Inhalt

Text gilt ab: 01.10.2012

1. Geschichtliche Entwicklung

Die historische Bilanzierung wird heute, mehr als zwei Jahrzehnte nach dem Ende des Kalten Krieges und nach der Wiedervereinigung Deutschlands in der Mitte Europas, mit Blick auf die Gesamtheit der deutsch-französischen Beziehungen von drei Grundfaktoren auszugehen haben:
Von einer Vielfalt kultureller Begegnungen und Befruchtungen, die zumeist von Frankreich aus ihren Weg nach Deutschland nahmen, beginnend mit Epik und Gotik im Mittelalter, über französische Dramatik, Sprache und Lebenskultur in der Zeit des Absolutismus – – insofern bietet sich auch eine Anknüpfung an das 300. Geburtsjahr Friedrichs des Großen 2012 an – – bis hin zur existentialistischen Philosophie und Literatur nach dem 2. Weltkrieg. Letztere leistete einen beachtlichen Beitrag zur „Verwestlichung “ der kulturellen Milieus zunächst im Westdeutschland der frühen Nachkriegszeit.
Der zweite Komplex bezeichnet die sogenannte „deutsch-französische Erbfeindschaft “. Sie war noch mehr für imaginierte Geschichtsbilder als für reale historische Prozesse beiderseits des Rheins förmlich konstitutiv geworden und erreichte ihren Höhepunkt im frühen 20. Jahrhundert. Diese „Erbfeindschaft “ trug in vielfacher deutscher Abgrenzung gegenüber den Bildern von französischer Politik nicht unwesentlich zur Herausbildung auch prekärer nationaler deutscher Identität bei. Symbolhafter Höhepunkt dieser in hohem Maße antifranzösischen deutschen Nationsbildung war die Proklamierung des Kaiserreiches am 18. Januar 1871 im Spiegelsaal von Versailles. Für die Folgejahrzehnte bis zum 2. Weltkrieg muss man davon ausgehen, dass die durchaus gegebenen Ansätze zu deutsch-französischen Verbindungen, durch Kommunikation wie Kooperation, ob in Malerei, Literatur, Philosophie, aber auch in der Wirtschaft, im Ergebnis doch Chauvinismus und konfrontativem Denken unterlagen.
Der Aufbau intensiver deutsch-französischer Kooperation erschien nach dem 2. Weltkrieg und vor dem Hintergrund des Kalten Krieges, als wesentliche Voraussetzung für die Gestaltung eines innerlich gefestigten westlichen Staatensystems. Demgegenüber traten in der Nachkriegszeit die Rolle von Nation und Nationalstaat zurück.
Für die Gegenwart ist insbesondere auf die Wirkung der „Globalisierung “ seit den neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts hinzuweisen. Sie droht das Gewicht Europas und darunter auch das seiner größeren Staaten zu marginalisieren und sie macht es unabweisbar, dass die innereuropäischen Kooperationsmuster, darunter mit an erster Stelle das deutsch-französische Verhältnis, weiter verdichtet werden.