Inhalt

VG Würzburg, Beschluss v. 14.06.2019 – W 2 S 19.50529
Titel:

Einstweiliger Rechtsschutz gegen Abschiebungsanordnung

Normenketten:
AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 1 lit. a, § 34a Abs. 1 S. 1
VwGO § 80 Abs. 5
EU (VO) Nr. 604/2013 Art. 3 Abs. 1 S. 2, Art. 3 Abs. 2, Art. 20 Abs. 3, Art. 25 Abs. 2
Leitsatz:
1. Eine Anordnung nach § 34a Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 AsylG zur Abschiebung in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat setzt die Prüfung voraus, ob die Überstellungsfrist von sechs Monaten mittlerweile abgelaufen ist. (Rn. 18 – 20) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Abschiebungsanordnung (Italien), Ablauf der Überstellungsfrist, Abschiebung, Italien, Zuständigkeit, einstweiliger Rechtsschutz, Durchführung des Asylverfahrens, Überstellungsfrist, Übergang der Zuständigkeit
Fundstelle:
BeckRS 2019, 11366

Tenor

I. Die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers gegen Ziffer 3 des Bescheids des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 24. Mai 2019, Az.: 7740747-231, wird angeordnet.
II. Die Antragsgegnerin hat die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens zu tragen.

Gründe

I.
1
Der Antragsteller wendet sich gegen die sofortige Vollziehbarkeit einer von der Antragsgegnerin angeordneten Abschiebung nach Italien.
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1. Der Antragsteller ist ein am … … 2019 in Aschaffenburg geborener Staatsangehöriger der Elfenbeinküste. Er ist das Kind der ivorischen Staatsangehörigen Frau … … geboren am … … 1995, die am 2. Februar 2018 von Italien kommend in die Bundesrepublik Deutschland einreiste und am 13. Februar 2018 beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) einen Asylantrag stellte. Dieser Antrag wurde mit Bescheid vom 4. April 2018 als unzulässig abgelehnt und die Abschiebung nach Italien angeordnet. Aufgrund der Schwangerschaft der Mutter des Antragstellers ordnete das Verwaltungsgericht Würzburg mit Beschluss vom 11. September 2018 - W 2 E 18.50423 - im Wege einer einstweiligen Anordnung an, Maßnahmen zum Vollzug der Abschiebungsanordnung aus dem Bescheid vom 4. April 2018 vorläufig bis zum Ablauf des gesetzlichen Mutterschutzes zu unterlassen.
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Am 1. Februar 2019 wurde die Geburt des Antragstellers beim Bundesamt angezeigt.
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Mit Bescheid vom 24. Mai 2019 lehnte das Bundesamt den Asylantrag als unzulässig ab (Ziffer 1), stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Ziffer 2) und ordnete die Abschiebung des Antragstellers nach Italien an (Ziffer 3). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG wurde auf sechs Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Ziffer 4). Auf die Gründe des Bescheids wird zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen (§ 77 Abs. 2 AsylG).
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2. Gegen diesen Bescheid ließen die Antragsteller am 4. Juni 2019 Klage erheben (W 2 K 19.50528) und zugleich im vorliegenden Verfahren gemäß § 80 Abs. 5 VwGO beantragen,
die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
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Die Zuständigkeit Italiens für die Prüfung des Asylantrags des Antragstellers habe das Bundesamt im angegriffenen Bescheid weder nachgewiesen noch mitgeteilt, auf welcher rechtlichen Grundlage diese Zuständigkeit sicher feststehen soll.
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Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
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Hinsichtlich des weiteren Vortrags der Beteiligten sowie der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten in den Verfahren W 2 S 19.50529 und W 2 K 19.50528 sowie die beigezogene Behördenakte Bezug genommen.
II.
9
Der Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO ist zulässig und begründet.
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1. Der Antrag ist zulässig.
11
Das Gericht kann gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO unter anderem in den Fällen des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs anordnen. Eine Klage gegen die Abschiebungsanordnung entfaltet von Gesetzes wegen nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO, § 75 Abs. 1 AsylG keine aufschiebende Wirkung. Der Antrag wurde auch innerhalb der Wochenfrist des § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylG gestellt.
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2. Der Antrag ist auch begründet, da die Entscheidung des Bundesamts, den Antragsteller nach Italien zu überstellen, voraussichtlich rechtswidrig ist und ihn in seinen Rechten verletzt.
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Das Gericht trifft im Rahmen des § 80 Abs. 5 VwGO eine eigene, originäre Entscheidung über die Anordnung bzw. die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung auf Grund der sich ihm im Zeitpunkt seiner Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 AsylG) darbietenden Sach- und Rechtslage. Das Gericht hat dabei das Aussetzungsinteresse des Antragstellers und das öffentliche Interesse an einer sofortigen Vollziehung unter Berücksichtigung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache gegeneinander abzuwägen (Kopp/Schenke, VwGO, 23. Auflage 2017, § 80 Rn. 152; Eyermann/Hoppe, VwGO, 15. Auflage 2019, § 80 Rn. 89). Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ist in der Regel abzulehnen, wenn der Rechtsbehelf in der Hauptsache nach summarischer Prüfung voraussichtlich erfolglos bleiben wird; ergibt eine vorläufige Überprüfung der Klage in der Hauptsache dagegen, dass diese offensichtlich erfolgreich sein wird, so überwiegt regelmäßig das Aussetzungsinteresse des Antragstellers. Sind die Erfolgsaussichten offen, so ist eine reine Interessenabwägung vorzunehmen (vgl. Eyermann/Hoppe, VwGO, 15. Auflage 2019, § 80 Rn. 90 ff.).
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Gemessen an diesen Grundsätzen fällt die vom Gericht anzustellende Interessenabwägung zu Gunsten des Antragstellers aus. Bei summarischer Prüfung erweist sich die Abschiebungsanordnung in Ziffer 3 des streitgegenständlichen Bescheids als rechtswidrig.
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Die Zuständigkeit des Staates Italien für die Bearbeitung des Asylantrags des Antragstellers ist nicht hinreichend nachgewiesen. Daher überwiegt das Interesse des Antragstellers an der Aussetzung der Vollziehung das öffentliche Vollzugsinteresse.
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Dies ergibt sich aus Folgendem:
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Als Rechtsgrundlage für die streitgegenständliche Abschiebungsanordnung wird § 34a Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 AsylG genannt.
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Danach ordnet das Bundesamt die Abschiebung des Ausländers in einen für die Durchführung des Asylverfahrens nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG zuständigen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a AsylG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Mitgliedstaat für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist. Art. 3 Abs. 1 Satz 2 Dublin-III-VO sieht vor, dass Anträge auf internationalen Schutz von einem einzigen Mitgliedstaat geprüft werden, der nach den Kriterien des Kapitels III als zuständiger Staat bestimmt wird. Lässt sich anhand dieser Kriterien der zuständige Mitgliedstaat nicht bestimmen, so ist nach Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 1 Dublin III-VO der erste Mitgliedstaat, in dem der Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde, für dessen Prüfung zuständig.
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Nach Art. 20 Abs. 3 Dublin III-VO richtet sich die Frage der Zuständigkeit für den Asylantrag des Antragstellers nach dem Verfahren seiner Mutter. Für die Bearbeitung des Asylantrags der Mutter des Antragstellers lagen Hinweise für die Zuständigkeit Italiens vor. Ausweislich des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 11. September 2018 - W 2 E 18.50423 - wurde für sie am 2. März 2018 ein Übernahmeersuchen nach der Dublin III-VO an Italien gerichtet, das unbeantwortet blieb. Daher ist davon auszugehen, dass nach Art. 25 Abs. 2 Dublin III-VO mit Ablauf des 16. März 2018 die Zuständigkeit auf Italien überging. Daher muss geprüft werden, ob die Überstellungsfrist von sechs Monaten mittlerweile abgelaufen ist und die Zuständigkeit auf die Antragsgegnerin überging, Art. 29 Abs. 2 Dublin III-VO.
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Eine solche Prüfung ist im angegriffenen Bescheid gerade nicht erfolgt. Dort wird als Datum des bundesdeutschen Wideraufnahmeersuchens der 2. März 2019 genannt. In den Akten des Bundesamtes zum Antragsteller ist ein solches Schreiben nicht auffindbar. Die Bundesamtsakte der Mutter wurde nicht übermittelt. Wegen der Eilbedürftigkeit der Entscheidung und im Rahmen der summarischen Prüfung war es auch nicht angezeigt, diese nachzufordern. Vielmehr liegt der Verdacht nahe, dass hier ein Versehen vorliegt. Eine abschließende Bewertung muss aber dem Hauptsacheverfahren vorbehalten werden.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben, § 83b AsylG.