Inhalt

VG Regensburg, Beschluss v. 27.05.2019 – RO 5 S 19.676
Titel:

Herausgabe lebensmittelrechtlicher Kontrollberichte - vorläufiger Rechtsschutz

Normenketten:
VwGO § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 3, Abs. 5 S. 1, § 80a Abs. 3 S. 2
GG Art. 12 Abs. 1
VIG § 2 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 u. Nr. 7, § 5 Abs. 4 S. 1
LFGB § 40 Abs. 1a
Leitsätze:
1. Der Gesetzgeber hat lediglich bei Informationen über festgestellte nicht zulässige Abweichungen von gesetzlichen Anforderungen gem. § 2 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VIG, die konkrete Kontrollmaßnahmen und mögliche Verstöße einzelner Betriebe („Verstoß-Daten“) betreffen, wegen des hier regelmäßig bestehenden überragenden Interesses der Öffentlichkeit an einer schnellen Information die sofortige Vollziehbarkeit angeordnet, nicht hingegen bei dem Auskunftsanspruch zu Überwachungsmaßnahmen nach § 2 Abs. 1 S. 1 Nr. 7 VIG, der allgemeine, vom Einzelfall losgelöste Sachverhalte betrifft. (Rn. 18 – 20) (redaktioneller Leitsatz)
2. Wenn es sich bei der Ablehnung eines Antrags im vorläufigen Rechtsschutzverfahren in der konkreten Fallkonstellation um eine Regelung handelt, die nicht mehr rückgängig gemacht werden kann, auch wenn die Entscheidung in der Hauptsache anders ausfällt, sind die erhöhten Anforderungen für eine Vorwegnahme der Hauptsache zu beachten.  (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
3. „Nicht zulässige Abweichungen“ iSd § 2 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VIG erfordern eine objektive Diskrepanz zwischen den gesetzlichen Anforderungen und der tatsächlichen Situation, unabhängig von einem Verschulden. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
4. Bei einem über eine Internet-Plattform gestellten Antrag stellt sich die Frage, ob die staatliche Informationsweitergabe aufgrund der zu erwartenden Veröffentlichung auf der Plattform in ihren Auswirkungen nicht einer unmittelbaren staatlichen Information sehr nahe und deshalb einem Eingriff in die Berufsfreiheit gleich kommt.  (Rn. 27 und 28) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Anspruch auf Herausgabe lebensmittelrechtlicher Kontrollberichte nach dem Verbraucherinformationsgesetz, Plattform „Topf, Secret“, Foodwatch, FragDenStaat, Veröffentlichung im Internet durch Privatpersonen, staatliches Informationshandeln, Rechtsmissbräuchlichkeit eines Antrags, nicht zulässige Abweichungen, Interessenabwägung, Vorwegnahme der Hauptsache, sofortige Vollziehbarkeit, Informationen über Rechtsverstöße, Auskunft zu Überwachungsmaßnahmen, verschuldensunabhängige Abweichungen, Berufsfreiheit
Fundstelle:
BeckRS 2019, 12096

Tenor

I. Die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin gegen den an den Beigeladenen adressierten Bescheid vom 01.04.2019 wird angeordnet.
II. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 2.500 € festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Antragstellerin begehrt mit ihrem Eilantrag die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Anfechtungsklage gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 01.04.2019, in dem einem Antrag des Beigeladenen auf Gewährung von Verbraucherinformationen nach dem Verbraucherinformationsgesetz (VIG) stattgegeben wurde.
2
Die Antragstellerin ist Betreiberin mehrerer Selbstbedienungsmärkte in Deutschland, in denen Lebensmittel und andere Waren vertrieben werden. Streitgegenständlich ist ein Selbstbedienungsmarkt in der … Mit E-Mail vom 04.02.2019 beantragte der Beigeladene über die von foodwatch e.V. und FragDenStaat betriebene Plattform „Topf Secret“ die Herausgabe von folgenden Informationen über die Antragstellerin bei der Antragsgegnerin:
3
1. Wann haben die beiden letzten lebensmittelrechtlichen Betriebsüberprüfungen im folgenden Betrieb stattgefunden:
2. Kam es hierbei zu Beanstandungen? Falls ja, beantrage ich hiermit die Herausgabe des entsprechenden Kontrollberichts an mich.
4
Um eine Anfrage über die Plattform „Topf Secret“ einzureichen, kann man im Rahmen des Internetauftritts von foodwatch bzw. FragDenStaat auf ein Restaurant oder einen Lebensmittelbetrieb in einer Straßenkarte klicken oder nach einem konkreten Betrieb suchen. Im nächsten Schritt muss der Antragstellende nur noch seinen Namen und seine E-Mail- und Postadresse eingeben. Die vorformulierte Anfrage wird dann automatisch per E-Mail an die zuständige Behörde geschickt.
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Mit Bescheid vom 01.04.2019, adressiert an den Beigeladenen und diesem zugegangen am 03.04.2019, teilte die Antragsgegnerin dem Beigeladenen mit, dass dem Antrag auf Informationsgewährung stattgegeben werde. Die Informationsgewährung erfolge in folgender Form: Bekanntgabe der Daten der letzten beiden Betriebsüberprüfungen (a). Herausgabe der entsprechenden Kontrollberichte, wenn Beanstandungen im Sinne von unzulässigen Abweichungen von den Anforderungen des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuches (LFGB), der auf Grund des LFGB erlassenen Rechtsverordnungen und unmittelbar geltenden Rechtsakten der Europäischen Gemeinschaft oder der Europäischen Union im Anwendungsbereich des LFGB vorliegen (b). Die Information werde nach Ablauf von 10 Werktagen nach Zustellung dieses Bescheides an den betroffenen Dritten in Schriftform übermittelt, sofern bis dahin keine gerichtliche Untersagung erfolgt sei. Die Ziffern 1 und 2 dieses Bescheids seien kraft Gesetzes sofort vollziehbar. Im Übrigen wird auf den Bescheid und seinen Inhalt Bezug genommen.
6
Mit Schreiben vom 01.04.2019, der Antragstellerin zugegangen am 03.04.2019, teilte die Antragsgegnerin der Antragstellerin unter Beifügung einer Kopie des an den Beigeladenen adressierten Bescheids vom 01.04.2019 mit, dass dem Antrag auf Informationsgewährung stattgegeben werde und die beantragten Daten durch die Übermittlung der beiliegenden Kontrollberichte 10 Werktage nach Zustellung an den/die Antragsteller/in schriftlich bekannt gegeben werden, sofern bis dahin keine gerichtliche Untersagung erfolgt sei. Es bestehe grundsätzlich ein Anspruch auf Übermittlung der beantragten Daten, da keine Ausschluss- bzw. Beschränkungsgründe vorliegen. Im Übrigen wird auf das Schreiben und seinen Inhalt Bezug genommen.
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Mit Schriftsatz vom 12.04.2019, eingegangen bei Gericht am selben Tag, ließ die Antragstellerin Klage zum Verwaltungsgericht Regensburg erheben (Az. RO 5 K 19.677) und zugleich um einstweiligen Rechtsschutz ersuchen.
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Die Antragstellerin lässt im Wesentlichen vortragen, dass vorliegend in besonderem Maße zu berücksichtigen sei, dass eine einmal gewährte Information nicht mehr zurückgeholt werden könne und vorliegend aufgrund der Antragstellung über die von foodwatch e.V. bereitgestellte Plattform „FragDenStaat“ eine weltweite und zeitlich nicht eingrenzbare Veröffentlichung der begehrten Auskünfte im Internet bevorstehe, die nicht revidierbar sei. Auch verliere die Antragsgegnerin endgültig die Hoheit über die Dokumentation amtlicher Feststellungen, die nicht mit dem Bewusstsein erstellt worden seien, zeitlich unbegrenzt und weltweit der gesamten Öffentlichkeit offengelegt zu werden. Die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes, dessen Vollzug anstehe, ergebe sich unter anderem auch aus folgenden Gesichtspunkten. Der materielle Auskunftsanspruch mit Blick auf „nicht zulässige Abweichungen von Anforderungen“ im Sinne des VIG sei ganz offensichtlich nicht erfüllt. Die Antragsgegnerin gehe selbst davon aus, dass keine unzulässige Abweichung gegeben sei, ohne daraus die zutreffenden rechtlichen Rückschlüsse zu ziehen. Dem Bescheid seien bereits keine Ausführungen zu entnehmen, dass bei den letzten beiden Kontrollen überhaupt Abweichungen von lebensmittelrechtlichen Vorgaben festgestellt worden seien. Wenn aber bereits keine Abweichungen von lebensmittelrechtlichen Vorgaben festgestellt worden seien, seien die Voraussetzungen der bemühten Ermächtigungsgrundlage des § 2 Abs. 1 Satz 1 VIG ganz offensichtlich nicht erfüllt und der angefochtene Verwaltungsakt offensichtlich rechtswidrig. Der vorliegende Antrag sei alleine deshalb begründet. Weiter sprechen Verhältnismäßigkeitsüberlegungen gegen die Rechtmäßigkeit der Informationsgewährung. Art und Form der Geltendmachung des Auskunftsanspruchs seien offensichtlich rechtsmissbräuchlich. Die von den genannten Nichtregierungsorganisationen bereitgestellte Infrastruktur zur massenhaften Generierung von VIG-Anträgen diene allein der eigenen Kampagnenführung sowie dem Zweck, die öffentliche Verwaltung zu lähmen und die Unfähigkeit öffentlichen Verwaltungshandelns herauszustellen, um so die Schlagkraft der privaten Nichtregierungsorganisationen zu demonstrieren. Mit Gewährung der begehrten Informationen im Kontext der genannten Internet-Plattform erfolge eine unzulässige Übertragung von hoheitlichen Handlungsbefugnissen auf private Stellen. Damit liege ein Verstoß gegen das Rechtsstaatsprinzip und gegen das Demokratieprinzip gem. Art. 20 GG vor. Im Übrigen seien in Bezug auf die Auslegung des VIG zahlreiche Rechtsfragen offen, die ungeklärt und unklar seien. In einem verwaltungsgerichtlichen Eilverfahren finde jedoch nur eine summarische Prüfung der Sach- und Rechtslage statt, die der Komplexität der aufgeworfenen Rechtsfragen im Zusammenhang mit der Anwendung und Auslegung des VIG nicht gerecht werde. Es gäbe keine Notwendigkeit, die vorliegend aufgeworfenen, komplexen Rechtsfragen im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zu klären.
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Die Antragstellerin ließ beantragen,
die aufschiebende Wirkung der von der Antragstellerin am 12.04.2019 erhobenen Anfechtungsklage gegen den Auskunftsbescheid der Antragsgegnerin vom 01.04.2019, Az. 3.21 JLbe, anzuordnen,
hilfsweise festzustellen, dass die Anfechtungsklage der Antragstellerin vom 12.04.2019 gegen den Auskunftsbescheid der Antragsgegnerin vom 01.04.2019, Az. 3.21 JLbe, aufschiebende Wirkung hat,
äußerst hilfsweise die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, der anfragenden Person die Kontrollberichte nicht oder nur verbunden mit der Untersagung der Veröffentlichung oder Zwangsgeldandrohung zu übersenden.
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Die Antragsgegnerin beantragt,
Der Antrag wird abgewiesen.
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Zur Begründung führt die Antragsgegnerin aus, dass der Bescheid vom 01.04.2019, der Gegenstand des Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO sei, rechtmäßig und durch die Stadt Amberg nach § 2 VIG zu erteilen gewesen sei, da keine Ausschlussgründe nach § 3 VIG entgegenstehen. Darüber hinaus ließen die Informationen, welche an den Beizuladenden gegeben würden, keine negativen Folgen für die Antragstellerin befürchten.
12
Mit Beschluss vom 21.05.2019 wurde … gem. § 65 Abs. 2 VwGO zum Verfahren beigeladen. Der Beigeladene stellte keinen Antrag und äußerte sich nicht.
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Mit Schriftsatz vom 29.04.2019 teilte die Antragsgegnerin mit, dass aufgrund des eingelegten Eilantrags einstweilen bis zum Abschluss des Verfahrens im vorläufigen Rechtsschutz von einer Übersendung der Informationen an die Beigeladene abgesehen werde.
14
Mit gerichtlichem Schreiben vom 16.04.2019 wurde die Antragsgegnerin gebeten, die Informationen, die dem Beigeladenen erteilt werden sollen, abstrakt zu beschreiben und von einer Vorlage der Kontrollberichte derzeit abzusehen. Mit Schriftsatz vom 29.04.2019 gab die Antragsgegnerin an, dass als Information an den Beigeladenen die Ergebnisse zweier Kontrollen durch die Lebensmittelüberwachung der Stadt Amberg aus dem Jahr 2018 eröffnet werden sollen. Beide Kontrollen seien hierbei ohne Beanstandungen erfolgt. Kontrollberichte seien nicht zu übersenden.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der vorgelegten Behörden- und der Gerichtsakten Bezug genommen.
II.
16
Der zulässige Antrag nach den §§ 80a Abs. 3 Satz 2, 80 Abs. 5 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) hat Erfolg.
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1. Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist zulässig.
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a) Statthaft ist der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung nach § 80a Abs. 3 Satz 2, § 80 Abs. 2 Nr. 1 Alt. 1, § 80 Abs. 5, VwGO i.V.m. § 5 Abs. 4 Satz 1 VIG, da die in der Hauptsache statthafte Drittanfechtungsklage in den Fällen des § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Verbraucherinformationsgesetz (VIG) kraft Gesetzes keine aufschiebende Wirkung entfaltet. Vorliegend geht es um den Fall der festgestellten nicht zulässigen Abweichungen von Anforderungen des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuches, des Produktsicherheitsgesetzes, der auf Grund dieser Gesetze erlassenen Rechtsverordnungen und unmittelbar geltender Rechtsakte der Europäischen Gemeinschaft oder der Europäischen Union im Anwendungsbereich der genannten Gesetze nach § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VIG (a.A. VG Stade, Beschluss vom 01. April 2019, Az. 6 B 380/19).
19
Der Auskunftsanspruch zu Überwachungsmaßnahmen nach § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 VIG regelt hingegen - in Abgrenzung zu § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VIG - die Herausgabe von Informationen über allgemeine, vom Einzelfall losgelöste Sachverhalte, die unmittelbar auf den Schutz der Interessen der Verbraucher gerichtet sind, wie beispielsweise Auswertungen, Jahresberichte oder Statistiken (vgl. VG Wiesbaden, LMRR 2012, 63; VG Frankfurt, Urteil vom 25.01.2012 - 7 K 2119/11.F; Borchert, in: Beyerlein/Borchert, VIG, § 1 Rn. 56 ff.). Der Begriff der „Überwachungsmaßnahme“ ist dabei ein Oberbegriff, unter den - zunächst betreffend Erzeugnisse - die Maßnahmen nach Art. 54 VO (EG) 178/2002 und § 39 LFGB fallen. Im Hinblick auf Verbraucherprodukte sind die Maßnahmen der Marktüberwachung nach § 26 ProdSG als Hauptquelle von Informationen nach § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 VIG zu nennen. Unter den Begriff „andere behördliche Tätigkeiten oder Maßnahmen“ fallen zudem auch behördliche Informationskampagnen und die Förderung von Verbraucherorganisationen (BeckOK, InfoMedienR/Rossi, 23. Ed. 01.05.2018, VIG § 2 Rn. 32). Konkrete Kontrollmaßnahmen und mögliche Verstöße einzelner Betriebe („Verstoß-Daten“) hingegen sollen über § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VIG erfragbar bleiben (Zipfel/Rathke, LebensmittelR/Heinicke, 172. EL November 2018, VIG § 2 Rn. 56 und BeckOK, InfoMedienR/Rossi, 23. Ed. 01.05.2018, VIG § 2 Rn. 32).
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Dies deckt sich auch mit der Gesetzesbegründung zu § 5 VIG. Nach den dortigen Ausführungen schien es dem Gesetzgeber nach einer Abwägung der widerstreitenden Interessen sachgerecht lediglich bei Informationen über Rechtsverstöße die sofortige Vollziehbarkeit gesetzlich anzuordnen, da hier regelmäßig ein überragendes Interesse der Öffentlichkeit an einer schnellen Information bestehen werde (vgl. BT Drucksache 17/7374, S. 18), sodass er in § 5 Abs. 4 Satz 1 VIG angeordnet hat, dass Widerspruch und Anfechtungsklage lediglich in den in § 2 Absatz 1 Satz 1 Nr. 1 VIG genannten Fällen keine aufschiebende Wirkung haben. Der Antrag des Beigeladenen zielt jedoch nach Sinn und Zweck und ausweislich seines Wortlauts genau darauf ab, Informationen über etwaige Rechtsverstöße zu erhalten. Ob in dem betroffenen Betrieb dann tatsächlich unzulässige Abweichungen von den Anforderungen des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuches (LFBG) festgestellt wurden und der Beigeladene einen Anspruch auf Information nach § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VIG hat, ist dagegen nicht im Rahmen der Statthaftigkeit des Antrags, sondern in der Begründetheit zu klären.
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b) Die Antragstellerin ist nach § 42 Abs. 2 VwGO analog antragsbefugt. Adressat des angegriffenen Bescheids ist zwar nur der Beigeladene und nicht die Antragstellerin. Jedoch kann die Antragstellerin auf der Grundlage ihres Antragsvorbringens die Verletzung einer drittschützenden Norm geltend machen. § 3 Satz 1 Nr. 2 VIG sieht nach seinem ausdrücklichen Wortlaut auch den Schutz privater Belange vor. Hiernach entfällt der Anspruch auf Informationsgewährung, wenn die dort abschließend aufgezählten Belange berührt werden. Die Veröffentlichung von Informationen über (inzwischen beseitigte) Mängel im Betrieb der Antragstellerin kann möglicherweise auch zu einer Verletzung des Art. 12 Abs. 1 GG führen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 21. März 2018 - 1 BvF 1/13 -, juris und VG Würzburg, Beschluss vom 08. Januar 2018 - W 8 S 17.1396 -, juris).
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2. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den an den Beigeladenen adressierten Bescheid vom 01.04.2019 ist zudem begründet.
23
Gemäß § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs gegen einen für sofort vollziehbar erklärten Verwaltungsakt auf Antrag eines Betroffenen ganz oder teilweise wiederherstellen bzw. anordnen. Dabei trifft das Gericht im Rahmen des § 80 Abs. 5 VwGO eine eigene, originäre Entscheidung über die Anordnung bzw. die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung. Das Gericht hat dabei das Aussetzungsinteresse der Antragstellerin und das öffentliche Interesse an einer sofortigen Vollziehung unter Berücksichtigung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache gegeneinander abzuwägen (Kopp/Schenke, VwGO, 24. Aufl. 2018, § 80 Rn. 152; Eyermann/Hoppe, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 80 Rn. 89). Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ist in der Regel abzulehnen, wenn der Rechtsbehelf in der Hauptsache nach summarischer Prüfung voraussichtlich erfolglos bleiben wird; ergibt eine vorläufige Überprüfung der Hauptsacheklage dagegen, dass diese offensichtlich erfolgreich sein wird, so überwiegt regelmäßig das Aussetzungsinteresse der Antragstellerin. Sind die Erfolgsaussichten offen, so ist eine reine Interessenabwägung vorzunehmen (vgl. Eyermann/Hoppe, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 80 Rn. 90 ff.).
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Vorliegend ist zu beachten, dass es sich in der konkreten Fallkonstellation zum einen um eine Vorwegnahme der Hauptsache handelt und darüber hinaus eine Ablehnung des Antrags die Herausgabe der streitgegenständlichen Kontrollberichte zur Folge hätte, was dazu führt, dass es sich bei der Ablehnung des Antrags um eine Regelung handelt, die nicht mehr rückgängig gemacht werden kann, auch wenn die Entscheidung in der Hauptsache anders ausfällt. Regelungen, die nicht mehr rückgängig gemacht werden können und die praktisch die Hauptsache vorwegnehmen, sind im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzes jedoch nur dann zulässig, wenn sie zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes gem. Art. 19 Abs. 4 GG schlechterdings notwendig sind und wenn außerdem ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit auch für einen Erfolg im Hauptsacheverfahren spricht. Die Rechtmäßigkeit allein genügt deshalb noch nicht, um eine Vorwegnahme der Hauptsache zu rechtfertigen (vgl. Kopp/Schenke, 24. Aufl. 2018, § 80 Rn. 156, Eyermann/Hoppe, 15. Aufl. 2019, VwGO § 80 Rn. 92 und OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 18. Februar 2014 - OVG 12 S 124.12 -, juris).
25
Da der vorliegende Fall mehrere Sach- und Rechtsfragen aufwirft, kann im Rahmen der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gebotenen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung weder von einer (offensichtlichen) Rechtswidrigkeit noch von einer (offensichtlichen) Rechtmäßigkeit des an die Beigeladene adressierten Bescheids vom 01.04.2019 ausgegangen werden, sodass die Erfolgsaussichten als offen zu bewerten sind und insbesondere kein für die Vorwegnahme der Hauptsache erforderlicher „hoher Grad an Wahrscheinlichkeit“ für einen Erfolg der Antragsgegnerin im Hauptsacheverfahren angenommen werden kann (a). Ebenso wenig ist ersichtlich, dass eine sofortige Zugänglichmachung der Informationen nach dem VIG an den Beigeladenen aus Gründen des effektiven Rechtsschutzes notwendig wäre. Die vorzunehmende Interessenabwägung fällt damit zugunsten der Antragstellerin aus (b).
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a) Auf tatsächlicher Ebene ist in einem Hauptsacheverfahren zu klären, wie die Informationseröffnung durch die Antragsgegnerin im streitgegenständlichen Fall nun konkret erfolgen sollte. Zwar ist der Ziffer 1. b) des an den Beigeladenen adressierten Bescheids vom 01.04.2019 zu entnehmen, dass eine Herausgabe der Kontrollberichte nur im Fall von Beanstandungen im Sinne von unzulässigen Abweichungen erfolgen soll. Jedoch führt die Antragsgegnerin im Schreiben an die Antragstellerin vom 01.04.2019 aus, dass dem Antrag auf Informationsgewährung stattgegeben und die beantragten Daten „durch die Übermittlung der beiliegenden Kontrollberichte“ 10 Werktage nach Zustellung an den/die Antragsteller/in schriftlich bekannt gegeben werden, sofern bis dahin keine gerichtliche Untersagung erfolgt ist (vgl. Blatt 9 der Behördenakte). Somit bleibt nach Aktenlage und jedenfalls auch für die Antragstellerin unklar, ob die streitgegenständlichen Kontrollberichte nun herausgegeben werden sollten oder nicht. Dies ist insofern relevant, da sich der Anspruch aus § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VIG auf den freien Zugang zu allen Daten über nicht zulässige Abweichungen von Anforderungen des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuches und des Produktsicherheitsgesetzes, der auf Grund dieser Gesetze erlassenen Rechtsverordnungen und unmittelbar geltender Rechtsakte der Europäischen Gemeinschaft oder der Europäischen Union im Anwendungsbereich der genannten Gesetze bezieht, die Antragsgegnerin jedoch angibt, dass beide Kontrollen ohne Beanstandungen erfolgt seien (vgl. Blatt 174 der Gerichtsakte). „Nicht zulässige Abweichungen“ i.S.d. § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VIG erfordern jedoch eine objektive Diskrepanz zwischen den gesetzlichen Anforderungen und der tatsächlichen Situation, unabhängig von einem Verschulden (Grube/Immel ZLR 2011, 644 (646); diesen zust. Theis DVBl. 2013, 627 (628) und BeckOK, InfoMedienR/Rossi, 23. Ed. 01.05.2018, VIG § 2 Rn. 17). Im Übrigen würde eine Herausgabe der Kontrollberichte in diesem Fall auch über den Antrag des Beigeladenen hinausgehen, da der Beigeladene die Herausgabe der entsprechenden Kontrollberichte nur für den Fall der festgestellten Beanstandungen beantragt hat.
27
Weiterhin erfordert der vorliegende Fall auch die Beantwortung komplexer Rechtsfragen, insbesondere hinsichtlich der Rechtsmissbräuchlichkeit eines über die von foodwatch/FragDenStaat betriebenen Plattform „Topf Secret“ gestellten Antrags, einer unzulässigen Umgehung des § 40 Abs. 1a LFGB und der Verfassungsmäßigkeit des Verbraucherinformationsgesetzes im Lichte der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 21. März 2018, 1 BvF 1/13. Zwar handelt es sich vorliegend um kein staatliches Informationshandeln im Sinne einer unmittelbaren Veröffentlichung. Staatliches Handeln liegt grundsätzlich aber auch bereits in der behördlichen Herausgabe der Informationen an die antragstellenden Privatpersonen. Amtliche Informationen kommen einem Eingriff in die Berufsfreiheit aber jedenfalls dann gleich, wenn sie direkt auf die Marktbedingungen konkret individualisierter Unternehmen zielen, indem sie die Grundlagen von Konsumentscheidungen zweckgerichtet beeinflussen und die Markt- und Wettbewerbssituation zum Nachteil der betroffenen Unternehmen verändern (vgl. BVerfG, Beschluss vom 21. März 2018 - 1 BvF 1/13 -, juris). Zwar ist das Schutzbedürfnis des Unternehmens vor einer aktiven staatlichen Veröffentlichung unrichtiger Informationen ungleich größer als in den Fällen der antragsveranlassten individuellen Einsichtsgewährung. Denn die Öffentlichkeitsinformation, die - wie etwa eine produktbezogene Warnung - auf Initiative des Staates erfolgt, ist ihrer Intention nach auf eine unmittelbare Unterrichtung des Marktes gerichtet. Der Staat nimmt in diesem Fall selbst am öffentlichen Kommunikationsprozess teil und wirkt unmittelbar auf ihn ein. Er selbst wählt dabei die Informationen aus, die er bekannt geben will. Die Informationen sollen für die Verbraucherinnen und Verbraucher verständlich dargestellt werden, § 6 Abs. 1 Satz 4 VIG. Informationen, die der Staat in einem solchen Sinne direkt an alle Markteilnehmer richtet, finden eine breite Beachtung. Sie wirken sich auf die Wettbewerbsposition eines am Markt tätigen Unternehmens grundsätzlich mit einer deutlich größeren Intensität aus als die Informationsgewährung an einen einzelnen Antragsteller (vgl. BVerwG, Beschluss vom 15. Juni 2015 - 7 B 22.14 - Rn. 12 und BayVGH, Urteil vom 16. Februar 2017 - 20 BV 15.2208 -, Rn. 54, jeweils juris).
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Es stellt sich aber gerade in vorliegender Fallgestaltung die Frage, ob die staatliche Informationsweitergabe an einen Antragsteller, der seinen Antrag über die Plattform „Topf Secret“ stellt, aufgrund der zu erwartenden Veröffentlichung auf der Plattform in ihren Auswirkungen nicht einer unmittelbaren staatlichen Information sehr nahe kommt, wobei auch zu berücksichtigen ist, dass der Staat - im Gegensatz zu einer eigenen Veröffentlichung der Informationen im Internet, vgl. § 6 Abs. 1 Satz 3 VIG - nach Herausgabe der Informationen an den Antragsteller auf den öffentlichen Kommunikationsprozess auf der von foodwatch/FragDenStaat betriebenen Plattform gerade nicht mehr einwirken kann und durch die Veröffentlichung der behördlichen Schreiben bzw. Bescheide beim Leser der Eindruck eines behördlichen Informationshandelns entstehen kann. Insofern müsste geprüft werden, ob in vorliegender Konstellation nicht ein wichtiger Grund i.S.d § 6 Abs. 1 Satz 2 VIG gegeben ist, der dazu führt, dass man den Antragstellern, die ihren Antrag erkennbar über die Plattform „Topf Secret“ stellen, die streitgegenständlichen Informationen gerade nicht durch Übersendung der Kontrollberichte, sondern im Rahmen von Akteneinsicht oder durch Auskunftserteilung, die schon dem Wortlaut nach gerade nicht auf die bloße Übersendung der Kontrollberichte beschränkt ist, zugänglich macht.
29
b) Eine Abwägung der gegenläufigen Interessen der Antragstellerin und des Beigeladenen bzw. der Antragsgegnerin fällt vorliegend zugunsten der Antragstellerin aus.
30
Nach Auffassung der erkennenden Kammer überwiegt das Interesse der Antragstellerin an einer vorläufigen Nichtherausgabe der streitgegenständlichen Informationen bis über das Hauptsacheverfahren entschieden worden ist, insbesondere da eine Herausgabe der streitgegenständlichen Kontrollberichte an den Beigeladenen und damit die entsprechende Kenntnisnahme des Beigeladenen von den Informationen nicht mehr rückgängig gemacht werden könnte. Eine Herausgabe würde vollendete Tatsachen schaffen und damit zur Vorwegnahme der Hauptsache führen. Demgegenüber ist kein gesteigertes Interesse der Antragsgegnerin oder des Beigeladenen an der sofortigen Übermittlung der beantragten Informationen ersichtlich. Streitgegenständlich ist die Herausgabe zweier Kontrollberichte aus dem Jahr 2018, mithin um zwei Berichte, die jedenfalls vor über fünf Monaten erstellt wurden. Schwere und unzumutbare Nachteile aufgrund der vorläufigen Nicht-Zugänglichmachung der Information bis zur Entscheidung in der Hauptsache drohen für den Beigeladenen damit gerade nicht. Eine Eilbedürftigkeit der Herausgabe wurde zudem auch weder von Seiten der Antragsgegnerin noch von Seiten des Beigeladenen geltend gemacht.
31
Nach alledem war dem Antrag statt zu geben.
32
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, da die Antragsgegnerin unterlegen ist. Der Beigeladene hat im Verfahren keinen Antrag gestellt, § 154 Abs. 3 VwGO.
33
4. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG i.V.m. dem Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013, dessen Empfehlungen die Kammer folgt. Gemäß Nr. 25.2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit ist für sonstige Maßnahmen im Lebensmittelrecht der Jahresbetrag der erwarteten wirtschaftlichen Auswirkung, sonst der Auffangwert anzusetzen. Da keine Anhaltspunkte hinsichtlich der Höhe der erwarteten wirtschaftlichen Auswirkungen im Falle einer Herausgabe der streitgegenständlichen Informationen bestehen, war der Auffangwert anzusetzen. Im Hinblick auf den vorläufigen Charakter der Entscheidung hat das Gericht diesen Wert für die Streitwertfestsetzung halbiert (vgl. Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs).