Inhalt

VGH München, Beschluss v. 15.05.2019 – 1 ZB 16.1771
Titel:

Baugenehmigung zur Errichtung eines Einfamilienhauses

Normenkette:
BauGB § 35 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2, Abs. 3
Leitsatz:
1. Ein Bebauungszusammenhang ist anzunehmen, wenn die aufeinanderfolgende Bebauung trotz etwa vorhandener Baulücken nach der Verkehrsanschauung den Eindruck der Geschlossenheit und Zusammengehörigkeit vermittelt und die zur Bebauung vorgesehene Fläche (noch) diesem Zusammenhang angehört. Für die Beurteilung des Bebauungszusammenhangs kommt es dabei nicht auf die städtebauliche Eigenart des Ortsteils an. (Rn. 5 – 7) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Errichtung eines Einfamilienhauses, Abgrenzung Innenbereich, Außenbereich, Bebauungszusammenhang, Ortsrandlage, Pferdepensionsbetrieb (Nebenerwerb), Fehlende Privilegierung, Einfamilienhaus, Innenbereich, Abgrenzung, Privilegierung
Vorinstanz:
VG München, Urteil vom 22.06.2016 – 9 K 15.4811
Fundstelle:
BeckRS 2019, 13653

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Kläger tragen die Kosten des Zulassungsverfahrens als Gesamtschuldner. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 30.000 Euro festgesetzt.

Gründe

1
Die Kläger begehren die Erteilung einer Baugenehmigung zur Errichtung eines Einfamilienhauses mit Einliegerwohnung im rückwärtigen südwestlichen Teil des Grundstücks FlNr. …, Gemarkung K. (nachfolgend: Baugrundstück). Das Grundstück ist im vorderen, straßenseitigen Bereich mit einem 2016 errichteten Wohn- und Geschäftshaus mit drei Wohneinheiten bebaut. Mit Schreiben vom 14. Juli 2015 teilte das Landratsamt den Klägern mit‚ dass das Vorhaben nicht genehmigungsfähig sei. Die daraufhin erhobene Verpflichtungsklage hat das Verwaltungsgericht München mit Urteil vom 22. Juni 2016 abgewiesen. Das Gericht hat im Wesentlichen ausgeführt‚ dass der zur Bebauung vorgesehene Bereich des Baugrundstücks nicht Teil eines Bebauungszusammenhangs sei. Es handle sich um ein nicht privilegiertes Außenbereichsvorhaben. Als solches beeinträchtige es öffentliche Belange.
2
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe liegen nicht vor bzw. sind nicht dargelegt (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO).
3
1. An der Richtigkeit des angegriffenen Urteils bestehen keine ernstlichen Zweifel im Sinn von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Ernstliche Zweifel, die die Zulassung der Berufung rechtfertigen‚ sind zu bejahen‚ wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Verwaltungsgerichts mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt wird (vgl. BVerfG‚ B.v. 20.12.2010 - 1 BvR 2011/10 - NVwZ 2011‚ 546) und die Zweifel an der Richtigkeit einzelner Begründungselemente auf das Ergebnis durchschlagen (vgl. BVerwG‚ B.v. 10.3.2004 - 7 AV 4.03 - DVBl 2004‚ 838). Das ist hier nicht der Fall.
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Das Verwaltungsgericht hat den zur Bebauung vorgesehenen Bereich des Baugrundstücks zu Recht dem Außenbereich im Sinn von § 35 BauGB zugeordnet. Die Zulassungsbegründung zeigt keine Umstände auf, die eine Zurechnung des Baugrundstücks zu einem im Zusammenhang bebauten Ortsteil im Sinn von § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB rechtfertigen können.
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Für das Bestehen eines Bebauungszusammenhangs ist ausschlaggebend, inwieweit die aufeinanderfolgende Bebauung trotz etwa vorhandener Baulücken nach der Verkehrsanschauung den Eindruck der Geschlossenheit und Zusammengehörigkeit vermittelt und die zur Bebauung vorgesehene Fläche (noch) diesem Zusammenhang angehört. Wie eng die Aufeinanderfolge von Baulichkeiten sein muss, um sich als zusammenhängende Bebauung darzustellen, ist nicht nach geografisch-mathematischen Maßstäben, sondern aufgrund einer umfassenden Würdigung der tatsächlichen örtlichen Gegebenheiten einzelfallbezogen zu entscheiden (stRspr, zuletzt BVerwG‚ B.v. 16.7.2018 - 4 B 51.17 - NVwZ 2018‚ 1651; B.v. 8.10.2015 - 4 B 28.15 - ZfBR 2016, 67; BayVGH, B.v. 6.4.2018 - 1 ZB 16.2599 - juris Rn. 5). Der Bebauungszusammenhang endet regelmäßig am letzten Baukörper (vgl. BVerwG, U.v. 22.3.1972 - 4 C 121.68 - BayVBl 1972, 557; U.v. 12.10.1973 - 4 C 3.72 - DVBl 1974, 238). Örtliche Besonderheiten können es im Einzelfall aber ausnahmsweise rechtfertigen, ihm noch bis zu einem Geländehindernis, einer Erhebung oder einem Einschnitt ein oder mehrere Grundstücke zuzuordnen, die unbebaut sind oder trotz des Vorhandenseins von Baulichkeiten sonst nicht zur Prägung der Siedlungsstruktur beitragen (vgl. BVerwG, U.v. 12.12.1990 - 4 C 40.87 - ZfBR 1991, 126).
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Bei Berücksichtigung dieser Vorgaben hat das Verwaltungsgericht zu Recht aufgrund eines Augenscheins die vorhandenen Örtlichkeiten beurteilt und ist im Rahmen einer umfassenden Bewertung des Sachverhalts zu dem rechtsfehlerfreien Ergebnis gekommen, dass ein Bebauungszusammenhang nicht besteht. Nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts und den in den Behördenakten befindlichen Lageplänen ist südlich und südwestlich des zur Bebauung vorgesehenen Bereichs keine Bebauung mehr vorhanden. Das Baugrundstück schließt in diesem Bereich unmittelbar an die freie Landschaft an. Die Zurechnung des Bereichs zu einem Bebauungszusammenhang aufgrund von Besonderheiten des Geländes hat das Verwaltungsgericht aufgrund fehlender topographischer Besonderheiten zu Recht verneint (UA S. 8). Die Zulassungsbegründung legt nicht dar‚ dass das Baugrundstück trotz seiner Ortsrandlage durch eine topografische Zäsur der nordöstlichen Bebauung zugeordnet werden könnte. Auch der Hinweis der Kläger auf die früher auf dem vorgesehenen Bereich des Baugrundstücks vorhandenen Wohncontainer führt nicht zu ernstlichen Zweifeln an der Richtigkeit des Urteils, da die Wohncontainer unstreitig nicht mehr vorhanden sind.
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Der Vortrag im Zulassungsverfahren, die Ortschaft K. sowie auch die Straße, an der das streitgegenständliche Grundstück liegt, seien geprägt durch schmale Bebauung entlang der Straße, zumeist auch in zweiter Reihe, sodass die städtebauliche Eigenart der Ortschaft K. daher geradezu gekennzeichnet sei durch eine Bebauung in zweiter Reihe, vermag keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils zu begründen. Die Kläger übersehen dabei, dass es für die Beurteilung des Bebauungszusammenhangs nicht auf die städtebauliche Eigenart des Ortsteils ankommt. Auch die zum Beleg dafür zitierte Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 14. November 1991 (4 C 1.91) enthält keinen solchen Rechtssatz. Vielmehr ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt, dass die Tatbestandsmerkmale „Bebauungszusammenhang“ und „Ortsteil“ nicht ineinander aufgehen, sondern kumulativer Natur sind (vgl. BVerwG, B.v. 7.6.2016 - 4 B 47.14 - juris Rn. 10). Da es hier - wie vorstehend ausgeführt - bereits an dem erforderlichen Bebauungszusammenhang fehlt, kommt es auf die Frage der Ortsteilsqualiät nicht entscheidend an. Auch der Hinweis der Kläger auf die vorhandenen größeren Lücken im Bereich der Bebauung in zweiter Reihe führt insoweit nicht weiter, weil das Verwaltungsgericht eine Baulücke in dem hier maßgeblichen Bereich zu Recht nicht angenommen hat.
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Die Richtigkeit der Annahme des Verwaltungsgerichts, das nach § 35 Abs. 2 und Abs. 3 BauGB zu beurteilende Vorhaben sei bauplanungsrechtlich unzulässig, ist nicht ernstlich zweifelhaft. Das Vorhaben ist nicht gemäß § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB privilegiert. Danach ist bei gesicherter Erschließung und nicht entgegenstehenden öffentlichen Belangen ein Außenbereichsvorhaben planungsrechtlich privilegiert zulässig, wenn es einem land- oder forstwirtschaftlichen Betrieb dient und nur einen untergeordneten Teil der Betriebsfläche einnimmt.
9
Ein Wohngebäude dient nicht einem landwirtschaftlichen Betrieb, wenn - wie hier - der Zweck des (allgemeinen) Wohnens im Vordergrund steht (vgl. BVerwG, U.v. 16.5.1991 - 4 C 2.89 - BauR 1991, 576; Söfker in Ernst/Zinkahn/Bielen-berg/Krautzberger, BauGB, Stand Oktober 2018, § 35 Rn. 39). Soweit die Kläger zur Frage der Privilegierung unter Bezugnahme auf die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 11. Oktober 2012 (4 C 9.11) beanstanden, dass das Verwaltungsgericht überzogene Anforderungen an die Nachweispflicht gestellt hätte, indem es auf ein fehlendes Betriebskonzept mit Aussagen zur Wirtschaftlichkeit des Vorhabens abgestellt habe, übersehen sie, dass das Verwaltungsgericht die Stellungnahme der Fachbehörde bereits als nicht nachvollziehbar erachtet hat. Die von ihnen reklamierten reduzierten Nachweispflichten (eines mitwirkungspflichtigen Bauherrn) beziehen sich aber nur auf einen nachvollziehbaren Nachweis einer fachkundigen Stelle, dass es sich um einen generell lebensfähigen Betrieb handelt und die Investitionsmaßnahmen erwirtschaftet werden können (vgl. BayVGH, U.v. 29.1.2019 - 1 BV 16.232 - juris Rn. 20 unter Hinweis auf BVerwG, U.v. 11.10.2012 - 4 C 9.11 - NVwZ 2013, 155). Daran fehlt es im vorliegenden Fall. Ob die behauptete geplante Erhöhung der Zahl der einzustellenden Pferde ausreichend dargelegt wurde, braucht daher nicht mehr entschieden werden. Ebenso kann dahingestellt bleiben, ob ausreichend Wohnraum für eine erforderliche Aufsichtsperson vorhanden ist, da die Kläger im straßenseitigen Bereich des Baugrundstücks bereits ein Wohn- und Geschäftshaus mit drei Wohneinheiten errichtet haben.
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Mangels Privilegierung des Vorhabens braucht die Frage, ob ein Bauantrag für die Errichtung einer Betriebsleiterwohnung vorliegt, nicht weiter vertieft werden. Stützt das Verwaltungsgericht seine Entscheidung - wie hier - auf mehrere selbständig tragende Gründe, kommt eine Zulassung der Berufung nur dann in Betracht, wenn hinsichtlich jeder dieser Begründungen ein Zulassungsgrund dargelegt wird und vorliegt (vgl. BVerwG, U.v. 20.3.2012 - 5 C 1.11 - juris Rn. 46).
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Das Verwaltungsgericht hat zutreffend darauf abgestellt, dass die Zulassung des nach § 35 Abs. 2 und Abs. 3 BauGB zu beurteilenden Vorhabens Belange nach § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1, Nr. 5 und 7 BauGB beeinträchtigt. Da das Verwaltungsgericht seine Entscheidung auch insoweit auf mehrere selbständig tragende Gründe gestützt hat, kann dahingestellt bleiben, ob eine Beeinträchtigung der Belange der natürlichen Eigenart der Landschaft sowie der Erweiterung einer Splittersiedlung vorliegt. Das Verwaltungsgericht hat jedenfalls zutreffend darauf abgestellt, dass das beantragte Vorhaben den Darstellungen des Flächennutzungsplans widerspricht, der insoweit eine landwirtschaftliche Nutzfläche ausweist. Dazu verhalten sich die Kläger nicht.
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2. Aus den vorstehenden Erwägungen ergibt sich zugleich, dass die Streitsache keine besonderen tatsächlichen und rechtlichen Schwierigkeiten im Sinn von § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO aufweist, die eine Zulassung der Berufung erforderlich machen würden. Auch das Vorbringen der Kläger, tatsächliche Schwierigkeiten ergäben sich aufgrund der Notwendigkeit einer umfangreichen Untersuchung des vorliegenden Kartenmaterials zur Bebauung in der Gemeinde, kann eine Zulassung der Berufung nicht rechtfertigen. Denn auf die Frage der Ortsteilsqualiät kommt es nicht entscheidend an.
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3. Die Berufung ist ausweislich der Ausführungen unter Nummer 1 auch nicht wegen eines Verfahrensfehlers zuzulassen (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO). Auf die von den Klägern erhobene Rüge der Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör (§ 108 Abs. 2 VwGO, Art. 103 Abs. 1 GG) und des Verstoßes gegen die Hinweispflicht nach § 86 Abs. 3 VwGO kommt es nicht entscheidungserheblich an.
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Die Kläger haben die Kosten des Zulassungsverfahrens als Gesamtschuldner zu tragen‚ da ihr Rechtsmittel erfolglos geblieben ist (§ 154 Abs. 2, § 159 VwGO). Es entspricht der Billigkeit, dass die Beigeladene ihre außergerichtlichen Kosten selbst trägt, da sie sich im Zulassungsverfahren nicht geäußert hat (§ 162 Abs. 3 VwGO).
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Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1‚ § 47 Abs. 1 und 3‚ § 52 Abs. 1 GKG und entspricht dem vom Verwaltungsgericht festgesetzten Betrag.
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Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).