Inhalt

SG München, Endurteil v. 16.12.2019 – S 52 AS 1176/18
Titel:

Ermittlung des Regelbedarfs

Normenketten:
SGB II § 20 Abs. 1a, § 37 Abs. 1 S. 1
SGB XII § 28, § 28a, § 40
Schlagworte:
Grundsicherungsleistungen, Regelbedarf, Regelbedarfsermittlung, Feststellungsklage, einstweiliger Rechtsschutz, Antragserfordernis
Rechtsmittelinstanzen:
LSG München, Beschluss vom 17.11.2020 – L 16 AS 16/20
BSG Kassel, Beschluss vom 29.01.2021 – B 4 AS 96/20 R
Fundstelle:
BeckRS 2019, 53592

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

1
Streitig ist zwischen den Beteiligten dieses sozialgerichtlichen Verfahren insbesondere die Gewährung von Grundsicherungsleistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) im Zeitraum März 2018 bis Februar 2019.
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Der 1957 geborene Kläger bezieht laufend Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II vom Beklagten. Dieser bewilligte ihm mit Bescheid vom 11. Februar 2017 Leistungen für März 2016 bis Februar 2017. Mit Änderungsbescheid vom 31. Oktober 2016 wurden aufgrund eines Nebenkostenguthabens die Leistungen um den Betrag von 74,35 Euro reduziert. Ein hiergegen geführtes Klageverfahren hatte in erster Instanz keinen Erfolg (Az. S 51 AS 564/17). In zweiter Instanz wurde die Kürzung im Rahmen eines gerichtlichen Vergleichs aufgehoben.
3
Im Rahmen des Verfahrens S 51 AS 564/17 wurde ein Arztbericht des C-Klinikums zum stationären Aufenthalt des Klägers im April 2018 übermittelt. Danach sei er in Begleitung der Polizei zum wiederholten Male eingeliefert worden wegen schriftlichen Suizidankündigungen gegenüber Behörden und Gerichten. Das Klinikum stellte bei Entlassung fest, dass der Kläger „von akuter Suizidalität klar und glaubhaft distanziert sei“. Suizidale Äußerungen seien als Drohung eingesetzt worden, um Druck auf das Gericht auszuüben.
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Der Beklagte bewilligte weiter mit Bescheid vom 25. Januar 2017 Leistungen für März 2017 bis Februar 2018 sowie mit Bescheid vom 14. Februar 2018 für März 2018 bis Februar 2019 in Höhe von monatlich 757,19 Euro. Der Kläger legte gegen den Bescheid vom 14. Februar 2018 Widerspruch ein. Im Jahr 2016 sei der Regelsatz auf nur 285,- Euro gekürzt worden, damit habe man seine Grundrechte verletzt. Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 9. April 2018 hinsichtlich der Kürzung im Jahr 2016 als unzulässig verworfen, im Übrigen als unbegründet zurückgewiesen.
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Der Kläger hat am 9. Mai 2018 Klage zum Sozialgericht München erhoben. Diese Klage sei zu verbinden mit dem Az. S 51 AS 564/17; das dort ergangene Urteil sei verfassungswidrig. Seit Jahren würde der Beklagte seine Gesundheit gefährden.
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Mit Schreiben vom 11. Februar 2019, eingegangen am 13. Februar 2019, hat der Kläger beim Sozialgericht eine „Untätigkeitsklage im Eilverfahren“ erhoben. Sein Gesundheitszustand habe sich massiv verschlechtert, sein Leben sei akut gefährdet. Zuvor hatte sich der Kläger am 7. Februar 2019 schriftlich an den Beklagten gewendet und mitgeteilt, dass er einen Weiterbewilligungsantrag für weitere SGB-II-Leistungen ab März 2019 nicht stellen könne. Deshalb sei sein Leben ab diesem Zeitpunkt nicht mehr gesichert. Er werde gezwungen, mit seinem Antrag auf sein selbstbestimmtes Leben zu verzichten. Der Beklagte habe freiwillig Leistungen ohne Antrag zu erbringen.
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Er hat dem Gericht gegenüber ausgeführt, dass er sich ohne Leistungen ab März 2019 nur noch von Nudeln und Soße ernähren und seine Medikamente gegen Diabetes nicht nehmen könne. Das Gericht habe also nur noch bis Ende Februar 2019 Zeit, einen körperlichen Schaden mit möglicher Todesfolge abzuwenden. Das Gericht hat das Schreiben vom 11. Februar 2019 als Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz ausgelegt und diesen mit Beschluss vom 27. Februar 2019 abgelehnt (Az. S 52 AS 386/19 ER). Leistungen könnten gemäß § 37 Abs. 1 Satz 1 SGB II nur auf Antrag erbracht werden. Überdies hat das Gericht die Polizei eingeschaltet und gebeten, im Hinblick auf eine Gefährdung tätig zu werden, da der Kläger in der Vergangenheit mehrmals Suizid angedroht habe. Die Beschwerde des Klägers ist mit Beschluss des Bayerischen Landessozialgerichts vom 21. März 2019 zurückgewiesen worden (L 15 AS 190/18 B ER).
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In der mündlichen Verhandlung am 16. Dezember 2019 hat der Bevollmächtigte des Klägers u. a. ausgeführt, dass die bewilligten SGB-II-Leistungen grundsätzlich zu niedrig seien. Die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts zum Existenzminimum seien unzureichend umgesetzt worden. Überdies habe der Kläger mit dem Schreiben vom 11. Februar 2019 keinen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz stellen, sondern allein die Untätigkeit in Bezug auf die Leistungen ab März 2019 rügen wollen.
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Der Bevollmächtigte des Klägers beantragt,
den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 14. Februar 2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. April 2018 zu verurteilen, ihm höhere SGB-II-Leistungen (höheren Regelsatz) zu gewähren. Darüber hinaus sei festzustellen, dass der Beklagte den Kläger durch die Nichtbewilligung seit März 2019 in seinen Rechten, insbesondere Grundrechten, verletzt hat.
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Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
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Im Übrigen wird zur Ergänzung des Sachverhalts wegen der Einzelheiten auf die beigezogenen Verwaltungsakten des Beklagten und die Gerichtsakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die Klage hat keinen Erfolg.
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Streitgegenstand sind hier insbesondere die Grundsicherungsleistungen ab März 2018, nicht aber auch das Verfahren mit dem Az. S 51 AS 564/17. Dieses ist bereits erledigt.
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Soweit der Kläger sich gegen den Bewilligungsbescheid vom 14. Februar 2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. April 2018 wendet, sind die Berechnungen des Beklagten nicht zu beanstanden. Dieser hatte Regelbedarf (2018: monatlich 416,- Euro, 2019: monatlich 424,- Euro) sowie die Unterkunftskosten von 341,19 Euro bewilligt.
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Gemäß § 20 Abs. 1a SGB II wird der Regelbedarf in Höhe der jeweiligen Regelbedarfsstufe entsprechend § 28 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XII) in Verbindung mit dem Regelbedarfs-Ermittlungsgesetz und den §§ 28a und 40 des SGB XII in Verbindung mit der für das jeweilige Jahr geltenden Regelbedarfsstufen-Fortschreibungsverordnung anerkannt. Für das Jahr 2019 wurde dieser nach der Regelbedarfsstufen-Fortschreibungsverordnung 2019 auf monatlich 424,- Euro festgesetzt. Dies bedeutet, dass das Kabinett die Fortschreibung beschlossen, aber keine neue Einkommens- und Verbraucherstichprobe (diese wird nur alle fünf Jahre durchgeführt) erarbeitet hat. Dies ist nicht zu beanstanden.
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Die Kürzung durch den Beklagten im Jahr 2016 auf 285,- Euro ist hier unbeachtlich; zu Recht hatte der Beklagte diesbezüglich den Widerspruch als unzulässig verworfen. Streitgegenstand sind hier nur die Leistungen ab März 2018.
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Auch hinsichtlich der Weitergewährung von Leistungen ab März 2019 ist eine Rechtsverletzung des Klägers nicht erkennbar, so dass die Feststellungsklage ebenfalls keinen Erfolg hatte:
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Das Schreiben des Klägers vom 11. Februar 2019 wurde zu Recht als Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz ausgelegt. Denn der Kläger hatte damit eindeutig zum Ausdruck gebracht, dass er sich in einer Notlage befinde und damit ein Abwarten einer Hauptsacheentscheidung nicht zumutbar gewesen wäre. Eine (Grund-) Rechtsverletzung des Klägers durch den Beklagten ist hier keinesfalls ersichtlich: Wie bereits in beiden Instanzen im einstweiligen Rechtsschutzverfahren ausgeführt, werden SGB-II-Leistungen nur auf Antrag erbracht, vgl. § 37 Abs. 1 Satz 1 SGB II. Es gilt hierbei der Grundsatz der Eigenverantwortung. Hilfebedürftigkeit muss dem Jobcenter gegenüber angezeigt werden, andernfalls kann dieses nicht tätig werden. Um die Hilfebedürftigkeit prüfen zu können, müssen die Einkommens- und Vermögensverhältnisse offengelegt werden. Die SGB-II-Leistungen sind vom Steuerzahler finanzierte Fürsorgeleistungen, die nur dann gewährt werden, wenn alle anderen Möglichkeiten zur Finanzierung des Lebensunterhalts ausgeschöpft sind.
19
Dem Kläger steht es frei, ob er staatliche Hilfe in Anspruch nimmt oder nicht. Wenn er meint, er werde gezwungen, mit seinem Antrag auf sein selbstbestimmtes Leben zu verzichten, so muss er in Kauf nehmen, dass er seinen Lebensunterhalt auf andere Art und Weise ohne Sozialleistungen sichert. Wer hilfebedürftig und erwerbsfähig ist, hat Anspruch auf SGB-II-Leistungen, muss dafür aber bestimmte Vorgaben erfüllen (Mitwirkung bei der Eingliederung in Arbeit, Offenlegung von Einkommen und Vermögen, Mitteilung von Änderungen etc.). Dies ist gesetzlich vorgeschrieben; der Beklagte hat hierbei keinen Ermessensspielraum.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.