Inhalt

Text gilt ab: 18.06.1996

2. Grundsätze und Ziele schulischer Suchtvorbeugung

Drogenkonsum und die Gefahr der Abhängigkeit können neben vielen anderen Ursachen einerseits aus Situationen entstehen, bei denen Suchtstoffe trügerisch als Mittel der Flucht oder Befreiung erscheinen; solche Situationen können sich ergeben durch verängstigende Erziehungspraktiken, persönliche Unsicherheiten, Scheitern beim Berufseintritt, schlechte Zukunftsperspektiven, Krisen- und Konfliktsituationen, wie sie beispielsweise während der Zeit der Pubertät im Ablöseprozess vom Elternhaus oder im Umgang mit dem anderen Geschlecht auftreten. Andererseits können sich Gefährdungen aus dem entwicklungspsychologisch bedingten Probier- und Neugierverhalten von Jugendlichen, dem Gruppendruck Gleichaltriger oder durch Werbung und ungünstige Medienbeeinflussung entwickeln.

2.1 

Kernstück jeder Erfolg versprechenden Suchtprävention ist das pädagogische Bemühen um die Entwicklung des Schülers zu einer harmonischen ausgeglichenen, sich selbst vertrauenden, zu eigenverantwortlicher Lebensgestaltung fähigen Persönlichkeit, die gelernt hat, rechtzeitig nein sagen zu können, für die ein Leben ohne Missbrauch von Drogen selbstverständlich ist.
Es gilt daher, Einstellungen und Handlungskompetenzen zu fördern, die zu konstruktiven Lösungen alltäglicher Lebensprobleme wie auch zur Bewältigung schwieriger Existenzfragen beitragen.
Schulische Suchtprävention in diesem Sinne ist keine sporadische, isolierte und nur auf Drogen ausgerichtete Einzelmaßnahme. Sie ist umfassende Aufgabe aller Unterrichtsfächer. Einmalige Aktionen zur Suchtprävention können zwar Anstöße geben, aber nur eine langfristige, kontinuierliche Erziehung kann positive Einstellungen und Verhaltensweisen aufbauen.
Suchtvorbeugung ist Teil des stetigen Bildungs- und Erziehungsauftrags der Schule. Wenn Lehrer diesen Auftrag wahrnehmen und die psychosoziale Entwicklung ihrer Schüler möglichst vielfältig und intensiv fördern, erfüllen sie faktisch Aufgaben der Suchtprävention. Dazu gehört auch, dass den im Schulalltag möglichen Ursachen für Suchtverhalten entgegengewirkt wird.
Schule ist nicht nur ein Ort der Wissensvermittlung, Schule hat gleichermaßen den Bedürfnissen der Kinder und Jugendlichen nach Freude, Wärme und Geborgenheit entgegenzukommen. Sie muss auch spannende und ungewöhnliche Erlebnisse einbeziehen. Schule soll ein als sinnvoll empfundener Erfahrungsraum im Kindes- und Jugendalter sein.

2.2 

Das Vorleben und Vorbild der Erwachsenen in Konfliktsituationen sowie beim Umgang mit Suchtmitteln prägen unmittelbar die Einstellungen der Heranwachsenden. Es ist daher für jeden Erzieher wesentlich, die eigene Position und die Wirkung des eigenen Verhaltens im Blick auf die Schüler zu überdenken.
Auch die Auseinandersetzung mit vorbildlichen Persönlichkeiten aus Geschichte und Gegenwart kann Orientierung geben.

2.3 

Der vertrauens- und respektvolle Umfang zwischen Lehrern und Schülern und ein gesprächsoffenes Schulklima sind ebenfalls ein wichtiges Fundament für die Suchtprävention.
Lehrer und Schüler sollten ein „Wir-Gefühl“ entwickeln. Von Schülern und Lehrern gemeinsam vorbereitete und durchgeführte Veranstaltungen, wie Schulfeste, Theater- und Musikaufführungen, Schulsportfeste, Schulskikurse, Wanderfahrten, Besichtigungen, freiwillige Arbeitsgemeinschaften oder Neigungsgruppen in den einzelnen Fächern, Projekt- und Studientage, Ausstellungen, Diskussionsrunden und Ähnliches mehr, tragen wesentlich dazu bei. Alle Initiativen und Projekte, die Drogenkonsum und passivem Konsumverhalten entgegenwirken können, sowie auch eine die Eigenaktivität und Verantwortung der Jugendlichen fördernde Freizeitgestaltung oder soziales Engagement sind in aller Regel unterstützenswert.

2.4 

Das Wissen um die Gefahr ist nur ein Teil der Vorbeugung. Altersgemäße, verantwortungsbewusste und sachliche Informationen über Sucht und deren Folgen, die Wirkung von Suchtmitteln. Drogenabhängigkeit begünstigende Faktoren, Möglichkeiten der Beratung und Therapie sowie rechtliche Grundlagen sind zwar unverzichtbar, sie können aber nur im Verein mit der psychosozialen, nicht speziell auf Drogen ausgerichteten Erziehungsarbeit ihre präventive Wirkung recht entfalten. Rein drogenzentrierte Sachinformation, speziell Überinformation, kann bei Jugendlichen eher zu Neugier und dadurch zu Konsumbereitschaft führen, anstatt sie abzubauen.
Schwarzweißmalerei zur Abschreckung, sensationelle Darstellungen, einseitige Detailschilderungen und verzerrende Teilinformationen sowie die Mystifizierung illegaler Drogen sind untaugliche Mittel, um nachhaltige Verhaltensänderungen zu bewirken. Auf viele, insbesondere gefährdete Jugendliche können schockierende Schilderungen von Gefahren sogar eher anziehend anwirken; darüber hinaus können sie von den eigentlichen Ursachen des Drogenproblems ablenken.

2.5 

Daher sollten auf jeden Fall nur diejenigen Drogen besprochen werden, die den Schülern aus dem Alltag bekannt sind oder zu denen Schüler Fragen haben. So ist in den unteren Jahrgangsstufen in erster Linie auf die legalen Suchtmittel Nikotin, Alkohol und den Missbrauch von Medikamenten einzugehen. Ab der Mittelstufe sind die illegalen Drogen fest in die Besprechung einzubeziehen. Das gilt auch für die Darlegung der schädlichen Folgen des „Schnüffelns“ organischer Lösungsmittel.

2.6 

Im Besonderen zielt schulische Suchtvorbeugung auf
die totale Abstinenz im Hinblick auf illegale Drogen,
den selbstkontrollierten, auf weitgehende Abstinenz abzielenden Umgang mit legalen Suchtmitteln,
den bestimmungsgemäßen Gebrauch von Medikamenten.

2.7 

Die Thematik „Sucht“ kann in allen Jahrgangsstufen aus der Sicht vieler Fächer angegangen werden.
So kann beispielsweise bereits bei der Thematik „Kind und Gesundheit“ im Rahmen der Heimat- und Sachkunde in den Jahrgangsstufen 1 mit 4 der Grundschule behutsam an Erfahrungen und Erlebnisse der Schüler suchtpräventiv angeknüpft werden. Auch situatives, fächerübergreifendes Arbeiten bietet sich an.
In den weiterführenden und beruflichen Schulen wird der Biologie- und Chemieunterricht auf die biologisch-medizinischen Grundlagen eingehen, wobei sich aber auch diese Fächer mit den psychosozialen Fragen der Entstehung und Auswirkung von Sucht beschäftigen sollten.
Die Fächer Sozialkunde, Erziehungskunde und Sozialwesen bieten die Möglichkeit, gesellschaftliche Ursachen und Bedingungen von Suchtproblemen und deren soziale Auswirkungen zu behandeln.
Im Unterricht in Religionslehre und Ethik kann aufgezeigt werden, dass ein an der christlichen Ethik ausgerichtetes Leben eine Flucht in die Betäubung durch Drogen verhindert.
Die Analyse geeigneter Texte ermöglicht es, im Fach Deutsch auf die Suchtproblematik und deren Bewältigung einzugehen.
Der Sportunterricht vermittelt Körperbewusstsein und trägt zur Gemeinschaftsbildung bei, wodurch ein Abgleiten in drogengefährdete Isolation verhindert werden kann. Richtig verstandene sportliche Betätigung ist eine attraktive Alternative für die Gestaltung eines Lebens frei von Drogenmissbrauch.
Die Lehrpläne dieser und weiterer Fächer weisen z. T. bereits entsprechende Lernziele auf oder bieten zahlreiche geeignete Anknüpfungspunkte.
Die Behandlung dieses Themas darf nicht der Gefahr erliegen, auf Schüler penetrant und moralisierend zu wirken. Dies könnte Ablehnung und Widerstand erzeugen. Es ist besser, das Thema eher kurz zu behandeln und während der gesamten Schulzeit immer wieder aufzugreifen. Möglichkeiten dazu bieten vor allem auch konkrete Anlässe und Tagesereignisse.

2.8 

Zur Unterstützung des Unterrichts empfiehlt es sich, auf das breite Angebot an (zugelassenen) Medien zum Thema „Drogen“ zurückzugreifen. Soweit die Medien und entsprechende Begleitmaterialien nicht an der jeweiligen Schule verfügbar sind, können sie bei den Staatlichen Landesbildstellen bzw. den kommunalen Stadt- und Kreisbildstellen ausgeliehen werden.

2.9 

Insgesamt gesehen, bedeutet Suchtprävention Hilfe zur Entwicklung der Persönlichkeit.
Suchtprävention muss an den Ursachen ansetzen und stellt daher eine gemeinsame und kontinuierliche Erziehungsaufgabe in allen Bereichen des Gemeinschaftslebens der Kinder und Jugendlichen dar, in Elternhaus, Kindergarten, Schule, Berufsausbildung, Jugendgruppen und Freizeitstätten. Sie wird in erster Linie durch drogenspezifische Maßnahmen verwirklicht, die altersgemäß und behutsam durch eine drogenspezifische Aufklärung ergänzt werden.
Viele Verhaltensweisen, die erst in späteren Jahren die Haltung gegenüber Suchtmitteln mitbestimmen, werden oft schon in der Kindheit angebahnt und geprägt.
Suchtprävention ist Teil des Bildungs- und Erziehungsauftrags der Schule. Die Schulleiter sollten daher dieses Thema in Lehrerkonferenzen und Schulforum immer wieder aufgreifen und diskutieren. Wichtig sind auch die Sensibilisierung und Aktivierung der Verbindungslehrer und der Schülermitverantwortung.

2.10 

Manifestes Suchtverhalten liegt in der Regel außerhalb der Behandlungsmöglichkeiten durch die Schule. Sie kann nur einen wichtigen Beitrag zur Vorbeugung leisten und eine begleitende Betreuung besonders suchtmittelgefährdeter Schüler versuchen.