Inhalt

VG Augsburg, Urteil v. 06.02.2019 – Au 3 K 17.33506
Titel:

Inländische Schutzalternative in pakistanischen Großstädten

Normenketten:
AsylG § 3e, § 4 Abs. Abs. 1 S. 2, Abs. 3, § 12 Abs. 2 S. 1
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1
Leitsatz:
Vor allem in den pakistanischen Großstädten steht für einen gesunden, volljährigen jungen Mann, der arbeitsfähig ist, eine die Gewährung subsidiären Schutzes ausschließende zumutbare inländische Schutzalternative zur Verfügung.(Rn. 14 – 15) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Pakistan, angeblicher Landraub durch die örtliche Mafia, Identitätstäuschung, echte Geburtsurkunde teils unwahren Inhalts, inländische Schutzalternative, arbeitsfähiger junger Mann, keine Minderjährigkeit pakistanischer Asylbewerber nach Vollendung des 18. Lebensjahrs, Flüchtlingseigenschaft, Abschiebungsverbot, Fluchtalternative, Ungarn, Verfolgungshandlung
Fundstelle:
BeckRS 2019, 1771

Tenor

I. Soweit die Klage auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gerichtet war, wird das Verfahren eingestellt.
II. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
III. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Tatbestand

1
Der nach eigenen Angaben am ... 1999 geborene Kläger ist pakistanischer Staatsangehöriger aus dem Distrikt ... in der Provinz ... Er stellte bereits am 9. September 2015 einen Asylantrag in Ungarn. Am 30. Oktober 2015 stellte die mit Beschluss des Familiengerichts Augsburg vom 1. Oktober 2015 zu seinem Vormund bestellte Bevollmächtigte für ihn einen Asylantrag beim Bundesamt.
2
Bei seiner Anhörung am 2. Mai 2017 trug der Kläger vor, er habe sein Heimatland im Juni 2015 verlassen und sei am 14. September 2015 nach Deutschland eingereist. Sein Vater sei Bauer gewesen und habe eigenes und gepachtetes Land bewirtschaftet. Zudem habe sein Vater einen Lebensmittelladen gehabt, der vermietet gewesen sei und den sein Vater im April oder Mai 2015 verkauft habe, um mit dem Erlös den Schlepper zu bezahlen. Dieser habe 250.000 pakistanische Rupien bekommen. In ihrer Gegend gebe es eine mächtige Mafia, die alles kontrolliere und tun könne, was sie wolle. Die Mitglieder der Mafia begingen Raubüberfälle, nähmen das Land weg, würden in Läden einbrechen und entführten auch Menschen. Diese Leute seien auch bei ihnen zu Hause gewesen und hätten ihnen das Land wegnehmen wollen. Sie seien bewaffnet gewesen und sein Vater habe sich geweigert, ihnen das Land zu übergeben. Wenn man nicht das mache, was die wollten, würden die Kinder der Familie bedroht und entführt. Sein Vater sei bei der Polizei gewesen, doch habe die Polizei nichts unternommen. Das sei im Februar 2015 gewesen. Seitdem sei er nicht weiter zur Schule gegangen und immer zu Hause gewesen. Sein älterer Bruder, der immer getrunken und geraucht habe, sei 2014 von zu Hause ausgezogen, so dass er, der Kläger, als einziger Sohn zu Hause gewesen sei. Die Bedrohungen gegen seine Familie hätten entweder Ende 2014 oder Anfang 2015 angefangen. Diese Leute hätten eine Mauer auf ihrem Land bauen wollen, weil sie das Land hätten übernehmen wollen. Als sein Vater dort hingegangen sei, um das zu stoppen, hätten sie den Vater bedroht. Nachdem sie beim ersten Mal einen Teil des Landes übernommen hätten, habe sich daraufhin sein Vater beschwert. Beim zweiten Mal, als sie den Rest hätten übernehmen wollen, hätten sie seinen Vater bedroht. Danach sei er ca. drei Monate zu Hause gewesen und noch ein paar Tage in ... Dort habe er nichts gehabt, sei alleine gewesen und habe nicht zur Schule gehen können. Diese habe er in der 10. Klasse abgebrochen.
3
Mit Bescheid vom 31. Mai 2017 lehnte das Bundesamt den Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, Asylanerkennung und subsidiären Schutz ab, verneinte das Vorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG und drohte die Abschiebung nach Pakistan an. Da der Kläger angegeben habe, nie persönlich bedroht oder verfolgt worden zu sein, fehle es an einer schwerwiegenden Verfolgungshandlung. Die hierzu erwähnten Entführungen aus seinem Dorf seien lediglich „Erzählungen vom Hörensagen“. Die Angaben des Klägers erwiesen sich insgesamt als im Kern oberflächlich und unsubstantiiert. Der Sachvortrag beschränke sich lediglich auf die Darstellung einer Rahmengeschichte und diesbezügliche Spekulationen. Selbst bei Wahrunterstellung des Sachvortrags müsse sich der Kläger auf die Möglichkeit der Inanspruchnahme einer inländischen Fluchtalternative verweisen lassen.
4
Am 12. Juni 2017 erhob der Kläger Klage. Nach teilweiser Klagerücknahme beantragt er,
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unter entsprechender Aufhebung des Bescheids des Bundesamts vom 31. Mai 2017 die Beklagte zu verpflichten, ihm subsidiären Schutz zu gewähren, hilfsweise festzustellen, dass bei ihm Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich Pakistans vorliegen.
6
Der Kläger habe das Land verlassen, weil er und seine Familie von der Mafia verfolgt worden seien. Die Polizei decke die Machenschaften der Organisation und helfe den Bürgern nicht, wenn sie Anzeige erstatteten, sondern beschuldige den Anzeigeerstatter irgendeiner Straftat und nehme ihn fest. Die Mafia habe den Vater des Klägers mit Waffen bedroht und die Entführung des Klägers angeordnet. Dieser habe sehr wohl selbst Entführungen von Menschen aus seinem Dorf miterlebt. Diese Männer mit normaler Kleidung, auffällig großen Bärten und großen Gewehren seien auch bereits beim Vater des Klägers gewesen, doch sei er selbst zu diesem Zeitpunkt in der Schule gewesen. Daraufhin habe der Vater den Kläger aus der Schule genommen und versteckt, bis er die Ausreise seines Sohnes habe organisieren und finanzieren können. Eine inländische Fluchtalternative habe es für den Kläger nicht gegeben. Er habe keinerlei Möglichkeiten gehabt, sich in seinem jugendlichen Alter selbst an einem anderen Ort eine Lebensgrundlage zu schaffen. Die Eltern des Klägers seien mit seinen Schwestern nach dem Streit um die Grundstücke und die Bedrohung durch die Mafia an einen ihm unbekannten Ort gezogen. Der Kläger habe vergeblich versucht, sie telefonisch zu erreichen, nachdem sie weggezogen gewesen seien. Deshalb habe er bei einer Rückkehr keinerlei familiäre Bindungen und Unterstützung mehr. Ohne die Hilfe der Familie fehle die wirtschaftliche Basis, die nötig wäre, um ein Überleben am Rand des Existenzminimums zu ermöglichen.
7
Ergänzend wird auf den Akteninhalt, insbesondere das Protokoll über die Anhörung des Klägers beim Bundesamt und die Niederschrift über die mündliche Verhandlung, sowie auf die zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Erkenntnisgrundlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I.
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Soweit die Klage zurückgenommen wurde, war das Verfahren einzustellen (§ 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO).
II.
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Im Übrigen ist die Klage unbegründet.
10
1. Die Voraussetzungen für die Gewährung subsidiären Schutzes liegen nicht vor. Der Kläger hat keine stichhaltigen Gründe für die Annahme vorgebracht, dass ihm nach einer Rückkehr in Pakistan ein ernsthafter Schaden im Sinn von § 4 Abs. 1 Satz 2 AsylG droht. Sein diesbezügliches Vorbringen ist nicht glaubhaft.
11
Der Kläger hat beim Bundesamt und beim Verwaltungsgericht unterschiedliche Versionen seines angeblichen Verfolgungsschicksals geschildert. Einerseits sollen die Bedrohungen der örtlichen Mafia gegen seine Familie entweder Ende 2014 oder Anfang 2015 angefangen haben, andererseits Anfang des Jahres 2014. Einerseits soll seine Ausreise aus Pakistan im Juni 2015 gewesen sein, andererseits im Jahr 2014. Einerseits sollen die Mafiamitglieder bei der ersten Bedrohung des Vaters einen Teil des Landes übernommen haben, andererseits sollen sie das erste Mal (nur) ein normales Gespräch mit seinem Vater geführt haben und der Vater ihnen das Land erst überlassen haben, nachdem sie ihn zu Hause bedroht hätten.
12
Gegen die Glaubwürdigkeit des Klägers spricht auch nachdrücklich, dass er sowohl im Asylverfahren als auch im Vormundschaftsverfahren über seine Identität getäuscht hat. Selbst als zu Beginn der Anhörung beim Bundesamt am 2. Mai 2017 seine Personalien abgeglichen und ergänzt wurden, hat er daran festgehalten, dass der Kastenname „...“ (Bauer) sein Familienname bzw. Nachname sei. Er zeigte zwar eine Handykopie seines Schülerausweises mit dem Nachnamen „...“ vor, wies das Bundesamt aber weder auf diesen Namen noch darauf hin, dass sein korrekter Nachname „...“ laute. Beim Bundesamt gab er als letzte offizielle Anschrift im Heimatland das Dorf ... an, während er in der mündlichen Verhandlung einräumte, dies sei das Dorf ... gewesen. Der erst im zweiten Halbjahr 2018 vorgelegten Geburtsurkunde kann entnommen werden, dass die Familie des Klägers bereits bei seiner Geburt in dem Dorf ... lebte. Bei seiner Einlassung in der mündlichen Verhandlung, im Vorschulalter zwei bis drei Jahre in ... bzw. ... gelebt zu haben, handelt es sich um eine klare Schutzbehauptung.
13
Der Kläger hat beim Bundesamt auch den Namen seiner Mutter unrichtig angegeben, nämlich mit „...“ statt - wie in der vorgelegten Geburtsurkunde vermerkt - „...“. Zudem dürfte der Kläger nach dem in der mündlichen Verhandlung gewonnenen Eindruck mehrere Jahre älter sein als von ihm angegeben. Dieser Einschätzung steht die vorgelegte Geburtsurkunde nicht entgegen. Die Beschaffung standesamtlicher Dokumente unwahren Inhalts ist in Pakistan problemlos möglich. Angesichts weit verbreiteter Korruption und des unzureichenden Zustands des Zivilstandswesens ist es einfach, einen fiktiven Standesfall (Geburt, Tod, Eheschließung) in ein echtes Personenstandsregister eintragen zu lassen und auf der Basis dieser Eintragung eine formal echte Urkunde ausgestellt zu bekommen. Ebenso leicht lassen sich Verfälschungen einzelner Fakten tatsächlicher Personenstandsfälle (z.B. Geburtsdatum) in den Personenstandsregistern erreichen, um damit echte standesamtliche Urkunden zu erhalten, deren Inhalt der tatsächlichen Faktenlage nur teils entspricht (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht Pakistan vom 21.8.2018, V.1.1. S. 25 f. Echte Dokumente unwahren Inhalts).
14
Abgesehen davon stand und steht dem Kläger vor allem in den pakistanischen Großstädten eine die Gewährung subsidiären Schutzes ausschließende zumutbare inländische Schutzalternative zur Verfügung (vgl. § 4 Abs. 3 AsylG i.V.m. § 3e AsylG). Insoweit wird zunächst zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Begründung des angefochtenen Bescheids Bezug genommen (§ 77 Abs. 2 AsylG). Ergänzend wird ausgeführt:
15
Beim Kläger handelt es sich um einen gesunden jungen Mann, der arbeitsfähig ist (vgl. Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit vom 2.11.2017 für eine Tätigkeit als Küchenhilfskraft im Umfang von 12,5 Stunden/Woche vom 2.11.2017 bis 1.11.2020; Berufsausbildungsvertrag vom 3.8.2018 für eine Ausbildung zum Anlagenmechaniker für Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnik). Daran ändert auch der Umstand nichts, dass der Kläger im Rahmen der Hilfe für junge Volljährige sozialpädagogisch betreut wird. Ist - wie im streitgegenständlichen Verfahren - das Asylgesetz anzuwenden, sind die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs dafür maßgebend, ob ein Ausländer als minderjährig oder volljährig anzusehen ist (§ 12 Abs. 2 Satz 1 AsylG). Im Übrigen enthält das pakistanische internationale Privatrecht insoweit eine Rückverweisung auf das deutsche Recht, so dass der Kläger auch nach dem Recht seines Herkunftsstaats seit Vollendung des 18. Lebensjahrs volljährig ist (vgl. OLG Stuttgart, B.v. 3.1.2018 - 17 WF 76/17 - juris). Die dazu im Widerspruch stehende Praxis des Familiengerichts ... ist rechtlich nicht haltbar.
16
2. Demnach liegen auch Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vor.
17
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Das Verfahren ist gerichtskostenfrei (§ 83b AsylG).