Inhalt

FG Nürnberg, Urteil v. 20.07.2023 – 8 K 431/22
Titel:

Steuerpflicht und Krankenversicherung

Normenketten:
EStG § 10 Abs. 4
SGB V § 13 Abs. 2 S. 12
FGO § 100 Abs. 1 S. 1
Leitsatz:
Der Zweck des Bürgerentlastungsgesetzes Krankenversicherung vom 16.07.2009 (BGBl I 2009, 1959) ist es, die durch das Sozialstaatsprinzip geforderte steuerliche Verschonung des sog. sächlichen Existenzminimums zu gewährleisten und insoweit – aber auch nur insoweit – die dazu notwendigen Aufwendungen zum Abzug zuzulassen. Diesem Zweck widerspräche es, wenn es dem Steuerpflichtigen möglich wäre, durch den Abschluss mehrerer Krankenversicherungen eine über das Erforderliche hinausgehende Steuerverschonung zu erhalten (vgl. BFH-Urteil vom 29.11.2017 X R 5/17). (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagwort:
Einkommensteuer
Fundstellen:
EFG 2024, 291
StEd 2023, 729
BeckRS 2023, 31648
LSK 2023, 31648

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kosten des Verfahrens haben die Kläger zu tragen.

Tatbestand

1
Streitig ist, ob in den Jahren 2010 bis 2019 Beiträge für private Krankenversicherungen anteilig neben den vollen Beiträgen zur gesetzlichen Krankenversicherung nach Ausschöpfung des Höchstbetrages des § 10 Abs. 4 EStG abzugsfähig sind.
2
Die Kläger werden zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger bezieht Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit und in den Jahren 2017 – 2019 sonstige Einkünfte (Rentenleistungen).
3
Der Kläger war in den Streitjahren freiwillig in der gesetzlichen Krankenversicherung (im Folgenden GKV) versichert, die Klägerin und die gemeinsamen volljährigen Kinder T und K waren beitragsfrei mitversicherte Familienangehörige.
4
Die Kläger hatten u.a. private Zusatzkrankenversicherungen (im Folgenden: PKV) wie folgt abgeschlossen: Bei der Z Versicherung für die Klägerin, den Kläger, T und K den Tarif A (= Ergänzungstarif für Zahnersatz und Inlays), für T und K die Tarife B1 und B2 (= Ergänzungstarife zur Kostenerstattung durch die GKV für ambulante privat- und privatzahnärztliche Heilbehandlung bzw. stationäre Heilbehandlung, Versicherungsnummer: Nr. 0001) sowie bei der U für die Klägerin, vormals V, die Tarife C 1 und C2 (= Ergänzungstarife für ambulante Heilbehandlung bzw. allgemeine Krankenhausleistungen bzw. Krankenhaus-Wahlleistungen) und für den Kläger den Tarif C3 (= Ergänzungstarif für allgemeine Krankenhausleistungen bzw. Krankenhaus-Wahlleistungen), Versicherungsnummer: 0002. Wegen der Höhe der jeweils in den Streitjahren geleisteten Beiträge wird auf die Akten des Finanzamts verwiesen.
5
Aufnahmefähig in die Tarife B1 und B2 bei der Z waren Personen, die bei einer Betriebskrankenkasse versichert sind, die dem Kooperationsvertrag zwischen dem BKK Bundesverband und der Z Krankenversicherung a.G. beigetreten sind; der Tarif A stand Personen offen, die der GKV angehören. Die Tarife C1, C2 und C3 bei der U konnten durch Mitglieder der GKV oder mitversicherte Familienangehörige abgeschlossen werden.
6
Elektronische Daten zu den geleisteten Versicherungsbeiträgen zur PKV wurden nicht an das Finanzamt übermittelt. Die hiergegen gerichteten Klagen des Klägers gegen die Versicherungsgesellschaften blieben ohne Erfolg.
7
Die Kläger machten in den Streitjahren in der Anlage Vorsorgeaufwand u.a. die Arbeitnehmerbeiträge zu Krankenversicherungen laut Nr. 25 der Lohnsteuerbescheinigung in voller Höhe sowie die Beiträge zu den privaten Krankenversicherungen anteilig geltend. Die Beiträge zur GKV wurden erklärungsgemäß als sonstige Vorsorgeaufwendungen berücksichtigt, wodurch der Höchstbetrag des § 10 Abs. 4 EStG i.d.F. der Streitjahre ausgeschöpft war. Die Beiträge zur PKV blieben ohne Ansatz. Die Bescheidlage stellt sich wie folgt dar:

Bescheid vom

Änderungsbescheid

festgesetzte Steuer

Einspruch vom

2010

10.11.2011

23.461 €

09.12.2011

2011

23.10.2012

36.603 €

23.11.2012

2012

16.09.2013

33.942 €

16.10.2013

2013

12.11.2014

02.05.2015

29.129 €

12.12.2014

2014

16.02.2016

29.006 €

17.03.2016

2015

26.01.2017

28.952 €

23.02.2017

2016

13.06.2017

27.834 €

07.07.2017

2017

25.01.2019

19.08.2021

44.908 €

04.02.2019

2018

25.11.2019

17.176 €

20.12.2019

2019

21.12.2020

1.040 €

22.01.2021

8
Hiergegen legten die Kläger jeweils fristgerecht Einspruch ein und trugen vor, soweit es den Gegenstand des vorliegenden Verfahrens betrifft, dass die Beiträge zur PKV anteilig neben den Beiträgen an die GKV zu berücksichtigen seien. Die Klägerin sowie T und K hätten an Stelle der Sach- und Dienstleistungen durchgehend das Verfahren der Kostenerstattung nach § 13 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (im Folgenden: SGB V) gewählt.
9
Eine Bescheinigung über die Anteile, welche auf die Basisleistungen entfielen, sei angefordert und die Einwilligung zur elektronischen Datenübermittelung nachträglich erteilt worden. Würden die erforderlichen Daten aus Gründen, die der Steuerpflichtige nicht zu vertreten habe, nicht übermittelt, könne der Nachweis über die geleisteten und erstatteten Beiträge auch in anderer Weise erbracht werden. Der Kläger fügte eine von ihm erstellte Ermittlung der prozentualen Beitragsanteile der einzelnen Tarife bei und verwies dazu auf die Krankenversicherungsbeitragsanteil-Ermittlungsverordnung vom 11.08.2009 – KVBEVO.
10
Durch die Kombination von GKV und PKV träten die Klägerin und die Kinder sowohl ambulant wie stationär als Privatpatienten auf, der Kläger nur bei stationärer Behandlung. Bei privater Behandlung würden vom Arzt auch für Leistungen, welche der Basisabsicherung dienten, höhere Gebühren berechnet als bei Behandlung als Patient der GKV. Die von der PKV gemäß der KVBEVO errechneten Anteile zur Basisabsicherung beruhten ebenfalls auf der Vergütung der Leistungen zur Basisabsicherung entsprechend GOÄ (also zu höheren Sätzen). Die KVBEVO gelte allgemein für die PKV und nicht nur für Vollversicherungen. Im Hinblick auf den Gleichheitsgrundsatz – hier: private Vollversicherte und gesetzlich Versicherte mit privater Behandlung nach § 13 Abs. 2 SGB V – sei die Privatversicherten gewährte Steuerbegünstigung anzuwenden.
11
Mit Einspruchsentscheidung vom 23.03.2022 verband das Finanzamt die Einsprüche für 2010 – 2016 und mit Teil-Einspruchsentscheidung vom 23.03.2022 die Einsprüche für 2017 – 2019 zur gemeinsamen Entscheidung und wies diese, soweit über sie entschieden wurde, als unbegründet zurück. Über die Besteuerung von Leibrenten und anderen Leistungen aus der Basisversorgung nach § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa) EStG für 2017 – 2019 wurde nicht entschieden.
12
Es verwies zur Begründung auf das BFH-Urteil vom 29.11.2017 (X R 5/17, BStBl II 2018, 230). Der BFH habe über den Fall entschieden, dass ein Steuerpflichtiger sowohl Pflichtmitglied in der GKV als auch freiwillig privat krankenversichert gewesen sei und die gesamten Basiskranken- und Pflegeversicherungsbeiträge, also einschließlich der in der PKV geleisteten Beiträge zur Basisabsicherung ohne Kürzung zur Berücksichtigung begehrte. Der BFH habe ausgeführt, dass Beiträge für eine weitere Basisabsicherung durch eine PKV nicht – neben den Beiträgen für die GKV – gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 Buchst. a) EStG geltend gemacht werden können. Diese Beiträge können infolgedessen nur gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 3a EStG – in den Grenzen des § 10 Abs. 4 EStG – steuerlich berücksichtigt werden oder im Rahmen der Günstigerprüfung des § 10 Abs. 4a EStG.
13
Unter Anwendung der Grundsätze des Urteils seien die von dem Kläger geleisteten Beiträge an die PKV nicht neben den Beiträgen an die gesetzliche Versicherung nach § 10 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 Buchstabe a) EStG zu berücksichtigen.
14
Die Kläger haben am 25.04.2022 Klage erhoben.
15
Zur Begründung weisen sie darauf hin, dass § 13 Abs. 2 Satz 1 SGB V den gesetzlich Versicherten ein Wahlrecht zwischen Sach- und Dienstleistungen und dem Kostenerstattungsverfahren einräume. Die Klägerin, T und K hätten in den Streitjahren bei der GKV durchgehend das Kostenerstattungsverfahren gewählt. An diese Wahl seien sie mindestens ein Kalendervierteljahr gebunden gewesen (§ 13 Abs. 2 Satz 12 SGB V).
16
Auch wenn nur Basisleistungen beansprucht worden wären, hätten die Klägerin und die Kinder gegenüber der GKV nur einen Anspruch gehabt in Höhe der Vergütung, welche diese bei Erbringung der Sachleistung zu tragen gehabt hätte, § 13 Abs. 2 Satz 8 SGB V. Außerdem sei die GKV berechtigt, pauschal 5% des Erstattungsbetrags als Verwaltungskosten abzuziehen, § 13 Abs. 2 Satz 10 SGB V. Dass die SBK – ungeachtet der Verwaltungspauschale – keine volle Kostenerstattung vorzunehmen habe, ergebe sich aus den unterschiedlichen Sätzen, die der Leistungserbringer für eine Leistung nach GOÄ oder dem Einheitlichen Bewertungsmaßstab EBM (bundesweit erstellt von einem aus Vertretern der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und des GKV-Spitzenverbands zusammengesetzten Bewertungsausschuss) abrechnen könne.
17
Der Leistungserbringer liquidiere im Kostenerstattungsverfahren – ebenso wie bei im PKV-Basistarif Versicherten – direkt gegenüber dem Versicherten. Diese Abrechnung erfolge nach GOÄ. Werde das Sach- und Dienstleistungen-Verfahren angewandt, rechne der Leistungserbringer direkt mit der GKV ab. Diese setze die abgerechneten GOÄ-Leistungen in entsprechende Leistungen des EBM um. Dabei kämen i.d.R. Pauschalen für ärztliche Leistungen zum Ansatz. Für die gleiche Leistung erhalte der Leistungserbringer somit eine verschieden hohe Vergütung, abhängig davon, ob er eine Privatliquidation vornehme oder mit der GKV abrechne. Würden dabei nur Basisleistungen erbracht, erhalte der PKV-Versicherte im Basistarif von der PKV zudem höhere Sätze erstattet als der GKV-Versicherte von der GKV im Rahmen des Kostenerstattungsverfahrens. Hierzu legen die Kläger beispielhaft eine Auswertung der in 2022 aufgelaufenen Krankheitskosten der Klägerin vor, auf die wegen der Einzelheiten verwiesen wird.
18
Die einzige Möglichkeit, für GKV-Versicherte auf das gleiche Versicherungsniveau zu kommen wie ein im PKV-Basistarif Versicherter, sei, die GKV durch einen privaten Tarif zu ergänzen, der für das Kostenerstattungsverfahren die Lücke zwischen den Erstattungen der GKV nach EBM und denjenigen einer PKV nach Basistarif schließe. Derartige Tarife hätten die Kläger, T und K abgeschlossen, die überwiegend Basisleistungen umfassten. Für die Aufteilung der Beitragsanteile sei die KVBEVO anzuwenden. Die PKV-Beiträge, soweit sie auf Basisleistungen entfielen, seien in den Streitjahren nach § 10 Abs. 1 Nr. 3 EStG zu berücksichtigen. Auf die entsprechenden Berechnungen des Klägers, insbesondere im Schriftsatz vom 30.05.2022, Anlage 6, wird wegen der Einzelheiten verwiesen.
19
PKV-Beiträge seien insoweit abziehbar, soweit diese auf Vertragsleistungen (ohne Krankengeld) entfallen, die in Art, Umfang und Höhe den Leistungen nach Kapitel 3 SGB V vergleichbar sind. Das existenznotwendige Sozialhilfeniveau, auf das ein Leistungsanspruch bestehe, sei in §§ 47 – 52 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) bestimmt. Für PKV-Versicherte bestimme sich der Umfang der existenznotwendigen Krankenversorgung nach dem Leistungskatalog des Basistarifs.
20
PKV-Basisversicherte seien jedoch besser abgesichert als GKV-Versicherte. Da es denknotwendig nur ein einziges existenznotwendiges Sozialhilfeniveau geben könne, könne nur das Niveau maßgeblich sein, das der PKV-Basisschutz biete. Die GKV alleine erreiche nur einen teilweisen Schutz. GKV-Versicherte könnten daher neben den GKV-Beiträgen auch diejenigen Beitragsanteile zu einem PKV-Tarif als voll abzugsfähige Sonderausgaben ansetzen, die erforderlich seien, um das volle existenznotwendige Sozialhilfeniveau zu erreichen, wie es der PKV-Basisschutz gewähre.
21
Die Entscheidung des BFH vom 29.11.2017 (X R 39/05, BStBl II 2018, 230) stehe dem nicht entgegen, da der BFH davon ausgegangen sei, der dortige Kläger sei doppelt basiskrankenversichert. Vorliegend gehe es aber nicht um Beiträge zur doppelten Absicherung des Basisschutzes, sondern um Anerkennung der Beiträge, die den vollen Basisschutz abdeckten. Der BFH habe sich nicht damit auseinandergesetzt, ob die GKV und der PKV-Basistarif ein einheitliches sozialhilfegleiches Versorgungsniveau gewährleisten.
22
Im Übrigen habe der BFH nicht im Blick gehabt, dass GKV-Versicherte nicht einfach zwischen Kostenerstattungsverfahren und Leistungsverfahren wechseln könnten. Das Leistungsverfahren könne im Einzelfall die freie Arztwahl nicht garantieren und wegen der Deckelung von Kassensitzen komme es regelmäßig zu unzumutbaren Wartezeiten (z.B. Psychotherapie; Augenarzt). Viele Kassenpraxen nähmen gar keine neuen Kassenpatienten auf. Die Privatliquidation sei in diesen Fällen die einzige Möglichkeit, um zeit- und ortsnah überhaupt eine Behandlung zu erhalten. Würde man GKV-Versicherte allein auf das Sach- und Dienstleistungen-Verfahren verweisen, würden diese im Zweifel gar nicht behandelt. Art und Umfang des Versorgungsniveaus wären hier dann Null. Für GKV-Versicherte gäbe es dann kein sozialhilfegleiches Versorgungsniveau.
23
Die Kläger beantragen,
die Einkommensteuerbescheide für 2010 – 2016 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 23.03.2022 sowie die Einkommensteuerbescheide für 2017 – 2019 in Gestalt der Teil-Einspruchsentscheidung vom 23.03.2022 dahingehend zu ändern, dass neben den vollen GKV-Beiträgen auch diejenigen PKV-Beiträge als voll abzugsfähige Sonderausgaben anerkannt werden, die erforderlich waren, um für den Kläger und seine Familie auf das Sicherungsniveau zu kommen, wie es der PKV-Basisschutz gewährt und die Einkommensteuern der Streitjahre wie folgt herabzusetzen:
16.248 € (2010), 33.782 € (2011), 25.980 € (2012) 23.094 € (2013), 23.168 € (2014), 25.408 € (2015), 24.176 € (2016), 40.870 € (2017), 14.512 € (2018) und 0 € (2019).
24
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
25
Er ergänzt die Einspruchsentscheidung dahingehend, dass der Kläger, wie im vom BFH entschiedenen Fall, Beiträge geleistet habe, um sowohl in der GKV als auch in der PKV Basisversicherungsschutz zu erlangen. Die Erlangung des sozialhilfegleichen Versorgungsniveaus werde nach dem BFH aber bereits durch die Beiträge zur GKV erreicht. Beiträge zur doppelten Absicherung des verfassungsrechtlich gebotenen Versorgungsniveaus seien daher nicht erforderlich.
26
Die durch den Kläger vorgebrachte mögliche frühere Terminvergabe durch Fachärzte bzw. die „eingeschränkte“ Arztwahl ändere nichts an der durch die Beiträge an die GKV sichergestellten Basisversorgung auf Sozialhilfeniveau. Auch die Wahl der Kostenerstattung anstelle der Leistungen als Sach-, Dienst- oder Geldleistungen habe hierauf keinen Einfluss.
27
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Schriftsätze der Beteiligten, den Akteninhalt sowie die Niederschrift der mündlichen Verhandlung vom 20.07.2023 verwiesen.

Entscheidungsgründe

I.
28
Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
29
Die Einkommensteuerbescheide für 2010 – 2016 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 23.03.2022 sowie die Einkommensteuerbescheide für 2017 – 2019 in Gestalt der Teil-Einspruchsentscheidung vom 23.03.2022 sind rechtmäßig und verletzen die Kläger nicht in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO).
30
Der Beklagte hat zu Recht die Beiträge des Klägers für die privaten Krankenversicherungen, welche den Versicherungsschutz der Klägerin, des Klägers sowie der Kinder T und K durch die gesetzliche Krankenversicherung ergänzten, nicht als Sonderausgaben nach § 10 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 Buchst. a) EStG berücksichtigt.
31
1. Nach § 10 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 Buchst. a) EStG i.d.F. der Streitjahre sind als Sonderausgaben abzugsfähig Beiträge zu Krankenversicherungen, soweit diese zur Erlangung eines durch das SGB XII bestimmten sozialhilfegleichen Versorgungsniveaus erforderlich sind. Für Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung sind dies die nach dem Dritten Titel des Ersten Abschnitts des Achten Kapitels des SGB V festgesetzten Beiträge. Für Beiträge zu einer privaten Krankenversicherung sind dies die Beitragsanteile, die auf Vertragsleistungen entfallen, die, mit Ausnahme der auf das Krankengeld entfallenden Beitragsanteile, in Art, Umfang und Höhe den Leistungen nach dem Dritten Kapitel des SGB V vergleichbar sind.
32
Nach § 10 Abs. 1 Nr. 3a EStG können Beiträge zu Krankenversicherungen, soweit diese nicht nach § 10 Abs. 1 Nr. 3 EStG zu berücksichtigen sind, in den Grenzen des § 10 Abs. 4 EStG steuerlich berücksichtigt werden oder im Rahmen der Günstigerprüfung des § 10 Abs. 4a EStG. Übersteigen die Vorsorgeaufwendungen im Sinne des § 10 Abs. 1 Nr. 3 EStG die nach § 10 Abs. 4 Satz 1-3 EStG zu berücksichtigenden Vorsorgeaufwendungen, sind diese abzuziehen und ein Abzug von Vorsorgeaufwendungen im Sinne des § 10 Abs. 1 Nr. 3a EStG scheidet aus (§ 10 Abs. 4 Satz 4 EStG).
33
Nach § 10 Abs. 4 Satz 4 EStG sind die unter § 10 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 Buchst. a) EStG fallenden Basiskrankenversicherungsbeiträge also ohne Höchstbetragsbegrenzung in voller Höhe abzugsfähig. Wenn allerdings bereits die Basiskrankenversicherungs- und Pflegeversicherungsbeiträge i.S.d. § 10 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 Buchst. a) EStG – wie im Streitfall – den jeweils geltenden Höchstbetrag ausschöpfen oder darüber hinausgehen, bleibt für den zusätzlichen Abzug von Versicherungsbeiträgen i.S.d. § 10 Abs. 1 Nr. 3a EStG kein Raum.
34
Die Regelung über die beschränkte Abziehbarkeit von sonstigen Vorsorgeaufwendungen (§ 10 Abs. 1 Nr. 3a i.V.m. § 10 Abs. 4 Satz 4 EStG i.d.F. des Gesetzes zur verbesserten steuerlichen Berücksichtigung von Vorsorgeaufwendungen vom 16.07.2009 (BGBl I 2009, 1959) ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (vgl. BFH-Urteil vom 09.09.2015 X R 5/13, BStBl II 2015, 1043 Rz. 15 ff.; Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen, vgl. BVerfG-Beschluss vom 21.09.2017 2 BvR 2445/15, StEd 2018, 164).
35
2. Nach diesen Grundsätzen scheidet im Streitfall ein unbeschränkter Sonderausgabenabzug der – neben den Beiträgen zur GKV geltend gemachten – anteiligen Beiträge zur PKV aus.
36
a) Aus dem systematischen Zusammenhang sowie aus dem hinreichend erkennbar gewordenen Willen des Gesetzgebers und aus der Entstehung des § 10 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 Buchst. a) EStG ergibt sich, dass die streitgegenständlichen Beiträge des Klägers zu den Ergänzungstarifen der PKV nicht unter diese Vorschrift, sondern unter § 10 Abs. 1 Nr. 3a EStG fallen. Aufwendungen nach § 10 Abs. 1 Nr. 3a EStG können nicht mehr berücksichtigt werden, da die Beiträge für die gesetzliche Basisabsicherung jeweils bereits den Höchstbetrag übersteigen (§ 10 Abs. 4 Satz 4 EStG).
37
Der BFH hat dies ausdrücklich für den Fall der Pflichtversicherung in der GKV entschieden.
38
Ist ein Steuerpflichtiger sowohl Pflichtmitglied in einer gesetzlichen Krankenkasse als auch freiwillig privat krankenversichert, kann er lediglich die Beiträge gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 Buchst. a) EStG unbeschränkt abziehen, die er an die gesetzliche Krankenversicherung entrichtet (vgl. BFH-Urteil vom 29.11.2017 X R 5/17, BStBl II 2018, 230; BFH-Beschluss vom 29.08.2019 X B 56/19, BFH/NV 2020, 20; Krüger in Schmidt, EStG, 42. Aufl. 2023 § 10 Rz. 47; Kulosa in Hermann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, 318. Lieferung 5/2023, § 10 EStG Rz. 88). Beiträge für eine weitere Basisabsicherung durch eine private Krankenversicherung können hingegen nicht ebenfalls gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 Buchst. a EStG geltend gemacht werden.
§ 10 Abs. 1 Nr. 3 EStG sei nach seiner Systematik, der Entstehungsgeschichte und dem Normzweck dahingehend auszulegen, dass entscheidendes Kriterium für die Abziehbarkeit von Beiträgen zur Kranken- und Pflegeversicherung ihre „Erforderlichkeit“ für die Erlangung eines sozialhilfegleichen Versorgungsniveaus sei. Das Merkmal der Erforderlichkeit sei objektiv zu verstehen (vgl. BFH-Beschluss vom 29.08.2019 X B 56/19, BFH/NV 2020, 20, Rz. 15).
39
Sei ein Steuerpflichtiger in der gesetzlichen Krankenkasse pflichtversichert, beruhten sowohl die ihm gewährten Leistungen als auch die Höhe der von ihm zu zahlenden Beiträge auf einer gesetzlichen Anordnung, nämlich den Regelungen des SGB V. Diesem Gesetzesbefehl könne sich ein pflichtversicherter Steuerpflichtiger nicht entziehen. Seine diesbezüglichen Beiträge seien damit zur Erlangung des Basisversicherungsschutzes sowohl unvermeidbar als auch erforderlich. Demgegenüber sei der Abschluss einer weiteren Krankenversicherung unter diesen Umständen nicht notwendig und damit freiwillig.
40
b) Die Übertragung dieser Rechtsprechungsgrundsätze auf den Streitfall führt zu dem Ergebnis, dass es sich bei den Beiträgen des Klägers zur PKV in den Streitjahren um Beiträge i.S.d. § 10 Abs. 1 Nr. 3a EStG handelte.
41
Die Vorschrift des § 10 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 Buchst. a) Satz 1 EStG spricht von den zur Erlangung eines durch das SGB XII bestimmten sozialhilfegleichen Versorgungsniveaus erforderlichen Aufwendungen. Hieraus folgt, dass, wenn bereits eine Basisabsicherung in der GKV besteht, eine private Versicherung für die bereits abgesicherten Leistungen zur Erlangung des sozialhilfegleichen Versorgungsniveaus nicht erforderlich ist (vgl. BFH-Urteil vom 29.11.2017 X R 5/17, BStBl II 2018, 230, Rz. 25: „…, da sie bereits durch ihre gesetzliche Krankenversicherung einen Basisversicherungsschutz erlangt hat“). Die Aufwendungen gehen in diesem Fall über die notwendige Sicherung der Basisversorgung hinaus.
42
Auch der Gesetzeszweck stützt dieses Ergebnis. Denn es ging dem Gesetzgeber um die Umsetzung der Vorgaben des BVerfG im Beschluss vom 13.02.2008 (2 BvL 1/06, BGBl I 2018, 540), in dem das BVerfG festgestellt hatte: „Das Prinzip der Steuerfreiheit des Existenzminimums schützt nicht nur das sogenannte sächliche Existenzminimum. Auch Beiträge zu privaten Versicherungen für den Krankheits- und Pflegefall können Teil des einkommensteuerrechtlich zu verschonenden Existenzminimums sein. Für die Bemessung des existenznotwendigen Aufwands ist auf das sozialhilferechtlich gewährleistete Leistungsniveau als eine das Existenzminimum quantifizierende Vergleichsebene abzustellen.“ Diesem Gesetzeszweck entspricht es nicht, auch solche PKV-Basisabsicherungsbeiträge zum Sonderausgabenabzug zuzulassen, derer der Steuerpflichtige zur Erlangung des sozialhilferechtlich gewährleisteten Leistungsniveaus nicht bedarf, weil bereits ein Versicherungsschutz in der GKV besteht.
43
c) Vorliegend war der Kläger in den Streitjahren freiwillig in der GKV versichert und seine Familienangehörigen beitragsfrei mitversichert.
44
Zur Sicherung des vom BVerfG im Jahr 2008 geforderten sozialhilferechtlich gewährleisteten Leistungsniveaus ist die Mitgliedschaft in der GKV ausreichend und eine weitere Absicherung durch die PKV nicht erforderlich. Es lässt sich – entgegen der Auffassung der Kläger – nicht mit Erfolg begründen, dass nur PKV-Versicherte das volle sozialhilfegleiche Versorgungsniveau in der Krankenversicherung erreichen.
45
Eine Verpflichtung des Gesetzgebers zur steuerlichen Freistellung von Beiträgen besteht nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung – wie oben dargelegt – nur für Versicherungen, die den Schutz des Lebensstandards des Steuerpflichtigen in Höhe des Existenzminimums gewährleisten (vgl. BFH-Urteil vom 09.09.2015 X R 5/13, BStBl II 2015, 1043 Rz. 17; BVerfG-Beschluss vom 13.02.2008 2 BvL 1/06, BVerfGE 120, 125). Das Prinzip der Steuerfreiheit des Existenzminimums gewährleistet dem Steuerpflichtigen lediglich einen Schutz des Lebensstandards auf Sozialhilfeniveau (vgl. BFH-Urteil vom 09.09.2015 X R 5/13, BStBl II 2015, 1043, Rz. 17).
46
Besondere Umstände, aufgrund derer im Streitfall ausnahmsweise eine doppelte Absicherung in der Krankenversicherung bzw. eine Ergänzung der GKV notwendig gewesen wäre, haben die Kläger nicht dargelegt. Derartige Umstände sind für das erkennende Gericht auch nicht ersichtlich. Insbesondere die Wahl des Kostenerstattungsverfahrens in der GKV durch die Klägerin, T und K sowie teilweise durch den Kläger führt nicht zu einer anderen steuerlichen Beurteilung.
47
In der gesetzlichen Krankenkasse gilt das sogenannte Sachleistungsprinzip. Hierdurch erhalten Versicherte in der GKV medizinische Leistungen, ohne selbst in Vorleistung treten zu müssen. Die Klägerin, die Kinder T und K sowie im Bereich der stationären Heilbehandlung auch der Kläger haben freiwillig das Verfahren der Kostenerstattung in der GKV nach § 13 Abs. 2 SGB V gewählt. Dabei erhielten sie die Leistungen z.B. des Arztes oder Krankenhauses gegen Rechnung, die sie bei der GKV und den PKV einreichten. Ärzte oder Zahnärzte rechneten dann, anders als beim Sachleistungsprinzip, nach den Gebührenordnungen für Ärzte (GÖA) oder Zahnärzte (GOZ) ab. Es konnten höhere Gebührensätze vereinbart werden als beim Sachleistungsprinzip von den Leistungserbringern gegenüber den gesetzlichen Krankenkassen übernommen werden.
48
Der Zweck des Bürgerentlastungsgesetzes Krankenversicherung vom 16.07.2009 (BGBl I 2009, 1959) ist es, die durch das Sozialstaatsprinzip geforderte steuerliche Verschonung des sog. sächlichen Existenzminimums zu gewährleisten und insoweit – aber auch nur insoweit – die dazu notwendigen Aufwendungen zum Abzug zuzulassen. Diesem Zweck widerspräche es, wenn es dem Steuerpflichtigen möglich wäre, durch den Abschluss mehrerer Krankenversicherungen eine über das Erforderliche hinausgehende Steuerverschonung zu erhalten (vgl. BFH-Urteil vom 29.11.2017 X R 5/17, BStBl II 2018, 230, Rz. 18).
49
Soweit sich die Kläger durch die Wahl des Verfahrens der Kostenerstattung nach § 13 Abs. 2 SGB V an Stelle der Sach- und Dienstleistungen freiwillig in die Lage begeben haben, dass für sie als Mitglied der GKV bzw. beitragsfrei mitversicherter Familienangehöriger eine Deckungslücke in der GKV entstanden ist, die sie mit den Ergänzungstarifen der PKV abdecken wollten („Delta“), führt dies nicht, auch nicht anteilig, zu einer Berücksichtigungsfähigkeit der in der PKV geleisteten Beiträge.
50
d) Auch soweit die vom Kläger ermittelten anteiligen Beiträge zur GKV vorliegend – laut den Einkommensteuererklärungen der Streitjahre – nicht die höheren Beiträge des Klägers darstellen sollten, sondern die Beiträge zu den PKV, kommt im Streitfall der alternative Ansatz der PKV-Beiträge, also die Berücksichtigung dieser Beiträge anstelle der Beiträge zur GKV, nicht in Betracht. Es liegen jeweils keine privaten Basiskrankenversicherungen in Form von Vollversicherungen vor, sondern lediglich Ergänzungstarife zur GKV.
51
Damit ist auch der von der Verwaltung im BMF-Schreiben vom 24.05.2017 (Einkommensteuerrechtliche Behandlung von Vorsorgeaufwendungen, BStBl I 2017, 820, Rn. 83) vorausgesetzte Tatbestand der zusätzlichen privaten Krankheitskostenvollversicherung für in der GKV beitragsfrei mitversicherte Familienangehörige nicht gegeben.
52
Es besteht daher in praktischer Hinsicht auch keine Pflicht für die privaten Versicherungsunternehmen zur elektronischen Übermittlung der Daten an die Finanzverwaltung; die KVBEVO ist nicht anwendbar und die Aufteilung der in der PKV geleisteten Beiträge in Anteile für Basisleistungen bzw. Wahlleistungen ist nicht erforderlich.
53
3. Die Beiträge zu den privaten Krankenversicherungen, welche den Versicherungsschutz des Klägers, der Klägerin sowie der Kinder T und K durch die gesetzliche Krankenversicherung ergänzten, sind mithin nicht als Sonderausgaben nach § 10 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 Buchst. a) EStG anzusetzen.
54
Die Klage ist daher abzuweisen.
II.
55
Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens, weil sie unterlegen sind (§ 135 Abs. 1 FGO).