Inhalt

LG Nürnberg-Fürth, Beschluss v. 07.06.2019 – 11 O 3362/19
Titel:

Unzulässsige befristete Sperrung eines Twitteraccounts

Normenketten:
BGB § 823 Abs. 1, § 1004 Abs. 1 S. 2
GG Art. 2 Abs. 1, Art. 5 Abs. 1 S. 1
Leitsätze:
1. Es kann letztlich dahinstehen, ob die von Twitter erlassene Richtlinie zur Integrität von Wahlen wirksam in das Vertragsverhältnis einbezogen wurde, da diese jedenfalls im Lichte des Grundrechts der Meinungsfreiheit auszulegen ist und dementsprechend eine zulässige Meinungsäußerung nicht erfasst. (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Äußerung des Nutzers „Aktueller Anlass: Dringende Wahlempfehlung für alle AfD-Wähler. Unbedingt den Stimmzettel unterschreiben. ;-)“, die zur Sperrung des Twitter- Accounts führte, ist vom Grundrecht der Meinungsfreiheit erfasst, da es sich erkennbar um die Äußerung eines bloßen Werturteils in satirischer Form und nicht um die Behauptung unwahrer Tatsachen handelt.  (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Twitteraccount, befristete Sperrung, satirische Wahlempfehlung, Meinungsfreiheit, Werturteil, Tatsachenbehauptung
Fundstellen:
K & R 2019, 527
BeckRS 2019, 12259
LSK 2019, 12259
MMR 2019, 541
GRUR-RS 2019, 12259
ZUM-RD 2020, 40

Tenor

1. Der Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Verfügung unter Androhung eines Ordnungsgeldes bis zu zweihundertfünfzigtausend Euro oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten - Ordnungshaft auch für den Fall, dass das Ordnungsgeld nicht beigetrieben werden kann - wegen jeder Zuwiderhandlung
untersagt,
den Account des Antragstellers („@...“) auf twitter.com wegen der nachfolgenden Äußerung auf twitter.com befristet zu sperren:
„Aktueller Anlass: Dringende Wahlempfehlung für alle AfD-Wähler. Unbedingt den Stimmzettel unterschreiben. ;-)“
2. Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Der Streitwert wird auf 10.000,00 € festgesetzt.
4. Mit dem Beschluss ist zuzustellen:
Antragsschrift vom 04.06.2019

Gründe

I.
1
Der Antragsteller begehrt den Erlass einer einstweiligen Verfügung gerichtet auf die Untersagung einer befristeten Sperre seines Accounts auf twitter.com wegen einer von ihm verfassten Äußerung.
2
Die Antragsgegnerin betreibt die Plattform „twitter.com“, unter anderem für Nutzer auch in Deutschland.
3
Der Antragssteller unterhält auf der Plattform den Account „@...“ und benötigt den Account auch für die Arbeit in seiner Firma ...
4
Am 05.05.2019 veröffentlichte der Antragsteller über sein Twitterprofil folgenden Tweet:
„Aktueller Anlass: Dringende Wahlempfehlung für alle AfD-Wähler. Unbedingt den Stimmzettel unterschreiben. ;-)“.
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Am 06.05.2019 wurde der Antragsteller von der Antragsgegnerin darüber Informiert, dass sein Twitter-Account aufgrund dieses Tweets vorübergehend für zunächst 12 Stunden in einigen Funktionen eingeschränkt wurde.
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Der Antragsteller legte noch am 06.05.2019 Einspruch gegen diese Sperre ein, dessen Eingang ihm von der Antragsgegnerin bestätigt wurde.
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Am 07.05.2019 wurde der Antragsteller von der Antragsgegnerin darüber informiert, dass sein Twitter-Account nunmehr aufgrund dieses Tweets gesperrt wurde.
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Hiergegen legte der Antragsteller noch am 07.05.2019 Einspruch ein, was ihm wiederum von der Antragsgegnerin bestätigt wurde.
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Mit Schreiben vom 17.05.2019 mahnte der Antragsteller die Antragsgegnerin förmlich ab und forderte sie auf, seinen Account umgehend wieder freizuschalten. Er setzte der Antragsgegnerin hierfür eine Frist bis 18.05.2019, 14:00 Uhr.
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Ein Ergebnis der Prüfung der Einspruchsbegehren des Antragstellers durch die Antragsgegnerin liegt bislang nicht vor, auch eine Reaktion auf die Abmahnung erfolgte nicht. Die Sperrung des Twitter-Accounts des Antragstellers dauert an. Er kann sich zwar noch bei Twitter einloggen, kann aber keine neuen Tweets veröffentlichen, andere Tweets lesen, retweeten, liken oder kommentieren.
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Mit seinem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung stellt der Antragsteller den Antrag gemäß Ziffer 1 der Tenorierung. Hilfsweise beantragt er:
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Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, die Sperrung des Twitter-Accounts des Antragstellers „@...“ auf twitter.com wegen der Äußerung „Aktueller Anlass: Dringende Wahlempfehlung für alle AfD-Wähler. Unbedingt den Stimmzettel unterschreiben. ;-)“ aufzuheben.
II.
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Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung hat Erfolg.
14
1. Der Antrag ist zulässig, insbesondere ist das Landgericht Nürnberg-Fürth zuständig.
15
Die internationale und örtliche Zuständigkeit folgt aus Art. 7 EuGVVO. Für einen vertraglichen Anspruch folgt die Zuständigkeit insoweit aus Art. 7 Nr. 1 a) EuGVVO, da die Bereitstellung der Twitter-Dienste am Wohn-/Arbeitsort des Antragstellers zu erfüllen wäre. Ein Unterlassungsanspruch analog § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB i.V.m. § 823 Abs. 1 BGB unterfällt Art. 7 Nr. 2 EuGVVO. Die Begriffe „unerlaubte Handlung“ und „Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist“ sind autonom und weit auszulegen (BGH, Urt. v. 8.5.2012 - VI ZR 217/08, NJW 2012, 2197 zum damaligen Art. 5 Nr. 3 EuGVVO). Das schädigende Ereignis im Sinne der Norm tritt am Wohn-/Arbeitsort des Antragstellers ein, da sich die Sperre hier auswirkt. Der Ort, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist, erfasst nämlich nicht nur den Handlungsort, sondern auch den Erfolgsort, d.h. den Ort, wo das haftungsauslösende Ereignis den unmittelbar Betroffenen direkt geschädigt hat (vgl. Dörner, in: Saenger, Zivilprozessordnung, 8. Auflage 2019, Art. 7 EuGVVO, Rn, 32 m.w.N.).
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Die sachliche Zuständigkeit folgt aus §§ 937 Abs. 1 ZPO, § 23 Nr. 1, § 71 Abs. 1 GVG.
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2. Der Antrag ist auch begründet, denn der Antragsteller begehrt zu Recht eine Untersagung der befristeten Sperre.
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a) Dem Antragsteller steht ein entsprechender Verfügungsanspruch zu.
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Der Antragsteller hat gegen die Antragsgegnerin einen Anspruch auf Unterlassung einer befristeten Sperre seines Twitter-Accounts wegen der im Tenor genannten Äußerung gemäß § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB (analog) i.V.m. § 823 Abs. 1 BGB, Art. 2 Abs. 1, 5 Abs. 1 Satz 1 GG.
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aa) Vorliegend ist deutsches Recht anwendbar.
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In den Allgemeinen Geschäftsbedingungen ist unter dem Punkt „5. Haftungsbeschränkung“ geregelt, dass die Antragsgegnerin einer begrenzten Haftung in Übereinstimmung mit den maximal zulässigen Einschränkungen gemäß den Gesetzen in jenem Land, in dem der Nutzer seinen Wohnsitz hat, unterliegt. Demnach ist deutsches Recht anwendbar.
22
bb) Zwischen dem Antragsteller und der Antragsgegnerin besteht ein Vertrag über die Nutzung der Plattform Twitter. Dabei kann der Betreiber einer solchen Plattform grundsätzlich auch Verhaltensregeln zur Nutzung der Plattform aufstellen und diese durch Sperrung des Nutzeraccounts durchsetzen.
23
Mit der Richtlinie zur Integrität von Wahlen aus April 2019 untersagte die Antragsgegnerin die Nutzung von Twitter mit dem Ziel, Wahlen zu manipulieren oder zu beeinträchtigen. Darunter falle das Posten oder Teilen von Inhalten, die sich negativ auf die Wahlbeteiligung auswirken oder falsche Angaben zum Termin, zum Ort, oder zum Ablauf einer Wahl machen. Als Reaktion auf einen Verstoß gegen die Richtlinie ist unter anderem vorgesehen, dass dem Nutzer der Zugriff auf seinen Account vorübergehend verwehrt wird bis hin zu einer permanenten Sperrung des Accounts. Auch in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen ist eine Sperrung eines Accounts unter Ziffer 4 vorgesehen.
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Darüber hinaus steht dem Betreiber einer Internetplattform ein „virtuelles Hausrecht“ zu (vgl. etwa LG Ulm, Beschluss vom 13.1.2015 - 2 O 8/15, MMR 2016, 31; OLG Köln, Beschluss vom 25.8.2000 - 19 U 2/00, MMR 2001, 52; LG Mosbach, Beschluss vom 01.06.2018 - 1 O 108/18, BeckRS 2018, 20323).
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cc) Dabei darf der Plattformbetreiber seine Befugnisse jedoch nicht grenzenlos ausüben, sondern wird beschränkt durch die Wertentscheidungen des Grundgesetzes, insbesondere durch die mittelbare Drittwirkung der Meinungsfreiheit gemäß Art. 5 Abs. 1 GG (so auch LG Mosbach, Beschluss vom 01.06.2018 - 1 O 108/18, BeckRS 2018, 20323).
26
Die Äußerung des Antragstellers, die die Sperrung des Accounts verursachte, ist vorliegend vom Grundrecht der Meinungsfreiheit erfasst. Es handelt sich erkennbar um die Äußerung eines bloßen Werturteils und nicht um die Behauptung unwahrer Tatsachen. Dabei ist bei satirischen Äußerungen zunächst der Aussagekern, d.h. der hinter dem wörtlichen Gehalt der Äußerung stehende Aussagegehalt zu ermitteln und zu bewerten (BeckOGK/Specht-Riemenschneider, 1.5.2019, BGB § 823 Rn. 1289 m.w.N.).
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Betrachtet man die vorliegende Äußerung, so zeigt der Zwinker-Smiley am Ende des Tweets ganz klar, dass es sich vorliegend nicht um einen ernst gemeinten Rat an AfD-Wähler handelt. Vielmehr hat der Antragsteller vorliegend unter Verwendung von Satire bzw. Ironie seine ablehnende Haltung gegenüber der AfD ausgedrückt. Die Äußerung ist durch das Element der Stellungnahme und des Dafürhaltens geprägt (vgl. BVerfGE 85,1).
28
Dies ist als bloßes Werturteil von dem Grundrecht der Meinungsfreiheit umfasst und nicht zu beanstanden.
29
Unter Berücksichtigung des Grundrechts der Meinungsfreiheit ist eine Sperrung des Accounts des Antragstellers im vorliegenden Fall daher nicht gerechtfertigt und zu untersagen. Aus diesem Grund kann es letztlich auch dahinstehen, ob die Richtlinie zur Integrität von Wahlen wirksam in das Vertragsverhältnis einbezogen wurde, da auch diese jedenfalls im Lichte des Grundrechts der Meinungsfreiheit auszulegen ist und dementsprechend die hier vorliegende zulässige Meinungsäußerung nicht erfasst.
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b) Es besteht auch ein Verfügungsgrund, §§ 935, 940 ZPO.
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Die besondere Dringlichkeit der Untersagung ergibt sich daraus, dass der Antragsteller seinen Twitteraccount auch für seine berufliche Tätigkeit benötigt. Die Beeinträchtigung besteht fort, der Antragsteller kann sich zwar noch bei Twitter einloggen, kann aber keine neuen Tweets veröffentlichen, andere Tweets lesen, retweeten, liken oder kommentieren.
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Der Verfügungsgrund ist auch nicht aufgrund Zeitablaufs im Wege der Selbstwiderlegung der Dringlichkeit ausgeschlossen. Der Antragsteller erhielt von der Sperrung seines Accounts am 06.05. bzw. 07.05.2019 Kenntnis, der Antrag auf Erlass der einstweiligen Verfügung ging am 04.06.2019 bei Gericht ein. Damit ist der zwischenzeitliche Zeitablauf grenzwertig (vgl. dazu OLG Nürnberg, Beschluss vom 13. November 2018 - 3 W 2064/18 -, wonach bei einem Zuwarten von mehr als einem Monat nach Kenntnis von der Verletzungshandlung die Eilbedürftigkeit in der Regel nicht mehr gegeben ist), führt aber noch nicht zu einer Selbstwiderlegung der Dringlichkeit, zumal der Antragsteller zwischenzeitlich sowohl Einspruch gegen die Sperrungen eingelegt hat, als auch die Antragsgegnerin mit Schreiben vom 17.05.2019 abgemahnt hat, ohne dass jeweils eine über eine bloße Bestätigung des Einspruchseingangs hinausgehende Reaktion seitens der Antragsgegnerin erfolgt wäre.
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3. Die einstweilige Verfügung durfte vorliegend im Beschlusswege ohne mündliche Verhandlung ergehen, § 937 Abs. 2 ZPO.
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Die besondere Dringlichkeit ergibt sich vorliegend daraus, dass angesichts des Sitzes der Antragsgegnerin in Irland bis zu einer erfolgreichen Zustellung der Antragsschrift und der Ladung erfahrungsgemäß mehrere Wochen vergehen würden, selbst wenn keine Übersetzung der Antragsschrift erforderlich sein sollte. Angesichts dessen würde das Recht des Antragstellers auf effektiven einstweiligen Rechtsschutzes konterkariert, wenn zunächst eine mündliche Verhandlung durchzuführen wäre.