Inhalt

AG Erlangen, Endurteil v. 06.10.2023 – 3 C 350/23
Titel:

Erstattungsfähigkeit von Aufwendungen im Rahmen einer Krankheitskostenzusatzversicherung bei Behandlung durch einen Privatarzt ohne Kassenzulassung

Normenketten:
VVG § 44 Abs. 2
MB/KK 2009 § 6 Abs. 1, Abs. 6
Leitsätze:
1. Enthalten die Allgemeinen Versicherungsbedingung (hier: § 6 Abs. 6 MB/KK 2009) ein Abtretungsverbot und tritt der Versicherungsnehmer bei einer Versicherung für fremde Rechnung den Leistungsanspruch gegen den Versicherer an den Versicherten ab, begründet dies die für eine Übertragung der Verfügungsbefugnis gem. § 44 Abs. 2 VVG erforderliche Zustimmung mit der Folge, dass der Versicherte die Rechte aus dem Versicherungsvertrag gegen den Versicherer im eigenen Namen gerichtlich geltend machen kann. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
2. Versprechen die Bedingungen einer Krankheitskostenzusatzversicherung die Erstattung von (Mehr-)Aufwendungen "unter Abzug etwaiger Leistungen der GKV", ist der Versicherer nicht leistungspflichtig, wenn der Versicherte die grundsätzliche Einstandspflicht der GKV dadurch umgeht, dass er sich durch einen Privatarzt ohne Kassenzulassung behandeln lässt. (Rn. 30 – 32) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Krankenversicherung, Zahnzusatzversicherung, Privatarzt, Kassenzulassung, Heil- und Kostenplan, Abtretung, Aktivlegitimation, Paradontosebehandlung
Fundstelle:
BeckRS 2023, 30903

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung der Klägerin durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 3.760,75 € festgesetzt.

Tatbestand

1
Die Parteien streiten über Leistungen aus einer von der Klägerin bei der Beklagten abgeschlossen privaten Zahnzusatzversicherung.
2
Die Beklagte und der Ehemann sind verbunden durch eine private Zahnzusatzversicherung nach den Tarifen M2U und M1U. Vereinbart sind weiter die AVB (MB/KK) und die Tarifbedingungen der Beklagten. Versicherte Person ist neben dem Ehemann der Klägerin die Klägerin selbst.
3
Antragstellung erfolgte am 11.10.2019, Versicherungsbeginn war am 01.12.2009. Die Beiträge belaufen sich auch monatlich 29.09 € für den Ehemann der Klägerin und 57,85 € für die Klägerin.
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Die zugrunde liegenden AVB lauten Auszugsweise wie folgt:
„Tarif Mitglieder premium (M1U) Ergänzungstarif zur gesetzlichen Krankenversicherung für
Mitglieder von Genossenschaften undVersicherte von bestimmten gesetzlichen Krankenkassen
(…)
3. Leistungen des Versicherers für Zahnvorsorge, Zahnbehandlung, Zahnersatz und Kieferorthopädie3.1 Umfang der Leistungspflicht
(…)
3.2 Vorleistungen
Etwaige Leistungen der GKV und aus anderen Versicherungen sind vorab in Anspruch zu nehmen und werden nach Nr. 3.3 bei der Erstattung abgezogen.
3.3 Zahnersatz
Die erstattungsfähigen Aufwendungen für medizinisch notwendigen Zahnersatz werden zu 90% unter Abzug etwaiger Leistungen der GKV und aus anderen Versicherungen ersetzt.
Der Versicherer zahlt jedoch mindestens den gleichen Betrag, der von der GKV als Festzuschuss nach § 55 SGB V für die betreffende Zahnersatzmaßnahme anerkannt wurde. Dabei werden höchstens die nach Vorleistungen der GKV und aus anderen Versicherungen verbleibenden erstattungsfähigen Aufwendungen ersetzt.
(…)
3.4 Leistungsstaffel
3.5
(…)
3.6 Zahnbehandlung
Der Versicherer erstattet die Aufwendungen für
- Kunststofffüllungen zu 100%,
- Wurzel- bzw. Parodontosebehandlungen sowie Knirscherschienen (ausgenommen solche, die im Rahmen einer kieferorthopädischen Behandlung notwendig sind) zu 100%,
sofern die Aufwendungen nicht unter die Leistungspflicht der GKV fallen und diese auch keine Leistungen erbracht hat;
- funktionsanalytische und funktionstherapeutische Leistungen sowie Akupunktur zur Schmerztherapie und bei der Anästhesie, soweit sie für Maßnahmen nach Nr. 3.6 erforderlich sind zu 100%
Tarif Mitglieder comfort (M2U) Ergänzungstarif zur gesetzlichen Krankenversicherung für
Mitglieder von Genossenschaften und Versicherte von bestimmten gesetzlichen Krankenkassen (…)
3. Leistungen des Versicherers für Zahnvorsorge, Zahnbehandlung, Zahnersatz und Kieferorthopädie3.1 Umfang der Leistungspflicht
(…)
3.2 Vorleistungen
Etwaige Leistungen der GKV und aus anderen Versicherungen sind vorab in Anspruch zu nehmen und werden nach Nr. 3.3 bei der Erstattung abgezogen.
3.3 Zahnersatz
Die erstattungsfähigen Aufwendungen für medizinisch notwendigen Zahnersatz werden zu 70% unter Abzug etwaiger Leistungen der GKV und aus anderen Versicherungen ersetzt.
Der Versicherer zahlt jedoch mindestens den gleichen Betrag, der von der GKV als Festzuschuss nach § 55 SGB V für die betreffende Zahnersatzmaßnahme anerkannt wurde. Dabei werden höchstens die nach Vorleistungen der GKV und aus anderen Versicherungen verbleibenden erstattungsfähigen Aufwendungen ersetzt.
(…)
3.4 Leistungsstaffel (…)
3.5 Zahnmedizinische Prophylaxemaßnahmen (…)
3.6 Zahnbehandlung
Der Versicherer erstattet die Aufwendungen für
- Kunststofffüllungen zu 100%,
- Wurzel- bzw. Parodontosebehandlungen sowie Knirscherschienen (ausgenommen solche, die im Rahmen einer kieferorthopädischen Behandlung notwendig sind) zu 100%,sofern die Aufwendungen nicht unter die Leistungspflicht der GKV fallen und diese auch keine Leistungen erbracht hat;
- funktionsanalytische und funktionstherapeutische Leistungen sowie Akupunktur zur Schmerztherapie und bei der Anästhesie, soweit sie für Maßnahmen nach Nr. 3.6 erforderlich sind zu 100%
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Die Klägerin hat in der Praxis Prof. Dr. F. in F eine Paraontosebehandlung durchführen lassen. Der behandelnde Arzt Prof. Dr. F. verfügt über keine Kassenzulassung, sondern behandelt rein privatärztlich.
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Für die Untersuchung und die Erstellung eines Heil- und Kostenplans wurde der Klägerin ein Betrag in Höhe von 253,79 € in Rechnung gestellt.
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Die Klägerin reichte den Heil- und Kostenplan über Gesamtkosten von 2.824,65 € (Dr. F.) bei der Beklagten ein, zusammen mit einem Frageboten sowie einer Schweigepflichtsentbindung.
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Eine Erstattung oder eine Ersattungszusage erhielt die Klägerin nicht.
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Sie ließ die Behandlung durchführen, wofür ihr ein Betrag von 2.725,77 € in Rechnung gestellt wurde.
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Daneben wurde in der Praxis Dr. S. eine Wurzelbehandlung vorgenommen, für die eine Rechnung in Höhe von 1.212,44 € (Rechnung vom 17.03.2022) sowie weitere 341,01 € erstellt wurde. Eine Erstattung der Beklagten erfolgte nicht.
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Für weitere Kontroll- und Nachbehandlungen wurden der Klägerin Beträge in Höhe von 213,15 € und 226,83 € in Rechnung gestellt.
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Insgesamt reichte die Klägerin folgende Rechnungen bei der Beklagten ein, ohne dass es zu einer Erstattung kam.
1. Rechnung vom 02.02.2022 über 253,79 € (Dr. F)
2. Rechnung vom 05.05.2022 über 341,01 € (Dr. S)
3. Rechnung vom 13.07.2022 über 2.725,77 € (Dr. F)
4. Rechnung vom 11.10.2022 über 213,35 € (Dr. F)
5. Rechnung vom 18.01.2023 über 226,83 € (Dr. F)
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Der Ehemann der Klägerin hat (vorsorglich) eine Abtretung der streitgegenständlichen Ansprüche an die Klägerin erklärt.
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Die Klägerin behauptet, sämtliche Rechnungen seien bezahlt worden. Die Behandlungen seien medizinisch notwendig gewesen, die in Rechnung gestellten Beträge angemessen und gerechtfertigt.
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Die Klägerin meint, ihr stünde ein Anspruch auf Ersatz der verauslagten Gebühren aufgrund des geschlossenen Versicherungsvertrags zu.
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Die Klägerin beantragt daher
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin einen Betrag in Höhe von 3760,75 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten seit Klageerhebung zu bezahlen
2. Die Beklagte wird verurteilt, außergerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von insgesamt 453,87 € zu tragen
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Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
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Sie meint, die Klägerin fehle bereits die Aktivlegitimation, denn Versicherungsnehmer sie der Ehemann der Klägerin, eine Abtretung scheitere an.
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Darüber hinaus seien die Ansprüche derzeit nicht fällig gemäß § 6 Abs. 1 AVB (MB/KK), weil die erforderlichen Auskünfte noch nicht vollständig erteilt worden seien. Die Rechnungen seien nicht vollständig eingereicht worden, ein Leistungsanspruch ergebe sich nicht aufgrund eines Kostenvoranschlags. Die Rechnungen vom 13.07.2022, 11.10.2022 und 18.01.2023 seien der Beklagten vorprozessual nicht übermittelt worden.
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Weiter meint die Beklagte, dass die von der Klägerin geltend gemachten Leistungen nicht vom Leistungsumfang der gegenständlichen Versicherung abgedeckt seien. Eine Paradontosebehandlung falle gemäß PAR – Richtline des Gemeinsamen Bundesausschusses unter die Leistungspflicht der GKV. Aus diesem Grund bestehe keine Leistungspflicht der Beklagten hierfür.
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Kosten für einen Heil- und Kostenplan seien nicht erstattungsfähig, weil ein solcher für gesetzlich Versicherte kostenfrei zu erstellen sei, § 87 Abs. 1a SGB V. Dies könne nicht umgangen werden, indem die Kosten einer rein privatärztlichen Praxis in Rechnung gestellt würden.
22
Die Behandlung in der Praxis Dr. F sei insgesamt nicht erstattungsfähig, weil Dr. F nicht über eine Kassenzulassung verfüge und auf diese Weise die GKV umgangen werde. Allein aufgrund dessen bestehe bereits keine Einstandspflicht der Beklagten für die dort durchgeführten Behandlungen.
23
Eine Beweisaufnahme hat nicht stattgefunden. Ergänzend wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 15.09.2023 Bezug genommen. Im Übrigen wird zur Ergänzung des Tatbestands auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen verwiesen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage erweist sich im Ergebnis als unbegründet.
25
1) Die Klage scheitert entgegen der Auffassung der Beklagten nicht an der fehlenden Aktivlegitimation der Klägerin. Der Beklagten ist zwar zuzugeben, dass Vertragspartner hinsichtlich der streitgegenständlichen Versicherung der Ehemann der Klägerin ist und in den AVB der Beklagten ein (wirksam) vereinbartes Abtretungsverbot enthalten ist.
26
Allerdings ist gemäß § 44 Abs. 1 VVG die versicherte Person selbst Inhaber der Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag und gemäß § 44 Abs. 2 VVG bei Zustimmung des Versicherungsnehmers, verfügungsbefugt. Der Versicherungsnehmer kann seine Zustimmung nicht nur ausdrücklich, sondern auch konkludent erteilen. Erklärt der Versicherungsnehmer die „Abtretung“ seiner Rechte aus dem Versicherungsvertrag an den Versicherten, ist diese Erklärung in die Erteilung einer Zustimmung nach Abs. 2 umzudeuten (BeckOK VVG/Marlow, 19. Ed. 1.5.2023, VVG § 44 Rn. 6-6.1).
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Eine „Abtretung“ der Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag an den Versicherten geht ins Leere, weil er nach Abs. 1 bereits von Gesetzes wegen ihr Inhaber ist (Bruck/Möller/Beckmann VVG § 45 Rn. 25).
28
Vor diesem Hintergrund ist jedenfalls die ausdrückliche Abtretungserklärung des Ehemanns der Klägerin als Zustimmung im Sinne des § 44 Abs. 2 VVG umzudeuten, sodass die Klägerin zur Geltendmachung im eigenen Namen befugt ist.
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2) Es besteht jedoch keine Einstandspflicht der Beklagten für die streitgegenständlichen Rechnungen.
30
a) Soweit die Klägerin ihre Forderung auf eine Erstattungspflicht hinsichtlich der Rechnungen der Praxis Dr. F stützt, ist die Beklagte bereits deswegen nicht einstandspflichtig, weil es sich bei Dr. F um einen reinen Privatarzt ohne kassenärztliche Zulassung handelt, sodass die von der streitgegenständlichen Versicherung vorausgesetzte grundsätzliche Einstandspflicht der GKV umgangen wird.
31
Es handelt sich bei der streitgegenständlichen Versicherung gerade um keine private Krankenvollkostenversicherung, sondern lediglich um eine Versicherung die (gewisse) Lücken innerhalb der gesetzlichen Krankheitskostenvorsorgen abdecken soll, was sich – neben der ausdrücklichen Bezeichnung und den Versicherungsbedingungen – auch darin zeigt, dass die Beiträge deutlich niedriger sind.
32
Hätte sich die Klägerin von ein Arzt behandeln lassen, der über eine Kassenzulassung verfügt, hätte ihre gesetzliche Krankenkasse die allgemeinen Leistungen entsprechend der der Leistungskatalog der GKV zu tragen gehabt, die Beklagte für die darüber hinausgehenden Leistungen (soweit sie unter den Versicherungsschutz fallen). Dadurch, dass sich die Klägerin als solchermaßen Versicherte in die Behandlung eines reinen Privatarztes begeben hat, der als solcher keinerlei Leistungen gegenüber der GKV abrechnen darf, gilt nichts anderes. Nach dem versicherten Tarif ist klar, dass die Beklagte keine allgemeinen Behandlungsleistungen trägt, sondern nur die Mehrkosten bestimmter Behandlungen. Der im Streitfall vereinbarte Ergänzungstarif ist keine Krankheitskostenvollversicherung des Inhalts, dass die Beklagte stets sämtliche Kosten einer privatärztlichen Behandlung zu tragen hätte. Die Erstattungspflicht ist vielmehr klar begrenzt. Die getroffene Regelung ist auch nicht unklar, intransparent oder überraschend.
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b) Soweit es sich um die von Dr. S durchgeführte Wurzelkanalbehandlung handelt, für die mit Rechnung vom 17.03.2022 ein Betrag in Höhe von 1.212,44 € und mit weiterer Rechnung vom 05.05.2022 weitere 341,01 € gefordert werden, ist die Beklagte deswegen nicht einstandspflichtig, weil hierfür gemäß Ziff. 3.6 eine Einstandspflicht der Beklagten nur für den Fall vereinbart ist, dass die durchgeführte Behandlung nicht unter den Leistungskatalog der GKV fällt und diese auch keine Leistungen erbracht hat. Der Vortrag der Beklagten, dass sich aus den angeforderten Unterlangen der Praxis Dr. S ergeben hat, dass die Behandlung gegenüber der GKV abgerechnet wurde und seitens der GKV Leistungen erbracht wurden, blieb von der Klägerin unbestritten.
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c) Auf den Einwand der fehlenden Fälligkeit und der fehlenden medizinischen Notwendigkeit kommt es vor diesem Hintergrund nicht an, wobei der Beklagten zuzugeben ist, dass im hiesigen Verfahren nicht sämtliche Rechnungen vorgelegt wurden und seitens der Klägerin kein Beweisangebot für den strittigen Vortrag der Einreichung erfolgt ist.
35
3) Mangels Anspruchs in der Hauptsache steht der Klägerin auch der geltend gemachte Anspruch auf Ersatz vorgerichtlicher Rechtsverfolgungskosten nicht zu und Zinsen zu.
36
4) Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit gründet sich auf § 708 Nr. 11, 711 ZPO.