Inhalt

LArbG Nürnberg, Beschluss v. 10.05.2019 – 4 Ta 54/19
Titel:

Beschwerde von Verfahrensbevollmächtigten - Gegenstandswertfestsetzung

Normenketten:
RVG § 23 Abs. 1, Abs. 3 S. 2, § 33 Abs. 1, Abs. 3 S. 1, S. 3
BetrVG § 23, § 26 Abs. 2, § 27, § 29, § 34
ArbGG § 9 Abs. 5 S. 4
Leitsätze:
1. Für das Ausschlussverfahren kommt eine Erhöhung des gesetzlichen Hilfswertes dann in Betracht, wenn das betroffene Betriebsratsmitglied im Betrieb besondere Funktionen bekleidet und sich ein Ausschluss deshalb in qualifizierter Weise auf die Arbeit des Betriebsrats auswirken würde (Bestätigung LAG Berlin-Brandenburg BeckRS 2016, 73880). (Rn. 17) (red. LS Thomas Ritter)
2. Aufgrund des Umstands, dass ein stellvertretender Betriebsratsvorsitzender innerhalb des Betriebsrats eine herausgehobene Position innehat und er den Betriebsrat im Falle der Verhinderung des Betriebsratsvorsitzenden im Rahmen der §§ 26 Abs. 2, 27, 29, 34 BetrVG vertritt und er im Vergleich zu den übrigen Betriebsratsmitgliedern weitergehende Aufgaben und Kompetenzen hat, hat auch der Ausschluss des stellvertretenden Vorsitzenden aus dem Betriebsrat eine weit größere Bedeutung für die Betriebsratsarbeit, als der eines normalen Mitglieds, weshalb der gesetzliche Hilfswert, der für das Ausschlussverfahren eines normalen Mitglieds in Ansatz zu bringen wäre, grundsätzlich um den halben Wert anzuheben ist. (Rn. 19 – 20) (red. LS Thomas Ritter)
Orientierungsatz:
Der Gegenstandswert eines Verfahrens zum Ausschluss eines Betriebsratsmitglieds gem. § 23 Abs. 1 BetrVG bemisst sich nach § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG. Ist hiervon die Position des stellvertretenden Betriebsratsvorsitzenden betroffen, rechtfertigt dies die Anhebung des Hilfswertes um 50%, jedoch nicht dessen Verdoppelung. 
Schlagworte:
Gegenstandswert, Gebührenstreitwert, Gegenstandswertfestsetzung, Ausschluss, Betriebsratsmitglied, Betriebsratsarbeit, Betriebsratsvorsitzender, Stellvertretender Betriebsratsvorsitzender, Gesetzlicher Hilfswert, Hilfswerterhöhung
Vorinstanz:
ArbG Würzburg, Beschluss vom 06.03.2019 – 9 BV 11/18
Fundstelle:
BeckRS 2019, 11390

Tenor

Auf die Beschwerde der Verfahrensbevollmächtigten der Beteiligten zu 2) und 3) wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Würzburg – Kammer Schweinfurt – vom 06.03.2019, Az.: 9 BV 11/18, unter Zurückweisung der Beschwerde im Übrigen, abgeändert.
Der Gegenstandswert des Verfahrens wird festgesetzt auf EUR 7.500,-.

Gründe

I.
1
Das Erstgericht hat mit Beschluss vom 06.03.2019 für das Verfahren, in dem es um den Ausschluss des stellvertretenden Betriebsratsvorsitzenden aus dem bei der Antragstellerin bestehenden Betriebsrat ging, den Gegenstandswert auf EUR 5.000,- festgesetzt.
2
Gegen den ihnen am 06.03.2019 formlos zugeleiteten Beschluss haben die Verfahrensbevollmächtigten der Beteiligten zu 2) und 3) beim Erstgericht mit Telefax vom 21.03.2019 Beschwerde eingelegt mit dem Ziel, den Gegenstandswert auf EUR 10.000,- festzusetzen.
3
Das Erstgericht hat mit Beschluss vom 26.03.2019 der Beschwerde nicht abgeholfen und sie dem Landesarbeitsgericht Nürnberg zur Entscheidung vorgelegt.
4
Hinsichtlich näherer Einzelheiten wird auf den Inhalt der Beschwerdeakte Bezug genommen.
II.
5
1. Die Beschwerde ist zulässig.
6
Sie ist statthaft, § 33 Abs. 3 S. 1 RVG, denn sie richtet sich gegen einen Beschluss, durch den der Gegenstandswert für die anwaltliche Tätigkeit gemäß § 33 Abs. 1 RVG festgesetzt worden ist.
7
Die Verfahrensbevollmächtigten der Beteiligten zu 2) und 3) sind beschwerdeberechtigt gemäß § 33 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 RVG.
8
Der Wert des Beschwerdegegenstandes übersteigt EUR 200,-, denn bereits die einfache Gebührendifferenz zwischen dem festgesetzten und dem begehrten Gebührenstreitwert beträgt nach der Anlage 2 zum RVG EUR 255,-.
9
Die Frist für die Einlegung der Beschwerde wurde gewahrt.
10
Da der Beschluss des Erstgerichts nicht förmlich zugestellt (§§ 33 Abs. 3 Satz 3 RVG, 329 Abs. 2 ZPO) worden ist und mit einer Rechtsmittelbelehrung(§ 9 Abs. 5 ArbGG) versehen war, greift § 9 Abs. 5 Satz 4 ArbGG.
11
Zudem wurde nach Zugang des formlos zugeleiteten Beschlusses - frühestens am 07.03.2019 - selbst die Frist des § 33 Abs. 3 Satz 3 RVG gewahrt.
12
2. Die Beschwerde ist sachlich nur zum Teil begründet.
13
Die vom Erstgericht bei der Gegenstandswertfestsetzung nach § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG zu treffende Ermessensentscheidung ist dahingehend zu korrigieren, dass der Gegenstandswert auf EUR 7.500,- anzuheben ist.
14
Das Erstgericht hat den Umstand unberücksichtigt gelassen, dass der beantragte Ausschluss den stellvertretenden Betriebsratsvorsitzenden betroffen hat und damit die Arbeit des Betriebsrats in erhöhtem Maße beeinflussen konnte.
15
Das Erstgericht geht in seiner Entscheidung vom 06.03.2019 zutreffend davon aus, dass es sich bei dem Verfahren über den Ausschluss eines Betriebsratsmitglieds gem. § 23 Abs. 1 BetrVG um eine nichtvermögensrechtliche Streitigkeit i.S.d. § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG handelt und die gebührenrechtliche Bewertung nach dieser Vorschrift vorzunehmen ist (vgl. LAG Nürnberg v. 10.10.2013 - 7 Ta 112/13).
16
Bei der Bemessung des Gegenstandswerts gemäß § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG sind alle Umstände des Einzelfalles, insbesondere der Umfang und die Bedeutung der Sache zu berücksichtigen. Hierzu zählen auch die wirtschaftlichen Auswirkungen des Rechtsstreits und die rechtlichen und tatsächlichen Besonderheiten des Falles.
17
Für das Ausschlussverfahren kommt eine Erhöhung des gesetzlichen Hilfswertes dann in Betracht, wenn das betroffene Betriebsratsmitglied im Betrieb besondere Funktionen bekleidet und sich ein Ausschluss deshalb in qualifizierter Weise auf die Arbeit des Betriebsrats auswirken würde (vgl. LAG Berlin-Brandenburg v. 22.09.2016 - 17 Ta (Kost) 6092/16).
18
Es ist bei Anwendung dieser Grundsätze angemessen, den Ausschlussantrag der Arbeitgeberin mit dem eineinhalbfachen Hilfswert zu bewerten.
19
Der Beteiligte zu 2) hat als stellvertretender Betriebsratsvorsitzender innerhalb des Betriebsrats eine herausgehobene Position. Er vertritt den Betriebsrat im Falle der Verhinderung des Betriebsratsvorsitzenden im Rahmen der §§ 26 Abs. 2, 27, 29, 34 BetrVG und hat im Vergleich zu den übrigen Betriebsratsmitgliedern weitergehende Aufgaben und Kompetenzen. Der Ausschluss des stellvertretenden Vorsitzenden aus dem Betriebsrat hat deshalb eine weit größere Bedeutung für die Betriebsratsarbeit, als der eines normalen Mitglieds.
20
Im vorliegenden Fall ist deshalb der gesetzliche Hilfswert, der für das Ausschlussverfahren eines normalen Betriebsratsmitglieds in Ansatz zu bringen wäre, um den halben Wert anzuheben.
21
Die mit der Beschwerde begehrte Verdoppelung des Hilfswertes rechtfertigt sich dagegen nicht. Eine solche Anhebung wäre allenfalls dann geboten, wenn das Ausschlussverfahren den gewählten Betriebsratsvorsitzenden selbst betroffen hätte. Nur dann wäre die Arbeit des Betriebsrates in einem solch hohen Maße betroffen, dass eine Parallele zur Anfechtung der Wahl eines Betriebsobmanns gezogen werden könnte.
22
Für letzteren Fall sieht die Ziffer II Nr. 2.3 des Streitwertkatalogs vor, dass der doppelte Hilfswert in Ansatz zu bringen ist. Dies wegen der weitreichenden rechtlichen Bedeutung des Anfechtungsverfahrens und den sich ergebenden Folgen einer erfolgreichen Wahlanfechtung, insbesondere in Bezug auf den organisatorischen und finanziellen Aufwand einer Neuwahl.
23
Der Ausschluss eines stellvertretenden Betriebsratsvorsitzenden führt bei weitem zu keinen so weitreichenden Konsequenzen, weshalb sich die gebotene Anhebung des Hilfswertes unterhalb einer Verdoppelung zu bewegen hat.
III.
24
1. Die Entscheidung kann ohne mündliche Verhandlung durch den Vorsitzenden alleine ergehen, § 78 Satz 3 ArbGG.
25
2. Für eine Kostenentscheidung besteht kein Anlass, § 33 Abs. 9 RVG.
Nürnberg, den 10. Mai 2019