Inhalt

VG Würzburg, Beschluss v. 06.03.2019 – W 2 E 19.50143
Titel:

Keine systemischen Mängel in Spanien - Keine Reiseunfähigkeit wegen Schwangerschaft

Normenketten:
VwGO § 80 Abs. 5, § 123
AsylG § 34a
AufenthG § 60a Abs. 2c
RL 2013/33/EU Art. 21
Dublin III-VO Art. 3 Abs. 2 UAbs. 2
GG Art. 2 Abs. 2 S. 1, Art. 6
GRCh Art. 4
EMRK Art. 3, Art. 8
Leitsätze:
1. Wenn sich das vorgelegte ärztliche Attest nicht mit der Frage der Reiseunfähigkeit, insbesondere der Flugfähigkeit der Antragstellerin, auseinander setzt, sondern alleine auf die in der weiteren Schwangerschaft und bei der Geburt notwendige medizinische Betreuung abstellt, ist eine Reiseunfähigkeit ieS, d.h. Transportfähigkeit, nicht glaubhaft gemacht, ohne dass es dabei auf das Vorliegen der hohen Anforderungen des § 60a Abs. 2c AufenthG ankommt. (Rn. 34) (redaktioneller Leitsatz)
2. Es sind weder systemische Mängel des Asyl- oder des Aufnahmesystems in Spanien iSv Art. 3 Abs. 2 UAbs. 2 Dublin III-VO ersichtlich, noch liegen Anhaltspunkte dafür vor, dass Spanien im Hinblick auf die Schwangerschaftsvorsorge und medizinische Betreuung der Antragstellerin seiner aus der Richtlinie 2013/33/EU (Aufnahmerichtlinie) ergebenden Verpflichtung zur Berücksichtigung ihrer besonderen Schutzbedürftigkeit iSv Art. 21 RL 2013/33/EU nicht nachkommen wird. (Rn. 39) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Dublin-Überstellung (Spanien), Risikoschwangerschaft, Reiseunfähigkeit nicht glaubhaft gemacht, Aufnahmebedingungen in Spanien, keine individuelle Garantie notwendig, systemische Mängel, medizinische Mängel
Fundstelle:
BeckRS 2019, 5152

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.
1
Die Antragstellerin wendet sich im Wege des Eilrechtsschutzes nach § 123 VwGO gegen die Vollziehung einer Abschiebungsanordnung nach Spanien im Rahmen eines Dublin-Verfahrens.
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Die zur Person nicht ausgewiesene Antragstellerin, eine am … 1993 in A./Elfenbeinküste geborene ivorische Staatsangehörige reiste am 17. September 2018 in die Bundesrepublik Deutschland ein und äußerte ein Asylgesuch, von dem das Bundesamt für ... (Bundesamt) am 20. September 2018 schriftlich Kenntnis erlangte. Am 4. Oktober 2018 stellte sie einen förmlichen Asylantrag.
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Bei Anhörungen zur Bestimmung der Zuständigkeit und zur Zulässigkeit ihres Asylantrag am 4. Oktober 2018 und 10. Oktober 2018 gab die Antragstellerin an, sie sei u.a. über Spanien nach Deutschland eingereist. Sie sei zuerst in Spanien eingereist, wisse jedoch nicht mehr den Zeitpunkt. Es sei Ende Juni gewesen. Sie habe sich dort zwei Wochen bzw. einen Monat aufgehalten. Sie seien nach Tarifa gebracht worden und danach in eine andere, nicht weit entfernte Stadt. Bei der Einreise seien ihr in Spanien Fingerabdrücke genommen worden. Sie seien zu viele Personen gewesen, als dass man sich gut um sie hätte kümmern können. Sie sei krank gewesen und habe sich nicht gut gefühlt. Keiner habe ihr helfen können. Man sei sich selbst überlassen worden. Wenn man krank geworden sei, habe man keine medizinische Versorgung bekommen. Es sei kein Ort gewesen, an dem sie hätte sein wollen. Es seien zu viele Probleme und zu viele Menschen dort gewesen. Sie habe deshalb nicht bleiben können. Sie habe Herzprobleme und Rückenschmerzen. Außerdem habe sie Halsschmerzen und Asthma. In ihrem Heimatland habe sie Medikamente genommen, auch ein Asthma-Spray. Sie sei in Essen ärztlich untersucht worden. Man habe ihr gesagt, dass sie nichts habe, aber sie spüre, dass sie krank sei. Sie wisse nicht, ob sie aktuell schwanger sei. Sie habe in Deutschland keine Verwandte, nur Freundinnen, die sie im anderen Flüchtlingslager kennengelernt habe.
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Ein Abgleich der Fingerabdrücke der Antragstellerin mit der EURDAC-Datenbank am 20. September 2018 ergab, dass die Antragstellerin am 7. August 2018 in Spanien erkennungsdienstlich erfasst worden war. Die Antragsgegnerin richtete daraufhin am 12. Oktober 2018 ein digitales Aufnahmegesuch an die spanische Dublin-Einheit, das zunächst unbeantwortet blieb.
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Mit Bescheid vom 13. Dezember 2018, der Antragstellerin am 17. Dezember 2018 ausgehändigt, lehnte das Bundesamt den Asylantrag als unzulässig ab (Ziffer 1), stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Ziffer 2), ordnete die Abschiebung nach Spanien an (Ziffer 3) und befristete das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf sechs Monate ab dem Tag der Abschiebung (Ziffer 4). Für die weiteren Einzelheiten wird auf die Begründung des Bescheides Bezug genommen.
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Am 24. Dezember 2018 ließ die Antragstellerin im Verfahren W 2 K 18.50589 Klage gegen den Bescheid vom 13. Dezember 2018 erheben, ohne jedoch einen Antrag auf aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsanordnung zu stellen.
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Zur Begründung dieser Klage ließ sie im Wesentlichen vortragen: Nach Lage der Akten und der ganz überwiegenden Anzahl der weiter zugänglichen Quellen werde in Spanien kein konventionsgerechter Verbleib hinsichtlich der Flüchtlingsrechte gewährt. Zwar sei der Antragsgegnerin zuzugeben, dass Spanien - vom Grundsatz her - ein sicherer Drittstaat sei, da dort keine systemischen Mängel im Asylverfahren zu beklagen seien. Jedoch müsse in diesem Kontext die besondere Situation der Antragstellerin berücksichtigt werden. Sie sei gesundheitlich nicht unerheblich tangiert. Ihr könne in Spanien kein ausreichender Schutz gewährt werden. Die Antragstellerin schildere, dort menschenunwürdige Zustände erlebt zu haben. Aufgrund ihrer persönlichen Situation sei es ihr nicht zumutbar, dorthin zurückzukehren. Sie sei schwanger. Der voraussichtliche Geburtstermin sei im Juni. Der Kindsvater sei ein namentlich benannter ivorischer Staatsangehöriger mit Wohnhaft in Hannover, der über eine Niederlassungserlaubnis in Deutschland verfüge. Sowohl die Vaterschaftsanerkennung als auch die Erklärungen zum gemeinsamen Sorgerecht seien am 19. Dezember 2018 notariell beglaubigt worden. Für die weiteren Einzelheiten wird auf den Schriftsatz vom 24. Dezember 2018 im Verfahren W 2 K 18.50589 Bezug genommen.
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Über die Klage ist bislang noch nicht entscheiden worden.
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Am 4. Januar 2019 legt die Antragstellerin bei der Zentralen Ausländerbehörde für Unterfranken zum Nachweis der nunmehr festgestellten Schwangerschaft ihren Mutterpass vor, aus dem der 10. Juni 2019 als errechneter Entbindungstermin hervorgeht.
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Mit Schreiben vom 9. Januar 2019 bestätigte die spanische Dublin Einheit ihre Zuständigkeit für den Asylantrag der Antragstellerin und stimmten ihrer Überstellung zu. Daraufhin teilte die Antragsgegnerin der spanischen Dublin-Einheit am 15. Februar 2019 als Überstellungstermin den 28. Februar 2019 mit und teilte zugleich die bei der Antragstellerin bestehende Schwangerschaft einschließlich des errechneten Entbindungstermins mit.
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Mit Schreiben vom 15. Februar 2019, der Antragstellerin am 19. Februar 2019 ausgehändigt, kündigte die Zentrale Ausländerbehörde Unterfranken der Antragstellerin ihre Überstellung nach Spanien für den 28. Februar 2019 an.
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Daraufhin legte die Antragstellerin am 20. Februar 2019 der Zentralen Ausländerbehörde ein ärztliches Attest des Leopoldina Krankenhauses Schweinfurt vom 20. Februar 2019 vor, das das Vorliegen einer „Risikoschwangerschaft“ bescheinigt. Sie benötige eine engmaschige Betreuung in einer Klinik mit Perinatalzentrum. Derzeit befinde sie sich in der ambulanten Betreuung des Leopoldina Krankenhauses. Aus medizinischer Sicht werde dringend gebeten, von einer Abschiebung abzusehen.
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Nachdem die Antragsgegnerin über die Zentrale Ausländerbehörde Unterfranken von diesem Attest Kenntnis erhalten hatte, stornierte sie die für den 28. Februar 2019 angesetzte Überstellung und beraumte als neuen Überstellungstermin den 12. März 2019 an, zugleich ordnete sie für die Überstellung eine ärztliche Begleitung an und teilte der spanischen Dublin Einheit die bei der Antragstellerin diagnostizierte „Risikoschwangerschaft“ mit.
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Am 25. Februar 2019 ließ die Antragstellerin im vorliegenden Verfahren beantragen,
Die Antragsgegnerin wird im Rahmen der einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Ausländerstelle der Regierung von Unterfranken bzw. der zuständigen Ausländerbehörde aufzugeben, dass vorläufig die Überstellung/Abschiebung der Antragstellerin nach Spanien auszusetzen sei.
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Zur Begründung wird im Wesentlichen vorgetragen:
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Vorliegend sei bei der Antragstellerin - wenigstens vorübergehend - ein inlandsbezogenes Abschiebungshindernis, nämlich Reiseunfähigkeit, gegeben. Auf das Attest des Leopoldina Krankenhauses Schweinfurt vom 20. Februar 2019 werde Bezug genommen. Aus dem Attest gehe hervor, dass eine Abschiebung nach Spanien nicht möglich sei, ohne die Gesundheit der Antragstellerin oder ihres ungeborenen Kindes nachhaltig zu gefährden. Es sei nicht auszuschließen, dass eine Überstellung der Antragstellerin nach Spanien jedenfalls zum gegenwärtigen Zeitpunkt eine Verletzung ihres Rechts auf körperliche und geistige Unversehrtheit i.S.v. Art. 2 Abs. 1 GG bzw. eine erniedrigende Behandlung i.S.v. Art. 3 EMRK darstelle. Es liege keine individuelle Übernahme-/Garantieerklärung bezüglich der Antragstellerin und deren medizinisch zwingend angezeigter engmaschiger Behandlungsbedürftigkeit in Folge der diagnostizierten Risikoschwangerschaft vor. Für die weiteren Einzelheiten wird auf die Schriftsätze vom 25. Februar 2019, 28. Februar 2019 und 6. März 2019 Bezug genommen.
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Die Antragsgegnerin stellte bislang keinen Antrag, nahm jedoch mit Schriftsatz vom 27. Februar 2019 im Wesentlichen wie folgt Stellung:
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Die „Risikoschwangerschaft“ sei beim nunmehr aktuellen Überstellungstermin (12.3.2019) berücksichtigt worden. Die Überstellung finde in ärztlicher Begleitung statt. Die spanischen Behörden seien über die Risikoschwangerschaft der Antragstellerin mittels Gesundheitsbescheinigung informiert worden. Hierbei sei darauf hingewiesen worden, dass Schwangerschaftsfürsorge gewährleistet sein müsse. Darüber hinaus seien der Mutterpass und das Attest des Leopoldina-Krankenhauses vom 20. Februar 2019 übersandt worden. Weitere Atteste bezüglich der „Risikoschwangerschaft“ lägen der Antragsgegnerin nicht vor.
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Auf die Aufforderung des Gerichtes eine aussagefähiges ärztliches Attest bezüglich der Reisefähigkeit der Antragstellerin unter Berücksichtigung der angeordneten ärztlichen Begleitung vorzulegen, legte die Antragstellerin eine ärztliche Stellungnahme des Ärzteteams in der Aufnahmeeinrichtung Schweinfurt vom 28. Februar 2019 vor, in der ausgeführt wird, dass die Antragstellerin sich in ihrer hausärztlichen Betreuung befinde. Als Risikofaktor liege v.a. eine Gestationsdiabetes vor. Weiterhin seien in der Frühschwangerschaft wiederholte Blutungen und ein Abort anamnetisch dokumentiert. Aus medizinischer Sicht müsse engmaschige gynäkologische Kontrolle mit Anbindung an eine Klinik mit Perinalzentrum gesichert sein, um einer gesundheitlichen Gefährdung von Mutter und Kind vorzubeugen.
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Nach Verlängerung der Frist zur Vorlage einer ärztlichen Stellungnahme zur Frage der Reisefähigkeit der Antragstellerin unter Berücksichtigung der angeordneten ärztlichen Begleitung legte die Antragstellerin ein weiteres Attest des Leopoldina-Krankenhauses vom 26. Februar 2019 vor, in dem auf der Grundlage der Behandlung am 18. Februar 2019 und am 25. Februar 2019 berichtet wird, dass im Rahmen der Vorsorgeuntersuchungen sehr hohe Fruchtwassermengen diagnostiziert worden seien. Ein erster Zuckerbelastungstest sei auffällig gewesen. Ein zweiter umfangreicherer Zuckerbelastungstest sei am 25. Februar 2019 erfolgt. Die Antragstellerin müsse in der Schwangerschaft engmaschig medizinisch überwacht werden und sollte für die Geburt an ein Perinatalzentrum angebunden sein, Eine „Ausweisung“ sei aus medizinischer Sicht in keinster Weise zu vertreten.
21
Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf den Inhalt der Gerichtsakten im Sofort- und Hauptsacheverfahren sowie auf den Inhalt der einschlägigen Verwaltungsakte des Bundesamtes sowie der die Überstellung betreffenden Beiakte Bezug genommen.
II.
22
Der zulässige Antrag hat in der Sache keinen Erfolg.
23
Der Antrag ist statthaft. Der grundsätzlich vorrangige Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsanordnung nach § 80 Abs. 5 VwGO ist hier aufgrund des Verstreichens der einwöchigen Antragsfrist des § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylG nicht mehr zulässig. Damit ist es der Antragstellerin auch nicht möglich die nunmehr diagnostizierte „Risikoschwangerschaft“ durch einen Änderungsantrag gem. § 80 Abs. 7 Satz 1 VwGO gerichtlich geltend zu machen.
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Im Hinblick auf das Gebot des effektiven Rechtsschutzes ist in einer solchen Konstellation ein Antrag gem. § 123 VwGO jedenfalls insoweit statthaft, als er sich auf veränderte oder unverschuldet nicht in einem Eilverfahren gem. § 80 Abs. 5 VwGO vorgetragene Umstände stützt. Dies ist hier mit der erstmal mit Attest vom 20. Februar 2019 diagnostizierten „Risikoschwangerschaft“ der Fall, so dass jedenfalls insoweit der erhobene Antrag gem. § 123 VwGO nicht durch die Vorrangigkeit des Rechtsschutzes gem. § 80 Abs. 5 VwGO präkludiert ist.
25
Der Antrag richtet sich auch zu Recht gegen die Bundesrepublik Deutschland, weil es vorliegend um den Vollzug der in einem Bescheid des Bundesamts enthaltenen Abschiebungsanordnung geht, die nach § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG erlassen worden ist. Während bei der Abschiebungsandrohung die Prüfung inlandsbezogener Vollstreckungshindernisse regelmäßig durch die Ausländerbehörde zu erfolgen hat, ist dies bei der Abschiebungsanordnung anders. Das Bundesamt hat sowohl zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote als auch der Abschiebung entgegenstehende inlandsbezogene Vollstreckungshindernisse zu prüfen, so dass daneben für eine eigene Entscheidungskompetenz der Ausländerbehörde zur Erteilung einer Duldung nach § 60a Abs. 2 AufenthG kein Raum verbleibt (vgl. statt vieler: BayVGH, B.v. 12.3.2014 - 10 CE 14.427 - juris)
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Nach § 123 Abs. 1 VwGO kann das Gericht, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts der Antragstellerin vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind nach § 123 Abs. 2 VwGO auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint.
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Nach § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO sind Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch glaubhaft zu machen.
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Ein Anordnungsgrund ist gegeben, da die Abschiebungsanordnung aus dem Bescheid vom 13. Dezember 2018 vollziehbar ist und eine Überstellung der Antragstellerin nach Spanien für Dienstag, den 12. März 2018, geplant hat.
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Jedoch ist ein Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht. Ein Anordnungsanspruch besteht dann, wenn sich - bei summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage aus den Umständen, die erst nach Verstreichen der Frist des 34a Abs. 2 Satz 1 AsylG zur Erhebung eines Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO eingetreten bzw. unverschuldet nicht geltend gemacht wurden, ernsthafte Zweifel an der Rechtmäßigkeit einer Überstellung nach Spanien ergibt, d.h. wenn die Abschiebung nicht (mehr) durchgeführt werden kann, weil sie aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen nicht (mehr) möglich ist.
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Gründe für eine tatsächliche Unmöglichkeit der Überstellung sind weder vorgetragen noch ersichtlich.
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Rechtlich unmöglich wäre die Abschiebung der Antragstellerin nach Spanien dann, wenn mit ihrem Vollzug ein Verstoß gegen höherrangiges Rechts wie dem Recht der Antragstellerin auf körperlicher Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG verbunden wäre.
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Ein solcher Verstoß gegen die fundamentalen Grundrechte der Antragstellerin läge dann vor, wenn sie bedingt durch ihre Risikoschwangerschaft nicht reisefähig im engeren oder im weiteren Sinne wäre, oder wenn die Aufnahmebedingungen in Spanien spezifisch für sie zu einem ernsthaften Risiko („real risk“) einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung führen würden, ohne dass das Risiko durch eine individuelle Garantie der spanischen Dublin-Einheit zu einer europarechtskonformen Unterbringung und Versorgung der Antragstellerin ausgeräumt wäre.
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Jedoch ergibt sich aus den vorgelegten ärztlichen Attesten weder im engeren noch im weiteren Sinne eine tatsächliche Reiseunfähigkeit der Antragstellerin, noch droht ihr oder dem noch ungeborenen Kind - auch unter Berücksichtigung der diagnostizierten „Risikoschwangerschaft“ - in rechtserheblichen Maße eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung durch die zu erwartenden Aufnahmebedingungen in Spanien.
34
Da sich die vorgelegten ärztlichen Atteste trotz entsprechender Aufforderungen des Gerichtes nicht mit der Frage der Reiseinsbesondere der Flugfähigkeit der Antragstellerin auseinander setzen, sondern alleine auf die in der weiteren Schwangerschaft und bei der Geburt notwendige medizinische Betreuung abstellen, ist eine Reiseunfähigkeit i.e.S, d.h. Transportfähigkeit, nicht glaubhaft gemacht, ohne dass es dabei das Vorliegen der hohen Anforderungen des § 60a Abs. 2c AufenthG ankommt.
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Auch eine Reiseunfähigkeit i.w.S. ist durch die vorgelegten Atteste nicht glaubhaft gemacht. Erforderlich ist dabei, dass infolge der Abschiebung als solcher (unabhängig vom konkreten Zielstaat) eine wesentliche Verschlechterung des gesundheitlichen Zustandes für den betroffenen Ausländer konkret droht (BayVGH, B.v. 31.5.2016 - 10 CE 16.838 - juris). Auch der EuGH hat in seinem Urteil vom 16. Februar 2017 - C-578/16 PPU - BeckRS 2017, 105080, bekräftigt, dass auch bei Fehlen systemischer Mängel im Zielstaat eine Dublin-Überstellung im Lichte von Art. 4 EU-GRCh (bzw. Art. 3 EMRK) gestoppt werden muss, wenn aufgrund einer schweren Erkrankung dort das „real risk“ einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung besteht. Für eine solche Verschlechterung des Gesundheitszustands der Antragstellerin sind Anhaltspunkte jedoch - auch im Lichte der vorgelegten ärztlichen Atteste - weder vorgetragen noch offensichtlich. Insbesondere bestehen keinerlei substantiierte Hinweise auf eine labile psychische Verfassung oder die Gefahr einer den Fötus beeinträchtigenden Re- bzw. Traumatisierung.
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Soweit sich durch die Situation der Überstellung naturgemäß psychische und physische Belastungen für die durch ihre Schwangerschaft vulnerable Antragstellerin ergeben, trägt die Antragsgegnerin dem durch die angeordnete ärztliche Begleitung hinreichend Rechnung. Anhaltspunkte dafür, dass über diese Vorsichtsmaßnahme hinaus weitere Vorkehrungen für den Transport und die Ankunft der Antragstellerin in Spanien notwendig wären, sind nicht ersichtlich.
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So beschreiben die ärztlicherseits als notwendig bescheinigte engmaschige medizinische Überwachung der Schwangerschaft sowie die Anbindung an ein Perinatalzentrum lediglich Bedingungen der ärztlichen Versorgung im weiteren Verlauf der Schwangerschaft und erfordern keine unmittelbar bei ihrer Ankunft gesondert zu treffenden Maßnahmen. Sie sind mithin eine Frage der Aufnahmebedingungen der Antragstellerin in Spanien.
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Anhaltspunkte dafür, dass die spanischen Behörden, denen die Gesundheitsdaten der Antragstellerin (insbes. des Mutterpasses und des ärztlichen Attestes vom 20. Februar 2019) mitgeteilt wurden, dem Hinweis auf die notwendige medizinische Schwangerschaftsversorgung nicht Folge leisten werden, bestehen unter Berücksichtigung der vom Gericht einbezogenen Erkenntnismittel nicht.
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Insbesondere sind auf der Erkenntnisgrundlage des Gerichts weder systemischen Mängel des Asyl- oder des Aufnahmesystems in Spanien i.S.v. Art. 3 Abs. Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO ersichtlich, noch liegen Anhaltspunkte dafür vor, dass Spanien im Hinblick auf die Schwangerschaftsvorsorge und medizinischen Betreuung der Antragstellerin seiner aus der Richtlinie 2013/33/EU (Aufnahmerichtlinie) ergebenden Verpflichtung zur Berücksichtigung ihrer besonderen Schutzbedürftigkeit i.S.v. Art. 21 RL 2013/33/EU nicht nachkommen wird.
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So kritisiert Human Rights Watch in seinem Weltreport 2018 zwar, dass die auf dem Seeweg in Spanien ankommenden Migranten mangelhafte Bedingungen in polizeilichen Einrichtungen und Hürden beim Stellen von Asylanträgen erwarten würden. Auch berichtet der Human Rights Report 2017 des US State Department (S. 9), dass Asylbewerber in Melilla mindestens zwei Monate darauf warten müssten, bis sie ans Festland gebracht würden. Laut Amnesty International (zit. nach US State Deparment, ebda) sei die Wartezeit auf Ceuta sogar noch länger.
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Dies trifft jedoch ersichtlich nicht die Situation einer Überstellung im Rahmen des Dublin-Verfahrens. Im Rahmen von Dublin-Überstellungen nach Spanien arbeite das Oficina de Asilo y Refugio laut AIDA (Asylum Information Database, Country Report: Spain, Update 2017, S.30) mit dem Ministerium für Arbeit und Soziales, das für die Unterbringung verantwortlich ist, zusammen. Lediglich bei Überstellungen von Opfern von Menschenhandel hätten Nichtregierungsorganisationen Probleme bei der Wiederaufnahme in Spanien gesehen, weil diese nicht effektiv als solche erkannt worden seien (a.a.O.). Das spanische Recht sehe den vollen Zugang zum Gesundheitssystem für Asylbewerber vor. Dieser wird laut AIDA auch tatsächlich gewährleistet (a.a.O., S. 58). Bemängelt werden lediglich gewisse Schwachstellen bei der Identifikation und Betreuung der Opfer von Folter, physischen und psychischen Missbrauchs oder anderer traumatisierender Umstände (a.a.O.). Übereinstimmend berichten AIDA (a.a.O.) und das österreichische Bundesamt (Länderinformationsblatt der Staatendokumentation - Spanien, Gesamtaktualisierung am 6.7.2018, S. 6), dass die spanischen Behörden bei den Aufnahmebedingungen rechtlich gehalten seien, den besonderen Bedürfnissen der Asylbewerber abhängig von Alter, Geschlecht, Nationalität, familiären Bindungen usw. Rechnung zu tragen. Es gebe eine dauerhaftes Monitoring, das die Bedürfnisse der Betroffenen entsprechend den genannten Kriterien berücksichtige (AIDA, a.a.O.). Zwar ist eine genaue Statistik der in Spanien insgesamt verfügbaren Unterbringungsplätze nicht verfügbar, weil es an exakten Zahlen der mit Finanzierung des Staates betriebenen NGO-Unterbringungsplätzen mangele (vgl. östr. Bundesamt, a.a.O., S. 10), jedoch hätten sich die Unterbringungsbedingungen auch durch den Anstieg der illegalen Einreise im Zuge des Jahres 2017 trotz anfänglicher Schwierigkeiten nicht verschlechtert, weil zusätzliche Plätze geschaffen worden seien (östr. Bundesamt unter Verweis auf AIDA 15.3.2018, S. 10).
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Auch dem Jahresreport 2018 von Amnesty International (AI Spanien 2017/2018, 23. Mai 2018) zu Spanien lassen sich keine Hinweise zu möglichen Problemen bei der Aufnahme der Antragstellerin und ihrer medizinischen Versorgung entnehmen. So wird dort unter der Überschrift „Rechte von Flüchtlingen und Migranten“ hauptsächlich beanstandet, dass es weiterhin zu Verzögerungen bei der Entscheidung über anhängige Asylverfahren gekommen sei. Das Asylverfahren wie es übereinstimmend im Human Rights Report 2017 des US State Department und dem Country Report von AIDA geschildert wird, deutet in Bezug auf Dublin-Rückkehrer nicht auf Mängel im Asylverfahren oder deren Aufnahmebedingungen hin. So haben Dublin-Rückkehrer laut österreichischem Bundesamt (a.a.O., S. 6) keine Probleme beim (neuerlichen) Zugang zum Asylsystem. Ihre Interviews würden priorisiert, falls sie einen Asylantrag stellen wollen. Wenn ihr voriges Verfahren abgebrochen wurde („discontinued“) müssten sie einen neuerlichen Asylantrag einbringen, der jedoch nicht als Folgeantrag gelte (österreichisches Bundesamt a.a.O. unter Verweis auf AIDA 15.3.2018).
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Schließlich bestehen auch keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass die in Spanien zu erwartende medizinische Versorgung der Antragstellerin die bei ihr vorliegende Schwangerschaftsdiabetes nicht in vertretbarem Maße abdecken und behandeln würde und für eine medizinisch angemessene Betreuung bei der Geburt und Säuglingserstversorgung nicht hinreichend gesorgt wäre.
44
Da den in das Verfahren einbezogenen Erkenntnismitteln mithin keine Anhaltspunkte zu entnehmen sind, die Zweifel an einer rechtskonformen Unterbringung und adäquaten medizinischen Versorgung der durch ihre Risikoschwangerschaft vulnerablen Antragstellerin begründen würden, bedarf es für ihre Überstellung auch keiner vorherigen individuellen Garantieerklärung i.S. der Entscheidung des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs vom 4. November 2014 (Tarakhel ./. Schweiz, Nr. 29217/12 - NVwZ 2015, 127).
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Lediglich ergänzend wird darauf hingewiesen, dass sich auch aus der abgegebenen Vaterschaftsanerkennung und der gemeinsamen Sorgerechtserklärung durch einen ivorischen Staatsangehörigen mit Niederlassungserlaubnis in Deutschland kein dem Vollzug der Überstellung nach Spanien (derzeit) entgegenstehendes Hindernis ergibt. Zum einen lag dieser Umstand bereits bei Erhebung der Klage am 24. Dezember 2018 vor und wurde in der Hauptsache auch vorgetragen. Da die Antragstellerin bereits zu diesem Zeitpunkt anwaltlich vertreten war, ist ohne weiteres davon auszugehen, dass sie bewusst darauf verzichtete, einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung zu stellen, weshalb schon zweifelhaft wäre, ob sie mit diesem Vorbringen im Rahmen des jetzigen Antrags gem. § 123 VwGO überhaupt gehört werden könnte. Dies kann jedoch letztlich offen bleiben, denn trotz der bei der Antragstellerin bestehenden Risikoschwangerschaft ist weder glaubhaft gemacht, dass sie bereits im jetzigen Zeitpunkt der Schwangerschaft auf die Unterstützung und Fürsorge des Kindsvaters angewiesen wäre, noch dass dieser überhaupt eine solche Unterstützung und Fürsorge tatsächlich leistet. Die räumliche Trennung zwischen der in Schweinfurt untergebrachten Antragstellerin und dem in Hannover wohnenden Kindsvater spricht eher gegen das aktuelle Bestehen einer solchen Fürsorge- und Beistandsgemeinschaft.
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Im Hinblick auf den künftigen Umgang des Vaters mit dem Kind sind die Antragstellerin und der Kindsvater auf die ihnen gegebenenfalls ausländerrechtlichen Möglichkeiten zu verweisen. Jedenfalls ist es ihnen auch im Lichte von Art. 6 GG und Art. 8 EMRK zumutbar, das notwendige Visumsverfahren von Spanien aus zu betreiben, so dass die Überstellung der Antragstellerin nach Spanien gerade nicht zu einer dauerhaften Vereitelung des Umgangsrechtes von Vater und Kind führt. Die bis zur Erfüllung der entsprechenden rechtlichen Voraussetzungen temporäre Trennung ist ihnen hingegen zumutbar.
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Der Antrag gem. § 123 VwGO hat mithin in der Sache keinen Erfolg.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben, § 83b AsylG.