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Text gilt ab: 30.01.1990
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Hausunterricht für längerfristig kranke Schüler - Orientierungshilfen zur Erteilung des Hausunterrichts

KWMBl. I 1990 S. 10


2230.1.1.1.1.0-K
Hausunterricht für längerfristig kranke Schüler - Orientierungshilfen zur Erteilung des Hausunterrichts
Bekanntmachung des Bayerischen Staatsministeriums
für Unterricht und Kultus
vom 5. Oktober 1989 Az.: III/10 - 4/88 708
Hausunterricht wird aufgrund des Art. 9 Abs. 6 des Bayerischen Gesetzes über das Erziehungs- und Unterrichtswesen1 und der Verordnung über den Hausunterricht vom 29. August 1989 (GVBl S. 455, KWMBl I S. 255) erteilt. Der Hausunterricht soll den Bildungsauftrag der Schule erfüllen und dabei die besondere Situation von Krankheit und mangelnder Schulbesuchsfähigkeit berücksichtigen.

1 [Amtl. Anm.:] nichtamtliche Anmerkung, Stand Juli 2004: jetzt Art. 23 Abs. 2 und 3 Bayerisches Gesetz über das Erziehungs- und Unterrichtswesen

1. Gründe und Ziele für den Hausunterricht

Längerfristig kranke Schüler befinden sich in einer erschwerten Lebenssituation. Ihre Gesundheit, ihr psychisches Gleichgewicht und ihre sozialen Beziehungen sind beeinträchtigt.
Der Hausunterricht soll die Wiedereingliederung in den normalen Schulbetrieb vorbereiten und Befürchtungen vermindern, in den schulischen Leistungen zurückzubleiben.
Durch den Hausunterricht sollen soweit wie möglich Wissenslücken oder gar der Verlust eines Schuljahres vermieden werden. Es soll erreicht werden, dass der kranke Schüler in seine Klasse an der Stammschule zurückkehren und dort weiterhin am Unterricht teilnehmen kann. Schüler, die wegen schwerer Erkrankungen und deren Folgen nicht mehr in ihre Stammklassen zurückkehren können, sind auf den ihnen gemäßen Bildungsweg vorzubereiten, entsprechend zu beraten und in angemessener Weise zu fördern. Dabei kann die Schule für Kranke helfend mitwirken.
Der Hausunterricht soll auch dazu beitragen, dass der Gesundungswille des Schülers und sein Selbstwertgefühl gestärkt werden, sodass er sich aktiv an den Behandlungsmaßnahmen beteiligt und Zukunftsperspektiven entwickelt.
Der kranke Schüler soll sich durch den Hausunterricht als Person angenommen und mit seiner Krankheit und über diese hinaus ernst genommen fühlen. Das durch den Hausunterricht gesicherte Fortführen bisheriger Erlebens- und Handlungsformen unterstützt den Patienten und führt die Gleichgewicht gebende Schülerrolle weiter.

2. Anforderungen an den Lehrer

Die unterschiedlichen Krankheitsbilder erfordern vom Lehrer ein Sich-Vertraut-Machen mit den Krankheiten und ihren individuellen Auswirkungen auf Erleben und schulisches Lernen sowie Einfühlungsvermögen und Flexibilität. Gelegentlich sieht sich der Lehrer existenziellen Fragen gegenüber, die dem Schüler aus der Belastung durch die Krankheit entstehen. Der Lehrer des Hausunterrichts ist also Erzieher, Vermittler von Wissen und Können, Berater, Helfer, Wegbegleiter. Er erfüllt seine Aufgaben im vertrauensvollen Zusammenwirken mit dem kranken Schüler und dessen Erziehungsberechtigten, außerdem mit dem behandelnden Arzt und den gegebenenfalls angeordneten medizinischen Diensten. Unerlässlich sind für den Lehrer des Hausunterrichts Kenntnisse darüber, bei welchen Krankheiten er sich einer Ansteckungsgefahr aussetzt oder wann er bei einem kranken Schüler mit Immunbeeinträchtigungen für sich selbst Schutzmaßnahmen ergreifen muss.

3. Gestaltung des Hausunterrichts

Individualisierung und Differenzierung sind Kennzeichen des Hausunterrichts. Der Hausunterricht geht von den Lehrplänen der vom kranken Schüler besuchten Schulart und Jahrgangsstufe aus. Für Schüler an Grundschulen, Hauptschulen und Sonderschulen bilden die Unterrichtsfächer Deutsch, Mathematik und Unterrichtsfächer des Sachunterrichts Schwerpunkte; für Schüler anderer Schularten können neben Deutsch und Mathematik andere Unterrichtsfächer, in denen zum Beispiel der Lernstoff auf den vorausgehenden Inhalten aufbaut, vordringlich erteilt werden. Es ist unerlässlich, im Einzelfall einen gewissen Minimalkanon von Fächern festzulegen. Jede Schulart wird ihre Vorrückungsfächer als vorrangig ansehen. Nach Möglichkeit wird wegen der therapiestützenden Wirkung auch im Hausunterricht musiziert und geeignete Literatur behandelt. Auch die Unterrichtsfächer Religionslehre und Ethik sowie Kunsterziehung und Werken sollen soweit wie möglich berücksichtigt werden. Bei Berufsschülern und Berufsfachschülern beschränkt sich der Unterricht auf die fachtheoretischen Fächer.
Die Unterrichtszeiten für den einzelnen Schüler sind flexibel zu gestalten. Im Unterricht ist fortwährend zu beachten, wie weit der kranke Schüler die Lernaufgaben bewältigen kann. Die Entscheidung über den im Einzelfall möglichen Umfang des Unterrichtsangebotes hat der behandelnde Arzt.
Der Hausunterricht ist Einzelunterricht. Im Krankenhaus kann Hausunterricht auch als Gruppenunterricht durchgeführt werden. Der Lehrer hat dadurch die Möglichkeit, sich ganz auf die Motivation, den individuellen Lernrhythmus sowie die psychische und physische Verfassung des kranken Schülers einzustellen und diese zu stützen. Bedingt durch die jeweilige Krankheit und die jeweiligen medizinischen Maßnahmen kann mit einem Schüler unter Umständen nur mündlich oder ausschließlich schriftlich gearbeitet werden.
Zum Nachweis des Leistungsstandes kann der Schüler schriftliche und mündliche Leistungen erbringen, soweit seine Krankheit dies gestattet. Werden Leistungsnachweise erbracht, sollen sie auch bewertet werden.
Die Leistungsfähigkeit des kranken Schülers nimmt häufig auch wegen der Intensität des Einzelunterrichts rasch ab. Aber selbst schwer kranke Schüler wollen vielfach nicht darauf verzichten, Leistung zu erbringen. Schont dann der Lehrer in seiner Betroffenheit den Schüler, so begegnet ihm dieser mit Misstrauen, weil er sich aufgegeben fühlt.
Je nach Leistungsvermögen soll der kranke Schüler zur selbständigen Arbeit angeregt und entsprechend mit Unterrichts- und Übungsmaterialien versorgt werden. Dies erfordert die Auswahl und Verwendung geeigneter Lernmittel und Lernhilfen.

4. Schwierigkeiten beim Hausunterricht

Der Lehrer sieht sich einer Reihe von Problemen ausgesetzt, die in den organisatorischen und didaktischen Überlegungen mit berücksichtigt werden müssen. Längerfristige Lernplanung ist oft nicht möglich.
Krankheiten und ihre Symptome behindern den Unterrichtsverlauf in unterschiedlichem Maße. Krankheit kann von Schmerzen, Müdigkeit, Schwäche, Medikamentennebenwirkungen begleitet sein. Spezifische Schwierigkeiten ergeben sich für Schüler, die liegen müssen, die sich durch das Verhalten von Familienmitgliedern gestört fühlen, denen die Motivation durch Mitschüler fehlt. Bei manchen Patienten stellen sich Aggression und Resignation ein, wenn Anforderungen nicht angemessen sind und nachlassende Schulleistungen als schmerzlich empfunden werden. Der Hausunterricht hat den diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen den Vorrang zu geben, Störungen in Kauf zu nehmen, die durch medizinisch-technische und andere Behandlungsformen bedingt sind; er muss gelegentlich auch verlegt werden.

5. Zusammenarbeit mit dem Arzt

Bei der Erfüllung des Erziehungs- und Bildungsauftrages ist der Lehrer zur gedeihlichen Zusammenarbeit mit dem behandelnden Arzt verpflichtet. Sein Kontakt zum Arzt und gegebenenfalls dessen Mitarbeitern ist für ein förderliches Arbeiten unumgänglich, um die erzieherischen und schulischen Belange zum Wohl des kranken Schülers zu wahren. Eine geeignete zeitliche Koordination von Behandlung und Unterricht verlangt sorgfältige Abstimmung. So muss der Unterricht an mehreren Wochentagen, gelegentlich auch nachmittags erteilt werden. Für den Lehrer kommt es hier zu Einschränkungen in seiner Handlungs- und Entscheidungsfreiheit.

6. Zusammenarbeit mit den Erziehungsberechtigten

Das Zusammenwirken zwischen Lehrer und Erziehungsberechtigten ist notwendige Voraussetzung für das Gelingen des Hausunterrichts. Bei der Erfüllung des Unterrichtsauftrages berücksichtigt der Lehrer die häusliche Situation und sorgt zusammen mit den Erziehungsberechtigten für den erforderlichen geordneten Bereich zur Erteilung des Unterrichts.
Umfang und Form des Unterrichts sind mit dem kranken Schüler und seinen Erziehungsberechtigten rechtzeitig zu besprechen. Es muss vermieden werden, dass zu hohe Leistungserwartungen an den kranken Schüler gestellt werden oder dass es zur Überbehütung kommt. Überforderung oder Unterforderung ist jedoch in gleicher Weise entgegenzuwirken. Anregungen und Vorschläge müssen beraten werden. Die Unterstützung der Familie bei der Bewältigung der Krankheit und die Unterrichtsarbeit des Lehrers müssen geprägt sein vom gemeinsamen Helfen, angemessener Kommunikation, Offenheit für eine Veränderung der eigenen Sichtweise, Vertrauen und gegenseitiger Entscheidungshilfe.

7. Organisatorische Voraussetzungen

Den Hausunterricht genehmigen die Schulleiter, bei Volks- und Sondervolksschulen die staatlichen Schulämter, die jeweils einer Zustimmung der in § 7 Abs. 1 der Verordnung über den Hausunterricht benannten Stellen bedürfen. Dies hat weniger schulaufsichtliche, als haushaltstechnische Gründe. Die Genehmigung ist für den Hausunterricht an staatlichen Schulen einzuholen, für den von kommunalen und privaten Schulen erteilten Hausunterricht dann, wenn nach §§ 8 und 9 Zuwendungen für die im Zusammenhang mit dem Hausunterricht entstehenden Kosten gewährt werden sollen. Aufgabe der Genehmigungsbehörde ist es weiter, bei den staatlichen Schulen die Lehrer zu bestimmen, die den Hausunterricht erteilen sollen (§ 7 Abs. 2 Satz 1).
Nach § 7 Abs. 2 der Verordnung sollen den Hausunterricht möglichst die Lehrer geben, die den kranken Schüler auch in der Klasse betreuen würden. Soweit Lehrerstunden nicht zur Verfügung stehen, kann Mehrarbeit angeordnet werden. Soweit dies nicht möglich ist, können andere Lehrer der Schule eingesetzt werden, gegebenenfalls können auch Aufträge für nebenamtlichen und nebenberuflichen Unterricht vergeben werden. Stattdessen ist auch die Heranziehung von Lehrern anderer Schulen, die nicht ausgelastet sind, möglich. Diese Reihenfolge ist bewusst so geordnet. In vielen Fällen wird die Anordnung von Mehrarbeit unvermeidlich sein.
Soweit die Anordnung von Mehrarbeit und von Dienstreisen zur Erteilung des Hausunterrichts erforderlich ist, haben die zuständigen Stellen dies bei Genehmigung beziehungsweise Zustimmung zu verfügen. Die Unterrichtspflichtzeit der Lehrer der einzelnen Schulgattungen bleibt jeweils unverändert. Die Zeiten für die An- und Abfahrt gehören zur zeitlich nicht festgelegten Arbeitszeit des Lehrers außerhalb seiner Unterrichtspflichtzeit.
I.A.
Dr. Kaiser
Ministerialdirigent
KWMBl I 1990 S. 10