Text gilt ab: 01.05.1987

1.   Allgemeines

1.1  

Der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen, insbesondere die Erhaltung und Schonung der heimischen Tier- und Pflanzenarten und ihrer notwendigen Lebensräume ist nach Art. 141 Abs. 1 Satz 3 der Verfassung des Freistaates Bayern vorrangige Aufgabe des Staates.

1.2  

Die Bildung von Wildschutzgebieten (Art. 21 Abs. 1 bis 3 und Abs. 4 BayJG) erweist sich als notwendig, um bei der zunehmenden Inanspruchnahme der freien Natur durch die Bevölkerung, insbesondere durch Erholungssuchende, Zonen der Ruhe ausweisen zu können, die den oftmals bestandsbedrohten Wildarten wenigstens zeitweise, vornehmlich während der Überwinterungs-, Fortpflanzungs-, Aufzucht- und Mauserzeit ungestörten Aufenthalt bieten. Weiter veranlasst die Wildschadenssituation – vor allem im Hoch- und Mittelgebirge – dazu, vermehrt Wildschutzgebiete zur störungsfreien Durchführung der Wildfütterung und damit zur Wildschadensverhütung auszuweisen.
Der Bayer. Landtag hat mit Beschluss vom 5.6.1984 betreffend Maßnahmen zum Schutze des Bergwaldes (Drs. 10/3978) u. a. gefordert, „Maßnahmen wie Wildschutzgebiete und Wegegebote, mit denen die Unruhe in der Landschaft und damit die Stresssituation des Wildes reduziert werden, mit Nachdruck zu fördern“.
Mit Beschluss vom 19.3.1986 (Drs. 10/9714) wurde die Staatsregierung u. a. ersucht, Ruhezonen um Fütterungsbereiche zur Vermeidung von Wildschäden auszuweisen.

1.3  

Mit diesen Maßnahmen wird zwangsläufig das in Art. 141 Abs. 3 Satz 1 BV als Grundrecht verbürgte Recht auf Naturgenuss und Erholung in der freien Natur berührt. Beschränkungen dieses Grundrechts sind nur in engen Grenzen dort möglich, wo andere schutzwürdige Güter dies erfordern, etwa höherrangige Interessen der Allgemeinheit oder die Abwehr erheblicher durch die Wahrnehmung dieses Rechts dem einzelnen Grundeigentümer oder der Allgemeinheit entstehender Schäden.
Andererseits kennt auch die Verfassung selbst Grenzen der Ausübung des Grundrechts, wenn nach Art. 141 Abs. 3 Satz 2 BV jedermann verpflichtet ist, mit Natur und Landschaft pfleglich umzugehen. Darauf zielen auch Art. 141 Abs. 1 Sätze 2 und 3 BV ab.
Auch der Bayerische Verfassungsgerichtshof hat klargestellt, dass das Grundrecht dort seine Grenzen findet, wo Rechte anderer beeinträchtigt oder wo die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verletzt werden oder wo höhere Interessen der Allgemeinheit es erfordern (VerfGH in BayVBl 80, 589 ff.).
Einschränkungen dieses Grundrechts sehen beispielsweise auch das Bayer. Naturschutzgesetz vor, etwa das Gebot der Gemeinverträglichkeit (Art. 21 Abs. 2), die Beschränkungen des Betretungsrechts nach Art. 26 Abs. 1 und die besonderen Gebote und Verbote für Natur- und Landschaftsschutzgebiete (Art. 7 ff.), und das Bayer. Wassergesetz in Art. 22 (Regelung des Gemeingebrauchs).

1.4  

Die mit der Ausweisung von Wildschutzgebieten verbundenen Einschränkungen des in Art. 141 Abs. 3 Satz 1 BV verbürgten Grundrechts müssen sich innerhalb der zulässigen Schranken halten, die der Ausübung des Grundrechts gesetzt sind (s. o. Nr. 1.3). Der Wesensgehalt des Grundrechts darf dabei nicht angetastet werden. Vielmehr müssen sich die Beschränkungen am Schutzzweck des Grundrechts orientieren und geeignet, erforderlich und verhältnismäßig sein (VerfGH a.a.O.). Es wird im Rahmen der Geeignetheit zu klären sein, ob mit den beabsichtigten Maßnahmen auch die zur Erhaltung bestandsbedrohter Wildarten bezweckten Ziele erreicht werden können. Dies ist vor allem von Bedeutung, wenn vorhandene ordnungsgemäße Nutzungsformen eingeschränkt werden müssen. Bei der Erforderlichkeit ist zu prüfen, ob nicht durch andere Maßnahmen, z.B. geeignete Loipenführung, Biotopschutzmaßnahmen oder Regelung der Wilddichte, sich generelle Verbote der Ausübung des Betretungsrechts erübrigen. Wildbiologische Untersuchungen haben gezeigt, dass sich Schalenwild allgemein gut an örtlich und zeitlich fixierte und deshalb vorhersehbare Störungen durch Erholungssuchende gewöhnt. Dies gilt insbesondere für den Erholungsverkehr, der auf Straßen und Wanderwege beschränkt bleibt. In aller Regel werden daher Wegegebote und sonstige verkehrslenkende Maßnahmen, wie z.B. geänderte Loipenführung oder Festlegung von bestimmten Skiabfahrten bei Wildschutzgebieten und Ruhezonen, zum Zwecke der Wildschadensverhütung bzw. zur Durchführung der Wildfütterung in Notzeiten ausreichen. Für Schalenwild kommen Ruhezonen im wesentlichen nur zur Wildschadensverhütung in Betracht.
Schließlich müssen im Rahmen der Verhältnismäßigkeit die Beschränkungen sowohl vom räumlichen als auch vom zeitlichen Umfang her auf das unbedingt erforderliche Mindestmaß reduziert werden. Die unter Nrn. 2.3 und 2.4 angegebenen Schutzzeiten sind nur Rahmenwerte. Insgesamt folgt daraus, dass von hoheitlichen Maßnahmen nur zurückhaltend Gebrauch gemacht werden sollte, etwa wo es die Bestandssituation zwingend gebietet, dass vorrangig aber die Möglichkeit der Aufklärung und Information sowie freiwilliger Vereinbarungen (s. Nr. 3) gewählt werden sollten. Schließlich ist jeweils zu prüfen, ob die jagd- oder die naturschutzrechtlichen Möglichkeiten (etwa die Festsetzung als Naturschutzgebiet nach Art. 7 BayNatSchG, der Erlass einer Schutzverordnung nach Art. 12 BayNatSchG oder die Beschränkung des Betretungsrechts nach Art. 26 BayNatSchG) die sachgerechtere Lösung bieten.