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VerfGH München, Entscheidung v. 31.01.2019 – Vf. 29-VI-18
Titel:

Unzulässige Verfassungsbeschwerde

Normenketten:
BV Art. 120
VfGHG Art. 51 Abs. 2 S. 1, Art. 53 Abs. 1 S. 1
Leitsatz:
Unzulässigkeit einer Verfassungsbeschwerde gegen ein Berufungsurteil des Oberlandesgerichts in einem Amtshaftungsprozess, weil die Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision zurückgenommen und daher der Rechtsweg nicht erschöpft wurde.
Schlagwort:
Verfassungsbeschwerde
Fundstellen:
BayVBl 2019, 671
BeckRS 2019, 1139
LSK 2019, 1139

Tenor

1. Die Verfassungsbeschwerde wird abgewiesen.
2. Dem Beschwerdeführer wird eine Gebühr von 750 € auferlegt.

Entscheidungsgründe

I.
1
Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen das Urteil des Oberlandesgerichts München vom 16. November 2017 Az. 1 U 2722/16, wodurch das Versäumnisurteil vom 7. September 2017 in einem Berufungsrechtsstreit wegen Ansprüchen aus Amtshaftung und aus unionsrechtlicher Staatshaftung zwischen der N. GmbH und dem Freistaat Bayern aufrechterhalten wurde.
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1. Der Beschwerdeführer ist der Geschäftsführer der Klägerin des Ausgangsverfahrens. Diese erhob am 15. Januar 2012 Klage auf Schadensersatz wegen einer angeblich schuldhaft pflichtwidrigen Festsetzung von Umsatzsteuerschulden in den Jahren 1993/1994. Mit Urteil vom 18. Mai 2016 wies das Landgericht München I die Klage ab.
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2. Die von der Klägerin hiergegen eingelegte Berufung wurde durch Versäumnisurteil des Oberlandesgerichts München vom 7. September 2017 zurückgewiesen. Mit dem angegriffenen Urteil vom 16. November 2017 hielt das Oberlandesgericht auf den Einspruch der Klägerin hin das Versäumnisurteil aufrecht; die Revision wurde nicht zugelassen. Durch Beschluss vom selben Tag wurde der Streitwert für beide Rechtszüge auf 1,5 Mio. € festgesetzt.
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3. Die zum Bundesgerichtshof gegen die Nichtzulassung der Revision eingelegte Beschwerde nahmen die Bevollmächtigten der Klägerin mit Schriftsatz vom 29. März 2018 zurück. Durch Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 5. April 2018 wurde die Klägerin der Nichtzulassungsbeschwerde für verlustig erklärt.
II.
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1. Mit seiner am 24. April 2018 eingegangenen, durch Schriftsätze vom 11., 15. und 22. Mai 2018 sowie vom 1. Juli 2018 ergänzten Verfassungsbeschwerde vom 21. April 2018 rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung des Rechts auf rechtliches Gehör.
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Das Oberlandesgericht habe ihm keine ausreichende Gelegenheit zur Stellungnahme gewährt und ein Überraschungsurteil erlassen. Trotz des schwierigen Streitgegenstands, der ein höchst komplexes Anlagenbauprojekt betreffe, sei vom Senat kein Experte als Zeuge gehört worden. Das Oberlandesgericht habe die wichtigste von der Klägerin eingereichte Unterlage (Schreiben der Oberfinanzdirektion München vom 27. Januar 1998) im Urteil nicht erwähnt und folglich nicht gelesen. Die Ansicht des Senats, dass hinsichtlich der Verjährung keine Hemmungs- oder Unterbrechungstatbestände ersichtlich seien, sei falsch. Im Hinblick auf eine mögliche Verfristung der Verfassungsbeschwerde beantragt der Beschwerdeführer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen einer schweren gesundheitlichen Beeinträchtigung.
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2. Das Bayerische Staatsministerium der Justiz hält die Verfassungsbeschwerde für unzulässig.
III.
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Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig.
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1. Bedenken gegen die Zulässigkeit bestehen bereits im Hinblick auf die Beschwerdebefugnis des Beschwerdeführers.
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Nach Art. 120 BV kann Verfassungsbeschwerde erheben, wer sich durch eine Behörde oder ein Gericht in seinen verfassungsmäßigen Rechten verletzt fühlt. Ein Beschwerdeführer ist demnach beschwerdebefugt, wenn er substanziiert geltend macht, durch die angegriffene Entscheidung in einem verfassungsmäßigen Recht verletzt zu sein. Er muss durch den angegriffenen Hoheitsakt in diesem Recht selbst, gegenwärtig und unmittelbar betroffen sein (Müller in Meder/Brechmann, Die Verfassung des Freistaates Bayern, 5. Aufl. 2014, Art. 120 Rn. 35; Wolff in Lindner/Möstl/Wolff, Verfassung des Freistaates Bayern, 2. Aufl. 2017, Art. 120 Rn. 47).
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Die vorliegende Verfassungsbeschwerde hat der Beschwerdeführer unter seinem eigenen Namen erhoben. Er selbst war jedoch nicht Partei des Ausgangsverfahrens, sondern die N. GmbH, deren Geschäftsführer er ist. In Bezug auf die vom Beschwerdeführer erhobenen Rügen kann jedoch nur die juristische Person als Partei durch das angegriffene Urteil in verfassungsmäßigen Rechten tangiert sein, nicht aber der Beschwerdeführer persönlich. Dieser Umstand war für den Verfassungsgerichtshof zunächst nicht eindeutig erkennbar, da der Beschwerdeführer die angegriffene Entscheidung nicht vorgelegt und trotz entsprechenden Hinweises auch nicht nachgereicht hat. Allerdings spricht der Beschwerdeführer in der Verfassungsbeschwerde einmal von sich als „Geschäftsführer […] der Klägerin“; in einem späteren Schreiben vom 1. Juli 2018 hat er die N. GmbH als Absender angeführt. Selbst wenn man daher zu seinen Gunsten davon ausgehen würde, dass die Verfassungsbeschwerde im Namen der N. GmbH eingelegt werden sollte, ist diese jedenfalls aus einem weiteren Grund unzulässig.
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2. Es fehlt an der erforderlichen Erschöpfung des fachgerichtlichen Rechtswegs.
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Ist hinsichtlich des Beschwerdegegenstands ein Rechtsweg zulässig, so ist bei Einreichung der Verfassungsbeschwerde gemäß Art. 51 Abs. 2 Satz 1 VfGHG nachzuweisen, dass der Rechtsweg erschöpft worden ist. Vorliegend war nach § 544 Abs. 1 Sätze 1 und 2 ZPO eine Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision zum Bundesgerichtshof statthaft, da der Wert der mit der Revision geltend zu machenden Beschwer 20.000 € überschritt (vgl. § 26 Nr. 8 EGZPO). Dieses Rechtsmittel war geeignet, die Beanstandungen des Beschwerdeführers wegen Verletzung des rechtlichen Gehörs (Art. 91 Abs. 1 BV) weiterzuverfolgen. Denn nach mittlerweile vereinheitlichter und gefestigter Rechtsprechung lässt der Bundesgerichtshof die Revision zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO) immer (auch) dann zu, wenn das Berufungsurteil auf der Verletzung eines Verfahrensgrundrechts beruht (VerfGH vom 15.9.2009 VerfGHE 62, 178/185 f. m. w. N.; vgl. auch Hagspiel, BayVBl 2018, 469/472 f.).
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Hier hat der Bevollmächtigte der Klägerin des Ausgangsverfahrens mit Schriftsatz vom 22. Dezember 2017 Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt. Da diese jedoch am 29. März 2018 zurückgenommen wurde, ist der Rechtsweg nicht erschöpft. Nimmt der Beschwerdeführer durch Rücknahme eines statthaften Rechtsbehelfs von der Möglichkeit Abstand, den Rechtsweg zu erschöpfen, ist die Verfassungsbeschwerde unzulässig (vgl. z. B. BVerfG vom 10.2.1953 BVerfGE 2, 123/2; VerfGH vom 17.3.1994 - Vf. 22-VI-93 - juris Rn. 10; Wolff in Lindner/Möstl/Wolff, Verfassung des Freistaates Bayern, Art. 120 Rn. 54). Ausreichende Gründe dafür, dass die Weiterverfolgung der Nichtzulassungsbeschwerde als unzumutbar angesehen werden könnte, hat der Beschwerdeführer nicht dargelegt. Die mit der Einlegung des Rechtsmittels verbundenen Kosten sowie der Zeitaufwand machen die Rechtswegerschöpfung nicht entbehrlich.
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3. Ob die Verfassungsbeschwerde aus weiteren Gründen unzulässig ist, kann offenbleiben. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf die Einhaltung der Verfassungsbeschwerdefrist, sodass es auch keiner Entscheidung über den diesbezüglichen Antrag auf Wiedereinsetzung bedarf. Ebenso wenig kommt es auf den Inhalt einzelner Rügen des Beschwerdeführers an. Gemäß Art. 53 Abs. 1 Satz 1 VfGHG entscheidet der Verfassungsgerichtshof über die Verfassungsbeschwerde ohne mündliche Verhandlung; nach der Sach- und Rechtslage ist es nicht geboten, ausnahmsweise nach Art. 53 Abs. 1 Satz 2 VfGHG die Durchführung einer mündlichen Verhandlung anzuordnen.
IV.
16
Es ist angemessen, dem Beschwerdeführer eine Gebühr von 750 € aufzuerlegen (Art. 27 Abs. 1 Satz 2 VfGHG).