Inhalt

VG München, Beschluss v. 03.07.2019 – M 22 E 19.2154
Titel:

Erfolgloser Eilantrag auf Einweisung in eine Obdachlosenunterkunft

Normenketten:
VwGO § 123
LStVG Art. 7 Abs. 2 Nr. 3
Leitsätze:
1. Obdachlos im Sinne des Sicherheitsrechts ist derjenige, der ohne Unterkunft ist - also keine Möglichkeit hat, jederzeit eine Unterkunft, die ausreichend Schutz vor den Unbilden des Wetters bietet und Raum für die notwendigsten Lebensbedürfnisse lässt, in Anspruch zu nehmen - und diese Situation auch nicht aus eigener Kraft beseitigen kann. (Rn. 5) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Obdachlosenbehörde verfügt bei der Auswahl unter den geeigneten Unterkünften über ein sehr weites Ermessen, dass nur bei Vorliegen ganz besonderer Umstände eingeschränkt ist. Dementsprechend besteht bei Obdachlosigkeit kein Anspruch auf Einweisung oder Verbleib in einer bestimmten Unterkunft, sondern lediglich ein Anspruch auf Zurverfügungstellung einer dem einschlägigen Standard genügenden Unterbringung. (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Obdachlosenrecht, Antrag auf Einweisung in die bisherige Unterkunft nach Ergehen einer nicht mit einer Sofortvollzugsanordnung versehenen, von der Antragstellerin angefochtenen Räumungsverfügung, einstweilige Anordnung, Ermessen
Fundstelle:
BeckRS 2019, 13274

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf EUR 2.500,- festgesetzt.
IV. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.

Gründe

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1. Der auf die Verpflichtung der Antragsgegnerin gerichtete Antrag, die ausgelaufene bzw. mit Bescheid vom 17. April 2019 widerrufene Zuweisung der bisherigen Unterkunft „… … 6, … …“ für die Antragstellerin und ihren Sohn zu verlängern, ist zulässig. Insbesondere fehlt es im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung mit Blick auf die ergangene Räumungsanordnung und den Antrag der Antragsgegnerin im gerichtlichen Verfahren, den vorliegenden Antrag auf gerichtlichen Rechtschutz abzulehnen, nicht am erforderlichen Rechtschutzbedürfnis.
2
2. Der Antrag hat in der Sache aber keinen Erfolg.
3
Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis erlassen, wenn diese Regelung um wesentliche Nachteile abzuwenden oder dro-hende Gewalt zu verhindern oder aus sonstigen Gründen nötig erscheint. Dabei hat der Antragsteller sowohl den (aus dem streitigen Rechtsverhältnis abgeleiteten) Anspruch, bezüglich dessen die vorläufige Regelung getroffen werden soll (Anordnungsanspruch), wie auch die Dringlichkeit einer vorläufigen Regelung (Anordnungsgrund) glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO). Maßgeblich für die Beurteilung sind dabei die rechtlichen und tatsächlichen Verhältnisse zum Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts.
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Diese Voraussetzungen für den Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung liegen nach summarischer Prüfung (derzeit) nicht vor. Die Antragstellerin hat einen gegen die Antragsgegnerin gerichteten Anordnungsanspruch auf (vorläufige) Unterbringung zur Vermeidung von Obdachlosigkeit auf der Grundlage des Art. 7 Abs. 2 Nr. 3 LStVG sowie einen Anordnungsgrund nicht hinreichend glaubhaft gemacht hat.
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Obdachlos im Sinne des Sicherheitsrechts ist derjenige, der ohne Unterkunft ist - also keine Möglichkeit hat, jederzeit eine Unterkunft, die ausreichend Schutz vor den Unbilden des Wetters bietet und Raum für die notwendigsten Lebensbedürfnisse lässt, in Anspruch zu nehmen - und diese Situation auch nicht aus eigener Kraft beseitigen kann. Hiervon ist im Fall der Antragstellerin derzeit (noch) nicht auszugehen.
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Gegen die Antragstellerin ist unter dem 17. April 2019 eine Räumungsanordnung (Räumungstermin 7.5.2019, 12 Uhr) ergangen, die weder mit einer Zwangsmittelandrohung noch mit einer Anordnung der sofortigen Vollziehung versehen war. Die gegen die Räumungsanordnung unter dem 7. Mai 2019 von der Antragstellerin fristgemäß erhobene Anfechtungsklage entfaltet insoweit gemäß § 80 Abs. 1 VwGO aufschiebende Wirkung, mit der Folge, dass die Antragsgegnerin bis zum rechtskräftigen Abschluss des Klageverfahrens bzw. bis zu einer den Räumungsbescheid flankierenden Anordnung der sofortigen Vollziehung (unter erneuter Setzung einer angemessenen Räumungsfrist) gehindert ist, die Räumungsanordnung zu vollstrecken und die Antragstellerin und ihr Sohn folglich bis auf Weiteres in der Unterkunft verbleiben können.
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Darüber hinaus hat sich die Antragstellerin trotz Nachfrage des Gerichts nicht dazu eingelassen, ob sie in Ungarn über eine ihr und ihrem Sohn zumutbare Unterkunftsmöglichkeit verfügt. Sie hat daher auch insoweit nicht glaubhaft gemacht, dass sie hier wie andernorts über keine aus eigenen Mitteln zu erlangende Wohnmöglichkeit verfügt, mithin obdachlos ist.
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Im Übrigen stünde der Antragstellerin selbst im Fall einer bestehenden Obdachlosigkeit, der die Antragsgegnerin durch Zurverfügungstellung einer Unterkunft abzuhelfen hätte, kein Anspruch auf die beantragte Einweisung in die bisherige Unterkunft zu. Die Obdachlosenbehörde verfügt bei der Auswahl unter den geeigneten Unterkünften über ein sehr weites Ermessen, dass nur bei Vorliegen ganz besonderer - hier nicht ersichtlicher - Umstände eingeschränkt ist (vgl. VG München, B.v. 2.12.2008 - M 22 E 08.5680 - juris). Dementsprechend bestünde selbst im Falle bestehender Obdachlosigkeit kein Anspruch der Antragstellerin auf Einweisung oder Verbleib in einer bestimmten Unterkunft, sondern lediglich ein Anspruch auf Zurverfügungstellung einer dem einschlägigen Standard genügenden (Anschluss)Unterbringung.
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3. Der Antrag war deshalb mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 2 GKG unter Berücksichtigung der Empfehlungen in Nr. 1.5 und 35.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.
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4. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe war - ungeachtet der trotz gerichtlicher Aufforderung vorliegend nicht via Formblatt dargelegten wirtschaftlichen Verhältnisse - im vorliegenden Verfahren gleichfalls abzulehnen, da die Rechtsverfolgung den vorstehenden Ausführungen entsprechend keine hinreichende Aussicht auf Erfolg im Sinne der § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 Zivilprozessordnung (ZPO) bietet.