Inhalt

LG München I, Endurteil v. 18.03.2020 – 30 O 4201/19
Titel:

Leistungen, Anscheinsbeweis, Anwaltsvertrag, Streitwert, Versicherungsvertrag, Staatsanwalt, Deckungszusage, Pflichtverletzung, Widerspruch, Zeuge, Unterlassung, Rechtsschutzversicherung, Anspruch, Beamten, Kosten des Rechtsstreits, Vermeidung von Wiederholungen, Freistaat Bayern

Schlagworte:
Leistungen, Anscheinsbeweis, Anwaltsvertrag, Streitwert, Versicherungsvertrag, Staatsanwalt, Deckungszusage, Pflichtverletzung, Widerspruch, Zeuge, Unterlassung, Rechtsschutzversicherung, Anspruch, Beamten, Kosten des Rechtsstreits, Vermeidung von Wiederholungen, Freistaat Bayern
Rechtsmittelinstanz:
OLG München, Endurteil vom 25.11.2020 – 15 U 2415/20 Rae
Fundstelle:
BeckRS 2020, 39343

Tenor

1. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 6.044,87 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 05.12.2018 zu zahlen.
2. Der Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
4. Der Streitwert wird auf 6.044,87 € festgesetzt.

Tatbestand

1
Die Klägerin, ein Rechtsschutzversicherer, macht gegen den Beklagten nach § 86 VVG übergegangene Schadensersatzansprüche wegen Schlechterfüllung eines Anwaltsvertrages geltend.
2
Der Beklagte vertrat den Zeugen …, einen Versicherungsnehmer der Klägerin, in einer zivilrechtlichen Angelegenheit. Die Klägerin erteilte auf Antrag des Beklagten dem Zeugen … Deckungszusage für das außergerichtliche Tätigwerden und für das gerichtliche Verfahren erster Instanz. Dem lag folgender Sachverhalt zugrunde: Der Zeuge …, wie der Beklagte Rechtsanwalt, vertrat seinerseits ein Ehepaar in gerichtlichen Auseinandersetzung wegen eines Kaufes über die Internetplattform ebay. Der Anwalt der Gegenseite erstattete im Laufe der gerichtlichen Auseinandersetzung gegen den Zeugen … Strafanzeige wegen falscher Verdächtigung. Der bei der Staatsanwaltschaft zuständige Staatsanwalt … leitete daraufhin ein Ermittlungsverfahren gegen den Zeugen … ein und ließ die beiden Mandanten des Zeugen … über die Polizei ihrerseits als Zeugen vernehmen. Im Anschluss hieran wurde das Ermittlungsverfahren gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt. Eine seitens des Zeugen gegen den gegnerischen Anwalt erstattete Strafanzeige wurde durch den zuständigen Staatsanwalt … gemäß § 152 Abs. 2 StPO eingestellt. Im Anschluss hieran wurde der Beklagte auftragsgemäß tätig, um zivilrechtliche Ansprüche gegen Herrn Staatsanwalt … durchzusetzen. Sowohl vorgerichtlich als auch gerichtlich (Landgericht München I, Az. …) machte der Beklagtenvertreter für den Zeugen … Unterlassungs- und Schadensersatzansprüche geltend. Die Klage wurde rechtskräftig abgewiesen. Zur Begründung führte das mit der Klage befasste Gericht aus, dass der Beklagte Staatsanwalt … nicht passiv legitimiert sei; entgegen der Auffassung des Klägers könne er nicht neben seiner Amtstätigkeit als Privatperson tätig geworden sein oder im Sinne des Unterlassungsbegehrens zukünftig tätig werden, denn der Kläger werfe dem Beklagten gerade die Verletzung einer Pflicht im Rahmen der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen vor. Es sei schon nicht erkennbar, wie der Beklagte als Privatmann den Kläger mit - aus Sicht des Klägers rechtswidrigen - Ermittlungshandlungen überziehen könnte. Eine Anordnung des Beklagten als Privatmann werde die Polizei kaum Folge leisten. § 839 BGB sei eine erschöpfende Regelung der Haftung aus schuldhafter Amtspflichtverletzung und lex specialis, neben der für die Anwendung der allgemeinen Haftungstatbestände der §§ 823 ff BGB (einschließlich des § 826 BGB) wie auch derjenigen außerhalb des BGB, die Verschulden oder vermutetes Verschulden Voraussetzung, kein Raum bleibe. Die Klägerin verweigerte eine Deckungszusage für das Berufungsverfahren; das Urteil wurde sodann rechtskräftig. Mit Anwaltsschreiben vom 20.11.2018 setzte die Klägerin dem Beklagten eine Zahlungsfrist für die streitgegenständliche Forderung bis zum 04.12.2018, welche fruchtlos verstrich.
3
Die Klägerin trägt vor, dass der Zeuge … bei einer Aufklärung durch den Beklagten, dass ein Vorgehen gegen Herrn Staatsanwalt … ohne Erfolgsaussichten sei, keinen Auftrag zum außergerichtlichen und gerichtlichen Tätigwerden gegen Herrn … erteilt hätte.
4
Die Klägerin vertritt die Auffassung, dass für ein Vorgehen gegen Herrn Staatsanwalt … keinerlei Erfolgsaussichten bestanden hätten und der Beklagte deswegen verpflichtet gewesen sei, hierüber den Zeugen … zu belehren. Der Beklagte hätte dem Zeugen … auch nicht zur Einholung einer Deckungszusage raten dürfen.
5
Die Klägerin beantragt zuletzt an die Klägerin 6044,87 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 05.12.2018 zu zahlen Beklagte beantragt Klageabweisung Er führt aus,
dass er den Zeugen … darüber aufgeklärt habe, dass die persönliche Haftung des Beamten grundsätzlich nach den §§ 839 BGB in Verbindung mit Artikel 34 GG ausgeschlossen ist und daher nicht damit zu rechnen sein dürfte, dass die Ansprüche des Zeugen außergerichtlich durch den Staatsanwalt … ganz oder teilweise erfüllt werden würden. Er habe ihn jedoch weiter darauf hingewiesen, dass allenfalls ein Einfallstor durch das Tatbestandsmerkmal „in Ausübung einer hoheitlichen Tätigkeit“ bestehen könnte, wenn man darlegen könne, dass ein seitens des Beamten betriebenes „schikanöses Verhalten“ bzw. ein diskriminierendes Verhalten - die polnische Abstammung des Zeugen … sei wegen seines Akzentes wahrnehmbar - keine „Ausübung einer hoheitlichen Tätigkeit“ sei, zumal die Haftungsprivilegierung ja auch nur „grundsätzlich“ bestünde. Der Zeuge … habe sich explizit dafür ausgesprochen, dass nicht gegen den Freistaat Bayern, sondern gegen Staatsanwalt … persönlich vorgegangen werde. Er habe den Zeugen … auch von einer Einholung einer Kostendeckungszusage bei der Klägerin abgeraten. Ohne eine Kostendeckungszusage hätte der Zeuge … keinen Auftrag erteilt. Dennoch habe der Zeuge auf einer Einholung einer Deckungszusage und einem Tätigwerden bestanden.
6
Nachdem eine Reaktion auf das außergerichtliche Anspruchsschreiben seitens des Gegners nicht erfolgt sei, habe der Zeuge - nach neuerlicher Belehrung - den Beklagten gebeten, eine zivilrechtliche Klage einzureichen, um seine Ansprüche auf Unterlassung und Entschädigung gerichtlich zu verfolgen.
7
Das Gericht hat mündlich verhandelt am 05.02.2020. Der Zeuge … wurde uneidlich einvernommen. Insoweit wird auf das Protokoll der Verhandlung Bezug genommen. Im Übrigen wird zur Ergänzung des Tatbestandes auf den gesamten Akten Inhalte samt Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

A.
8
Die zulässige Klage ist begründet.
9
Die Klägerin hat einen auf sie nach § 86 VVG übergegangenen Anspruch des Zeugen … gegen den Beklagten wegen einer schuldhaften Pflichtverletzung aus einem Anwaltsvertrag gemäß §§ 280 Abs. 611, 675 BGB auf Ersatz des hieraus resultierenden Kostenschadens.
I.
10
Zu dem Pflichtenkreis eines Rechtsanwaltes gehört es, den Mandanten ordnungsgemäß über die Erfolgsaussichten der Klage aufzuklären. Aussichtslose oder sehr wenig aussichtsreiche Rechtsstreitigkeiten darf ein Rechtsanwalt nur dann für seinen Mandanten führen, wenn er zuvor seinen Mandanten zutreffend hierüber aufgeklärt hat und der Mandant trotzdem ein weiteres Vorgehen wünscht.
11
1. Hier fehlt es zur Überzeugung des Gerichts (§ 286 ZPO) bereits an einer zutreffenden Aufklärung des Mandanten über die Erfolgsaussichten des vorgerichtlichen Tätigwerdens und der Klage.
12
Für ein Vorgehen gegen Herrn Staatsanwalt … bestanden von vornherein keinerlei Erfolgsaussichten. Das erkennende Gericht macht sich insoweit die hier im Tatbestand wiedergegebenen Ausführungen des Gerichtes des Vorprozesses zu eigen und bezieht sich zur Vermeidung von Wiederholungen hierauf.
13
Darüber hinaus gilt: Eine etwaige Diskriminierung des Zeugen … wurde hier vom Beklagtenvertreter nur in unschlüssiger Art und Weise in den Raum gestellt. Der Beklagtenvertreter hat nicht vorgetragen, dass die polnische Abstammung des Zeugen … den Staatsanwalt … kraft eines direkten Kontaktes bekannt geworden ist und diesen damit in seinen Handlungen beeinflusst haben könnte. Unabhängig hiervon ist eine „Ungleichbehandlung“ dergestalt, dass eine Anzeige nach § 152 Abs. 2 StPO und die andere nach Durchführung von Ermittlungsmaßnahmen nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt wird, ein derart alltäglicher Vorgang, dass hier auch nicht der Anschein einer Ungleichbehandlung entstehen kann. Damit hätte - auch unter Zugrundelegung der Auffassung des Beklagten - weder eine Haftung des Beamten, noch eine Haftung des Freistaates Bayern dargestellt werden können.
14
2. Darüber, dass für ein Vorgehen gegen Staatsanwalt … keinerlei Erfolgsaussichten bestanden, hat der Beklagte schon nach seinem eigenen Vortrag nicht ordnungsgemäß belehrt.
15
Nach seinem eigenen Vortrag hat der Beklagte den Zeugen … darauf hingewiesen, dass trotz eines grundsätzlichen Ausschlusses der Eigenhaftung des Beamten allenfalls ein Einfallstor durch das Tatbestandsmerkmal „in Ausübung einer hoheitlichen Tätigkeit“ bestehen könnte, wenn man darlegen könne, dass ein seitens des Beamten betriebenes „schikanöses Verhalten“ bzw. ein diskriminierende Verhalten keine „Ausübung einer hoheitlichen Tätigkeit“ sei, zumal die Haftungsprivilegierung ja auch nur „grundsätzlich“ zu bestünde. Damit hat der Beklagte für den Zeugen … die Möglichkeit offen gelassen, dass es tatsächlich zu einer Eigenhaftung des Beklagten kommen werde. Dies stellte keine zutreffende Belehrung über die - in keiner Weise vorhandenen - Erfolgsaussichten der Klage dar.
II.
16
Zur Überzeugung des Gerichtes (§ 287 BGB) steht auch fest, dass der Zeuge … bei einer ordnungsgemäßen Belehrung von einem außergerichtlichen und gerichtlichen Vorgehen gegen Herrn Staatsanwalt … Abstand genommen und keinen Auftrag für ein Tätigwerden erteilt hätte.
17
Zwar streitet hier nicht zugunsten der Klägerin der Anscheinsbeweis der Vermutung des beratungsgerechten Verhaltens, da der Zeuge … über eine Rechtsschutzversicherung durch die Klägerin und eine korrespondierende Deckungszusage für das vorgerichtliche Tätigwerden und das Tätigwerden in erster Instanz verfügte. In solchen Fällen entspricht es nach Auffassung des Gerichtes nicht allgemeiner Lebenserfahrung, dass ein vernünftiger Mandant von einem vorgerichtlichen und gerichtlichen Verfahren Abstand nimmt, da die Sache ihn „nichts kostet“; was jedoch kostenlos ist, wird oft auch aus nicht rationalen Motiven in Anspruch genommen, schließlich hat man sich die Leistungen einer Rechtsschutzversicherung durch Versicherungsbeiträge erkauft und möchte davon auch profitieren.
18
Jedoch ergibt sich zur Überzeugung des Gerichtes aus der uneidlichen Einvernahme des Zeugen …, dass dieser bei ordnungsgemäßer Belehrung den Herrn Staatsanwalt … nicht in Anspruch genommen hätte.
19
Der Zeuge … hat in seiner Aussage dargestellt, dass er sich durch das Vorgehen des Staatsanwaltes diskriminiert fühlte. Das Verfahren gegen den gegnerischen Anwalt sei nach § 152 Abs. 2 StPO eingestellt worden, gegen ihn habe jedoch der Staatsanwalt ermittelt und eine Zeugeneinvernahme seiner Mandanten in Auftrag gegeben. In ausdrücklichen Widerspruch gegen die Einlassung des Beklagten hat der Zeuge … angegeben, dass es ihm nicht primär darum gegangen sei, gegen den Staatsanwalt persönlich vorzugehen. Ihm sei es primär um die Unterlassung eines Vorgehens für die Zukunft gegangen. Ob der Staatsanwalt … direkt oder mittelbar zur Verantwortung gezogen wird, sei für ihn nicht entscheidend gewesen. Nach dem persönlichen Eindruck des Gerichtes war es ein Anliegen des Zeugen …, für die Zukunft weitere Ermittlungsverfahren gegen seine Mandanten zu verhindern und eine irgendwie geartete Kompensation durch Maßregelung des Beamten … zu erreichen. Keiner der möglichen Vorgehensweisen, also gegen den Staatsanwalt direkt oder gegen den Freistaat Bayern hätte dies hier zur Folge haben können, vergleiche dazu die Ausführungen unter Ziffer I.1. Nach dem persönlichen Eindruck des Gerichtes, den es von dem Zeugen … in der Verhandlung gewonnen hat, hätte dieser bei entsprechender Belehrung von einem Vorgehen insgesamt Abstand genommen. Insgesamt war die Zeugenaussage glaubhaft und - trotz der engen Beziehung des Zeugen zum Beklagten - auch glaubwürdig. Der Zeuge tätigte seine Aussage sachlich und ruhig; er setzte sich auch teilweise in Widerspruch zu den Einlassungen des Beklagten, wenngleich das Gericht nicht verkennt, dass der Zeuge, dem seitens der Klägerin der Streit verkündet wurde, durchaus ein Eigeninteresse am Ausgang des Verfahrens hat, da je nach Ausgang des Verfahrens auch eine Verletzung seiner Obliegenheiten aus seinem Versicherungsvertrag mit der Klägerin im Raum steht. Dennoch, nach dem persönlichen Eindruck des Gerichtes ging es dem Zeugen im vorliegenden Fall nicht darum, mutwillig die Leistungen seiner Rechtsschutzversicherung in Anspruch zu nehmen oder in reinen schikanöser Art und Weise den Staatsanwalt … mit einem sinnlosen Prozess zu überziehen. Dies auch deswegen, weil er nach seiner subjektiven Wahrnehmung sich selbst einer ungerechtfertigten Behandlung ausgesetzt sah und ganz allgemein betrachtet eine solche Verhaltensweise einem Rechtsanwalt als Organ der Rechtspflege grundsätzlich wesensfremd wäre. Das Gericht ist davon überzeugt, dass der Zeuge … sich im konkreten Fall nicht so verhalten hätte.
III.
20
Die geltend gemachten Beträge - welche unstreitig zutreffend berechnet wurden - wurden von der Rechtsschutzversicherung, nach Abzug eines Selbstbehaltes in Höhe von 150 EUR, geleistet.
IV.
21
Der Beklagte hat nicht dargelegt, dass die in jedem Fall geschuldete Ratsgebühr nach § 34 Abs. 1 S. 3 RVG höher als der Selbstbehalt ausgefallen wäre. Es handelt sich jedoch um eine Obergrenze, so dass der Beklagte hätte darlegen müssen, dass die Obergrenze durch seine Erstberatung erreicht worden wäre.
V.
Zinsen: §§ 286, 288 BGB
B.
Kosten: § 91 ZPO
C.
Vorläufige Vollstreckbarkeit: § 709 S. 2 ZPO
D.
Streitwert: § 62 Abs. 2 GKG, § 3 ZPO.