), Rn. 30, 27] bzw. die freie wissenschaftliche Betätigung und Aufgabenerfüllung strukturell gefährden (BVerfG, B.v. 24.6.2014 a.a.O. Rn. 57). Dabei ist die jeweils in Rede stehende Organisationsnorm danach zu beurteilen, ob und mit welcher Intensität sie die Funktionsfähigkeit der Institution „freie Wissenschaft“ als solche begünstigt oder behindert (BVerfG, U.v. 29.5.1973 - 1 BvR 424/71 - juris Rn. 109).
11
Der Kläger durfte aufgrund interner Verfügungen der Hochschule zum Vollzug der Bayerischen Haushaltsordnung (vgl. Schr. vom 26.3.2008 und 1.10.2014) lediglich Bestellungen i.H.v. 249 € in eigener Zuständigkeit vornehmen. Er war daher nicht befugt, am 29. September 2014 eine Arbeitsplatzlizenz der Steuerberatersoftware „Addison“ im Gesamtwert von 37.485 € liefern und am 8. Oktober 2014 für 203,49 € auf seinem Arbeitsplatzrechner installieren zu lassen. Der Kläger war aufgrund interner Organisationsmaßnahmen der Hochschule auch nicht befugt, Personal- bzw. Dozentenverträge abzuschließen. Dies war und ist vielmehr der Personalabteilung vorbehalten. Gleichwohl hat der Kläger zwei Dozentenverträge zum Vorkurs Mathematik mit einem Gesamthonorar von jeweils 3.000 € abgeschlossen. Allein der Umstand, dass der Kläger nicht persönlich befugt war, vertragliche Verpflichtungen mit Dritten einzugehen, die über einen Betrag von 249 € liegen, ist nicht wissenschaftsinadäquat und gefährdet die freie wissenschaftliche Betätigung und Aufgabenerfüllung nicht ansatzweise strukturell. Vielmehr wird - leicht einsehbar - durch ein „Vier-Augen-Prinzip“ (Schr. der Hochschule vom 25.1.2017, S. 4 = Bl. 175 der Disziplinarakte) sichergestellt, dass zum einem die entsprechenden Mittel überhaupt vorhanden sind und zum anderen die Vorschriften zur Bewirtschaftung der Haushaltsmittel eingehalten werden. In diesem Spannungsfeld mit den haushaltsrechtlichen Erfordernissen kann sich die Wissenschaftsfreiheit des Einzelnen nicht schlechthin und schrankenlos durchsetzen.
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2.2 Der Kläger rügt, das Verwaltungsgericht sei bei dem Erwerb der Datenbank nicht darauf eingegangen, inwieweit die weitere Wartung der Software gegenüber der Geschenkannahme eine selbständige Bedeutung erlangt habe. Dem Senat erschließt sich nicht, in welcher Beziehung sich hieraus besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten ergeben sollen.
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2.3 Auch soweit der Kläger schließlich vorträgt, das Verwaltungsgericht sei bei der Beauftragung von Personal nicht auf die Frage eingegangen, in welchem Maße das Nichthandeln der Hochschule ein Defizit in der Lehre der Hochschule ausgelöst hätte, was nur noch durch ein Einschreiten des Klägers habe abgewendet werden können, legt er keinen Klärungsbedarf dar. Es geht nicht darum, dass der Kläger gleichsam gezwungen war, die Dozentenverträge abzuschließen, weil die Hochschule nicht handeln wollte oder konnte und ein Defizit in der Lehre unmittelbar bevorstand.
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3. Soweit der Kläger meint, der Rechtssache komme grundsätzliche Bedeutung (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) zu, sind die Darlegungserfordernisse nicht erfüllt. Es wurde keine Rechtsfrage formuliert, die in einem Berufungsverfahren über den Einzelfall hinausgehend für eine Vielzahl von Fällen klärungsbedürftig und auch klärungsfähig wäre. Der Kläger meint lediglich, in der Sache unzutreffend, nach Ansicht des Verwaltungsgerichts sei offen, wo die Grenzen des grundrechtlichen Schutzes von Forschung und Lehre lägen. Eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtsache wird damit nicht ansatzweise dargelegt.
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4. Der geltend gemachte Zulassungsgrund der Divergenz (§ 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO) ist ebenfalls nicht in der gebotenen Weise dargelegt worden (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO). Hierzu wäre darzulegen gewesen, welcher Rechts- oder Tatsachensatz in dem Urteil des Divergenzgerichts enthalten ist und welcher bei der Anwendung derselben Rechtsvorschrift in dem angefochtenen Urteil aufgestellte Rechts- oder Tatsachensatz dazu in Widerspruch steht. Die divergierenden Sätze müssen einander so gegenüber gestellt werden, dass die Abweichung erkennbar wird.
16
Diesen Anforderungen genügt die Antragsbegründung nicht, weil der Kläger lediglich Zitate aus Entscheidungen auflistet, ohne zu benennen, welche Abweichung im abstrakten Rechts- oder Tatsachensatz vorliegen soll.
17
5. Der Antrag auf Zulassung der Berufung war daher mit der Kostenfolge aus Art. 72 Abs. 4 Satz 1 BayDG i.V.m. § 154 Abs. 2 VwGO abzulehnen. Gerichtsgebühren werden nach Art. 73 Abs. 1 BayDG nicht erhoben.
18
Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).