Inhalt

VGH München, Beschluss v. 02.05.2019 – 10 CE 19.273
Titel:

Keine vorläufige Ausbildungsduldung wegen unzureichender Mitwirkung bei der Passbeschaffung

Normenketten:
VwGO § 123
AufenthG § 4 Abs. 3, § 48 Abs. 3 S. 1, § 49 Abs. 2, § 60a Abs. 2 S. 4, Abs. 6
AsylG § 15 Abs. 1, Abs. 2
Leitsätze:
1. Der Erteilung einer Ausbildungsduldung bzw. Beschäftigungserlaubnis können nur solche Gründe entgegengehalten werden, die aktuell den Vollzug aufenthaltsbeendender Maßnahmen behindern. Grundsätzlich maßgeblicher Zeitpunkt für die Prüfung des Ausschlusstatbestandes ist der der gerichtlichen Entscheidung (Rn. 4). (redaktioneller Leitsatz)
2. Auch in der unzureichenden Mitwirkung bei der Identitätsklärung und Passbeschaffung kann grundsätzlich ein Versagungsgrund nach § 60a Abs. 6 S. 1 Nr. 2 AufenthG zu sehen sein, der ein absolutes Erwerbstätigkeitsverbot begründet (Rn. 5). (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Ausländerrecht, Ausbildungsduldung, Mitwirkung bei der Passbeschaffung, Beschäftigungserlaubnis, Mitwirkung bei der Identitätsklärung, Prüfung des Ausschlusstatbestandes, entscheidungserheblicher Zeitpunkt
Vorinstanz:
VG München, Beschluss vom 14.01.2019 – M 24 E 18.5516
Fundstelle:
BeckRS 2019, 13682

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 5.000,- EUR festgesetzt.

Gründe

1
Die zulässige Beschwerde, mit der der Antragsteller seinen in erster Instanz erfolglosen Antrag weiterverfolgt, den Antragsgegner im Wege einer einstweiligen Anordnung (§ 123 Abs. 1 VwGO) zu verpflichten, ihm vorläufig eine Ausbildungsduldung sowie eine Beschäftigungserlaubnis zur Aufnahme einer Berufsausbildung bei einem näher bezeichneten Ausbildungsbetrieb zu erteilen, bleibt ohne Erfolg. Die vom Antragsteller dargelegten Gründe, auf die der Verwaltungsgerichtshof seine Prüfung nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO zu beschränken hat, rechtfertigen weder die Aufhebung noch eine Abänderung des angefochtenen Beschlusses.
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Das Verwaltungsgericht hat den erforderlichen Anordnungsanspruch auf Erteilung einer Ausbildungsduldung nach § 60a Abs. 2 Satz 4 i.V.m. Abs. 6 AufenthG verneint. Der Antragsteller sei zwar eigeninitiativ zur Passbeschaffung tätig geworden. Da er sich aber geweigert hätte, bei der Beschaffung von Passersatzpapieren mitzuwirken, indem er die entsprechenden Formulare nicht unterschrieben habe, habe er zumutbare Mitwirkungshandlungen unterlassen und damit in vorwerfbarer Weise seine Mitwirkungspflicht verletzt.
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Demgegenüber macht der Antragsteller mit seiner Beschwerde geltend, dass schon nicht ersichtlich sei, weshalb hinsichtlich des Ausschlusstatbestands des § 60a Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 AufenthG nicht auch auf den Zeitpunkt der Antragstellung abzustellen sei, zu dem der Antragsteller auch nach Auffassung des Erstgerichts seine Mitwirkungspflichten erfüllt hätte. Die fehlende Mitwirkung bei der Beschaffung von Passersatzpapieren wäre zum einen nicht kausal für die Unmöglichkeit, die Ausreisepflicht zu vollziehen. Punktuelle Weigerungen hinderten eine Aufenthaltsbeendigung weit weniger als Falschangaben oder Täuschungshandlungen über die eigene Identität. Passersatzpapieranträge könnten auch ohne Unterschrift des Betroffenen über die Zentrale Ausländerbehörde an die jeweils zuständigen Auslandsvertretungen übermittelt werden. Zum anderen habe sich der Antragsteller durch weitreichende Mitwirkungshandlungen um Passbeschaffung und Identitätsklärung bemüht.
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Mit diesem Vorbringen wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts nicht mit Erfolg angefochten. Nach § 60a Abs. 2 Satz 4 i.V.m. Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 AufenthG darf einem geduldetem Ausländer die Ausübung einer Erwerbstätigkeit nicht erlaubt werden, wenn aufenthaltsbeendende Maßnahmen bei ihm aus Gründen, die er selbst zu vertreten hat, nicht vollzogen werden können. § 60a Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 AufenthG richtet sich an Geduldete, die ihr Ausreisehindernis selbst zu vertreten haben (BT-Drs. 18/6185, S. 50). Der Erteilung einer Ausbildungsduldung bzw. Beschäftigungserlaubnis können also nur solche Gründe entgegengehalten werden, die aktuell den Vollzug aufenthaltsbeendender Maßnahmen behindern. Gründe, die den Vollzug ausschließlich in der Vergangenheit verzögert oder behindert haben, sind unbeachtlich (BayVGH, B.v. 22.1.2018 - 19 CE 18.51 - juris Rn. 26; B.v. 9.5.2018 - 10 CE 18.738 - juris Rn. 5). Grundsätzlich maßgeblicher Zeitpunkt für die Prüfung des Ausschlusstatbestands ist demnach der der gerichtlichen Entscheidung.
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Neben den in § 60a Abs. 6 Satz 2 AufenthG beispielhaft aufgeführten Fällen der Täuschung und Falschangaben kann auch in der unzureichenden Mitwirkung bei der Identitätsklärung und Passbeschaffung grundsätzlich ein Versagungsgrund nach § 60a Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 AufenthG zu sehen sein, der ein absolutes Erwerbstätigkeitsverbot begründet (vgl. zu § 11 BeschVerfV a.F. SächsOVG, B.v. 7.3.2013 - 3 A 495/11 - juris Rn. 7). Ein vollziehbar ausreisepflichtiger Ausländer ist im Rahmen der ihm obliegenden Mitwirkungspflichten gefordert, bezüglich seiner Identität und Staatsangehörigkeit zutreffende Angaben zu machen, an allen zumutbaren Handlungen mitzuwirken, die die Behörden von ihm verlangen, und darüber hinaus eigeninitiativ ihm mögliche und bekannte Schritte in die Wege zu leiten, die geeignet sind, seine Identität und Staatsangehörigkeit zu klären und die Passlosigkeit zu beseitigen (zu § 25 Abs. 5 AufenthG vgl. OVG MV, U.v. 24.6.2014 - 2 L 192/10 - juris). Nach § 15 Abs. 1 AsylG ist der Ausländer persönlich verpflichtet, bei der Aufklärung des Sachverhalts mitzuwirken; insbesondere hat er nach § 15 Abs. 2 AsylG den Ausländerbehörden seinen Pass oder Passersatz bzw. alle erforderlichen Urkunden und sonstigen Unterlagen, die in seinem Besitz sind, vorzulegen, auszuhändigen und zu überlassen (Nrn. 4 und 5) und im Falle des Nichtbesitzes eines gültigen Passes oder Passersatzes an der Beschaffung eines Identitätspapiers mitzuwirken (Nr. 6). Wie sich aus § 48 Abs. 3 Satz 1 AufenthG ergibt, hat der Ausländer bei der Beschaffung von Identitätspapieren mitzuwirken. Die Mitwirkung muss sich neben dem Bemühen um einen Pass oder Passersatz auch auf die Beschaffung sonstiger Urkunden und Dokumente unabhängig vom Aussteller richten, sofern sie zu dem Zweck geeignet sind, die Ausländerbehörden bei der Umsetzung einer Rückführungsmöglichkeit zu unterstützen. Unzureichende Mitwirkung bei der Passbeschaffung stellt einen Versagungsgrund dar (NdsOVG, B.v. 15.5.2018 - 8 ME 23/18 - juris Rn. 9; OVG LSA, B.v. 23.10.2018 - 2 M 112/18 - juris Rn. 18; Bauer/Dollinger in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 12. Auflage, § 60a Rn. 54). Die Mitwirkungspflicht umfasst auch die Abgabe der von der Auslandsvertretung des mutmaßlichen oder tatsächlichen Heimatstaates geforderten Erklärungen (§ 49 Abs. 2 AufenthG).
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Andererseits ist die zuständige Ausländerbehörde dabei auch gehalten, in Erfüllung ihr selbst obliegender behördlicher Mitwirkungspflichten konkret zu bezeichnen, was genau in welchem Umfang vom Ausländer erwartet wird, wenn sich ein bestimmtes Verhalten nicht bereits aufdrängen muss. Die Behörde ist regelmäßig angesichts ihrer organisatorischen Überlegenheit und Sachnähe besser in der Lage, die bestehenden Möglichkeiten zu erkennen und die erforderlichen Schritte in die Wege zu leiten (VGH BW, U. v. 3.12.2008 - 13 S 2483/07 - juris m.w.N.). Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgericht muss die Ausländerbehörde gesetzliche Mitwirkungspflichten beispielsweise zur Beschaffung von Identitätspapieren konkret gegenüber dem Betroffenen aktualisiert haben, um aus der mangelnden Mitwirkung negative aufenthaltsrechtliche Folgen ziehen zu können (vgl. für § 104a Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG BVerwG, U.v. 26.10.2010 - 1 C 18.09 - juris Rn. 17; BayVGH, B. v. 22.1.2018 - 19 CE 18.51 - juris Rn. 25; B.v. 9.5.2018 - 10 CE 18.738 - juris Rn. 6). Unter Berücksichtigung der genannten Regelbeispiele in § 60a Abs. 6 Satz 2 AufenthG muss eine mangelnde Mitwirkung ein gewisses Gewicht erreichen, so dass es gerechtfertigt erscheint, sie aktivem Handeln gleichzustellen (vgl. für § 104a Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG BVerwG, U.v. 26.10.2010 - 1 C 18.09 - juris Rn. 17).
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Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze erfüllt der Antragsteller den zwingenden Versagungsgrund des § 60a Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 i.V.m. Satz 2 AufenthG. Er wurde umfassend über seine Mitwirkungspflichten mit Schreiben vom 16. Mai 2018 belehrt. Die Ausländerbehörde hat auch - wiederholt - dargelegt, was und in welchem Umfang sie vom Antragsteller verlangt. Insofern ist zwischen den Beteiligten unstreitig, dass der Antragsteller am 16. Mai 2018 und erneut am 16. August 2018 die Unterschrift für die Beantragung von Passersatzpapieren verweigert hat. Entgegen der Auffassung des Antragstellers ist die fehlende Mitwirkung bei der Beantragung von Passersatzpapieren nicht als „punktuelle Weigerung“ unbeachtlich. Vom Betroffenen kann verlangt werden, es nicht bei der Einreichung der erforderlichen Unterlagen und bei der Vorsprache bei der Auslandsvertretung seines Heimatstaates zu belassen (vgl. SächsOVG, B.v. 9.7.2014 - 2 L 169/12 - Rn. 7 zu § 33 BeschV; Funke-Kaiser, GK-AufenthG, Stand April 2019, § 60a Rn. 83 m.w.N.) oder - wie zuletzt - bei den Auslandsvertretungen um Übermittlung von Formularen zu bitten. Der Antragsteller hat auch an der Ausstellung von Passersatzpapieren uneingeschränkt und ggf. parallel zu den eigenen Bemühungen mitzuwirken (vgl. BVerwG, U.v. 26.10.2010 - 1 C 18.09 - juris Rn. 22; zur Abgabe einer „Freiwilligkeitserklärung“: U.v. 10.11.2009 - 1 C 19.08 - juris Rn. 18). Dies ist ihm auch zumutbar, weil von ihm keine von vornherein erkennbar aussichtslose Handlungen verlangt werden (OVG Berlin-Bbg, U.v. 16.10.2018 - OVG 3 B 4.18 - juris Rn. 22 m.w.N.). Vielmehr ist nach der von der Ausländerbehörde bei der Regierung von Oberbayern, Zentrale Passbeschaffung Bayern, eingeholten Auskunft vom 13. August 2018 davon auszugehen, dass Rückführungsmöglichkeiten sowohl nach Eritrea als auch nach Äthiopien bestehen und dass das Verfahren zur Passersatzpapierbeschaffung in der ausländerbehördlichen Praxis erfolgsversprechend ist.
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Demzufolge kann entgegen der Auffassung des Antragstellers auch nicht angenommen werden, dass seine Weigerungshaltung nicht kausal für die Unmöglichkeit der Abschiebung ist. Zwar muss, um eine Verantwortlichkeit des Ausländers zu begründen, ein eigenes, dem Ausländer zurechenbares schuldhaftes Verhalten vorliegen, das kausal die Abschiebung verhindert (vgl. BayVGH, B.v. 31.7.2017 - 19 CE 17.1032 - juris Rn. 18; SächsOVG, B.v. 10.4.2018 - 3 B 8/18 - juris Rn. 7; Hailbronner, Ausländerrecht, Stand November 2018, § 60a Rn. 138 m.w.N.). Dies ist vorliegend aber der Fall, da allein die fehlenden Reisedokumente für die Erteilung und Verlängerung von Duldungen maßgeblich waren.
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Geht man davon aus, dass die abverlangten Leistungen - wie dargelegt - nicht von vornherein aussichtslos sind, besteht hinsichtlich des Zusammenhangs zwischen einer Verletzung von Mitwirkungspflichten und der Erfolglosigkeit aufenthaltsbeendender Maßnahmen, der immer nur hypothetisch beurteilt werden kann, eine tatsächliche widerlegbare Vermutung zu Lasten des Ausländers (vgl. OVG Berlin-Bbg, U.v. 16.10.2018 - OVG 3 B 4.18 - juris Rn. 27 unter Bezugnahme auf: BVerwG, U.v. 26.10.2010 - 1 C 18.09 - juris Rn. 20 m.w.N.). Der Antragsteller war infolge der Ablehnung seines Antrags auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner gegen den Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) vom 13. Mai 2017 erhobenen Klage mit Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 20. Dezember 2017 (M 12 S 17.40908) vollziehbar ausreisepflichtig. Hätten dem Antragsgegner Pass(ersatz) papiere des Herkunftsstaates des Antragstellers vorgelegen, so ist ohne weiteres davon auszugehen, dass die Ausreiseverpflichtung in diesen Herkunftsstaat auch betrieben worden wäre (vgl. SächsOVG, B.v. 10.4.2018 - 3 B 8/18 - juris Rn. 8; NdsOVG, B.v. 15.5.2018 - 8 ME 23/18 - juris Rn. 10 f.). Eine fehlende nähere Konkretisierung des Herkunftsstaates im Bescheid des Bundesamts steht dem nicht entgegen.
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Ist schon kein Anordnungsanspruch für die Erteilung einer (vorläufigen) Ausbildungsduldung gegeben, kommt auch die Erteilung einer (vorläufigen) Beschäftigungserlaubnis beim Antragsteller nicht in Betracht (vgl. BayVGH, B.v. 5.2.2019 - 10 CE 19.204 - juris Rn. 8; B.v. 9.5.2018 - 10 CE 18.738 - juris Rn. 3).
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
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Die Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1 und § 52 Abs. 2 GKG. Die wirtschaftliche Bedeutung einer Ausbildungsduldung rechtfertigt den Ansatz des Auffangwertes. In der vorliegenden Konstellation geht der Senat zudem davon aus, dass dem Antrag auf Erteilung einer (vorläufigen) Beschäftigungserlaubnis neben der beantragten Ausbildungsduldung kein eigenständiger wirtschaftlicher Wert in Sinn von § 39 Abs. 1 GKG zukommt (BayVGH, B.v. 3.9.2018 - 10 CE 18.1800 - juris Rn. 16; B.v. 24.9.2018 - 10 CE 18.1825 - juris Rn. 10 m.w.N.).
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).