Inhalt

VG Ansbach, Gerichtsbescheid v. 01.12.2020 – AN 11 K 20.30859
Titel:

Unwirksame Asylantragstellung aus dem Ausland

Normenketten:
GG Art. 16a
AsylG § 13 , § 14 Abs. 2
RL 2013/32/EU Art. 3 Abs. 1
GrCh Art. 18
Leitsatz:
Eine Untätigkeitsklage auf einen aus dem Auslang gestellten Asylantrag ist unzulässig, weil aus dem Ausland kein wirksamer Asylantrag gestellt werden kann und das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge darüber deshalb keine Sachentscheidung treffen muss. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Asylantrag vom bzw. aus dem Ausland, Nicht-Asylantrag, Antragstellung, Anerkennung, Asylantrag, Einreise, Frist, Untätigkeitsklage, Ausland
Fundstelle:
BeckRS 2020, 36475

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.

Tatbestand

1
Der Kläger begehrt aus dem Ausland die Anerkennung als Asylberechtigter und die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.
2
Der Kläger ist russischer Staatsangehöriger und befindet sich seit über einem Jahr in Abschiebehaft im Immigration Detention Center in Bangkok, Thailand. Mit E-Mail seines nunmehrigen Zustellungsbevollmächtigten vom 20. Februar 2020 beantragte der Kläger die Durchführung eines Asylverfahrens bei der Beklagten. Dieser wurde im Wesentlichen mit einer Furcht des Klägers vor politischer Verfolgung aufgrund seiner Antikorruptionseinstellung in der Russischen Föderation begründet. Deswegen würde dem Kläger von der Russischen Föderation wohl auch kein neuer Reisepass ausgestellt werden und er in Thailand in Abschiebehaft sitzen. In ihrer E-Mail vom 27. Februar 2020 antwortete die Beklagte, dass sie nicht der richtige Ansprechpartner für die Anfrage sei, da eine Asylantragstellung nur in Deutschland und nicht aus dem Ausland möglich sei. Auf Nachfrage des Bevollmächtigten vom 15. September 2020 konkretisierte dies die Beklagte nochmals mit E-Mail vom 16. September 2020. Dabei wurde ausgeführt, dass mangels formell gültigem Asylantrag über diesen auch nicht entschieden werden könne. Eine Antragstellung aus dem Ausland sei, unabhängig von der Frage ob eine schriftliche Antragstellung möglich sei, nach der derzeitigen gesetzlichen Regelung nicht möglich. Ein förmlicher Asylantrag könne nur in Deutschland gestellt werden und Asyl mithin nicht bereits vom Verfolgerstaat aus beantragt werden. Auch europarechtliche Regelungen würden keine andere Möglichkeit vorsehen, da eine Antragstellung aus dem Ausland die Regelungen zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates für die Prüfung des Asylantrages nach der Dublin III-VO konterkarieren würden.
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Mit am 28. September 2020 eingegangenem Schreiben vom 18. September 2020 ließ der Kläger durch seinen nunmehrigen Zustellungsbevollmächtigten Klage erheben und wie folgt beantragen,
Die Bundesrepublik Deutschland wird verpflichtet, den Kläger als Asylberechtigten anzuerkennen und ihm die Flüchtlingseigenschaft zu zuerkennen.
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Zur Begründung wurde ausgeführt, dass der Kläger seit 2008 Eigentümer eines Bauunternehmens in der Russischen Föderation gewesen sei und sich im Jahr 2015 geweigert habe Bestechungsgelder an Behördenmitarbeiter zu zahlen. Nachdem diese ihm daraufhin die Abnahme verweigert hätten, habe er auf Zahlung geklagt. In der Folge sei es zu Bedrohungen des Klägers und seiner Familie gekommen und sein Geschäftspartner im Jahr 2016 ungeklärt zu Tode gekommen. Daraufhin sei der Kläger im Jahr 2016 nach Thailand geflohen, wo er die folgenden drei Jahre mit einem Touristenvisum gelebt habe, das regelmäßig erneuert worden sei, bis keine leeren Passseiten mehr vorhanden gewesen seien. Die russische Botschaft in Bangkok verweigere die Ausstellung eines neuen Reisepasses und auch jeden Kontakt zum Kläger. Infolgedessen werde er seit über einem Jahr gegen seinen Willen in Thailand außerhalb seines Herkunftslandes festgehalten, ohne die Hilfe seines Herkunftslandes in Anspruch nehmen zu können, da er von diesem Verfolgung fürchte. Am 27. Februar 2020 habe der Bevollmächtigte einen Asylantrag für den Kläger gestellt, über den die Beklagte nicht entschieden habe. Jedoch sei es ein Wesen des Rechtsstaatsprinzips, dass die Verwaltung über Anträge zeitnah entscheide. Ganz offensichtlich befinde sich die Verwaltung in einem Spannungsfeld zwischen den bestehenden abstrakten Anforderungen der Verfassung und einer unzureichenden normativen Steuerung des Asylrechts für die besondere Situation des Klägers. Deswegen glaube der Kläger selbst nicht mehr daran, dass ihm ein Rechtsanspruch auf Asyl gewährt werde, gleichwohl stehe er als Bittsteller da, der auf staatliche Gnade und humanitäre Hilfe hoffe. Die Gesetze müssten nicht nur anhand einer positiven normativen Kette geprüft werden, vielmehr müsse anhand einer rechtsphilosophischen Bewertung ausgelegt werden, ob tatsächliche, objektive Ablehnungsgründe dem Asylantrag entgegenstünden. Jedenfalls scheine das Asylrecht in der öffentlichen Wahrnehmung weit dehnbar. Das Elend des Klägers, der der Ungerechtigkeit bzw. Willkür eines internationalen Rechtssystems unterworfen sei, sei für den Bevollmächtigten selbst zu erkennen gewesen. Dieser Zustand sei nicht Gedanke der Väter des Grundgesetzes gewesen, was sich auch aus den Beratungsprotokollen des Parlamentarischen Rates ergebe. So sei zunächst eine Formulierung des Art. 16 GG vorgeschlagen worden, aus der sich eindeutig ergeben hätte, dass Asylsuchende sich tatsächlich in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten müssten. Der parlamentarische Rat habe sich jedoch nicht diese Formulierung zu eigen gemacht, sondern eine andere gefunden, nach welcher „Schutz“ für Asylsuchende unabhängig vom Ort der Antragstellung und der Herkunft zu gewähren sei. Auch im Übrigen sei die Klage zulässig und begründet. Sie sei nach § 75 Satz 2 VwGO zulässig, da die Frist drei Monaten ab Antragstellung vergangen sei. Der Antrag sei begründet, da der Kläger einen Rechtsanspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG habe. Die staatlichen Verfolgungshandlungen seien gravierend, da der Kläger gefoltert worden sei und seine Mitarbeiter und Familie bedroht worden seien. Die gängigen staatlichen Maßnahmen des russischen Staates gegen Kritiker und Opposition seien gegenwärtig und gerichtsbekannt. Hiergegen könne der Kläger auch keinen internen Schutz nach § 3e AsylG finden. Auch die Regelung des § 14 AsylG und die formellen Voraussetzungen für einen zulässigen formellen Asylantrag stünden dem nicht entgegen. Eine schriftliche Antragstellung sei dem Kläger nach § 14 Abs. 2 AsylG erlaubt. Auch sei es nicht zwingend erforderlich, dass die Asylantragstellung nur in Deutschland erlaubt sei. Dieser Grundsatz finde sich in gleichem Wortlaut in keiner Norm. Literatur und Rechtsprechung seien sich hier in der Diskussion keinesfalls einig. Auch befinde sich der Kläger nicht im Verfolgerstaat und die Ausführungen der Beklagten zum Problem des „Diplomatischen Asyls“ würden nicht der Situation des Klägers entsprechen. Zudem würde die Beklagte den Begriff des „territorialen Asyls“ falsch auslegen. Bezüglich der Einzelheiten wird auf den Schriftsatz verwiesen.
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Mit am 9. Oktober 2020 eingegangenen Schreiben vom 5. Oktober 2020 beantragte die Beklagte
Klageabweisung.
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Die Untätigkeitsklage sei bereits unzulässig, da kein Klagegegenstand mangels wirksamer Antragstellung vorliege und eine behördliche Entscheidung im Rahmen eines Asylverfahrens nicht zu tätigen gewesen sei. Zur Begründung werde im Übrigen auf die E-Mails an den Bevollmächtigten vom 16. September 2020 und 27. Februar 2020 Bezug genommen.
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Bezüglich der Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte verwiesen.

Entscheidungsgründe

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Die im Hinblick auf § 67 Abs. 3 Satz 2 VwGO wirksam erhobene Klage, mit der der Kläger aus dem Ausland im Wesentlichen die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft begehrt, ist bereits unzulässig.
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Nach § 75 Satz 1 VwGO ist die Verpflichtungsklage (§ 42 Abs. 1 Alt. 2 VwGO) in Form der Untätigkeitsklage zulässig, wenn über einen Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsaktes ohne zureichenden Grund in angemessener Frist sachlich nicht entschieden worden ist. Die Klage kann nicht vor Ablauf von drei Monaten seit dem Antrag auf Vornahme des Verwaltungsaktes erhoben werden, § 75 Satz 2 VwGO.
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Voraussetzung für die Zulässigkeit der Verpflichtungsklage in Form der Untätigkeitsklage ist damit, dass vor Erhebung der Klage ein Antrag bei der Behörde gestellt worden ist (vgl. Rennert in Eyermann, Verwaltungsgerichtsordnung, 15. Aufl. 2019, § 75 Rn. 5; BVerwG, U.v. 28.11.2007 - 6 C 42.06 - BVerwGE 130, 39 ff., + juris Rn. 22 ff.). Dies war vorliegend jedoch nicht der Fall, da der Kläger aus dem Ausland keinen wirksamen Asylantrag stellen konnte und die Beklagte über diesen deshalb keine Sachentscheidung treffen musste. Insofern geht die Kammer davon aus das es sich um einen sog. „Nicht-Asylantrag“ gehandelt hat (zur Begrifflichkeit und zum Meinungsstand vgl. Treiber in Fritz/Vormeier, GK-AsylG, § 13 Rn. 87 ff.; zu dieser Rechtsauffassung tendierend BayVGH, B.v. 1.7.2010 - 8 ZB 10.30124 - juris Rn. 3).
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Dabei ist vorab festzuhalten, dass entgegen der vorgetragenen Auffassung des Klägers eine Asylantragstellung im oder aus dem Ausland nicht möglich ist. Denn es folgt aus dem Sinn und Zweck des Asylgrundrechts sowie des Flüchtlingsschutzes, einer Person Schutz zu gewähren, die ihr Herkunftsland im Zeitpunkt der Antragstellung aus Furcht vor Verfolgung verlassen hat (§ 3 Abs. 1 Nr. 2 AsylG, Art. 3 Abs. 1 RL 2013/32/EU), dass der entsprechende Anspruch erst mit dem Betreten des Bundesgebietes bzw. des Gebietes der Mitgliedstaaten der Europäischen Union (Art. 18 GR-Charta) erworben wird (BVerwG, U.v. 26.6.1984 - 9 C 196.83 - BVerwG E 69,323, juris Rn. 10 ff.; Treiber in Fritz/Vormeier, GK-AsylG, § 13 Rn. 81 ff.). Denn ein asylrechtliches Schutzbegehren kann nur dann erfolgreich sein, wenn es innerhalb bzw. zumindest an den Grenzen des Bundesgebiets geltend gemacht wird, da nur dort die deutsche Hoheitsgewalt tatsächlich effektiv vor Verfolgung schützend zu tragen kommen kann, indem sie auf Zurückweisung des Ausländers an der deutschen Grenze verzichtet und dem Ausländer das Betreten des Territoriums gestattet oder indem sie auf seine Entfernung von diesem Territorium durch Auslieferung bzw. Abschiebung in den angeblich verfolgenden Herkunftsstaat verzichtet (vgl. VG Ansbach, U.v. 10.3.2010 - AN 3 K 09.30159). Darüber hinausgehend wird bezüglich der vom Kläger aufgeworfenen rechtsdogmatischen und rechtspolitischen Grundsatzfragen auf die ausführliche Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 26. Juni 1984 in der Rechtssache 9 C 196.83 verwiesen (insbesondere Rn. 10 ff.).
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Diese grundsätzlich abstrakten Begebenheiten greift auch das Asylgesetz einfachgesetzlich auf. Den Regelungen der §§ 14 ff. AsylG liegt erkennbar die Vorstellung von der Asylantragstellung im Bundesgebiet zu Grunde. Auch die in jüngerer Vergangenheit geführte politische Diskussion um die Möglichkeit der Asylantragstellung bei Auslandsvertretungen oder in Transitzentren, hat gezeigt, dass es sich bei der nach derzeitiger Rechtslage unmöglichen Asylantragstellung aus dem Ausland um eine bewusste migrationspolitische Entscheidung des Gesetzgebers handelt (vgl. dazu die Forderung der Evangelischen Allianz unter https://www.evangelisch.de/inhalte/151728/14-08-2018/evangelische-allianz-asylantrag-auch-botschaften-stellen (zuletzt abgerufen am 1.12.2020); vgl. auch Kluth, ZAR 2017, 105 ff.).
13
Strittig ist in der Literatur, anders als der Kläger meint, mithin nicht die Frage, wie ein aus dem Ausland gestellter Asylantrag zu bewerten ist, sondern vielmehr wie dieser konkret zu behandeln ist. Die Kammer teilt dabei - wie eingangs erwähnt - die Auffassung der Beklagten, dass dieser als sog. „Nicht-Asylantrag“ nicht zu behandeln und zu verbescheiden ist. Denn infolge einer Asylantragstellung aus dem Ausland können bereits zentrale Mitwirkungspflichten des Asylbewerbers (vgl. § 15 AsylG) nicht erfüllt werden (vgl. BayVGH, B.v. 1.7.2010 - 8 ZB 10.30124 - juris Rn. 3). Der Gebietskontakt muss darüber hinaus nicht nur eine Erfolgsvoraussetzung des Asylantrags, sondern bereits begriffliche Bedingung eines wirksamen Asylantrags sein. Denn die Entstehungsgeschichte und Systematik des Flüchtlingsrechts lassen keinen Zweifel daran, dass auch die Geltendmachung eines Schutzanspruches eine territoriale Verknüpfung voraussetzt. Wäre der Gesetzgeber von einer wirksamen Möglichkeit der Asylantragsstellung im bzw. aus dem Ausland ausgegangen, hätte es keiner Regelung über die Förmlichkeit der Antragstellung nach § 14 AsylG bedurft (vgl. zum Vorstehenden Hailbronner, Ausländerrecht, Stand: März 2020, § 33 AsylG Rn. 33 ff.).
14
Selbst wenn man mit der vom Kläger angesprochenen anderen Auffassung der Literatur (vgl. Treiber in Fritz/Vormeier, GK-AsylG, § 13 Rn. 88 m.w.N.) davon ausgehen würde, dass der aus dem Ausland gestellte Asylantrag als wirksamer Asylantrag zu behandeln wäre, hätte das Begehren des Klägers auch insoweit keinen Erfolg. Denn unabhängig von der Frage, ob ein vom Asylantrag (sog. Asylgesuch) nach § 13 AsylG abzugrenzender förmlicher Asylantrag im vorliegenden Fall nicht persönlich nach § 14 Abs. 1 AsylG gestellt werden musste, sondern auf Grund der Vorschrift des § 14 Abs. 2 Nr. 2 AsylG schriftlich gestellt werden konnte, hätte die Beklagte das Verfahren in entsprechender Anwendung der §§ 32a Abs. 2 und § 33 Abs. 1 und 2 AsylG einstellen können (vgl. hierzu BayVGH, B.v. 1.7.2010 - 8 ZB 10.30124 - juris Rn. 5). Mangels persönlicher Anwesenheit des Klägers im Bundesgebiet, die vorliegend auch in naher Zukunft nicht zu erwarten war und ist, konnte und kann dieser weder seine zentralen Mitwirkungspflichten nach § 15 AsylG wahrnehmen noch beispielsweise zu der persönlichen Anhörung nach § 25 AsylG erscheinen. Eine Einstellung des Verfahrens hätte insoweit mittlerweile wegen unterbliebener bzw. nicht möglicher Einreise des Klägers erfolgen können mit der Folge, dass auch dann keine Entscheidung in der Sache getroffen worden wäre.
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Lediglich klarstellend sei angemerkt, dass im vorliegenden Verfahren nicht zu klären ist, ob der Kläger gegebenenfalls einen Anspruch auf Erteilung eines nationalen sog. humanitären Visums zur Durchführung eines Asylverfahrens in der Bundesrepublik Deutschland nach § 6 Abs. 3 AufenthG hat (einen grundsätzlichen Anspruch nach EU-Recht verneinend zuletzt EuGH, U.v. 7.3.2017 - C 638/16; vgl. zum Gesamtkomplex Kluth, ZAR 2017, 105/106).
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Nach alldem war die Klage abzuweisen.
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Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO, die Gerichtskostenfreiheit aus § 83b AsylG.