Inhalt

VG Regensburg, Beschluss v. 09.01.2019 – RN 6 S 18.50495
Titel:

Flucht des Asylbewerbers als Voraussetzung einer Verlängerung der Überstellungsfrist

Normenketten:
Dublin III-VO Art. 2 lit. n, Art. 29 Abs. 1, Abs. 2 S. 2
VwGO § 80 Abs. 7
AufenthG § 50 Abs. 4
AsylG § 34a Abs. 1 S. 1
Leitsätze:
1. Die Verlängerung der Überstellungsfrist nach Art. 29 Abs. 2 Satz 2 Dublin III-VO setzt die Flucht des Asylbewerbers voraus, die die überstellende Behörde nachweisen muss. (Rn. 53 und 59)
2. Flucht liegt nur vor, wenn der Asylbewerber während eines (nicht definierten) längeren Zeitraums für die zuständigen Behörden nicht erreichbar ist. Die Absicht, sich den Behörden zu entziehen, muss nicht nachgewiesen werden. Maßgeblich sind die Umstände des Einzelfalles. (Rn. 50, 52 und 55)
Schlagworte:
Dublin, Verlängerung der Überstellungsfrist, Flucht, Dublin-Verfahren, Flucht des Asylbewerbers, Beweislast, Nichterreichbarkeit für die zuständigen Behörden, Untertauchen
Vorinstanz:
VG Regensburg, Beschluss vom 07.12.2017 – RN 6 S 17.52188
Fundstelle:
BeckRS 2019, 132

Tenor

I. Unter Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 7.12.2017, RN 6 S 17.52188, wird die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsanordnung im Bescheid des Bundesamts für ... vom 12.10.2017 (GZ.: 7054695 - 272) angeordnet.
II. Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.
1
Der am …1986 geborene Antragsteller ist Staatsangehöriger Sierra Leones und reiste am 2.2.2017 nach Deutschland ein. Er begehrt die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen einen Bescheid des Bundesamts für ... (im Folgenden: Bundesamt), in dem die Abschiebung des Antragstellers nach Italien angeordnet worden ist.
2
Nachdem ein Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der am 20.10.2017 erhobenen Klage mit Beschluss vom 7.12.2017 abgelehnt worden war, beantragt er nunmehr unter Abänderung dieses Beschlusses die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage. Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin sei die Überstellungsfrist am 7.6.2018 nach Art. 29 Abs. 1 Verordnung (EU) Nr.604/2013 (im Folgenden: Dublin III-VO) abgelaufen, da die Abschiebung seit Erlass des Beschlusses vom 7.12.2017 möglich gewesen und der Antragssteller nicht flüchtig gewesen sei.
3
Zuvor hatte der Antragsteller beim Gespräch zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates am 13.2.2017 angegeben, er sei über Libyen nach Italien gekommen, wo er sich vier Monate aufgehalten habe. Er habe in keinem anderen Staat internationalen Schutz beantragt.
4
Eine EURODAC-Anfrage ergab für Italien einen Treffer der Kategorie 2. Deshalb richtete das Bundesamt am 5.4.2017 ein Übernahmeersuchen an die italienischen Behörden. Diese hatten mit Schreiben vom 9.8.2016 allgemein erklärt, dass ab 6.6.2016 alle Aufnahmegesuche mit fehlender deutscher EURODAC-Nummer, sowie alle Wiederaufnahmegesuche nach Fristablauf abgelehnt würden. Im Übernahmeersuchen wurde darauf hingewiesen, dass eine pauschale Ablehnung der Rückübernahme nicht akzeptiert werde.
5
Mit Schreiben seiner Prozessbevollmächtigten an das Bundesamt vom 2.4.2017 legte der Antragsteller ein Attest der Diabetologischen Schwerpunktpraxis Dr. … (Facharzt für Innere Medizin, Hämatologie & Onkologie, Gastroenterologie, Infektiologie, Reisemedizin) vom 9.3.2017 vor, in dem eine chronische HIV-Erkrankung bestätigt wurde, die im Februar 2017 erstmals diagnostiziert worden sei. Es liege eine Einschränkung der Immunität mit einer CD4-Zellzahl von 521/µl vor. Die HI-Viruslast liege bei 50.900 cp/ml. Es bestehe die Indikation für den Beginn einer antiretroviralen HIV-Therapie. Die HIV-Therapie sei ohne absehbares Ende fortzuführen. Eine Unterbrechung könne zu einer akuten und lebensbedrohlichen Verschlechterung des Gesundheitszustandes führen.
6
Als Medikation wird morgens die Einnahme des Medikaments Genvoya angegeben.
7
Bei seiner Anhörung zur Zulässigkeit des Asylantrags am 12.4.2017 erklärte der Antragsteller, gegen eine Überstellung nach Italien spreche, dass er dort keine Behandlung seiner HIV-Infektion erhalten habe. Dort habe man aber auch nicht gewusst, dass er diese Erkrankung habe.
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Er sei von den Betreuern im Camp auch gezwungen worden, Sex mit Männern zu haben.
9
Bei seiner Anhörung am 12.4.2017 gab er an, Schwierigkeiten zu haben, weil er Christ sei. Sein Großvater habe Zauberkraft und ihn deshalb bedroht und bewirkt, dass er Albträume habe. Auch habe er ihm etwas ins Essen getan. Nachdem der Antragsteller nicht mehr nachhause gekommen sei, habe der Großvater nach ihm gesucht.
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Das Gesundheitsamt L … erklärte mit Schreiben vom 31.7.2017, dass der Antragsteller medikamentös gut eingestellt sei. Die medikamentöse Behandlung müsse regelmäßig und konsequent durchgeführt werden. Unter dieser Voraussetzung sei er gesundheitlich in der Lage, die Reise nach Italien durchzuführen. Hierfür müsse er eine größere Menge Tabletten mitbekommen, um eine nahtlose Behandlung durch einen italienischen Arzt sicherzustellen.
11
Mit Bescheid vom 12.10.2017 lehnte das Bundesamt den Asylantrag als unzulässig ab (Ziffer 1), stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Ziffer 2) und ordnete die Abschiebung des Antragstellers nach Italien an (Ziffer 3). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG wurde auf sechs Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Ziffer 4).
12
Der Asylantrag sei gemäß § 29 Abs. 1 AsylG unzulässig, da Italien wegen des dort gestellten Asylantrages gemäß Art. 13 Abs. 1 Dublin III-VO für die Behandlung des Asylantrags zuständig sei. Außergewöhnliche humanitäre Gründe, welche die Bundesrepublik Deutschland veranlassen könnten, ihr Selbsteintrittsrecht gemäß Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO auszuüben, seien nicht ersichtlich. Nach den Erkenntnissen des Bundesamts lägen in Italien keine „systemischen Mängel“ des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen im Sinne der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vor, weshalb eine Überstellung nach Italien möglich sei.
13
Der Bescheid wurde am 18.10.2017 zugestellt.
14
Der Antragsteller erhob mit Telefax seiner Prozessbevollmächtigten vom 20.10.2017 Klage beim Verwaltungsgericht Regensburg auf Aufhebung des Bescheides vom 12.10.2017.
15
Zur Begründung wird vorgetragen, der Antragsteller sei schwer erkrankt und nicht reisefähig. Der Arzt beim Gesundheitsamt könne dies nicht beurteilen, da er kein Immunologe sei. Demgegenüber habe der behandelnde Arzt Dr. … in seinem aktuellen Attest vom 19.10.2017 festgestellt, dass der Antragsteller bis zur nächsten Verlaufskontrolle nicht reisefähig sei.
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Die kontinuierliche medizinische Versorgung in Italien sei nicht gewährleistet. Bei vulnerablen Personen habe die Antragsgegnerin sicherzustellen, dass eine Übergabe an eine gesicherte Unterkunft mit medizinisch qualifiziertem Personal erfolge. Eine entsprechende Zusicherung der italienischen Behörden liege nicht vor.
17
Die italienischen Behörden hätten Aufnahme- bzw. Wiederaufnahmegesuche auch mit Schreiben vom 9.8.2016 pauschal abgelehnt.
18
In einem vergleichbaren Fall sei auch von der Antragsgegnerin ein Selbsteintrittsrecht ausgeübt worden.
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Mit Beschluss vom 7.12.2017, RN 6 S 17.52188, lehnte das Verwaltungsgericht Regensburg den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage ab. Auf die Begründung wird Bezug genommen.
20
Mit Schreiben vom 4.5.2018 teilte die Antragsgegnerin dem italienischen Innenministerium mit, der Antragsteller sei flüchtig. Die Überstellungsfrist verlängere sich dadurch bis 7.6.2019.
21
Mit Schreiben vom 11.5.2018 teilte die Polizeiinspektion V … mit, der Antragsteller habe am 23.4.2018 um 10.30 Uhr rücküberstellt werden sollen. Dies sei nicht möglich gewesen, da er am 23.4.2018 um 7.30 Uhr nicht angetroffen worden sei. Nach Angabe der Zentralen Ausländerbehörde bei der Regierung von Niederbayern in D … sei sein Aufenthaltstitel am 7.12.2017 erloschen.
22
Am 3.5.2018 habe der Beschuldigte aufgesucht werden sollen. Er sei aber in der Unterkunft nicht angetroffen worden. Anwesende Personen hätten über seinen Aufenthaltsort keine Auskunft geben können. Er halte sich in unregelmäßigen Abständen in der Unterkunft auf. Oft sei er jedoch mehrere Tage nicht in der Unterkunft.
23
Vom Landratsamt sei am 6.5.2018 bestätigt worden, dass er sich seit ca. zwei Wochen nicht mehr in der Unterkunft aufhalte. Er habe damit seit dem 20.4.2018 weder durch die Polizeiinspektion noch durch das Landratsamt angetroffen werden können. Sein derzeitiger Aufenthaltsort sei nicht bekannt.
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Mit Telefax seiner Prozessbevollmächtigten vom 13.7.2018 beantragte der Antragsteller die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage. Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin sei die Überstellungsfrist am 7.6.2018 abgelaufen. Sie habe sich nicht bis 7.6.2019 verlängert, da er nicht untergetaucht sei.
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Nach der vorgelegten E-Mail des Herrn … vom 6.6.2018 sei er am 24.4., 30.5., 1.6. und 6.6.2018 im Gesundheitsamt gewesen. Herr … erklärte, den Antragsteller ausdrücklich gebeten zu haben, sich in den letzten Tagen vor Ablauf der Überstellungsfrist außer zu Arztbesuchen, Einkäufen und Behördengängen nicht aus der Unterkunft zu entfernen.
26
Am 8.6.2018 habe der Antragsteller bei Herrn … angerufen und ihm erklärt, er sei in der Unterkunft.
27
Am 23.4.2018 sei er in der Arztpraxis Dr. …, am 16.4., 2.5. und 9.5.2018 bei der Caritas gewesen.
28
Der Antragsteller beantragt nunmehr,
unter Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 7.12.2017 die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsandrohung im Bescheid des Bundesamts vom 12.10.2017, RN 6 S 17.52188, anzuordnen.
29
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
30
Der Antragsteller sei darüber belehrt worden, dass er sich abmelden müsse, wenn er mehr als drei Tage nicht in der Unterkunft sei. Auf Nachfrage des Verwaltungsgerichts wird dies mit der gesetzlichen Belehrung mit Formblatt nach § 50 Abs. 4 AufenthG begründet.
31
Auf weitere Nachfragen des Verwaltungsgerichts werden insbesondere E-Mails des Landratsamtes vom 17.5., 30.5., 4.6. und 14.8.2018 vorgelegt. Danach soll der Antragsteller am 2.5.2018 sein Taschengeld von der Stadt V … abgeholt haben. „Für die Auszahlung Juni 2018 ist er von der Liste gestrichen, Vorsprache im LRA, ebenso verweigert er die Arbeitsgelegenheit gemäß § 5 AsylbLG (Putzjob in der Unterkunft)“.
32
Am 17.5.2018 sei er beim Landratsamt im Bereich Sozialhilfe gewesen, um Putzsachen abzuholen. Auf Nachfrage habe er seine Meldeadresse als Aufenthaltsort angegeben. Andere würden ihn selten sehen, da er ein Einzelzimmer habe. Er müsse immer in der Unterkunft sein, da er dort auch seine Medikamente habe.
33
Am 17.5.2018 teilte die Sozialhilfeverwaltung nach Befragung eines Herrn … (nach späterer telefonischer Mitteilung gegenüber dem Gericht am 9.1.2018 durch die Regierung von Niederbayern handelt es sich um einen geduldeten ausreisepflichtigen Asylbewerber in der Unterkunft ohne Funktion) mit, der Antragsteller komme nur etwa alle 14 Tage einmal nachts in die Unterkunft und halte sich dort ein bis zwei Stunden auf. Seiner Verpflichtung zur gemeinnützigen und zusätzlichen Arbeit (Putzjob) komme er nur äußerst unzureichend nach (einmal putzen in zwei Wochen).
34
Nach einer anderen E-Mail soll Herr … gesagt haben, dass der Antragsteller einmal wöchentlich putze. Vermutlich halte er sich in der früheren Unterkunft in E … auf.
35
Am 30.5.2018 soll der Antragsteller bei der Sozialhilfeverwaltung gewesen sein. Er habe angegeben, dass er in der Unterkunft sei und am Tag zuvor die Liste des Außendienstes unterschrieben habe. Er habe auch geputzt. Davor sei er in den Asylbewerberunterkünften in B … und E … gewesen.
36
Nach einer E-Mail einer Mitarbeiterin der Ausländerbehörde vom 4.6.2018 soll am 28.5.2018 die Haustüre verschlossen gewesen sein. Niemand habe geöffnet. Am 29.5.2018 habe sie den Antragsteller persönlich in seinem Zimmer angetroffen. Am 30.5.2018 sei er nicht angetroffen worden, habe aber im Landratsamt vorgesprochen. Gleiches sei am 1.6.2018 gewesen.
37
Zusammenfassend für die Zeit vor Ablauf der Überstellungsfrist wurde seitens der Regierung von Niederbayern mit E-Mail vom 14.8.2018 festgehalten, dass der Antragssteller in dieser Zeit nur noch unregelmäßig in der Unterkunft gewesen sei und deshalb als untergetaucht gemeldet worden sei. Er unterschreibe immer in einer anderen Unterkunft seine Anwesenheit. Er wisse, dass die Überstellungsfrist ablaufe, habe Angst vor der Polizei und sei von anderen Bewohnern seit Längerem nicht gesehen worden. Dass er bei der Caritas oder einem Arzt vorspreche und das Gesundheitsamt kontaktiere, heiße nicht zwangsläufig, dass er sich in der ihm zugewiesenen Unterkunft aufhalte.
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Nach telefonischer Mitteilung gegenüber dem Gericht am 9.1.2018 durch die Regierung von Niederbayern unter Nachfrage beim Landratsamt D … handelt es sich bei der Unterkunft V …, in der sich der Antragsteller aufhalten muss, um eine kleine Unterkunft, in der der Unterkunftsleiter kein Büro hat und nur gelegentlich anwesend ist.
39
Mit Schreiben der Zentralen Ausländerbehörde vom 20.12.2018 wurde die Überstellung nach Italien für den 25.1.2019 angekündigt.
40
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze der Parteien und auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie auf die elektronische Akte des Bundesamts Bezug genommen.
II.
41
Die Entscheidung ergeht gemäß § 76 Abs. 4 Asylgesetz (AsylG) durch den Berichterstatter als Einzelrichter.
42
Gemäß § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO kann jeder Beteiligte die Änderung oder Aufhebung eines Beschlusses über einen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen. Das Verfahren nach § 80 Abs. 7 VwGO dient nicht in der Art eines Rechtsmittelverfahrens der Überprüfung, ob die Entscheidung in einem Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes richtig ist; es eröffnet vielmehr die Möglichkeit, einer nachträglichen Änderung der Sach- und Rechtslage Rechnung zu tragen. Prüfungsmaßstab für die Entscheidung ist daher allein, ob nach der jetzigen Sach- und Rechtslage eine andere Entscheidung bezüglich der Anordnung oder Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage geboten ist (BVerwG, B.v. 12.7.2018 - 1 VR 4.18, 1 PKH 29.18 - juris Rn. 5; B.v. 26.7.2017 - 1 VR 6.17 - juris Rn. 3; B.v. 10.3.2011 - 8 VR 2.11 - juris Rn. 8, BayVGH, B.v. 17.8.2018 - 13a AS 18.50050 - juris). Das ist hier der Fall. Der Antragsteller kann nicht mehr nach Italien abgeschoben werden.
43
Maßgeblich ist vorliegend, ob die Frist für die Überstellung des Antragstellers nach Italien abgelaufen ist.
44
Die Überstellungsfrist nach Art. 29 Abs. 1 Dublin III-VO beträgt sechs Monate nach Annahme des Aufnahme- oder Wiederaufnahmegesuchs durch den anderen Mitgliedstaat. Zwar hat Italien die Aufnahmebereitschaft für den Antragsteller nicht erklärt, das Wiederaufnahmegesuch wurde seitens des Bundesamts aber ordnungsgemäß innerhalb der Frist des Art. 23 Abs. 2 UAbs. 1 Dublin III-VO gestellt. Da die italienischen Behörden auf das Wiederaufnahmegesuch nicht innerhalb von zwei Wochen reagiert haben, ist nach Art. 25 Abs. 2 Dublin III-VO davon auszugehen, dass Italien dem Gesuch stattgegeben hat. Damit steht fest, dass Italien für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig war und die Abschiebung nach Italien durchgeführt werden konnte.
45
Nach § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG darf eine Abschiebungsanordnung erst dann erfolgen, wenn feststeht, dass die Abschiebung durchgeführt werden kann. Die Abschiebung muss rechtlich möglich und tatsächlich durchführbar sein, Art. 29 Abs. 1 Dublin III-VO. Die Abschiebung war bei rechtzeitiger Antragstellung im Verfahren RN 6 S 17.52188 nach § 80 Abs. 5 VwGO nach § 36 Abs. 3 Satz 8 AsylG nicht zulässig, sodass die Überstellungsfrist von sechs Monaten (von Beginn an) erst ab der Entscheidung vom 7.12.2017 zu laufen begann (Berlit, Anspruch auf Beanspruchung von Dublin-Zuständigkeitsbestimmungen bei (Wieder-) Aufnahmebereitschaft eines unzuständigen Mitgliedstaats, 2016, m.w.N. - juris).
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Diese Frist ist zwischenzeitlich abgelaufen. An ihre Stelle tritt nicht eine Frist von höchstens achtzehn Monaten, Art. 29 Abs. 2 Satz 2 Dublin III-VO, da der Antragsteller nicht „flüchtig“ war.
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Die Definition des Begriffs „flüchtig“ im Sinne des Art. 29 Abs. 2 Satz 2 Dublin III-VO ist umstritten. Das Gericht schließt sich hierbei den Ausführungen des Verwaltungsgerichthofes Baden-Württemberg (Vorlagebeschluss an den EuGH vom 15.3.2017 - A 11 S 2151/16 - Rn. 20) an:
„Geht man von der Legaldefinition der Fluchtgefahr in Art. 2 lit. n) Verordnung (EU) Nr.604/2013 aus, wonach ein „Entziehen“ durch Flucht festgestellt werden muss, so liegt auch nach dem allgemeinen Wortsinn nahe, im Begriff des „Entziehens“ ein Element des Planvollen und Vorsätzlichen bzw. Bewussten zu sehen, mit anderen Worten ein Verhalten, das bewusst in Bezug auf die erwartete Überstellung erfolgt ist. Ein Flüchtigsein wäre nicht schon dann anzunehmen, wenn der oder die Betreffende nicht angetroffen wird und bei dieser Gelegenheit der aktuelle Aufenthaltsort nicht ermittelt werden kann. Die englische Fassung spricht in Art. 2 lit. n) bzw. Art. 29 Abs. 2 Satz 2 Verordnung (EU) Nr.604/2013 allerdings (nur) von „risk of absconding“ bzw. von „if the person concerned absconds“; im Französischen ist demgegenüber wiederum Rede von „risque de fuite“ und „si la personne concernée prend la fuite“. Jedenfalls die deutsche wie auch die französische Fassungen legen ein weites Verständnis nicht nahe. Nur der Vollständigkeit halber weist der Senat darauf hin, dass sich aus den öffentlich zugänglichen Materialien des Normsetzungsverfahrens nichts Erhellendes ablesen lässt. Die Vorschrift des Art. 29 Abs. 2 Verordnung (EU) Nr.604/2013 entspricht wörtlich der des Art. 20 Abs. 2 Verordnung (EG) 343/2003. Im Kommissionsentwurf (KOM/2001/0447endg - ABl. C 2001, 304 E, 192) war der hier interessierende Satz 2 noch gar nicht enthalten. Er wurde, soweit ersichtlich, erst im Kontext der abschließenden Beratungen des Rates eingefügt. Andererseits sieht der Senat keine Anhaltspunkte dafür, dass mit der Vorschrift des Art. 29 Abs. 2 Satz 2 Verordnung (EU) Nr. 604/2013 ein missbilligtes Verhalten des Ausländers sanktioniert werden soll. Der Senat versteht Sinn und Zweck der Vorschrift dahin gehend, dass das effektive Funktionieren des Dublin-Systems gesichert werden soll. Dieses Funktionieren kann erheblich beeinträchtigt werden, wenn die Überstellungen nicht zeitnah erfolgen können, weil dem Gründe entgegen stehen, die nicht in die Verantwortungssphäre des überstellenden Mitgliedstaat fallen. Im Übrigen würden praktisch gesehen oftmals erhebliche Ermittlungs- bzw. Beweisschwierigkeiten bestehen, wenn den Betroffenen nachgewiesen werden müsste, dass sie sich gerade, um eine Überstellung unmöglich zu machen oder zu erschweren, von ihrer Wohnung entfernt bzw. sich verborgen hatten. Hiervon ausgehend sprechen gute Gründe dafür, es ausreichen zu lassen, dass der zuständigen Behörde der Aufenthalt zum Zeitpunkt des Überstellungsversuchs und auch noch zum Zeitpunkt der Information der zuständige Behörde des zuständigen Mitgliedstaat nicht bekannt war und es auch keine verlässlichen Anhaltspunkte für diese gab, wie der aktuelle Aufenthalt in zumutbarer Weise zu ermitteln sein könnte. Der Vollständigkeit halber ist darauf hinzuweisen, dass zuständige Behörden hier im konkreten Fall das Bundesamt für ... - für das Asylverfahren - sowie das Regierungspräsidium K. - für die Durchführung der Überstellung - waren. Legt man dieses weitere Verständnis der Norm zugrunde, so wäre der Kläger, insbesondere nach seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung auch noch am 16. Juni 2015 flüchtig gewesen, zumal sich aus diesen noch nicht einmal entnehmen lässt, ob überhaupt oder ggf. wann er wieder nach Heidelberg zurückkehren wollte.“
48
In dem Sachverhalt, der dem Vorlagebeschluss des Verwaltungsgerichthofes Baden-Württemberg zugrunde lag, wurde als ungewöhnliche Zuspitzung angegeben, dass sich der dortige Kläger genau an dem Tag, an dem die Mitteilung der Antragsgegnerin (dortigen Beklagten) an die italienischen Behörden erfolgt war, wieder bei der Stadt H. gemeldet hat, eine entsprechende Information aber nicht mehr an das Bundesamt gelangt war. Nicht feststellbar war, ob zum genauen Zeitpunkt der Meldung bei der Stadt H. die Information des italienischen Innenministeriums durch das Bundesamt für ... bereits erfolgt war oder nicht. Nicht absehbar war andererseits, ob der Asylbewerber vor Ablauf der Überstellungsfrist wieder in die Stadt (bzw. den Bereich der zuständigen Ausländerbehörde) kommen werde.
49
Das VG Bayreuth (U.v. 23.10.2017 - B 3 K 17.50068 - juris) führt zum Begriff der Flucht aus:
„Ein Asylbewerber ist bereits dann „flüchtig“, wenn er sich seiner sonst möglichen Überstellung durch sein Nichtdasein bewusst entzieht. Erforderlich ist nicht, dass er seine Wohnung (dauerhaft) verlässt, den Ort wechselt bzw. untertaucht und sich dadurch den Zugriff der Behörden entzieht. Die Formulierung „flüchtig ist“ knüpft nämlich an die Überstellung an. In einem solchen Fall hat nicht der Mitgliedstaat, sondern der Asylbewerber den Ablauf der Frist zu vertreten (vgl. VG Regensburg, U.v. 20.02.2015 - RN 3 K 14.50264 - juris; VG Magdeburg, B.v. 11.12.2014 - 1 B 1196/14 - juris; VG Ansbach, B.v. 29.08.2017 - AN 14 E 17.50998 - juris; VG Ansbach, B.v. 26.9.2017 - AN 14 E 17.51000 - juris). Der Asylbewerber ist daher schon bei jeder Form eines unbekannten Aufenthalts, mit der er sich vorsätzlich und unentschuldigt seiner Abschiebung entzieht, „flüchtig“ im Sinne von Art. 29 Abs. 2 Satz 2 Dublin III-VO (BayVGH, B.v. 29.04.2016 - 11 ZB 16.50024 - juris). Dieses subjektive Moment im Sinne eines dolus eventualis ergibt sich aus dem Wort „flüchtig“, das zwar mehr voraussetzt als nur „abwesend“ oder “nicht erreichbar“, aber die Inkaufnahme einer vergeblichen Abschiebung genügen lässt (VG Ansbach, B.v. 29.08.2017 - AN 14 E 17.50998 - juris). Dies gilt insbesondere in Anbetracht des § 10 Abs. 1 AsylG, über den die Kläger belehrt wurden, wonach sie während der Dauer des Asylverfahrens vorzusorgen haben, dass sie Mitteilungen des Bundesamtes, der zuständigen Ausländerbehörde und der angerufenen Gerichte stets erreichen können. Für die Einstufung als flüchtig kommt es insbesondere auch nicht darauf an, ob den Klägern die bevorstehende Abschiebung bekannt war oder nicht bzw. ob konkrete Abschiebungsversuche unternommen wurden. Sie mussten - jedenfalls mit dem nahenden Ende der sechs monatigen Überstellungsfrist - mit einer Überstellung rechnen (vgl. VG Ansbach B. v. 29.8.2017 - AN 14 E 17.50998 - juris).
Ist der Ausländer nur für eine unerheblich kurze Zeit oder unverschuldet ohne Abmeldung unauffindbar (Einkauf, sonstige private Erledigung, Arztbesuch, etc.), ist dagegen nicht von Flüchtigkeit auszugehen.
… Ein Auszug aus der Unterkunft, also ein „Untertauchen“, ist aufgrund des Vorbringens … zwar nicht anzunehmen, aber auch gar nicht erforderlich zur Annahme von „Flüchtigkeit“. Auch das wiederholte Sich-Entfernen von der Unterkunft ohne Abmeldung wie hier genügt, um eben zu verhindern, dass die Beklagte sechs Monate ununterbrochen zur Verfügung hat, um die Abschiebung zu planen, vorzubereiten und durchzuführen (VG Ansbach, B.v. 26.9.2017 - AN 14 E 17.51000 - juris).“
50
Maßgeblich ist aber, dass der Asylbewerber nachweislich untergetaucht ist (BayVGH, B.v. 17.8.2018 - 13a AS 18.50050, mit Verweis auf den Generalanwalt im Vorlageverfahren des VGH Baden-Württemberg vom 15.3.2017 - A 11 S 2151/16 - juris). Dies entspricht auch allgemeiner Rechtsprechung, wonach die Darlegungslast für Ausnahmen die Partei hat, die sich auf das Vorliegen der hierfür erforderlichen Voraussetzungen beruft.
51
Hierzu führt der Generalanwalt Wathelet im Vorlageverfahren in seinen Schlussanträgen (vom 25.7.2018 - C-163/17 - juris) aus.
„(60) Trotz des Ausnahmecharakters von Art. 29 Abs. 2 Satz 2 der Dublin-III-Verordnung wäre eine Pflicht zur Erbringung des Nachweises, dass die Person, die internationalen Schutz beantragt hat, sich gezielt und bewusst dem Zugriff der für die Durchführung der Überstellung zuständigen nationalen Behörden entzogen hat, um die Überstellung zu vereiteln bzw. zu erschweren, meines Erachtens jedoch überzogen und könnte das bereits komplizierte und schwierige System der Überstellungen, das mit der Dublin-III-Verordnung eingeführt wurde, erheblich durcheinanderbringen.
(62) Die Frage, ob eine Person, die internationalen Schutz beantragt hat, flüchtig ist, muss nach meiner Meinung auf der Grundlage konkreter und objektiver Beweise für diese „Flucht“ beantwortet werden, wobei alle maßgeblichen Umstände sowie der Kontext des Einzelfalls im Ausgangsverfahren zu berücksichtigen sind, ohne dass irgendwelche Absichten der flüchtigen Person nachzuweisen wären. Da das mit der Dublin-III-Verordnung eingeführte Verfahren nicht strafrechtlicher Natur ist, sollten die zivilrechtlichen Beweisanforderungen gelten (Kriterium der überwiegenden Wahrscheinlichkeit - „on the balance of probabilities“). Die Beweislast tragen zwangsläufig die zuständigen nationalen Behörden, die geltend machen, die betreffende Person sei flüchtig, da sie sich auf die Ausnahmebestimmung in Art. 29 Abs. 2 der Dublin-III-Verordnung berufen wollen.
(64) Die Mitgliedstaaten können nämlich „aus Gründen des öffentlichen Interesses, der öffentlichen Ordnung oder wenn es für eine zügige Bearbeitung und wirksame Überwachung des betreffenden Antrags auf internationalen Schutz erforderlich ist“ „einen Beschluss über den Aufenthaltsort des Antragstellers fassen“(23) und „die im Rahmen der Aufnahme gewährten materiellen Leistungen an die Bedingung knüpfen, dass sich Antragsteller tatsächlich an dem Ort aufhalten, der von den Mitgliedstaaten festgelegt wird“(24). Außerdem schreiben „[d]ie Mitgliedstaaten … Antragstellern vor, den zuständigen Behörden ihre aktuelle Adresse und schnellstmöglich etwaige Adressenänderungen mitzuteilen“(25). Ich halte diese Einschränkungen und Auflagen für notwendig, um u. a. sicherzustellen, dass die Person, die internationalen Schutz beantragt hat, schnell ausfindig gemacht werden kann, damit die Prüfung ihres Antrags und gegebenenfalls ihre Überstellung in einen anderen Mitgliedstaat gemäß Art. 29 der Dublin-III-Verordnung erleichtert wird.
(66) Es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass die Mitgliedstaaten nach Art. 5 der Richtlinie 2013/33 die Personen, die internationalen Schutz beantragt haben, schriftlich und in einer Sprache, die sie verstehen oder von der vernünftigerweise angenommen werden darf, dass sie sie verstehen, über ihre Verpflichtungen im Rahmen der Aufnahmebedingungen unterrichten müssen(26). Wenn also diese Regeln nicht eingehalten wurden, kann eine Missachtung der Beschränkungen der Bewegungsfreiheit den Personen, die internationalen Schutz beantragt haben, nicht entgegengehalten werden (68) Aus den vorstehenden Erwägungen ergibt sich, dass es für eine Verlängerung der Überstellungsfrist auf bis zu 18 Monate gemäß Art. 29 Abs. 2 der Dublin-III-Verordnung meines Erachtens genügt, wenn die Person, die internationalen Schutz beantragt hat, sich über einen längeren Zeitraum nicht mehr in der ihr zugewiesenen Wohnung aufhält und die zuständigen nationalen Behörden nicht über ihren Verbleib informiert waren und deshalb eine geplante Überstellung nicht durchgeführt werden konnte, vorausgesetzt, diese Person ist über die in den nationalen Vorschriften zur Umsetzung von Art. 5 der Richtlinie 2013/33 und Art. 13 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2013/32 vorgesehenen Beschränkungen ihres Rechts auf Bewegungsfreiheit und über ihre dort ebenfalls vorgesehenen Verpflichtungen, sich bei diesen Behörden zu melden, unterrichtet worden(28).“
52
Was unter einem längerem Zeitraum zu verstehen ist, in dem sich der Asylbewerber nicht in der ihm zugewiesenen Unterkunft aufhält, ergibt sich aus den Ausführungen des Generalanwalts nicht (Wathelet, a.a.O., Ergänzung Originalsprache Französisch Rn. 22). Soweit sich dem Vorlagebeschluss des VGH Baden-Württemberg (v. 15.3.2017 - A 11 S 2151/16) aber entnehmen lässt, aus dem dortigen Verfahren ergebe sich nicht, „ob überhaupt oder ggf. wann er wieder … zurückkehren wollte“, kann dort von einem längeren Zeitraum ausgegangen werden, ohne dass hieraus nähere Rückschlüsse auf die Definition eines längeren Zeitraums gezogen werden können. Es muss von den maßgeblichen Umständen des konkreten Einzelfalles ausgegangen werden.
53
Vorliegend ist ein Untertauchen des Antragstellers nicht nachgewiesen. Maßgeblich für die Frage der Flucht ist der Zeitpunkt der Mitteilung der Antragsgegnerin an das Innenministerium Italiens am 4.5.2018. Unabhängig von der noch nicht geklärten Rechtsfrage, ob die Verlängerung der Überstellungsfrist durch einseitige Mitteilung oder einvernehmliche Vereinbarung erfolgt (BayVGH, B.v. 17.8.2018 - 13a AS 18.50050 - juris, für das Ausreichen einer einseitigen Mitteilung Wathelet, a.a.O., Rn. 146, Entscheidungsvorschlag 3, juris), ist der Nachweis der Flucht (Wathelet, a.a.O., Rn. 146, Entscheidungsvorschlag 3, juris) erforderlich. Das heißt, dass zum Zeitpunkt der Mitteilung an die italienischen Behörden am 4.5.2018 ein Untertauchen über einen längeren Zeitraum vorgelegen haben muss.
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Hierbei kommt es nicht allein darauf an, ob sich der Antragsteller im gesamten Zeitraum in der Unterkunft aufhielt. Vielmehr kann aus der von der Antragsgegnerin genannten Bestimmung über die Meldepflicht eines Wohnungswechsels innerhalb von drei Tagen nach § 50 Abs. 4 AufenthG geschlossen werden, dass der Gesetzgeber zumindest bei einer Frist von drei Tagen noch nicht von einer Flucht ausgeht.
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Notwendig ist für das Feststellen einer Flucht, dass der Asylbewerber über einen längeren Zeitraum für die maßgeblichen Behörden, d.h. der Antragsgegnerin und der für die Abschiebung zuständigen (zentralen) Ausländerbehörde nicht erreichbar war. Hiervon kann vorliegend aber nicht ausgegangen werden, auch wenn die Kenntnis anderer Behörden oder Organisationen grundsätzlich nicht zugerechnet werden kann.
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Am 23.4.2018 wurde eine Abschiebung des Antragstellers versucht. Sie schlug fehl, da der Antragsteller nicht angetroffen wurde. Es wurde nicht hinreichend festgestellt, warum der Antragsteller an diesem Tag um 7.30 Uhr von der Polizei nicht angetroffen wurde. Soweit im Ermittlungsbericht vom 11.5.2018 ausgeführt wird, das Landratsamt habe am 6.5.2018 mitgeteilt, der Antragsteller halte sich seit ca. zwei Wochen dauerhaft nicht mehr in der Unterkunft auf, ist nicht erkennbar, worauf diese Feststellung beruhen soll. Insbesondere handelt es sich um eine kleine Unterkunft ohne ständig anwesenden Unterkunftsleiter. Worauf die dem Gericht nicht vorgelegten Angaben beruhen, ist nicht ersichtlich.
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Möglich ist zwar die Darstellung der Antragsgegnerin, dass der Antragsteller über Zeiträume von bis zu zwei Wochen abwesend war. Dies kann auch aus den anscheinend nicht regelmäßig ausgeführten Putzdiensten geschlossen werden. Möglich ist aber nach den eigenen Angaben des Antragstellers auch, dass er zumindest nicht regelmäßig über längere Zeiträume abwesend war. Es ist nachvollziehbar, dass er sich zumindest immer wieder in der Unterkunft aufhielt, da den Putzpflichten zumindest zum großen Teil nachgekommen wurde.
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Besteht der begründete Verdacht, dass ein Asylbewerber flüchtig ist, müssen entsprechende Feststellungen getroffen werden. Sind diese nicht durch einen in der Unterkunft anwesenden Unterkunftsleiter möglich, kann die Unterbringung in einer Unterkunft mit anwesendem Unterkunftsleiter angeordnet oder der Asylbewerber verpflichtet werden, sich in kurzen Zeitabständen zu melden (Wathelet, a.a.O., Ergänzung Originalsprache Französisch Rn. 27). Gegebenenfalls kann vom Sozialamt die Mitteilung eingeholt werden, ob der jeweilige Asylbewerber das monatliche Taschengeld abholt bzw. abgeholt hat. Einer mit einzelnen Daten bzw. angegebenem Wochentag konkretisierten Meldepflicht dürfte dabei auch nicht entgegenstehen, dass ein Abschiebungstermin nicht angekündigt werden darf, § 59 Abs. 1 Satz 8 AufenthG.
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Werden diese Maßnahmen nicht ergriffen, gehen Zweifel an der Flucht eines Asylbewerbers zulasten der sich auf die Fristverlängerung nach Art. 29 Abs. 2 Satz 2 Dublin III-VO berufenden Antragsgegnerin.
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Das Gericht hat für den Zeitpunkt der Mitteilung der Verlängerung der Überstellungsfrist an die italienischen Behörden am 4.5.2018 nicht nur erhebliche Zweifel an der von der Antragsgegnerin geltend gemachten Flucht, es erscheint vielmehr eher wahrscheinlich, dass der Antragsteller sich zumindest bis kurz vor diesem Zeitpunkt in der Unterkunft aufhielt, da er zumindest am 2.5.2018 in V … war, wo er beim Sozialamt der Stadt V … sein Taschengeld abholte und auch bei der Caritas war. Damit befand er sich zumindest zu diesem Zeitpunkt nicht im Bereich der Asylbewerberunterkünfte in E … oder B … Damit waren nach der im vorliegenden Verfahren notwendigen aber auch ausreichenden summarischen Prüfung die Voraussetzungen für die Verlängerung der Überstellungsfrist nach Art. 29 Abs. 2 Satz 2 Dublin III-VO nicht gegeben. Da die Überstellungsfrist von sechs Monaten, Art. 29 Abs. 1 Dublin III-VO, nach der Entscheidung über den Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO abgelaufen ist, ist davon auszugehen, dass eine Abschiebung des Antragstellers nicht mehr zulässig ist. Die Zuständigkeit für das Verfahren ist nach Art. 29 Abs. 2 Satz 1 Dublin III-VO auf Deutschland übergegangen. Es liegt damit eine für den Antrag nach § 80 Abs. 7 VwGO maßgebliche Änderung der Sach- und Rechtslage vor, die zur Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts vom 7.12.2017, RN 6 S 17.52188, und zur Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsanordnung führt.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben, § 83 b AsylG.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 80 AsylG.