Inhalt

VG München, Urteil v. 17.06.2020 – M 29 K 18.4607
Titel:

Keine Ermessensreduzierung auf Null für ein Einschreiten der Baubehörde, wenn allein eine Verletzung des Abstandsflächenrechts vorliegt!

Normenkette:
BayBO Art. 6, Art. 76 S. 1
Leitsätze:
1. In der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs ist geklärt, dass allein eine Verletzung des Abstandsflächenrechts nach Art. 6 BayBO oder einer sonstigen nachbarschützenden Vorschrift durch den benachbarten Bauherrn nicht genügt, um eine Reduzierung des von Art. 76 Satz 1 BayBO eingeräumten Ermessens auf eine strikte Verpflichtung der Bauaufsichtsbehörden zum Einschreiten zu begründen. (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)
2. Dem Nachbarn ist unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit ein Rechtsanspruch auf Einschreiten nur bei hoher Intensität der Störung oder Gefährdung des Nachbarn zuzubilligen. Das ist der Fall, wenn die von der (potenziell) rechtswidrigen baulichen Anlage ausgehende Beeinträchtigung des Nachbarn einen erheblichen Grad erreicht und die Abwägung mit dem Schaden des Bauherrn ein deutliches Übergewicht der nachbarlichen Interessen ergibt, insbesondere wenn eine unmittelbare, auf andere Weise nicht zu beseitigende Gefahr für hochrangige Rechtsgüter wie Leben oder Gesundheit droht oder sonstige unzumutbare Belästigungen abzuwehren sind. (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Nachbarklage, Anspruch auf bauaufsichtliches Einschreiten (verneint), Verstoß gegen Abstandsflächenrecht, Ermessen, Ermessensreduzierung auf Null, Verhältnismäßigkeitsgrundsatz
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 29.01.2021 – 1 ZB 20.1887
Fundstelle:
BeckRS 2020, 40813

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen. 
II. Die Kläger haben die Kosten des Verfahrens zu tragen.     
Der Beigeladene trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst.

Tatbestand

1
Die Kläger begehren im Rahmen des bauaufsichtlichen Einschreitens den Erlass einer Beseitigungsanordnung für ein grenzständiges Gebäude auf dem Nachbargrundstück.
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Die Kläger sind Eigentümer des Grundstücks Fl.Nr. 68/1, Gemarkung … … 9a, das nördlich an das Grundstück des Beigeladenen mit der Fl.Nr. 66, Gemarkung …, … 7 grenzt. Entlang der südlichen Grenze des Klägergrundstücks hat der Beigeladene einen Unterstand mit einem nach Süden ansteigenden Pultdach errichtet. Das Gebäude ist ca. 7,50 m lang und 5,80 m breit. Westlich dieses Gebäudes schließen sich zwei weitere Gebäude, die zusammen eine Länge von ca. 10 m aufweisen, mit ebenfalls nach Süden ansteigendem, jeweils flach geneigtem Pultdach an; die Höhe der Dachflächen im Süden beträgt ca. 2,20 m bzw. ca. 1,90 m.
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Bei einer Baukontrolle am 19. Oktober 2016 aufgrund einer telefonischen Mitteilung der Kläger stellte der Beklagte auf dem Grundstück des Beigeladenen mit der Fl.Nr. 66 keine Bautätigkeiten, sondern eine grenzständige Holzlege fest.
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Bei einer weiteren Baukontrolle am 22. März 2017 stellte der Beklagte fest, dass auf dem streitgegenständlichen Grundstück keine Maschinenhalle errichtet worden sei, sondern das Dach und die Seitenwände und die Seiten eines bestehenden Grenzgebäudes (Unterstands) erneut worden seien.
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Aufgrund eines weiteren Schreibens der Kläger vom 20. Juni 2017, dass auf dem streitgegenständlichen Grundstück Erdarbeiten mit schwerem Baugerät stattfinden würden, war bei einer nochmaligen Baukontrolle durch den Beklagten am 1. August 2018 feststellbar, dass der Boden des Unterstandes gepflastert worden ist; weitere Baumaßnahmen waren dem Beklagten nicht ersichtlich.
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Mit Schreiben an die Kläger vom 18. Oktober 2017 teilte der Beklagte mit, dass ein bauaufsichtliches Einschreiten hinsichtlich dieses grenzständigen Unterstandes weder aus Gründen des Nachbarschutzes noch aus öffentlich-rechtlichen Gründen veranlasst sei.
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Mit Schreiben vom 21. Oktober 2017 nahmen die Kläger hierzu ausführlich Stellung und teilten mit Schreiben vom 9. Dezember 2017 mit, dass nach ihrer Auffassung eine Ermessensreduzierung auf Null vorliege.
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Nach einem weiteren Schreiben des Beklagten an die Kläger vom 18. Mai 2018, dass ein bauaufsichtliches Einschreiten vorliegend nicht angezeigt sei, baten die Kläger mit Schreiben vom 21. Mai 2018 um den Erlass eines Ablehnungsbescheides und teilten überdies mit, dass das streitgegenständliche Grenzgebäude auf der Südseite nochmals um 50 cm erhöht worden sei.
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Bei einer daraufhin stattfindenden Baukontrolle am 25. Mai 2018 konnte der Beklagte keine Veränderungen an dem streitgegenständlichen Unterstand feststellen.
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Mit Bescheid vom … August 2018 lehnte der Beklagte den Antrag der Kläger auf bauaufsichtliches Einschreiten ab (Ziffer 1 des Bescheides). Zur Begründung wurde ausgeführt, dass die Schreiben der Kläger als Antrag auf bauaufsichtliches Einschreiten nach Art. 76 Satz 1 BayBO ausgelegt würden. Bei dem Unterstand handle es sich um eine genehmigungspflichtige Anlage, so dass das Vorhaben formell rechtswidrig sei. Im Hinblick auf den Nachbarschutz komme es jedoch nur auf die materielle Beeinträchtigung an. Der Unterstand weise eine Grundfläche von ca. 7,50 m x 5,80 m, eine grenzseitige Wandhöhe von ca. 1,85 m und eine Firsthöhe von ca. 3,40 m auf. Damit handle es sich um ein Gebäude im Sinne des Art. 6 Abs. 9 Satz 1 Nr. 1 BayBO, das ohne eigene Abstandsfläche habe errichtet werden können. Die Rechte des Nachbarn seien insoweit eingeschränkt. Zwar werde die zulässige Länge der abstandsflächenfreien Grenzbebauung mit den beiden weiteren Grenzgebäuden, die eine Gesamtlänge von ca. 10 m aufwiesen, überschritten. Da diese Grenzgebäude jedoch aufgrund ihrer geringen Höhe von ca. 2 m für die Kläger durch die ihrerseits errichtete Mauer (welche im Übrigen aufgrund ihrer Höhe von teilweise mehr als 2 m selbst genehmigungs- und abstandsflächenpflichtig sei) nicht sichtbar seien, ergebe sich auch hier keine unzumutbare Beeinträchtigung der Nachbarn. Im Übrigen seien die beiden weiteren Grenzgebäude mit einer nicht abstandsflächenpflichtigen Grenzmauer, die bis zu einer Höhe von 2 m zulässig wäre, vergleichbar. Dem Nachbar eines baurechtswidrig errichteten Vorhabens stehe lediglich ein Anspruch auf fehlerfreie Ermessensausübung der Bauaufsichtsbehörde darauf zu, ob sie eine Beseitigungsanordnung gegen die formell und materiell rechtswidrig auf dem nachbarlichen Grundstück errichtete Anlage erlasse. Die Rechtsprechung nehme lediglich in Fällen einer besonders qualifizierten Beeinträchtigung des Nachbarn in seiner Rechtsstellung eine Ermessensreduzierung auf Null zu Gunsten des Nachbarn an. Im vorliegenden Fall sei die Abstandsflächenüberschreitung aufgrund der Wandhöhen der Grenzbauten von max. 2 m trotz der Länge der Grenzbebauung nicht so erheblich, dass hinsichtlich der bauaufsichtlichen Eingriffsbefugnisse von einer Ermessensreduzierung auf Null auszugehen wäre. Im Übrigen weise das neue Grenzgebäude augenscheinlich sogar eine geringere Wandhöhe als der Altbestand auf. Damit würde sich für die Kläger keine Verschlechterung im Hinblick auf die bisherige langjährige abstandsflächenrechtliche Situation ergeben.
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Mit Schreiben vom … September 2019, bei Gericht am selben Tage eingegangen, ließen die Kläger Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht München erheben und beantragten,
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den Beklagten unter Aufhebung seines Ablehnungsbescheids vom …08.2018, zugestellt am 18.08.2018, Az. …, BV-Nr. …, zu verpflichten, gegenüber dem Beizuladenden anzuordnen, das auf dem Grundstück Fl.Nr. 66 der Gemarkung …, … 7a, … … an der Grenze zum Grundstück … 9a, … …, errichtete Grenzgebäude (Unterstand) zu beseitigen.
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Mit Schreiben vom 3. Januar 2019 führte der Klägerbevollmächtigte zur Begründung der Klage im Wesentlichen aus, dass die tatsächliche Höhe des streitgegenständlichen Gebäudes ca. 3,70 m an der Süd-West-Ecke und ca. 2,30 m an der Nord-West-Ecke betrage. Es liege damit ein Ermessensfehler vor, da die von der Behörde zugrunde gelegten Maße signifikant von den tatsächlichen Maßen abweichen würden. Die Bezeichnung als Firsthöhe im Bescheid erwecke den falschen Eindruck, dass es sich um ein Satteldach handle und diese Höhe bei der Berechnung der Abstandsfläche keine Rolle spiele. Die Ansicht des Beklagten, der Neubau beeinträchtige die Kläger nicht stärker als die zuvor bestandene Jagdhütte sei nicht nachvollziehbar. Im Neubau finde eine völlig andere Nutzung statt, insbesondere würden dort Maschinen abgestellt. Außerdem sei der Neubau größer als der ursprüngliche Bestand. Es liege auf der Hand, dass dies zu einer stärkeren Beeinträchtigung der Kläger führe. Der Vergleich mit dem Altbestand sei außerdem unerheblich. Es sei unstreitig, dass das Bauvorhaben die Abstandsflächen nicht einhalte und diese seien drittschützend, wobei eine Verschlechterung der bisherigen Situation keine Tatbestandsvoraussetzung für einen Anspruch auf eine Beseitigungsanordnung sei. Das neue Gebäude überrage deutlich den Altbestand sowie die Gartenmauer der Kläger und führe zu einer Verschlechterung der abstandsflächenrechtlichen Situation. Dies sei in der Ermessensausübung überhaupt nicht berücksichtigt worden. Es handle sich auch um einen vollständigen Neubau und nicht lediglich um eine Sanierung. Es fehle an der Genehmigungsfähigkeit, der Beigeladene nutze den Neubau privat und dieser diene damit gerade nicht dem landwirtschaftlichen Betrieb. Darüber hinaus wiesen die zwei weiteren, auf dem Grundstück des Beigeladenen sich befindlichen, grenzständigen Holzhütten tatsächlich an der Süd-West-Ecke eine Höhe von 2,50 m auf und träten damit hinter der Gartenmauer der Kläger hervor. Zudem sei der Neubau nicht mit einer Mauer vergleichbar, da dort Maschinen untergestellt würden. Dessen zum klägerischen Grundstück geneigtes Dach weise keine Regenrinne auf, so dass das Regenwasser in die Gartenmauer der Kläger und unter der Mauer ablaufe und diese auf Dauer schädige. Gleichzeitig werde die Ausübung des Hammerschlags- und Leiterrechts an dieser Stelle durch das Gebäude verhindert. Die von der Grundstücksgrenze abgewandte Seite des Gebäudes sei 3,70 m hoch, die zur Grenze gewandte Seite 2,30 m hoch. Auch eine Einfriedung in dieser Höhe wäre nicht genehmigungsfähig. Durch das Unterstellen von Maschinen komme es zu Immissionen auf dem Grundstück der Kläger. Sowohl die damit verbundene Lärmbelästigung als auch die Abgase am Wohngebäude der Kläger erwiesen sich als rücksichtslos. Dies sei bislang in der Ermessensentscheidung nicht berücksichtigt worden. Bauliche Anlagen, die dem Abstellen von Kraftfahrzeugen und Maschinen dienten, sollten sich aus Rücksichtnamegründen möglichst nah an der Grundstückseinfahrt und nicht im hinteren Grundstücksbereich nur wenige Meter vom Wohnhaus des Nachbarn entfernt befinden. Die Kläger könnten den Erlass der beantragten Verfügung beanspruchen, da ein wesentliches Rechtsgut verletzt sei oder eine Störung von hoher Intensität vorliege. Außerdem liege eine massive Verletzung des Abstandsflächenrechts vor und für eine Abweichung fehle es an der erforderlichen Atypik. Als äußerste Grenze für eine Abweichung sei in jedem Fall die Vermeidung von engen Reihen zu beachten, die als Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 Satz 1 BayBO anzusehen sei.
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Der Beklagte beantragte dagegen,
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die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung wurde im Wesentlichen auf den streitgegenständlichen Ablehnungsbescheid verwiesen. Mit Schreiben vom 5. Februar 2019 wurde ergänzend ausgeführt, dass eine heimtückische Erhöhung des Grenzgebäudes mittels der nochmaligen Baukontrolle am 25. Mai 2018 habe widerlegt werden können. Es bleibe bei den im Bescheid angegebenen Höhen. Dies gelte auch für die beiden weiteren Grenzgebäude. Überdies sei der Umstand, dass es sich um einen Neubau und nicht um eine Sanierung handle, bei der Entscheidungsfindung durchaus berücksichtigt worden, denn dadurch hätte es einer Baugenehmigung bedurft. Außerdem sei bei bestimmungsgemäßer Nutzung des Unterstands auch damit verbundene Beeinträchtigungen durch Lärm und Abgase von den Klägern hinzunehmen, da der Ortsteil … als Dorfgebiet einzustufen sei.
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Der Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.
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Das Gericht hat am 17. Juni 2020 Beweis erhoben durch Einnahme eines Augenscheins auf dem streitgegenständlichen Grundstück und der näheren Umgebung.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichts- bzw. die vorgelegten Behördenakten verwiesen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg.
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1. Der Bescheid des Landratsamts F. vom … August 2018 ist rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten; sie haben keinen Anspruch auf bauaufsichtliches Einschreiten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
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Ein Anspruch auf bauaufsichtliches Einschreiten durch Erlass einer Beseitigungsanordnung kann sich aus Art. 76 Satz 1 BayBO ergeben. Nach dieser Vorschrift kann die Bauaufsichtsbehörde die teilweise oder vollständige Beseitigung von Anlagen anordnen, die im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften errichtet oder geändert wurden, wenn nicht auf andere Weise rechtmäßige Zustände hergestellt werden können. Ein Anspruch des Nachbarn auf bauaufsichtliches Einschreiten erfordert dabei zum einen, dass er durch die bauliche Anlage in nachbarschützenden Rechten verletzt ist, zum anderen, dass das Ermessen der Bauaufsichtsbehörde auf Null reduziert ist. Liegt eine Ermessensreduzierung auf Null nicht vor, hat der Kläger lediglich einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über ein bauaufsichtliches Einschreiten der Bauaufsichtsbehörde sowie auf Art und Weise des Einschreitens (BayVGH, B.v. 4.7.2011 - 15 ZB 09.1237 - juris Rn. 11; B.v. 07.09.2018 - 9 ZB 16.1890 - juris Rn. 6). Dabei gelten für die Ermessensausübung der Bauaufsichtsbehörde die allgemeinen Grundsätze (BayVGH, U.v. 4.12.2014 - 15 B 12.1450 - juris Rn. 21).
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a. Das streitgegenständliche Gebäude verstößt gegen die drittschützenden Vorschriften des Abstandsflächenrechts, da es nicht die nach Art. 6 Abs. 1 Satz 1 BayBO erforderliche Abstandsfläche zur Grundstücksgrenze der Kläger einhält.
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Die Abstandsflächenplicht entfällt nicht nach Art. 6 Abs. 9 Satz 1 Nr. 1 BayBO. Danach sind in den Abstandsflächen eines Gebäudes sowie ohne eigene Abstandsflächen, auch wenn sie nicht an die Grundstücksgrenze oder an das Gebäude angebaut werden, unter anderem zulässig Gebäude ohne Aufenthaltsräume mit einer mittleren Wandhöhe bis zu 3 m und einer Gesamtlänge je Grundstücksgrenze von 9 m, bei einer Länge der Grundstücksgrenze von mehr als 42 m darüber hinaus freistehende Gebäude ohne Aufenthaltsräume und Feuerstätten mit einer mittleren Wandhöhe bis zu 3 m, nicht mehr als 50 m³ Brutto-Rauminhalt und einer Gesamtlänge je Grundstücksgrenze von 5 m.
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Die Voraussetzungen dieser Norm sind vorliegend nicht erfüllt, da sich neben dem streitgegenständlichen Unterstand an der nördlichen Grundstücksgrenze noch zwei weitere grenzständig errichtete Gebäude mit insgesamt 10 m Länge befinden und so die Gesamtlänge der grenznahen Bebauung von insgesamt 9 m je Grundstücksgrenze bzw. von insgesamt 14 m nach Art. 6 Abs. 9 Satz 1 Nr. 1 HS. 2 BayBO überschritten wird.
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b. Jedoch liegt eine Ermessensreduzierung auf Null nicht vor.
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In der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs ist geklärt, dass allein eine Verletzung des Abstandsflächenrechts nach Art. 6 BayBO oder einer sonstigen nachbarschützenden Vorschrift durch den benachbarten Bauherrn nicht genügt, um eine Reduzierung des von Art. 76 Satz 1 BayBO eingeräumten Ermessens auf eine strikte Verpflichtung der Bauaufsichtsbehörden zum Einschreiten zu begründen. Eine solche Ermessensreduzierung ist regelmäßig nur anzunehmen, wenn die von der rechtswidrigen Anlage ausgehende Beeinträchtigung einen erheblichen Grad erreicht und die Abwägung mit dem Schaden des Bauherrn ein deutliches Übergewicht der nachbarlichen Interessen ergibt (BayVGH, B.v. 15.01.2019 - 15 ZB 17.317 - juris Rn. 4 m.w.N.).
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Die Frage einer Ermessensreduktion zugunsten eines bauaufsichtlichen Einschreitens ist damit auch bei einer Verletzung nachbarschützender Normen des Abstandsflächenrechts von den konkreten Umständen des Einzelfalls abhängig (BayVGH, B.v. 07.09.2018 - 9 ZB 16.1890 - juris Rn. 6). Dem Nachbarn ist unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit ein Rechtsanspruch auf Einschreiten nur bei hoher Intensität der Störung oder Gefährdung des Nachbarn zuzubilligen. Das ist der Fall, wenn - wie oben bereits beschrieben - die von der (potenziell) rechtswidrigen baulichen Anlage ausgehende Beeinträchtigung des Nachbarn einen erheblichen Grad erreicht und die Abwägung mit dem Schaden des Bauherrn ein deutliches Übergewicht der nachbarlichen Interessen ergibt, insbesondere wenn eine unmittelbare, auf andere Weise nicht zu beseitigende Gefahr für hochrangige Rechtsgüter wie Leben oder Gesundheit droht oder sonstige unzumutbare Belästigungen abzuwehren sind. Der Vortrag, das streitgegenständliche Gebäude sei formell und materiell illegal und verletze den Nachbarn in seinen Rechten, genügt mithin nicht, um einen strikten Anspruch wegen Ermessensreduzierung zu begründen (BayVGH, B.v. 10.04.2018 - 15 ZB 17.45 - juris Rn. 19 m.w.N.).
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Diese hohen Voraussetzungen, insbesondere eine unmittelbare, auf andere Weise nicht zu beseitigende Gefahr für wesentliche Rechtsgüter der Kläger, sind im vorliegenden Fall nicht ersichtlich. Die Kläger erfahren durch den streitgegenständlichen Unterstand keine nennenswerte Beeinträchtigung.
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(1) Wie der Augenschein gezeigt hat, sind auch von der Nordwestecke des klägerischen Gebäudes aus lediglich die Dachflächen der drei Nebengebäude des Beigeladenen insgesamt im Blickfeld. Ansonsten sind durch die klägerische Mauer die Gebäude größtenteils vom Grundstück der Kläger aus nicht zu sehen.
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Im Übrigen besteht kein Rechtsanspruch der Kläger vom Anblick von Gebäuden im Außenbereich verschont zu bleiben. Die Kläger können sich daher nicht auf eine Beeinträchtigung des bislang freien Ausblicks von ihrer Terrasse aus nach Süden berufen. Die Aufrechterhaltung einer ungeschmälerten Aussicht stellt eine durch die Baugenehmigung vermittelte Chance dar, deren Vereitelung grundsätzlich nicht dem Entzug einer Rechtsposition gleichkommt (BayVGH, B.v. 17.6.2010 - 15 ZB 09.2132 - juris Rn. 13). Der Kläger, der sich seine Bauwünsche erfüllt hat, hat es auch nicht in der Hand, durch die Art und Weise seiner Bauausführung unmittelbaren Einfluss auf die Bebaubarkeit anderer Grundstücke zu nehmen. Die Baugenehmigung schafft keine Grundlage dafür, weitere (Nachbar-) Vorhaben mit dem Argument abzuwehren, für das behördlich gebilligte eigene Baukonzept sei von ausschlaggebender Bedeutung gewesen, dass der Eigentümer des angrenzenden Grundstücks die Nutzungsmöglichkeiten, die das Baurecht an sich eröffnet, nicht voll ausschöpft (BVerwG, B.v. 6.12.1996 - 4 B 215.96 - juris Rn. 9; BayVGH, B.v. 03.02.2017 - 9 CS 16.2477 - juris Rn. 26). Im Übrigen bestand auch schon vor der Neuerrichtung des streitgegenständlichen Unterstands ein Gebäude an genau derselben Stelle auf dem Grundstück des Beigeladenen.
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(2) Auch der Einwand, der Unterstand führe zu nicht unerheblichem Lärm, führt nicht zu einer Ermessensreduzierung auf Null.
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Das streitgegenständliche Gebäude liegt im Außenbereich, so dass die Lage des Wohnanwesens der Kläger am Ortsrand dessen Schutzwürdigkeit hinsichtlich der (Lärm-) Beeinträchtigungen, die durch den Unterstand verursacht werden, bestimmt. Eigentümer von Wohngrundstücken am Rande des Außenbereichs können aber nicht damit rechnen, dass in ihrer Nachbarschaft keine emittierenden Nutzungen entstehen; sie dürfen nur darauf vertrauen, dass keine mit der Wohnnutzung unverträgliche Nutzung entsteht. Dies ist vorliegend nicht der Fall, da die Lärmbelastung nicht über das in einem - ebenso dem Wohnen dienenden - Misch- oder Dorfgebiet zulässige Maß hinausgeht (vgl. BVerwG, B.v. 18.12.1990 - 4 N 6.88 - juris Rn. 29). Der Beigeladene nutzt den Unterstand nach seinen Angaben nicht für seinen landwirtschaftlichen Betrieb, sondern zu privaten Zwecken. Auch der Augenschein hat dementsprechend gezeigt, dass auf dem Grundstück des Beigeladenen keine erkennbare Fahrspur oder ähnliches zu dem gegenständlichen Gebäude hin existiert. Die Kläger müssen ferner sogar damit rechnen, dass sich landwirtschaftliche Betriebe, die sich in einer vergleichbaren Ortsrandlage - wie hier das Grundstück des Beigeladenen - befinden, in den Außenbereich hinein erweitern (BayVGH, B.v. 03.02.2017 - 9 CS 16.2477 - juris Rn. 19).
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(3) Soweit sich die Kläger beeinträchtigt sehen, weil Regenwasser in die Gartenmauer der Kläger und unter der Mauer ablaufe und diese auf Dauer schädige, müssen sie sich auf den Zivilrechtsweg verweisen lassen. Die Vereinbarkeit des Bauvorhabens mit einem solchen Recht ist nicht Gegenstand der bauaufsichtlichen Prüfung. Über die Vereinbarkeit privater Rechte Dritter mit dem Bauvorhaben wird gemäß Art. 68 Abs. 4 BayBO auch im Baugenehmigungsverfahren nicht entschieden. Auch bei einer Beseitigungsanordnung nach Art. 76 Satz 1 BayBO prüft die Behörde nach dem Wortlaut der Norm die Vereinbarkeit mit den öffentlich-rechtlichen Vorschriften. Daher begründet ein privates Recht grundsätzlich auch keinen Anspruch des Nachbarn auf bauaufsichtliches Einschreiten, sondern muss vor den ordentlichen Gerichten geltend gemacht werden.
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(4) Auch soweit sich die Kläger darauf berufen, an ihrer Mauer Instandhaltungs- und Wartungsarbeiten aufgrund des Unterstands nicht mehr durchführen zu können, werden sie nicht so gravierend beeinträchtigt, dass eine Beseitigung des Gebäudes die einzig richtige Ermessensentscheidung wäre. Es ist den Klägern zumutbar, sich über das Anwesen des Beigeladenen Zutritt zur Rückseite ihrer Mauer zu verschaffen (vgl. BayVGH, B.v. 04.07.2011 - 15 ZB 09.1237 - juris Rn. 13). Auch insoweit müssen sich die Kläger aber darauf verweisen lassen, dass sich auch schon zuvor an derselben Stelle ein grenzständiges Gebäude auf dem Grundstück des Beigeladenen befunden hat und die Kläger trotzdem eine Mauer direkt an ihrer Grundstücksgrenze errichtet haben. Dies kann einem Anspruch auf bauaufsichtliches Einschreiten der Kläger nach Treu und Glauben entgegengehalten werden, wenn sie nun ihrerseits Einwendungen gegen das grenzständig errichtete Gebäude aufgrund des Bestehens ihrer Mauer geltend machen.
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c. Dem damit nur bestehenden Anspruch der Kläger auf fehlerfreie Ermessensausübung ist das Landratsamt nachgekommen, indem es den Antrag auf bauaufsichtliches Einschreiten abschlägig verbeschieden hat.
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Ermessenfehler des Beklagten sind diesbezüglich nicht gegeben. Der Beklagte durfte insbesondere bei der Entscheidung berücksichtigen, dass sich an der Stelle auch schon vorher ein grenzständiges Gebäude befunden hat und hat hierbei auch erkannt, dass es sich nicht um die Sanierung des zuvor bestehenden Gebäudes, sondern um einen Neubau handelt. Der Beklagte hat auch zutreffend darauf abgestellt, dass eine besonders qualifizierte Nachbarrechtsbeeinträchtigung nicht vorliegt (vgl. oben b.).
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3. Die Klage war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Es entspricht der Billigkeit, dass der Beigeladene seine außergerichtlichen Kosten selbst trägt, weil er keinen Antrag gestellt und sich damit nicht dem Kostenrisiko des § 154 Abs. 3 VwGO ausgesetzt hat (§ 162 Abs. 3 VwGO).