Inhalt

VG München, Beschluss v. 27.02.2019 – M 11 E 19.50113
Titel:

Erfolgloser Eilantrag zur Sicherung des Anspruchs auf Wiederaufgreifen des Verfahrens zur Feststellung von Abschiebungsverboten (Dublin-Verfahren Italien) 

Normenketten:
VwGO § 123
VwVfG § 51
AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 5, § 60 Abs. 5, Abs. 7, § 71
Leitsätze:
1. Zur Sicherung des Anspruchs auf Wiederaufgreifen des Verfahrens kann im Wege einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO beantragt werden, dass der Bundesrepublik als Rechtsträgerin des Bundesamts aufgegeben wird, der für die Abschiebung zuständigen Ausländerbehörde mitzuteilen, dass vorläufig nicht aufgrund der früheren Mitteilung und der bestandskräftigen Abschiebungsanordnung abgeschoben werden darf (Anschluss an BayVGH BeckRS 2015, 45805). (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)
2. Sowohl im Rahmen des Familienasyls nach § 26 Abs. 1 Nr. 2 AsylG als auch im Aufenthaltsrecht ist eine anerkannte Eheschließung erforderlich, eheähnliche Beziehungen reichen nicht aus. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Dublin-Verfahren (Italien), Folgeantrag nach Bestandskraft eines Dublin-Bescheids, Ablehnungsbescheid ohne erneute Abschiebungsanordnung, Vaterschaftsanerkennung angekündigt, Zweifel an Identität, Abschiebungshindernis (verneint), bestandskräftige Abschiebungsanordnung, Wiederaufgreifen, Abschiebungsverbot
Fundstelle:
BeckRS 2019, 5169

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

I.
1
Der Antragsteller, nach eigenen Angaben nigerianischer Staatsangehöriger, hat bereits unter dem Az. … einen Asylantrag in der Bundesrepublik Deutschland gestellt. Mit bestandskräftigem Bescheid vom 12. Oktober 2018 lehnte das Bundesamt diesen Asylantrag als unzulässig ab (Nr. 1), stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes nicht vorliegen (Nr. 2), ordnete die Abschiebung nach Italien an (Nr. 3) und befristete das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1 Aufenthaltsgesetz auf sechs Monate ab dem Tag der Abschiebung (Nr. 4). Auf die Begründung des Bescheids wird Bezug genommen.
2
Bevor die Abschiebungsanordnung vollzogen werden konnte, stellte der Antragsteller am 31. Januar 2019 einen weiteren Asylantrag. Zur Begründung führte der Antragssteller bei seiner Anhörung am 31. Januar 2019 aus, er habe sich seit Abschluss des vorherigen Asylverfahrens in Haft befunden. Nach seiner Haftentlassung am 11. Dezember 2018 habe er sich bei seiner Frau in der Nähe von Karlsruhe aufgehalten. Er habe zwei Kinder und sei traditionell verheiratet. Er habe zwei Termine gehabt, um die Vaterschaftsurkunden zu beantragen, habe aber ins Gefängnis gemusst und sich daher nicht weiter darum kümmern können.
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Mit Bescheid vom 1. Februar 2019, zugestellt am 12. Februar 2019, lehnte das Bundesamt den Antrag auf Abänderung des Bescheides vom 12. Oktober 2018 ab. Zur Begründung wurde insbesondere ausgeführt, es lägen keine Gründe für eine Rücknahme des Bescheids vom 12. Oktober 2018 gemäß § 48 VwVfG vor. Die weitere Unzulässigkeit des Asylantrags könne auch auf dem erfolglosen Abschluss des früheren Asylverfahrens beruhen, wenn die Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens nicht vorliegen würden (§ 29 Abs. 1 Nr. 5 AylG). Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 Aufenthaltsgesetz lägen nach den Erkenntnissen des Bundesamts nicht vor. In Bezug auf die behauptete Vaterschaft habe der Antragsteller keinen tauglichen Nachweis vorgelegt. Einer erneuten Abschiebungsanordnung bedürfe es nicht, da mit Bescheid vom 12. Oktober 2018 bereits eine vollziehbare Abschiebungsanordnung vorliege, aus der weiterhin vollzogen werden könne. Auf die Begründung des Bescheids wird im Übrigen Bezug genommen.
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Am 14. Februar 2019 hat der Antragsteller zur Niederschrift beim Verwaltungsgericht München Klage gegen den Bescheid erhoben (M 11 K 19.50112) und zugleich beantragt,
die Antragsgegnerin im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, von einer Mitteilung an die Ausländerbehörde gemäß § 71 Abs. 5 AsylG abzusehen bzw. eine solche zu widerrufen.
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Zur Begründung nahm der Antragsteller auf seine Angaben gegenüber dem Bundesamt Bezug. Eine Rückkehr nach Italien sei ihm unzumutbar, da sich seine Frau M. E. … und seine am … September 2018 geborene Tochter in Deutschland aufhalten würden. Eine Heiratsurkunde werde nachgereicht. Warum das Beurkundungsverfahren zur Anerkennung der Vaterschaft der Tochter ausgesetzt worden sei, könne er nicht nachvollziehen.
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Das Bundesamt hat sich im Gerichtsverfahren bislang nicht geäußert.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte und die Behördenakten des Bundesamts Bezug genommen.
II.
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Der zulässige Antrag bleibt ohne Erfolg.
9
1. Der Antrag ist zulässig. Zwar ist vorläufiger Rechtsschutz gegen eine kraft Gesetzes sofort vollziehbare Abschiebungsanordnung gemäß § 80 Abs. 5 VwGO zu gewähren (vgl. § 34 a Abs. 2 Satz 1, § 75 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3, Abs. 5 Satz 1 VwGO), sodass ein Antrag nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO nicht statthaft und damit unzulässig wäre (vgl. § 123 Abs. 5 VwGO). Ist die Abschiebungsanordnung aber bestandskräftig geworden und sieht das Bundesamt - wie vorliegend - von einer erneuten Abschiebungsanordnung ab, muss der Betroffene in unmittelbarer Anwendung des § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG einen Antrag beim Bundesamt auf Wiederaufgreifen des Verfahrens stellen, wenn er eine nachträgliche Änderung der Sach- und/ oder Rechtslage geltend machen will. Die Sicherung dieses Anspruchs auf Wiederaufgreifen des Verfahrens kann der Antragsteller im Wege einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO beantragen, dass der Bundesrepublik als Rechtsträgerin des Bundesamts aufgegeben wird, der für die Abschiebung zuständigen Ausländerbehörde mitzuteilen, dass vorläufig nicht aufgrund der früheren Mitteilung und der bestandskräftigen Abschiebungsanordnung abgeschoben werden darf (vgl. BayVGH, B.v. 21.4.2015 - 10 CE 15.810 - juris Rn. 5 m.w.N.; VG Gelsenkirchen, B.v. 13.12.2017 - 12 a L 3499/17.A - juris Rn 4).
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2. Der Antrag ist jedoch unbegründet.
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Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Der Antragsteller hat demnach sowohl die besondere Eilbedürftigkeit (Anordnungsgrund), als auch das Bestehen eines zu sichernden Rechts (Anordnungsanspruch), glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2, § 294 ZPO).
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Vorliegend fehlt es jedenfalls an der Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruchs.
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Nach § 51 Abs. 1 VwVfG hat die Behörde auf Antrag des Betroffenen über die Aufhebung oder Änderung eines unanfechtbaren Verwaltungsakts zu entscheiden, wenn sich die dem Verwaltungsakt zugrunde liegende Sach- oder Rechtslage nachträglich zugunsten des Betroffenen geändert hat (Nr. 1), neue Beweismittel vorliegen, die eine dem Betroffenen günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würden (Nr. 2) oder Wiederaufnahmegründe entsprechend § 580 der Zivilprozessordnung gegeben sind (Nr. 3).
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Ungeachtet dessen, ob die Regelungen des § 51 VwVfG in Bezug auf die Geltendmachung von Abschiebungsverboten unmittelbar zur Anwendung kommen (vgl. BayVGH, B.v. 21.4.2015 - 10 CE 15.810 - juris Rn. 5 m.w.N.; VG Gelsenkirchen, B.v. 13.12.2017 - 12 a L 3499/17.A - juris Rn 4; VG Greifswald, B.v. 29.6.2017 - 4 B 734/17 As HGW - juris Rn. 17) oder hinsichtlich eines weiteren Asylantrags über den Verweis des § 71 Abs. 1 AsylG Anwendung finden (vgl. VG Magdeburg, B.v. 23.6.2017 - 2 B 603/17 - juris), hat der Antragsteller keinen Anspruch auf ein Wiederaufgreifen seines Asylverfahrens gemäß § 51 VwVfG glaubhaft gemacht.
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Vorliegend kommt keiner der in § 51 Abs. 1 VwVfG genannten Wiederaufgreifensgründe in Betracht. Insbesondere ist nicht ersichtlich, dass sich die dem Bescheid vom 12. Oktober 2018 zugrunde liegende Sach- oder Rechtslage nachträglich zu Gunsten des Antragstellers geändert hätte.
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Das Gericht hat keine Zweifel an der Rechtmäßigkeit des bestandskräftigen DublinBescheids vom 12. Oktober 2018. Insbesondere ist die sechsmonatige Überstellungsfrist des § 29 Abs. 2 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist - Dublin III-VO - noch nicht abgelaufen. Es ist daher zutreffend, dass Italien auch weiterhin für die Entscheidung über das Asylbegehren des Antragstellers zuständig ist.
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Die Abschiebung nach Italien kann weiterhin im Sinne des § 34a AsylG durchgeführt werden. Abschiebungshindernisse ergeben sich insbesondere nicht in Hinblick auf die vorgetragene familiäre Situation des Antragstellers.
18
Soweit sich der Antragsteller - wie bereits im Erstverfahren - darauf beruft, dass sich seine traditionell angeheiratete „Ehefrau“ und seine Tochter im Bundesgebiet aufhalten, hat der Antragsteller weiterhin weder einen Nachweis dafür erbracht, dass er verheiratet ist, dass diese Ehe bereits in Nigeria bestanden hat, dass der Frau ein Aufenthaltsrecht in Deutschland zusteht, noch dass es ihm unzumutbar ist, auch nur vorübergehend nach Italien zurückzukehren, um von dort aus ein etwa bestehendes Aufenthaltsrecht geltend zu machen. Nach deutschem Recht werden nicht verheiratete Paare ausländerrechtlich nicht vergleichbar behandelt wie verheiratete Paare. Sowohl im Rahmen des Familienasyls nach § 26 Abs. 1 Nr. 2 AsylG als auch im Aufenthaltsrecht ist eine anerkannte Eheschließung erforderlich, eheähnliche Beziehungen reichen nicht aus. Hinzukommt, dass vorliegend erhebliche Zweifel an der Identität des Antragstellers bestehen, da dieser bereits im Jahr 2015 mit gefälschten Papieren unter dem Namen … …, geb. … März 1984, in das Bundesgebiet eingereist ist. In der Folge wurde der Antragsteller mit Urteil des Amtsgerichts Ingolstadt vom 28. Oktober 2015 wegen Urkundenfälschung verurteilt. Dies dürfte auch der Grund sein, weshalb das Verfahren zur Anerkennung der Vaterschaft ausgesetzt wurde.
19
Der Antragsteller hat damit vorliegend nicht glaubhaft gemacht, dass er einen Anspruch auf Änderung des bestandskräftigen Dublin-Bescheids vom 12. Oktober 2018 bzw. auf ein Wiederaufgreifen des Verfahrens im Hinblick auf zielstaats- oder inlandsbezogene Abschiebungsverbote hat und in der Folge auf eine entsprechende Mitteilung des Bundesamts an vollziehende Ausländerbehörde, inhaltlich gerichtet auf Nichtdurchführung der Abschiebung des Antragstellers.
20
Andere nach Eintritt der Bestandskraft des Bescheides vom 12. Oktober 2018 entstandene Gründe, welche die Annahme einer Änderung der Sach- oder Rechtslage zu Gunsten des Antragstellers im Sinne des § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG oder eine Aufhebung des Bescheids nach §§ 48, 49 VwVfG zu tragen vermögen und daher einer Überstellung nach Italien entgegenstehen könnten, sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
21
Zwar ist die in der Begründung des Bescheids vom 1. Februar 2019 genannte Rechtsgrundlage des § 48 VwVfG vorliegend nicht einschlägig, da sie einen rechtswidrigen Verwaltungsakt voraussetzen würde. Das Bundesamt hat jedoch auch die Möglichkeit eines Wiederaufgreifens des Verfahrens benannt und sich in der Bescheidsbegründung inhaltlich mit dem Vorbringen des Antragstellers auseinandergesetzt. Den Anspruch des Antragstellers, seinen Antrag ermessensfehlerfrei zu bescheiden, hat das Bundesamt daher erfüllt. Ermessensfehler (§ 114 VwGO) sind insoweit nicht ersichtlich und werden vom Antragsteller auch nicht behauptet.
22
3. Der Antrag war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Gerichtskosten werden nach § 83b AsylG nicht erhoben.
23
Der Beschluss ist unanfechtbar, § 80 AsylG.