Inhalt

VG Augsburg, Urteil v. 23.05.2019 – Au 5 K 18.924
Titel:

Beseitigungsanordnung für Dachterrassenüberdachung bei denkmalgeschütztem Ensemble

Normenketten:
BayBO Art. 68 Abs. 1 S. 1, Art. 76 S. 1
BayDSchG Art. 6 Abs. 1
Leitsatz:
In aller Regel besteht bei jedem Denkmal oder auch denkmalgeschütztem Ensemble das Erhaltungsinteresse und es sind damit Gründe für die unveränderte Beibehaltung des bisherigen Zustands indiziert. Die Genehmigungsbehörde ist zu einer Abwägung der für und gegen den Erhalt eines Baudenkmals sprechenden Belange verpflichtet. Grundsätzlich ist das Baudenkmal in der überkommenen Form zu erhalten, denn Ziel des Denkmalschutzes ist es, die Substanz zu schützen und nicht erforderliche Eingriffe zu verhindern (hier denkmalschutzrechtliche Erlaubnisfähigkeit für Dachterrassenüberdachung verneint). (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Beseitigungsanordnung, Dachterrassenüberdachung, Denkmalgeschütztes Ensemble „...“, Gewichtige Belange des Denkmalschutzes, denkmalschutzrechtliche Erlaubnis
Fundstelle:
BeckRS 2019, 10312

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1
Der Kläger begehrt mit der Klage die Aufhebung des Bescheides der Beklagten vom 14. Mai 2018 sowie die Erteilung einer Baugenehmigung für eine Dachterrassenüberdachung auf dem Grundstück Fl.Nr. ... der Gemarkung ... (...).
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Der Kläger ist Eigentümer einer Wohnung im Dachgeschoss des Anwesens ... im Stadtgebiet der Beklagten und hat ein Sondernutzungsrecht an der Dachterrasse.
3
Mit Schreiben der Beklagten vom 9. Juli 2015 wurde der Kläger im Rahmen einer Anhörung aufgefordert, die errichtete Glasüberdachung auf der Dachterrasse zu entfernen, da die hierfür erforderliche denkmalrechtliche Erlaubnis nach Art. 6 BayDSchG und die baurechtliche Genehmigung fehlen würden. Das Bayerische Landesamt für Denkmalpflege hatte am 27. Mai 2015 festgestellt, dass durch die unerlaubte Errichtung des Glasdaches eine Störung im Ensemble bewirkt wird und deshalb die Beseitigung gefordert.
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Mit Formblatt vom 19. Februar 2016, eingegangen bei der Beklagten am 1. März 2016, beantragte der Kläger die Errichtung einer Dachterrassenüberdachung auf dem Grundstück Fl.Nr. ... der Gemarkung ... Nach der eingereichten Baubeschreibung soll es sich dabei um eine Stahlkonstruktion mit Glasdach und einer Grundfläche von 38 qm handeln.
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Das Vorhaben befindet sich im Umgriff des Bebauungsplans Nr. ... „...“.
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Die Planung für das Vorhaben wurde zuletzt am 19. Dezember 2017 geändert.
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Daraufhin wurde dem Bayerischen Landesamt für Denkmalpflege die geänderte Planung am 10. Januar 2018 vorgelegt. In seiner Stellungnahme führte das Landesamt aus, dass mit der neuen Planung zwar der eingehauste Bereich reduziert werde, das Glasdach, von dem die größte störende Wirkung im Ensemble ausgehe, würde jedoch vergrößert (60cm breiter und 40cm länger) werden. Deswegen sei der Bauantrag abzulehnen und die Beseitigung durchzuführen. Dieser Stellungnahme hat sich die Untere Denkmalschutzbehörde in ihrer Stellungnahme vom 22. Januar 2018 angeschlossen.
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Die Beklagte hat den Kläger zuletzt mit Schreiben vom 12. April 2018 angehört und ihm mitgeteilt, dass der Bauantrag abgelehnt werden soll. Das Vorhaben widerspreche dem Bauplanungsrecht sowie dem Denkmalschutzrecht.
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Mit Bescheid vom 14. Mai 2018 hat die Beklagte den Bauantrag für eine Dachterrassenüberdachung vom 1. März 2016 (Az. ...) abgelehnt (Nr. 1). Der Kläger wurde verpflichtet, die Terrassenüberdachung auf der Dachterrasse zu beseitigen (Nr. 2). Für den Fall, dass die in Nr. 2 aufgegebene Verpflichtung nicht innerhalb von 6 Wochen nach Unanfechtbarkeit des Bescheides erfüllt wird, wurde ein Zwangsgeld in Höhe von 4.000,00 EUR angedroht (Nr. 3).
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Zur Begründung wird ausgeführt, dass die Voraussetzungen des Art. 76 Satz 1 BayBO für den Erlass einer Beseitigungsanordnung und der damit verbundenen Befugnisse erfüllt seien. Die illegale Überdachung einer Dachterrasse sei eine bauliche Anlage im Sinne des Art. 2 Abs. 1 Satz 1 und 3 BayBO, sie sei daher baugenehmigungspflichtig und widerspreche unter anderem dem Denkmalschutzrecht. Die beantragte Dachterrassenüberdachung befinde sich im Altstadtensemble und in der Nähe von verschiedenen Baudenkmälern. Eine störende Wirkung im Ensemble der Altstadt sei gegeben. Nach Feststellung der Unteren Denkmalschutzbehörde und des Bayerischen Landesamtes für Denkmalpflege gehe von dem errichteten Glasdach eine erheblich störende Wirkung im Ensemble aus. Eine Erlaubnis nach Art. 6 BayDSchG könne nicht erteilt werden. Der Bauantrag werde daher unter anderem aus vorgenannten Gründen abgelehnt und die Beseitigung angeordnet. Die Beklagte habe die Beseitigungsanordnung in Vollzug der bauordnungsrechtlichen Beurteilung erlassen, da es sich wie bereits dargestellt um eine illegale bauliche Anlage handele, die sowohl formell als auch materiell rechtswidrig und damit nicht genehmigungsfähig sei. Die erlassene Beseitigungsanordnung entspreche auch unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes dem besonderen öffentlichen Interesse. Die angedrohten Zwangsmaßnahmen würden sich auf Art. 29, 30, 31 und 36 VwZVG stützen. Die Beklagte schätze das wirtschaftliche Interesse an der zu beseitigenden Anlage auf 20.000 EUR, das bei der ersten Zwangsgeldandrohung nicht voll berücksichtigt werde. Die zur Beseitigung gesetzte Frist sei im Hinblick auf Größe und Beschaffenheit der Anlage sowie der Jahreszeit angemessen. Das wirtschaftliche Interesse des Pflichtigen sei nach pflichtgemäßem Ermessen geschätzt worden. Hieran orientiere sich die Höhe des jetzt festgesetzten Zwangsgeldes.
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Mit Schriftsatz vom 1. Juni 2018, bei Gericht per Telefax am selben Tag eingegangen, ließ der Kläger Klage zum Verwaltungsgericht Augsburg erheben und beantragen,
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den Bescheid der Stadt ... vom 14. Mai 2018 (AZ: ...) aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, den Bauantrag des Klägers zur Errichtung einer Dachterrassenüberdachung vom 1. März 2016 positiv zu verbescheiden, hilfsweise den Bauantrag unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu verbescheiden.
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Zur Begründung wird ausgeführt, dass der Kläger Miteigentümer des Mehrparteienwohnhauses, Fl.Nr. ... sei. Hierzu gehöre auch das Sondernutzungsrecht an der Dachterrasse auf dem Gebäude. Es sei ohne weiteres davon auszugehen, dass das Vorhaben bauplanungsrechtlich zulässig sei. Soweit auf Art. 6 BayDSchG abgestellt werde, trage die Begründung im Ablehnungsbescheid die Versagung einer Erlaubnis nach dieser Vorschrift nicht. Voraussetzung für eine erheblich störende Wirkung im Ensemble sei, dass die maßgebliche Umgebung ein entsprechendes Gewicht besitze und wichtige Gründe des Denkmalschutzes für die unveränderte Beibehaltung des bisherigen Zustandes sprechen würden. Maßgebend sei dabei wiederum, ob sich die architektonische Neuschöpfung nach Maßgeblichkeit, Materialqualität und Gestaltung so einfüge, dass das Ensemble mit seinem einheitlichen Erscheinungsbild nicht wesentlich gestört werde. Im vorliegenden Fall sei festzustellen, dass die Dachlandschaft im maßgeblichen Bereich durch inhomogene Dachflächen gekennzeichnet sei. Es fänden sich zahlreiche Dachformen unterschiedlichster Epochen mit unterschiedlichsten Dachaufbauten vor. Insofern sei davon auszugehen, dass der maßgebliche Umgriff sich in den letzten Jahrzehnten dergestalt verändert habe, dass er keinerlei Aussagekraft i.S.d. durch Ensembleschutz verfolgten Ziels mehr besitze. Eine erheblich störende Wirkung im Ensemble könne somit nicht festgestellt werden. Der Bauantrag sei zu Unrecht abgelehnt worden. Infolgedessen sei auch die Beseitigungsanordnung rechtswidrig. Die Baumaßnahme möge derzeit zwar formell illegal sein, sei jedoch materiell genehmigungsfähig, sodass eine Beseitigungsanordnung ausscheide.
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Mit Schreiben vom 20. Juni 2018 hat die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung wird auf den angegriffenen Bescheid Bezug genommen. Ergänzend wird vorgetragen, dass das Vorhaben zwar den Festsetzungen des Bebauungsplans nicht widerspreche, denkmalschutzrechtliche wichtige Gründe aber zur Ablehnung des Bauantrags führen würden. Die Schutzwürdigkeit der Umgebung liege darin, dass sich die Terrassenüberdachung inmitten eines Ensemblebereiches mit Gebäuden aus der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg als auch aus der Nachkriegszeit befände. Die gläserne Überdachung wirke in Zusammenschau mit der Umgebung singulär und erfülle die Anforderungen, die die Umgebung an die Gestaltung, insbesondere des Dachbereiches stelle, nicht.
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Am 10. April 2019 fand ein nicht öffentlicher Augenscheinstermin durch die Berichterstatterin statt. Auf die Niederschrift und die hierbei gefertigten Lichtbilder wird Bezug genommen.
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Am 23. Mai 2019 fand die mündliche Verhandlung statt. Für den Hergang der Sitzung wird auf die hierüber gefertigte Niederschrift verwiesen.
19
Ergänzend wird auf die vorgelegte Behördenakte und die Gerichtsakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage ist in der Sache nicht begründet.
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1. Die Klage ist zulässig, insbesondere ist der Kläger klagebefugt i.S.d. § 42 Abs. 2 VwGO. Zum einen ist er Adressat der Beseitigungsanordnung (Nr. 2 des Bescheides). Zum anderen steht ihm als Bauherr möglicherweise ein Anspruch auf Erteilung der beantragten Baugenehmigung zu, Art. 68 BayBO. Der Kläger trat im Baugenehmigungsverfahren als Bauherr auf und kann auch als Sondernutzungsberechtigter der Dachterrasse einen Bauantrag i.S.d. Art. 64 BayBO stellen und insofern einen Anspruch auf Erteilung der beantragten Baugenehmigung geltend machen. Für einen wirksamen Bauantrag ist nämlich nicht Voraussetzung, dass der Antragsteller selbst auch Eigentümer, besonders Alleineigentümer, Erbbauberechtigter oder sonst Verfügungsberechtigter des Grundstücks ist, auf der die Baumaßnahme durchgeführt werden soll, denn die Baugenehmigung lässt private Rechte Dritter nach Art. 68 Abs. 4 BayBO unberührt (Gaßner in Simon/Busse, BayBO, Stand 132. EL Dezember 2018, Art. 64 Rn. 18).
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2. Die Klage ist jedoch unbegründet.
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Dem Kläger steht kein Anspruch auf Erteilung der beantragten Baugenehmigung zu, weil das Vorhaben nicht genehmigungsfähig ist (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Er hat auch keinen Anspruch auf Aufhebung der Beseitigungsanordnung vom 14. Mai 2018. Der angefochtene Bescheid ist rechtmäßig und verletzt den Kläger insofern nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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a) Nach Art. 68 Abs. 1 Satz 1 BayBO hat der Bauherr einen Anspruch auf Erteilung der Baugenehmigung, wenn dem Bauvorhaben keine öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegenstehen, die im bauaufsichtlichen Genehmigungsverfahren zu prüfen sind.
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Die Überdachungskonstruktion ist nach Art. 55 Abs. 1 BayBO baugenehmigungspflichtig. Dahingestellt bleiben kann, ob auch eine Dachterrassenüberdachung unter die Begriffsbestimmung des Art. 57 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. g BayBO fällt, da jedenfalls die Voraussetzungen für eine Verfahrensfreiheit nach dieser Vorschrift nicht vorliegen, weil die Dachterrasse eine Tiefe von mehr als 3 m hat. Nachdem insoweit eine Baugenehmigung erforderlich ist, entfällt die denkmalschutzrechtliche Erlaubnis nach Art. 6 Abs. 3 Satz 1 BayDSchG. Gleichwohl sind die materiell-rechtlichen Erteilungsvoraussetzungen einer derartigen Erlaubnis im Baugenehmigungsverfahren mit zu überprüfen.
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Da es sich um keinen Sonderbau im Sinne des Art. 2 Abs. 4 BayBO handelt, prüft die Bauaufsichtsbehörde nach Art. 59 BayBO im vereinfachten Verfahren die Übereinstimmung mit den Vorschriften über die Zulässigkeit der baulichen Anlagen nach den §§ 29 ff. BauGB, den Vorschriften über die Abstandsflächen nach Art. 6 BayBO und den Regelungen örtlicher Bauvorschriften im Sinne des Art. 81 Abs. 1 BayBO (Art. 59 Satz 1 Nr. 1 BayBO), beantragte Abweichungen im Sinne des Art. 63 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 2 BayBO (Art. 59 Satz 1 Nr. 2 BayBO) sowie andere öffentlich-rechtliche Anforderungen, soweit wegen der Baugenehmigung eine Entscheidung nach anderen öffentlich-rechtlichen Vorschriften entfällt, ersetzt oder eingeschlossen wird (Art. 59 Satz 1 Nr. 3 BayBO).
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Das Vorhaben ist bereits deshalb nicht genehmigungsfähig, weil zumindest ein Verstoß gegen denkmalschutzrechtliche Vorschriften, die im Baugenehmigungsverfahren mit zu prüfen sind (Art. 59 Satz 1 Nr. 3 BayBO), vorliegt und die Erteilung einer denkmalschutzrechtlichen Erlaubnis nicht in Betracht kommt.
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aa) Nach Art. 6 Abs. 1 Satz 2 BayDSchG bedarf der Erlaubnis, wer in der Nähe von Baudenkmälern Anlagen errichten, verändern oder beseitigen will, wenn sich dies auf Bestand oder Erscheinungsbild eines der Baudenkmäler auswirken kann. Wer ein Ensemble verändern will, bedarf nach Art. 6 Abs. 1 Satz 3 BayDSchG der Erlaubnis nur, wenn die Veränderung eine bauliche Anlage betrifft, die für sich genommen ein Baudenkmal ist oder wenn sie sich auf das Erscheinungsbild des Ensembles auswirken kann. Die Erlaubnis kann in den Fällen des Art. 6 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 1 und 2 BayDSchG nach Art. 6 Abs. 2 Satz 1 BayDSchG versagt werden, soweit gewichtige Gründe des Denkmalschutzes für die unveränderte Beibehaltung des bisherigen Zustands sprechen. Nach Art. 6 Abs. 2 Satz 2 BayDSchG kann die Erlaubnis im Fall des Abs. 1 Satz 2 versagt werden, wenn das Vorhaben zu einer Beeinträchtigung des Wesens, des überlieferten Erscheinungsbilds oder der künstlerischen Wirkung eines Baudenkmals führen würde und gewichtige Gründe des Denkmalschutzes für die unveränderte Beibehaltung des bisherigen Zustandes sprechen. Die Gründe, die für die - mit dem Denkmalschutz grundsätzlich bezweckte - (möglichst) unveränderte Beibehaltung des bisherigen Zustandes sprechen, müssen dabei so viel Gewicht haben, dass sie die für das Vorhaben streitenden öffentlichen und privaten Belange überwiegen (BayVGH, U.v. 27.9.2007 - 1 B 00.2474 - BayVBl. 2008, 141 ff.).
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Art. 6 Abs. 2 Satz 1 und 2 BayDSchG sind als Ermessensvorschriften ausgestaltet. Ob gewichtige Gründe des Denkmalschutzes vorliegen, ist aber ein uneingeschränkt gerichtlich nachprüfbarer unbestimmter Rechtsbegriff auf der Tatbestandsseite der Norm. Nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (U.v. 3.1.2008 - 2 BV 07.760 - juris Rn. 18) ist davon auszugehen, dass Ensembles den gleichen Schutz wie Einzeldenkmäler genießen und ensembleprägende Bestandteile, auch wenn sie keine Baudenkmäler sind, grundsätzlich erhalten werden sollen. Danach ist der Schutzanspruch des Ensembles nicht geringer als der für Einzeldenkmäler, auch wenn er stärker und vorrangiger auf das Erscheinungsbild zielt, das die Bedeutung vermittelt und in seiner Anschaulichkeit zu bewahren ist. Das Vorliegen gewichtiger Gründe ist im Einzelfall festzustellen. Dabei ist davon auszugehen, dass in aller Regel bei jedem Denkmal oder auch denkmalgeschütztem Ensemble das Erhaltungsinteresse besteht und damit Gründe für die unveränderte Beibehaltung des bisherigen Zustands indiziert sind. Die Genehmigungsbehörde ist zu einer Abwägung der für und gegen den Erhalt eines Baudenkmals sprechenden Belange verpflichtet. Grundsätzlich ist das Baudenkmal in der überkommenen Form zu erhalten, denn Ziel des Denkmalschutzes ist es, die Substanz zu schützen und nicht erforderliche Eingriffe zu verhindern (vgl. BayVGH, B.v. 31.10.2012 - 2 ZB 11.1575 - juris Rn. 4).
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bb) Vorliegend sprechen nach Überzeugung der Kammer gewichtige denkmalschutzfachliche Gründe im oben dargestellten Sinne für die Beibehaltung des bisherigen Zustandes. Dies ergibt sich aus den fachlichen Stellungnahmen des Bayerischen Landesamtes für Denkmalpflege, den Ausführungen der Unteren Denkmalschutzbehörde sowie den beim gerichtlichen Augenschein gewonnenen Erkenntnissen.
31
Die Wohnung des Klägers liegt in einem Gebäude, das Bestandteil des denkmalgeschützten Ensembles „...“ ist. Dem Ensemble „...“, das jedenfalls im näheren Umgriff des streitgegenständlichen Vorhabens durch eine historisch noch weitgehend erhaltene Dachlandschaft sowie durch zahlreiche - teilweise in unmittelbarer Nachbarschaft, teilweise in Sichtweite bzw. Blickbeziehung stehende - Einzelbaudenkmäler geprägt ist, kommt eine besondere, auch überregionale Bedeutung zu. Das Landesamt für Denkmalpflege führt hierzu zuletzt in der Stellungnahme vom 12. März 2019 aus, dass der Bereich um das Anwesen des streitgegenständlichen Vorhabens zwar im Zweiten Weltkrieg Zerstörungen erlitten hätte, die bis heute anhand der in der Nachkriegszeit errichteten Ersatzbauten ablesbar seien. Die Bauten des Wiederaufbaus würden allerdings aus heutiger Sicht keinesfalls Störungen oder Beeinträchtigungen des Altstadtensembles darstellen, sondern es würde sich vielmehr um integrale Bestandteile des Ensembles handeln. Im Denkmallistentext sei hierzu auch ausgeführt, dass durch die Neu- und Wiederaufbauten im gesamten Stadtgebiet die städtebauliche Struktur und damit das Bewahren und die Definition der Altstadt als Einheit gegenüber den außenliegenden Stadterweiterungen eindrucksvoll fortgeschrieben worden seien. Die Leistungen des Wiederaufbaus seien somit integraler Bestandteil der Altstadt geworden. Das Erscheinungsbild der Dachlandschaft der Häuser ... ... bis ... sei geprägt von Satteldächern oder flachgeneigten Dächern, die mit Blech oder Dachpappe eingedeckt seien. Das Gebäude, in dem sich die Wohnung des Klägers befinde, leite mit seinem hiervon abweichend gestalteten, ziegelgedeckten Mansard-Flachdach über zu der im Krieg erhalten gebliebenen anschließenden Bebauung (...,, ... usw.), die im Westen von steilgeneigten, ziegelgedeckten Satteldächern geprägt sei. Sowohl die Dachbereiche der aus der Zeit des Wiederaufbaus stammenden Gebäude als auch der aus der Vorkriegszeit stammenden Gebäude seien durchweg nicht als Dachterrassen genutzt. Die Überdachungskonstruktion im betroffenen Ensemblebereich wirke singulär und störend. Derartige Dachaufbauten seien in der Umgebung nicht vorzufinden, sondern allenfalls Kamine und Gauben. Die Störung werde zudem noch verstärkt durch die hervorgehobene Ecklage des Gebäudes hoch über dem ehemaligen Stadtmauerverlauf.
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Der am 9. April 2019 durchgeführte Augenschein und die Erkenntnisse aus der mündlichen Verhandlung haben die Einschätzungen des Landesamtes für Denkmalpflege, dem als Fachbehörde eine Einschätzungsprärogative zusteht (BayVGH, B.v. 31.10.2012 - 2 ZB 11.1575 - juris; Eberl/Martin/Spennemann, DSchG, 7. Aufl. 2016, Art. 6 Rn. 43), bestätigt. Es liegen gewichtige Gründe vor, die für die unveränderte Beibehaltung des bisherigen Zustandes sprechen. Über den nordwestlichen bis südwestlichen Nahbereich des Vorhabens des Klägers erstreckt sich eine Dachlandschaft, die geprägt ist von Satteldächern mit Ziegeleindeckung, die teils mit Gauben und teils mit kleineren Dachfenstern versehen sind. Im östlichen und südöstlichen Umfeld sind flachgeneigte Dächer vorzufinden, die mit Blech oder Dachpappe eingedeckt sind. Soweit Balkone und Terrassen vorhanden sind, sind diese entweder mit Markisen oder mit schmalen Überdachungskonstruktionen, die allerdings an der Hauswand befestigten sind, versehen. Diese sind insofern integrale Bestandteile der jeweiligen Gebäude. Zwar liegt insgesamt keine homogene einheitliche Dachlandschaft vor, dennoch führt das Vorhaben des Klägers dazu, dass eine Störung im Ensemble bewirkt wird. Die aus Glas und Stahl bestehende, aufgesetzte Überdachungskonstruktion des Klägers stellt einen erstmaligen und neuartigen Dachaufbau auf einem Wohngebäude dar, der seinesgleichen in der Umgebung sucht. Auf den in der näheren Umgebung des geplanten Vorhabens befindlichen Wohnhäusern sind keine derartigen Dachterrassenüberdachungen vorzufinden. Die Glasaufbauten auf dem „...“ sind insofern nicht vergleichbar, als mit ihnen eine ganz andere Nutzungsfunktion verbunden ist. Die Glasaufbauten dienen nämlich der Belichtung und Belüftung des „...“. Hierzu hat der Vertreter der Unteren Denkmalschutzbehörde der Beklagten in der mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen, dass das „...“ einer besonderen Nutzung diene und im Stil seiner Entstehungsgeschichte, dem Jugendstil, errichtet worden sei. Es weise nach wie vor ein geschlossenes Dach auf und integriere sich in dieses. Schon im Hinblick auf seine besondere Funktion kann das „...“ keinen Vergleichsmaßstab für die Gebäude im Altstadtensemble, die der Wohnnutzung dienen, darstellen. Ein emporgehobenes, auf ein ohnehin schon höhergelegenes Gebäude aufgesetztes bauliches Element, ist in der Umgebung hingegen noch nicht vorhanden. Des Weiteren ist zu berücksichtigen, dass die Überdachungskonstruktion selbst in dem reduzierten Umfang, den sie durch die zuletzt geänderte Planung erfahren hat, von Norden kommend weiterhin sichtbar bleibt. Außerdem ist die Konstruktion kein Bestandteil des Gebäudes und integriert sich in dieses nicht, sondern ist vielmehr als eigenständiger Baukörper oben aufgesetzt. Hinzu kommt, dass das Gebäude, auf dem das streitgegenständlichen Vorhaben verwirklicht werden soll, an einer exponierten Ecklage liegt, in deren Umgriff sich zahlreiche Einzelbaudenkmäler befinden. Insgesamt bewirkt die Dachterrassenüberdachung als aufgesetzter Dachaufbau deshalb eine Durchbrechung und Störung der Dachlandschaft. Insofern ist auch eine negative Bezugsfallwirkung zu befürchten. Demgegenüber müssen die privaten Interessen des Klägers an dem Vorhaben zurücktreten. Der Nutzungswert für den Kläger liegt nach seinen eigenen Angaben darin, den Aufgangsbereich zu seiner Dachterrasse vor Niederschlag zu schützen. Der Aufgang ist jedoch durch ein Schiebefenster verschließbar und an den Seiten durch hochgezogene gemauerte Seitenwände geschützt. Insgesamt hat der Kläger daher bereits einen eingehausten, abschirmbaren Aufgangsbereich. Die Nutzungsfunktion als Schutz vor Niederschlägen kann daher die Belange des Denkmalschutzes nicht überwiegen. Im Übrigen wäre als Wetterschutz eine bloße Einhausung des Aufgangsbereichs ausreichend.
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Auch wenn keine homogene Dachlandschaft mehr vorhanden ist, ist sie - zusammen mit den in den Baulücken entstandenen Flachbauten - dennoch schützenswert und bislang nicht in einer Weise beeinträchtigt, dass keine gewichtigen Gründe mehr für die Beibehaltung des bisherigen Zustandes sprechen würden. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf die vom Kläger angesprochene 50er-Jahre-Architektur und die in den Baulücken entstandenen Flachbauten. Hierzu führte der Vertreter der Unteren Denkmalschutzbehörde nachvollziehbar aus, dass das Denkmalrecht insoweit Veränderungen zulasse, als diese sich ins Ensemble einfügen. Im betroffenen Quartier im Bereich des ... seien große Neubauprojekte umgesetzt worden, die sich einfügen würden. Ein Denkmal liege immer dann vor, wenn es „aus vergangener Zeit“ stamme. Erforderlich sei ein zeitlicher Abstand, der eine wissenschaftliche Betrachtung ermögliche. Der aufgrund der Kriegszerstörungen erfolgte Wiederaufbau sei als wichtiger Teil für das ... Altstadtensemble mit aufgenommen worden. Auch die Nachkriegsbebauung in der maßgeblichen Umgebung folge einer bestimmten Gestaltungsweise, die aus Flachdächern und flachgeneigten Dächern mit Dachpappe oder Schieferbedeckung bestehe. Dachaufbauten wie solche des streitgegenständlichen Vorhabens enthalte diese Architektur aber gerade nicht. Das Ensemble „...“ im Umgriff des Vorhabens ist daher in der Gestalt, die es durch die historische und nachkriegszeitliche Bebauung erhalten hat, weiterhin schützenswert. Die Bauten des Wiederaufbaus sind insofern zu integralen Bestandteilen des Altstadtensembles geworden. Die Dachterrassenüberdachung als singulärer Dachaufbau fügt sich weder in das Bild der historischen Bebauung ein noch entspricht es der durch die Nachkriegsbebauung neu hineingetragenen Gestaltungsweise.
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Das vom Gericht gem. § 114 Satz 1 VwGO nur eingeschränkt überprüfbare Ermessen hat die Beklagte - noch - ordnungsgemäß ausgeübt. Art. 6 Abs. 2 Satz 1 und 2 BayDSchG verlangt eine Ermessensentscheidung auf Grundlage einer Abwägung der von dem Vorhaben berührten Belange. Die Beklagte hat unter Bezugnahme auf Art. 6 BayDSchG ausgeführt, dass eine Erlaubnis nicht erteilt werden „kann“ und damit zum Ausdruck gebracht, dass sie die von ihr vorzunehmende Ermessenserwägung erkannt hat. Durch die Bezugnahme auf die Feststellungen der Unteren Denkmalschutzbehörde und des Bayerischen Landesamtes für Denkmalpflege ist auch erkennbar, dass die maßgeblichen Gesichtspunkte von der Beklagten erwogen wurden.
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cc) Da sich das beantragte Bauvorhaben damit bereits unter denkmalschutzrechtlichen Gesichtspunkten als unzulässig darstellt, kann offen bleiben, ob der Erteilung der beantragten Baugenehmigung auch bauplanungsrechtliche oder bauordnungsrechtliche Vorschriften entgegenstehen. Insofern geht die Beklagte aber selbst davon aus, dass das Vorhaben den Festsetzungen des Bebauungsplans Nr. ... nicht widerspreche.
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b) Nachdem die Dachterrassenüberdachung sowohl formell als auch materiell illegal ist und damit im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften steht, konnte die Beseitigungsanordnung (Nr. 2 des Bescheides) auf Grundlage von Art. 76 Satz 1 BayBO erlassen werden.
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Nach Art. 76 Satz 1 BayBO kann die Bauaufsichtsbehörde, wenn Anlagen im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften errichtet oder geändert werden, deren teilweise oder vollständige Beseitigung anordnen, wenn nicht auf andere Weise rechtmäßige Zustände hergestellt werden können.
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aa) Die Dachterrassenüberdachung ist eine bauliche Anlage, Art. 2 Abs. 1 Satz 1 und 3 HS 1 BayBO. Für sie lag ursprünglich weder eine Baugenehmigung noch die erforderliche denkmalschutzrechtliche Erlaubnis vor, sie ist demnach formell rechtswidrig. Da eine Baugenehmigung nicht erteilt werden kann (s.o. a)), ist die Anlage auch materiell rechtswidrig.
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bb) Soweit Art. 76 Satz 1 BayBO der Behörde ein Ermessen einräumt, ist unter Berücksichtigung des insoweit nach § 114 Satz 1 VwGO eingeschränkten Prüfungsumfanges des Gerichts die Ermessensausübung der Beklagten rechtlich nicht zu beanstanden.
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Die Beklagte hat im angefochtenen Bescheid die für die Beseitigung sprechenden öffentlichen Interessen in nicht zu beanstandender Weise mit den privaten Interessen des Klägers abgewogen. Ermessensfehler sind insoweit nicht ersichtlich und werden von der Klägerseite auch nicht vorgetragen.
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cc) Die Beseitigungsanordnung ist auch verhältnismäßig. Sie ist geeignet, die baurechtswidrigen Zustände zu beenden. Ein gleich geeignetes, weniger belastendes und damit milderes Mittel ist vorliegend nicht ersichtlich. Die von der Beklagten angebotene Beschränkung der Überdachung auf den Treppenaufgang als Wetterschutz wurde vom Kläger abgelehnt. Damit ist ein milderes Mittel zur Vermeidung der beeinträchtigenden Wirkung nicht ersichtlich.
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Die Anordnung ist auch angemessen und damit verhältnismäßig im engeren Sinne. Die Anordnung der Beseitigung ist zwar mit einem wirtschaftlichen Schaden für den Kläger verbunden. Die Berücksichtigung des wirtschaftlichen Schadens unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit darf allerdings nicht dazu führen, dass im Ergebnis derjenige, der sich baurechtswidrig verhält, gegenüber dem rechtstreuen Bauherren, der sich vor der Errichtung des Bauvorhabens durch ein entsprechendes Verfahren bei der Bauaufsichtsbehörde vergewissert, ob das Vorhaben mit den öffentlich-rechtlichen Vorschriften vereinbar ist und bei einem für ihn nicht positiven Ausgang des Prüfungsverfahrens von der Ausführung des Bauvorhabens Abstand nimmt, bevorzugt wird.
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dd) Die Beklagte hat auch in rechtlich nicht zu beanstandender Weise den Kläger als Adressat der Beseitigungsanordnung herangezogen.
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Mangels spezialgesetzlicher Regelungen in der Bayerischen Bauordnung ist für die Störerauswahl auf die allgemeinen sicherheitsrechtlichen Grundsätze, insbesondere auf Art. 9 LStVG, zurückzugreifen. Der Kläger ist als Eigentümer der Dachgeschosswohnung und Sondernutzungsberechtigter der Dachterrasse sowie als Bauherr sowohl Handlungsstörer (Art. 9 Abs. 1 Satz 1 LStVG) als auch Zustandsstörer (Art. 9 Abs. 2 LStVG). Er wurde damit zu Recht in Anspruch genommen.
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ee) Die dem Kläger gesetzte Frist für die Beseitigung der Terrassenüberdachung (Nr. 3 des angefochtenen Bescheides) von 6 Wochen ist ebenfalls verhältnismäßig. Es ist nicht ersichtlich, dass die Beseitigung einen größeren zeitlichen oder technischen Aufwand erfordert oder nicht ganzjährig ausgeführt werden könnte.
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c) Die Rechtmäßigkeit der Zwangsgeldandrohung in Nr. 3 des Bescheides ergibt sich aus Art. 29 Abs. 2 Nr. 1, 31 Abs. 1 und 36 Abs. 1 und 2 VwZVG. Das angedrohte Zwangsgeld ist hinreichend bestimmt, die Höhe des Zwangsgeldes entspricht den Vorgaben des Art. 31 Abs. 2 VwZVG.
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Nach alledem war die Klage als unbegründet abzuweisen.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Als im Verfahren unterlegen hat der Kläger die Kosten des Verfahrens zu tragen. Der Ausspruch hinsichtlich der vorläufigen Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 167 Abs. 2 VwGO, 708 Nr. 11, 711 ZPO.