Inhalt

VGH München, Beschluss v. 18.03.2019 – 8 ZB 19.248
Titel:

Erfolglose Anhörungsrüge im Berufungszulassungsverfahren

Normenketten:
VwGO § 124a Abs. 4 S. 4, § 152a
GG Art. 103 Abs. 1
Leitsatz:
Zulassungsvorbringen, für das die Hürde der Mindestvoraussetzungen zur Darlegung durch den Rechtsmittelführer nicht überwunden ist, kann nach Ablauf der Frist nicht erläutert oder vertieft werden; eine Gehörsverletzung im Hinblick auf solches Vorbringen ist von vornherein ausgeschlossen.  (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Anhörungsrüge im Berufungszulassungsverfahren, Zulassungsvorbringen der Beigeladenen ohne eigenen Zulassungsantrag, Erläuterung und Vertiefung fristgemäßen Zulassungsvorbringens (verneint), Berufungszulassung, Anhörungsrüge, Beigeladene, Zulassungsvorbringen, Darlegungsgebot
Vorinstanzen:
VGH München, Beschluss vom 09.01.2019 – 8 ZB 19.248
VG Würzburg, Beschluss vom 24.07.2018 – W 4 K 17.1247
Fundstelle:
BeckRS 2019, 6099

Tenor

I. Die Anhörungsrüge wird zurückgewiesen.
II. Die Beigeladene trägt die Kosten des Verfahrens über die Anhörungsrüge.

Gründe

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Die Anhörungsrüge gegen den Beschluss vom 9. Januar 2019 (Az. 8 ZB 18.2119) bleibt ohne Erfolg. Das Verfahren auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 24. Juli 2018 ist nicht fortzuführen, weil der Senat in seiner Entscheidung vom 9. Januar 2019 den Anspruch der Beigeladenen auf rechtliches Gehör nicht verletzt hat (§ 152a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 VwGO).
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1. Der Anspruch der Beteiligten auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG, Art. 91 Abs. 1 BV) verpflichtet das Gericht, seine Entscheidung nur auf Tatsachen oder Beweisergebnisse zu stützen, zu denen sich die Beteiligten äußern konnten (§ 108 Abs. 2 VwGO), sowie ein rechtzeitiges und möglicherweise erhebliches Vorbringen zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen, soweit es aus verfahrens- oder materiell-rechtlichen Gründen nicht ausnahmsweise unberücksichtigt bleiben muss oder kann (vgl. BayVerfGH, E.v. 25.8.2016 - Vf. 2-VI-15 - juris Rn. 34 f.; BVerfG, B.v. 29.10.2015 - 2 BvR 1493/11 - NVwZ 2016, 238 = juris Rn. 45; BVerwG, B.v. 17.6.2011 - 8 C 3.11 u.a. - juris Rn. 3; vgl. auch Remmert in Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, Stand August 2018, Art. 103 Rn. 98).
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2. Mit ihrer Rüge, der Senat hätte ihren Vortrag zur Fortdauer der prägenden Wirkung abgerissener Gebäude und eingestellter Nutzungen sowie zum Zulassungsgrund der besonderen und tatsächlichen Schwierigkeiten (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO), berücksichtigen müssen, zeigt die Beigeladene keinen Gehörsverstoß auf.
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2.1 Die Beigeladene hat darauf verzichtet, einen eigenen Zulassungsantrag zu stellen und als Rechtsmittelführerin aufzutreten; sie hat sich erst nach Ablauf der Antrags- und Begründungsfrist für die Berufungszulassung am Verfahren beteiligt. Aufgrund der strikten gesetzlichen Vorgaben des Berufungszulassungsrechts war die Beigeladene deshalb nicht in der Lage, Zulassungsgründe bzw. materielle Aspekte, hinsichtlich derer die rechtsmittelführende Klägerin ihre Darlegungsanforderungen nach § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO nicht fristgerecht erfüllt hat, in das Zulassungsverfahren einzuführen (vgl. BayVGH, B.v. 14.1.2013 - 10 ZB 12.2102 - NVwZ-RR 2013, 438 = juris Rn. 15; Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 124a Rn. 53; Seibert in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 124 Rn. 133). Zulassungsvorbringen, für das die Hürde der Mindestvoraussetzungen zur Darlegung durch den Rechtsmittelführer nicht überwunden ist, kann nach Ablauf der Frist nicht erläutert oder vertieft werden (vgl. BayVGH, B.v. 14.1.2013 - 10 ZB 12.2102 - NVwZ-RR 2013, 438 = juris Rn. 15; B.v. 12.2.2015 - 15 ZB 13.1578 - juris Rn. 20).
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2.2 Hinsichtlich des Vorbringens der Beigeladenen, die Verkehrsauffassung habe mit einem Wiederaufbau bzw. einer Wiederaufnahme einer gleichartigen Nutzung gerechnet (vgl. S. 7 ff. des Schriftsatzes vom 5.12.2018), hat die Klägerin ihre Darlegungsanforderungen nach § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO nicht erfüllt. Der Senat hat die diesbezüglichen Ausführungen der Beigeladenen im Zulassungsverfahren zur Kenntnis genommen, ist bei deren Bewertung aber zu dem Ergebnis gekommen, dass darin keine Erläuterung oder Vertiefung fristgemäßen Zulassungsvorbringens der Klägerin, sondern eine eigenständige Zulassungsbegründung zu sehen ist.
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2.2.1 Das Gebot der Darlegung erfordert eine substanziierte Auseinandersetzung mit der angegriffenen Entscheidung, durch die der Streitstoff durchdrungen und aufbereitet wird. Der Antragsteller muss sich mit den Argumenten, die das Verwaltungsgericht für die angegriffene Rechtsauffassung oder Sachverhaltsfeststellung und Würdigung angeführt hat, inhaltlich auseinandersetzen und aufzeigen, warum sie aus seiner Sicht nicht tragfähig sind (vgl. BayVGH, B.v. 9.10.2018 - 15 ZB 18.1907 - juris Rn. 4; B.v.14.6.2012 - 8 ZB 11.2366 - juris Rn. 10; Happ in Eyermann, VwGO, § 124a Rn. 59; Kopp/Schenke, VwGO, 24. Aufl. 2018, § 124a Rn. 49). Der bloße gegenteilige Vortrag zu den Urteilserwägungen ohne inhaltliche, argumentative Auseinandersetzung genügt dem Darlegungsgebot des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO nicht (vgl. BayVGH, B.v. 11.7.2018 - 5 ZB 17.1587 - juris Rn. 14; OVG NW, B.v. 9.7.1997 - 12 A 2047/97 - NVwZ 1998, 193 = juris Rn. 5). Das Verlangen eines Mindestmaßes an Substanziierung begegnet auch keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, solange die Anforderungen an die Darlegung der Zulassungsgründe nicht derart erschwert werden, dass sie von einem durchschnittlichen, nicht auf das einschlägige Rechtsgebiet spezialisierten Rechtsanwalt mit zumutbarem Aufwand nicht mehr erfüllt werden können (vgl. BVerfG, B.v. 8.12.2009 - 2 BvR 758/07 - BVerfGE 125, 104 = juris Rn. 88; B.v. 8.3.2001 - 1 BvR 1653/99 - NVwZ 2001, 552 = juris Rn. 19; vgl. auch Happ in Eyermann, VwGO, § 124a Rn. 59).
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2.2.2 Diesem Mindestmaß an Substanziierung wurde das Zulassungsvorbringen der Klägerin hinsichtlich derjenigen Gründe, auf die sich die Beigeladene ohne eigenen Zulassungsantrag erfolglos berufen hat, nicht gerecht. Soweit die Beigeladene die gerichtliche Sachverhaltsaufklärung (§ 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO) beanstandet hat (vgl. S. 9 des Schriftsatzes vom 5.12.2018), wurde dieser verfahrensrechtliche Aspekt (Aufklärungsrüge) von der Klägerin überhaupt nicht erwähnt. Im Übrigen wurde die Rüge der Beigeladenen, das Verwaltungsgericht habe in der Sache aus verschiedenen Einzelfallumständen (z.B. Bemühungen um Nachnutzung) von einer „Nachprägung“ ausgehen müssen, von der Klägerin nicht substanziiert in das Zulassungsverfahren eingeführt. Die bloße gegenteilige Behauptung zu den Urteilserwägungen, die Beigeladene habe sich „fortlaufend um eine Wiederbebauung bemüht“ bzw. es habe eine „Reihe von Anläufen von Interessenten“ gegeben (S. 4 f. der Zulassungsbegründung vom 30.10.2018), genügt hierfür nicht; auf die hierzu vom Verwaltungsgericht angeführten Erwägungen (vgl. S. 13 f. UA) ist die Klägerin nicht eingegangen. Auch mit ihrer pauschalen Behauptung, angesichts der „konkreten Umstände des Einzelfalls“ (welche?) sei „nicht zweifelhaft, dass die industrielle Nutzung des Plangebiets noch nachwirkt“, hatte sich die Klägerin nicht mit der Urteilsbegründung auseinandergesetzt. Der einzige in diesem Zusammenhang einzelfallbezogen angeführte Einwand, das „Zeitmodell“ könne außerhalb des Außenbereichs nicht herangezogen werden, bezieht sich auf keine tragende Begründung des Verwaltungsgerichts, da dessen Anwendbarkeit offen gelassen wurde (vgl. S. 11 UA).
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2.2.3 Soweit sich die Beigeladene darauf beruft, eine Detailkritik an den Gründen der angefochtene Entscheidung sei nicht erforderlich, verkennt sie, dass das Bundesverwaltungsgericht in der von ihr zitierten Entscheidung vom 16. Februar 2012 (Az. 9 B 71.11 - NVwZ 2012, 1490 zu § 124a Abs. 3 Satz 4 VwGO) ebenfalls verlangt, dass der Rechtsmittelführer konkret erläutert, weshalb er abweichender Auffassung ist bzw. deutlich macht, dass er eine bereits vorher konkret erläuterte abweichende Auffassung weiterhin als tragfähig erachtet (vgl. dort Rn. 3). Dem wurde die Zulassungsbegründung, wie oben ausgeführt, nicht gerecht.
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Die Klägerin durfte sich - auch unter Würdigung von Gewicht und Sorgfalt der Urteilsbegründung (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, § 124a Rn. 64, 67) - nicht darauf beschränken, der erstinstanzlichen Bewertung der Bemühungen um eine Nachnutzung (S. 13 f. UA) mit der „einfachen Behauptung“ entgegenzutreten, sie hätte sich um eine solche bemüht. Welche Anforderungen an Umfang und Dichte der Darlegung zu stellen sind, hängt zwar auch von der Intensität ab, mit der die angegriffene Entscheidung begründet worden ist (vgl. BayVGH, B.v. 13.1.2012 - 14 ZB 11.1256 - BauR 2012, 1626 = juris Rn. 3; NdsOVG, B.v. 6.6.2008 - 5 LA 270/05 - juris Rn. 22). Auch wenn die Begründung des Ersturteils zur Ernsthaftigkeit der Nachnutzungsbemühungen vergleichbar knapp ausgefallen ist (vgl. S. 13 f. UA), hätte die Klägerin zumindest darauf eingehen müssen, weshalb sich das Verwaltungsgericht nicht auf die Aussage ihrer Mitarbeiter in der mündlichen Verhandlung („Luftnummern“, S. 14 UA) hätte stützen dürfen. Zudem wäre anzuführen gewesen, dass und inwieweit zumindest in einem von ihr geschilderten Fall eine ernsthaften Weiterverfolgung der Nachnutzung zu sehen sei; das Verwaltungsgericht hat dies verneint und sich die Stellungnahme der Regierung von Unterfranken vom 12. Januar 2016 zu eigen gemacht (S. 14 UA). Das Gegenvorbringen, das Erstgericht habe sich hierzu mit dem umfangreichen schriftsätzlichen Vortrag nicht auseinandergesetzt, ändert daran nichts; die Klägerin hat dies in ihrem Zulassungsantrag weder gerügt noch auf ihr schriftliches Vorbringen im erstinstanzlichen Verfahren Bezug genommen.
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2.3 Auch mit ihren Ausführungen zum Zulassungsgrund der besonderen tatsächlichen und rechtlichen Schwierigkeiten der Rechtssache (§ 124a Abs. 2 Nr. 2 VwGO) hat die Beigeladene nicht das fristgemäße Zulassungsvorbringen der Klägerin ergänzt oder vertieft, sondern einen neuen Zulassungsgrund geltend gemacht.
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Die Klägerin hat den Zulassungsgrund nach § 124a Abs. 2 Nr. 2 VwGO weder ausdrücklich noch der Sache nach geltend gemacht; ihrer Zulassungsbegründung vom 30. Oktober 2018 kann eine darauf gerichtete Begründung auch durch sachgerechte Auslegung (vgl. hierzu BVerfG, B.v. 20.12.2010 - 1 BvR 2011/10 - juris Rn. 25; B.v. 24.8.2010 - 1 BvR 2309/09 - BayVBl 2011, 338 = juris Rn. 13) nicht entnommen werden. Die Behauptung der Beigeladenen, die Klägerin habe mit ihren Darlegungen zu den ernstlichen Zweifeln an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) zugleich ausreichende Darlegungen für den Zulassungsgrund der tatsächlichen und rechtlichen Schwierigkeiten vorgebracht, ist durch nichts belegt. Hierfür sind für den Senat auch keine Anhaltspunkte erkennbar; im Gegenteil geht die Zulassungsbegründung mit der Wendung, es sei „nicht zweifelhaft“, dass die industrielle Nutzung des Plangebiets noch nachwirke (S. 33 der Gerichtsakte), offensichtlich davon aus, dass die Rechtssache keine tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten aufweist.
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2.4 Die Begründungsfrist des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO hat der Senat der Beigeladenen nicht in dem Sinn entgegengehalten, dass ihr nach Fristablauf eingegangenes Vorbringen nicht mehr berücksichtigungsfähig wäre. Er hat ihre innerhalb der gesetzten Äußerungsfrist vorgetragenen Ausführungen zur Kenntnis genommen, ist bei deren Bewertung aber zu dem Ergebnis gekommen, dass diese aus verfahrensrechtlichen Gründen weitgehend unberücksichtigt bleiben müssen, weil er darin keine Erläuterung oder Vertiefung fristgemäßen Zulassungsvorbringens der Klägerin, sondern eine eigenständige Zulassungsbegründung gesehen hat (vgl. 2.2, 2.3). Der ergänzende Hinweis auf § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO (S. 5, 7 BA) diente der Klarstellung, dass sich die Klägerin nach Ablauf der Begründungsfrist auch nicht mehr auf die Erwägungen der Beigeladenen im Schriftsatz vom 5. Dezember 2018 beziehen und damit ihren Darlegungsanforderungen gerecht werden konnte.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO analog. Einer Streitwertfestsetzung bedarf es nicht, weil nach Nr. 5400 des Kostenverzeichnisses zum Gerichtskostengesetz (Anlage zu § 3 Abs. 2 GKG) eine streitwertunabhängige Festgebühr anfällt.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152a Abs. 4 Satz 3 VwGO).